In insgesamt zehn Bundesländern werden 2014 die kommunalen Parlamente gewählt. Aufgabe der Wahlforscher ist es, das Wahlverhalten nicht nur zu beschreiben, sondern möglichst auch zu erklären. In der Regel gelingt dies erst nach der Wahl, und zwar mithilfe von repräsentativen Wahltagsbefragungen, den exit polls. Die empirische Wahlforschung bietet darüber hinaus auch theoretische Ansätze, die das individuelle Wahlverhalten analysieren sollen. Der sozialpsychologische Ansatz gilt dabei als geeignetes Modell, das individuelle Wahlverhalten empirisch zu erklären (Schoen 2009). Im Vordergrund dieses Ansatzes steht die Parteiidentifikation der Wähler, eine langfristige, stabile emotionale Bindung zu einer Partei. Die Parteiidentifikation, „eine Art psychologische Parteimitgliedschaft“ (Roth 2008), wird durch den individuellen Sozialisationsprozess geprägt und ändert sich in der Regel nur durch erhebliche Einschnitte in diesen Prozess, etwa Orts- oder Berufswechsel, oder durch einschneidende politische Ereignisse, wie politische oder ökonomische Krisen. Ein weiterer Einflussfaktor, der der Parteiidentifikation nachgelagert ist, aber das Wahlverhalten auch kurzfristig beeinflussen kann, ist die Bewertung von Sachthemen und Kandidaten.
Vor allem für die kommunalen Wahlkämpfer ist von Bedeutung, welche Erklärungskraft dieser Ansatz bei Kommunalwahlen entwickelt. Steht der Faktor Parteiidentifikation bei Kommunalwahlen in gleichem Maße im Vordergrund wie bei Bundes- und Landtagswahlen oder werden Kommunalwahlen eher dadurch entschieden, wie die Wähler Sachthemen und Kandidaten bewerten? Die Beantwortung dieser Frage hat handfeste Auswirkungen auf die Wahlkampfplanung in den Kommunen: etwa, wenn es darum geht, ob eine Abrechnung beziehungsweise Identifizierung mit der Politik und den Parteien auf Landes- und Bundesebene als Element einer kommunalen Wahlkampfstrategie sinnvoll ist oder nicht oder inwieweit kommunale Erfolge oder Misserfolge in einem Kommunalwahlkampf thematisiert werden sollten. Schließlich hilft die Beantwortung dieser Frage dabei, kommunale Wahlergebnisse politisch einzuordnen und einzuschätzen, ob sie als Vorzeichen für einen politischen Stimmungswechsel in einem Bundesland oder auf Bundesebene zu deuten sind.
Ein Beispiel dafür, dass die Parteiidentifikation bei Wahlen auf allen politischen Ebenen der zentrale Faktor für die Wahlentscheidung ist, ist die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen 1999. Damals standen weder kommunale Kandidaten noch kommunale Themen im Mittelpunkt, sondern die Kritik an der SPD-geführten Bundesregierung. Als Ausdruck der Unzufriedenheit mit „ihrer“ Partei blieben viele SPD-Wähler am Wahltag zu Hause. Die CDU profitierte davon und konnte sich im Vergleich zur vorherigen Kommunalwahl um zehn Prozentpunkte auf 50,3 Prozent verbessern, während die SPD fast zehn Prozentpunkte verlor und nur mehr 33,9 Prozent erzielte.
Zudem belegen empirische Studien, dass die individuelle Parteiidentifikation bei Kommunalwahlen eine wahlentscheidende Rolle spielt. Unterschiedliche Ergebnisse von Kommunal- und Bundestagswahlen ergeben sich demnach aus der unterschiedlich starken Beteiligung an den jeweiligen Wahlen (Schmidt 2008). Allerdings gilt auch: Je kleiner die Kommune, in der gewählt wird, desto geringer ist die Bedeutung der langfristigen emotionalen Bindung an eine Partei für die Wahlentscheidung. In großen Städten hat die Parteiidentifikation in der Regel eine vergleichbare Bedeutung wie bei Landtags- und Bundestagswahlen.
Bei Direktwahlen in Großstädten spielt jedoch die Parteiidentifikation wiederum eine deutlich geringere Rolle. Dies belegt eine Untersuchung im Vorfeld der Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl 2012. Hier war für die Befragten nur von geringer Bedeutung, für welche Partei oder Gruppierung die Kandidaten antraten. Entscheidend war für die Stuttgarter Wahlberechtigten, ob die Kandidaten die Probleme der Stuttgarter Bürger kannten und welches Profil sie hatten, also ob sie als durchsetzungsfähig, vertrauenswürdig und fachlich kompetent wahrgenommen wurden. Dabei hatten Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Einkommen der Befragten keinen Einfluss auf die Bewertung der Wichtigkeit der Kandidateneigenschaften.
Die Kandidatenbewertung als wahlentscheidender Faktor wird durch das kommunale Wahlsystem in den meisten Bundesländern verstärkt. Hier haben die Wähler die Möglichkeit, mehrere Stimmen für einen Kandidaten abzugeben (Kumulieren) und zudem ihre Stimmen auf unterschiedliche Listen aufzuteilen (Panaschieren). Damit bleibt die Wirkung der Personalisierung von Wahlkämpfen nicht auf Oberbürgermeisterwahlen beschränkt, sondern beeinflusst alle kommunalen Wahlen, die die Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens kennen. Die damit einhergehende stärkere Kandidatenorientierung erhöht auch den Bedarf an professionaler Wahlkampfberatung, insbesondere wenn es darum geht, die starken Eigenschaften beispielsweise eines Oberbürgermeisterkandidaten in den Vordergrund einer Kampagne zu stellen. Wenn etwa ein Kandidat im Rahmen einer demoskopischen Untersuchung zwar keine besonders hohen Sympathiewerte erzielt, dafür aber von den Befragten als politisch erfahren angesehen wird, lohnt es sich, ihn in der Kampagne als anpackenden Politiker, der in der Lage ist, politische Aufgaben zu lösen, zu präsentieren.
Obwohl die Parteiidentifikation auch bei Kommunalwahlen besonders wichtig sein kann und damit Kommunalwahlen in einem landes- oder bundespolitischen Kontext stattfinden können, wäre es falsch, landes- und bundespolitischen Themen einen prominenten Platz in einer kommunalen Wahlkampagne zu geben. Denn kommunale Sachthemen stehen bei Kommunalwahlen hoch im Kurs. So spielte die Kommunalpolitik etwa bei den Kommunalwahlen 2009 in Nordrhein-Westfalen mit sehr deutlichem Abstand vor der Bundespolitik und der Landespolitik die größte Rolle für die Wahlentscheidung.
Um die richtigen, also die wahlentscheidenden Themen zu erkennen und die eigenen politischen Vorhaben bestmöglich zu vermarkten, fand in den letzten Jahren, parallel zu den Bundestags- und Landtagswahlen, eine Professionalisierung der Kommunalwahlkämpfe statt. Mithilfe demoskopischer Untersuchungen werden Erkenntnisse über Themen gewonnen, die den Menschen vor Ort wichtig sind, um dementsprechend eine effiziente Wahlkampfstrategie zu entwickeln und umzusetzen. Kommunikationsagenturen entwickeln griffige Slogans und gestalten Broschüren und Flyer für den Straßenwahlkampf. Auch die zielgruppengerechte Ansprache, etwa das Versenden von Erstwähler- oder Seniorenbriefen, ist Bestandteil eines professionellen Kommunalwahlkampfes geworden.
Dennoch fällt die Wahlbeteiligung meist gering aus. Dies liegt vor allem an den jüngeren Wahlberechtigten. Die Ergebnisse des KommunalTRENDs vor der Stuttgarter Oberbürgermeisterwahl zeigen, dass das Interesse an Wahlen auf kommunaler Ebene mit steigendem Alter signifikant zunimmt. Das Geschlecht und das formale Bildungsniveau wirken sich hingegen kaum auf das Interesse an der Wahl aus.
Die kommunale Wahlbeteiligung fällt jedoch immer noch höher aus als die Beteiligung an der Europawahl. In den Bundesländern, in denen am 25. Mai auch kommunale Parlamente gewählt werden, dürfte die Beteiligung an der Europawahl daher höher ausfallen als in den Bundesländern ohne Parallelwahlen.
Für die kommunalen Wahlkämpfer gilt: Der Dreiklang aus Parteiidentifikation, Kandidatenorientierung und Sachthemenbewertung ist grundsätzlich auch für Kommunalwahlen richtungsweisend. Allerdings können Wahlen auf kommunaler Ebene auch einen starken eigenständigen Charakter entwickeln, der der Parteimitgliedschaft eines Kandidaten eine geringere Bedeutung zukommen lässt. Bei Direktwahlen, wie etwa Oberbürgermeisterwahlen, steht die Bewertung des Kandidaten durch die Bürger definitiv an der Spitze der wahlentscheidenden Faktoren. Die Wähler wünschen sich keinen Politiker, der darauf setzt, auf dem Ticket seiner Partei die Wahl für sich entscheiden zu können. Es kommt ihnen vielmehr darauf an, jemanden in das höchste Amt ihrer Stadt zu wählen, der Stadt und Leute genau kennt und dem sie zutrauen, die entscheidenden politischen Aufgaben vor Ort anpacken und lösen zu können. Außerdem haben auch das jeweilige Wahlrecht und die Größe der Kommunen einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die wahlentscheidenden Faktoren. Da viele Bundesländer mittlerweile die Möglichkeit des Kumulierens und des Panaschierens kennen, nimmt auch hier die Bedeutung der Parteimitgliedschaft ab. Zwar ist es für einen Kandidaten immer noch von Vorteil, möglichst weit oben auf der Liste seiner Partei zu kandidieren, denn viele Wähler nutzen die Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens nicht und machen ihr Kreuz schlicht bei einer der konkurrierenden Listen. Doch auch ein Kandidat, der sich im parteiinternen Wettbewerb um einen guten Listenplatz nicht durchsetzen konnte und auf einem der hinteren Plätze kandidiert, kann sich Hoffnungen machen. Wenn es ihm gelingt, aufgrund seiner Persönlichkeit oder aufgrund seiner politischen Agenda, möglichst viele Wähler davon zu überzeugen, ihre Stimmen auf ihn zu kumulieren, hat er alle Chancen, in das kommunale Parlament einzuziehen. Schließlich ist auch festzustellen, dass es in kleineren Kommunen grundsätzlich eher auf die Kandidaten als auf die Partei ankommt. Im kommunalen Superwahljahr 2014 sollten die Kandidaten also nicht allein auf die Zugkraft ihrer Partei setzen, sondern sich auf ihre persönlichen Stärken konzentrieren und die Themen, die den Wählern vor Ort am Herzen liegen, in den Mittelpunkt ihrer Kampagne stellen.
Florens Mayer, geboren 1986 in Würzburg, Altstipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung, Projektleiter Politik- und Wahlforschung beim Meinungsforschungsinstitut dimap in Bonn.
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Literatur
Korte, Karl-Rudolf (2009): Wahlen in Nordrhein-Westfalen. Kommunalwahl, Landtagswahl, Bundestagswahl, Europawahl. Schwalbach/Ts.
Roth, Dieter (2008): Empirische Wahlforschung. Ursprung, Theorien, Instrumente und Methoden.
2. Auflage, Wiesbaden.
Schmidt, Carmen (2008): „Wählerverhalten auf kommunaler Ebene. Eine Analyse am Beispiel der Kommunalwahl 2006 in Osnabrück“, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen 2/2008, Seite 584–597.
Schoen, Harald (2009): „Wahlsoziologie“, in: Kaina, Viktoria et al. (Hrsg.): Politische Soziologie. Wiesbaden, Seite 181–208.