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Beim Länderfinanzausgleich geht es nicht nur ums Geld

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Das Grundgesetz (GG) verpflichtet die Bundesrepublik, als demokratischer und sozialer Bundesstaat (Artikel 20 Absatz 1 GG) zu agieren; das hat ebenfalls im Grundgesetz festgelegte Konsequenzen. Dazu gehört das Recht des Bundes zur konkurrierenden Gesetzgebung, „soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit“ dies erforderlich machen (Artikel 72 Absatz 2 GG). So entstand 1969 auch ein Gesetz, das sicherstellt, „dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen“ wird (Artikel 107 Absatz 2 GG). Seitdem es dieses Gesetz gibt, wird darüber gestritten und das wird vermutlich auch so bleiben. Die gegenwärtige Regelung läuft allerdings 2019 aus und schon jetzt wird über eine Neuregelung kontrovers diskutiert. Es dürfte sich lohnen, eine künftige Regelung schrittweise und in abgestimmter Reihenfolge zu suchen.

 

Finanzkraft erfassen, Steuerverteilung überprüfen

Für die Bewertung der Finanzkraft einer Region sind nicht nur das regionale Steueraufkommen und die demografische Entwicklung notwendig, sondern auch die Regeln der Steuerverteilung. Die Grundsätze der Steuerzuteilung regelt Artikel 107 Absatz 1 GG, Art und Umfang der Zerlegung des örtlichen Aufkommens sind einfachgesetzlich geregelt. Diese Regelungen müssen überprüft werden. Die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Länder hat unter anderem zur Folge, dass sich die Zahlen der Ein- und Auspendler nicht überall die Waage halten. Das Prinzip des örtlichen Aufkommens bei der Aufteilung der Gemeinschaftssteuern wird man allerdings kaum ersetzen können. So wird der Länderanteil am Lohnsteueraufkommen nach dem Wohnortprinzip, der Anteil an der Körperschaftssteuer nach Betriebsstätten verteilt. Dabei ist es nicht unwichtig, inwieweit Außenstellen in einem anderen Land als eigene, steuerpflichtige Betriebsstellen gezählt werden. Wer die Feinheiten einer „innerbetrieblichen Steueroptimierung“ kennt, weiß um die Gestaltungsspielräume. Der Umsatzsteueranteil wird nach der Einwohnerzahl zugewiesen. Das ist einerseits logisch, andererseits aber ein Problem: Länder mit niedriger Wirtschaftskraft haben gleichzeitig sinkende Einwohnerzahlen, ohne dass in gleichem Maße die öffentlich zu finanzierenden Aufgaben für die verbliebene Bevölkerung weniger würden. Einige Länder korrigieren die Einwohnerzahlen deshalb in drei- bis fünfjährigen Abständen, statt die des Vorjahres zu nehmen. Viel besser dürfte es dadurch aber auch nicht werden. Deutlich besser könnte es sein, eine sinkende Einwohnerzahl als ein besonderes Bedarfskriterium beim Umsatzsteuervorwegabzug zu werten und damit diesen Ländern einen Ergänzungsanteil auszuzahlen. Das aber bedürfte einer gesetzlichen Regelung.

Die Steuerkraft der Kommunen wird gegenwärtig nur zu 64 Prozent in die Berechnung der Finanzkraft eines Landes einbezogen. Da beim Länderfinanzausgleich sowohl Nehmer- als auch Geberländer mehr Gerechtigkeit fordern, ist es empfehlenswert – obwohl beide Seiten nicht das Gleiche wollen – die Finanzkraft der Kommunen in Gänze mit einzubeziehen.

 

Nach Himmelsrichtung?

Es ist in der bisherigen Diskussion unstrittig, dass es Bundesergänzungszuweisungen weiterhin geben soll: Bund und Länder möchten gestalten. Bisher ist das meiste Geld aus verständlichen Gründen in die neuen Länder geflossen. Übereinstimmend hört und liest man, diese Förderung möge künftig „nicht mehr nach der Himmelsrichtung, sondern nach Notwendigkeiten“ verteilt werden. Darüber besteht offenbar Einigkeit, solange nicht näher nachgefragt wird.

Geklärt werden müsste dazu, mit welchen Parametern die Förderbedürftigkeit einigermaßen objektiv ermittelt wird und wie die Förderbereiche definiert werden. Verglichen werden könnten etwa die Höhe der Arbeitslosigkeit, das pro Einwohner erwirtschaftete Bruttoinlandsprodukt, der Anteil der Industrieproduktion und die Verschuldung pro Kopf. Immer aber muss man die Messbereiche definieren. Für Maßnahmen des Arbeitsmarktes könnten es Zuständigkeitsbereiche dieser Verwaltung sein. Für die Lokalisierung der Bundesförderung macht es keinen Sinn, einzelne Städte zu vergleichen.

Dass der Bund nicht in einzelne Länder hineinregieren solle, war ein wichtiger Diskussionspunkt der letzten Föderalismusreform. Immer wieder war von Bundespolitikern zu hören, die Länder seien mit Geld verführbar. Es gebe eine Reihe von Bundesratsentscheidungen, die auf diese Weise erst möglich geworden seien. Da die ärmeren Länder dafür empfänglicher seien, war das Kooperationsverbot für die institutionelle Mitfinanzierung durch den Bund ein Hauptziel der Zahlerländer im Länderfinanzausgleich. Sie wollten auf diese Weise vermeiden, dass Mehrheiten im Bundesrat gegen sie organisiert werden. Doch selbst wenn man dies wieder ändern würde, könnte es keine Bundesergänzungszuweisungen an einzelne Kommunen geben.

In der gegenwärtigen Diskussion ist es also nicht zielführend, arme Städte auf der einen Seite mit wohlhabenden Städten auf der anderen Seite zu vergleichen. Bundesergänzungszuweisungen sollten auch künftig zweckgebunden an Länder gegeben werden, wobei die Erfüllung der Ziele wie vereinbart durch den Stabilitätsrat überprüft werden muss. Es hat auch schon zeitlich befristete Sonderbundesergänzungszuweisungen bei Haushaltsnotlagen gegeben, die nach Ablauf der vereinbarten Frist nicht ihr Ziel erreicht haben und die dann dazu führten, dass die betroffenen Länder auf Weiterzahlung klagten.

Auch andere Nebenwirkungen einer Mischfinanzierung müssen bedacht werden. Der Bund kann Leistungsgesetze beschließen und mit der Durchführung nach Artikel 104 a GG die Länder beauftragen. Dann kann der Bund die Finanzierung übernehmen, indem er bei der Aufteilung der Gemeinschaftssteuern den Ländern pauschal „Umsatzsteuerpunkte“ überträgt. Daran sind diejenigen Länder interessiert, die nicht möchten, dass ihnen der Bund in ihren Verwaltungsvollzug hineinregiert. Das Geld wird nach Einwohnerzahlen verteilt, doch nicht immer sind die Bezugsberechtigten sozialer Leistungsgesetze proportional zu den Einwohnerrelationen verteilt. Länder, die wirtschaftlich gut dastehen, sind dann im Vorteil gegenüber wirtschaftsschwächeren Ländern. Deshalb ist es nur folgerichtig, wenn beispielsweise der Bund künftig die Finanzierung der Grundsicherung allein übernimmt. Der Verwaltungsweg müsste dann die ungleiche Verteilung der Bezugsberechtigten berücksichtigen.

Durch die Instrumente der Verteilung der Gemeinschaftssteuern einschließlich des Umsatzsteuervorwegabzuges, durch die Mischfinanzierung der Gemeinschaftsaufgaben und durch gezielte Bundesergänzungszuweisungen können die erheblichen Unterschiede der Finanzkraft der Länder schon bedeutend verringert werden. Eine weitere Verringerung wird auch künftig nur durch einen Länderfinanzausgleich möglich sein. Der aber wirft regelmäßig Grundsatzfragen auf.

 

Am Ende entscheiden die Ministerpräsidenten

Als ungeschriebener Verfassungsgrundsatz, den das Bundesverfassungsgericht in mittlerweile vier Entscheidungen ausgeformt hat, gilt, dass das „bündische Prinzip des Einstehens füreinander zur bundesstaatlichen Ordnung (Art. 20 Abs. 1 GG) gehört“ [BVerfGE 86, 148]. Das bedeutet, dass die einzelnen Länder unter Beachtung ihrer Eigenstaatlichkeit und finanziellen Eigenverantwortung gegebenenfalls zu Hilfeleistungen an andere, finanziell leistungsschwächere Länder verpflichtet sind. Dabei sind auch die Grenzen der Hilfeleistungspflicht angelegt. Eingeschränkt wird die Pflicht der Starken dadurch, dass finanzielle Schwächen, die eine „unmittelbare und voraussehbare Folge von politischen Entscheidungen sind“, von dem betreffenden Land selbst getragen werden müssen. Über diesen Punkt wird immer wieder kontrovers diskutiert. Er berührt die Unterschiede im Grundverständnis eines föderalen Staatsgefüges, wie man sie bei den Debatten im Bundesrat erleben kann. Länder, die es sich leisten können, leiten aus Artikel 30 GG die Staatseigenschaft ihres Landes ab und damit ihre Eigenverantwortung. Länder, die auf Hilfe angewiesen sind, betrachten sich eher als Verwaltungsbereich innerhalb des Bundes und betonen ihre Erfüllungsverantwortung innerhalb des Ganzen. Vor allem aus den Geberländern im Finanzausgleich kommt immer wieder die Forderung nach einer eigenen Steuererhebungskompetenz der Länder. Wenigstens das den Gemeinden zustehende Recht, für eine bestimmte Steuer einen Hebesatz eigenständig festzulegen, mahnen sie an. Die Nehmerländer fürchten zu Recht, dass sie dann erst ihre eigenen Möglichkeiten der Einnahmeverbesserung ausschöpfen müssten, bevor sie Anspruch auf Hilfe von anderen hätten. Da jede Steuererhöhung – auch bei der Erbschaftssteuer – zu einer Belastung des Wirtschaftsstandortes führt, ist die Befürchtung begründet, dass sich diejenigen Länder selbst schädigen müssten, die Hilfe von außen am nötigsten brauchen. Andererseits ist offensichtlich, dass es dem Solidaritätsgedanken und damit dem bündischen Prinzip eines Bundesstaates schadet, wenn Nehmerländer im Finanzausgleich mit dem Geld aus den Zahlerländern sich selbst mehr leisten, als die Zahlerländer sich leisten können. Auch dafür gibt es aus der Vergangenheit Beispiele.

Der Vorwurf, dass eine großzügigere Novellierung der Finanzkraftunterschiede die eigenen Anstrengungen schwächen würde, ist nicht unbegründet und wurde schon bei der letzten Reform des Ausgleichsgesetzes diskutiert. Seit 2005 bleiben für jedes Land zwölf Prozent der überproportionalen Steuermehreinnahmen je Einwohner gegenüber dem Vorjahr bei der jährlichen Finanzkraftermittlung unberücksichtigt. Das gilt auch für die Nehmerländer. Auch für diese lohnen sich eigene Anstrengungen, wenn auch die Erfolge nur in ganz kleinen Schritten erlebbar werden.

Wenn eine Landesregierung der eigenen Bevölkerung Sparanstrengungen zumutet, um noch investieren zu können, dann ist ein Erfolg kaum zu vermitteln, wenn er nur in einer statistisch feststellbaren Verringerung der eigenen Hilfsbedürftigkeit besteht. Revisionsbedürftig erscheint auch die „Einwohnerveredelung“ für die Stadtstaaten im Abgleich mit dem Mehrbedarf für dünn besiedelte Länder. Ob die Ausschöpfungssätze für die Geberländer und die Auffüllungstarife für die Nehmerländer so bleiben sollten wie bisher, ist in erster Linie ein politisches und in zweiter ein mathematisches Problem. Die Berechnungsgrundlagen für den Länderfinanzausgleich durchschauen nur noch wenige Fachleute. Eine Diskussion über Reformen wird ohne Modellberechnungen für verschiedene Varianten also nicht möglich sein.

 

Am Scheideweg

Für die Länder bestehen grundsätzlich zwei Lösungswege. Sie können sich untereinander – wenn auch nach schwierigen Diskussionen – einigen. Das würde Verabredungen über die gegenseitigen Pflichten innerhalb eines gemeinsamen Bundes notwendig machen. Hilfen müssten dann erkennbar als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden werden. Dabei müsste es nicht immer nur um Geld gehen.

Beim Aufbau neuer Wirtschaftsstrukturen in den neuen Bundesländern haben auch Verwaltungsregelungen geholfen. Das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz hat zu einer wesentlichen Erleichterung geführt. Als es verlängert werden sollte, gab es dafür nur eine Mehrheit, wenn es in allen Ländern gelten würde.

Wenn Länder ihre Finanzkraft verbessern sollen, müssen sie ihre Wirtschaftsstrukturen ertüchtigen. Das nur über Geld und Fördermittel zu steuern, wird nicht reichen. Die sehr ungleiche Verteilung etwa der DAX-Unternehmen in der Bundesrepublik ist nicht auf eine unterschiedliche finanzielle Förderpolitik zurückzuführen. Das hat spätestens die Diskussion über die Organisation von Steuerprüfungen in Ländergrenzen überschreitenden Unternehmen deutlich gemacht. Wer weniger finanziellen Ausgleich will, muss deshalb auch bei der non-fiskalischen Wirtschaftsförderung Unterschiede zulassen. Gleichzeitig müsste es dem Stabilitätsrat möglich sein, auf der Ausgabenseite zu prüfen, ob ein Land sich Wohltaten leistet, die nur mit Mitteln aus dem Finanzausgleich bezahlt werden können. Für die letzte Reform des Länderfinanzausgleichs wurde ein Grundsätzegesetz gefordert und beschlossen. Die Länder können durchaus in einem Grundsätze-Staatsvertrag ihre Vorstellungen von den Prinzipien gegenseitiger Hilfe und wechselseitiger Pflichten innerhalb eines Bundesstaates festschreiben.

Oder sie gehen einen anderen Weg: Sie einigen sich nicht und erwarten eine Lösung der Probleme vom Bund. Durch mehr Geld bei der Aufteilung der Gemeinschaftssteuern, durch Sozialisierung der Länderschulden und durch mehr und höhere Bundesergänzungszuweisungen wäre ein gewisser Ausgleich der unterschiedlichen Wirtschafts- und Finanzkraft der Länder auch machbar. Nur von der Eigenverantwortung und Eigenstaatlichkeit zu sprechen, ohne diese wahrzunehmen, höhlt den Grundgedanken eines föderalen Staatsaufbaus allerdings bis zur Unkenntlichkeit aus.

In der Bildungspolitik gibt es solche Diskussionen schon länger. Wer jetzt auf die Ankündigungen einiger Finanzminister zum künftigen Länderfinanzausgleich achtet, dem werden Zweifel kommen. Sicher wird es schwierige Diskussionen geben. Aber am Ende entscheiden die Ministerpräsidenten. Die wissen, dass es dabei um mehr geht als nur um Geld.


Wolfgang Böhmer, geboren 1936 in Dürrhennersdorf (Sachsen), Professor der Medizin, Ministerpräsident a. D. des Landes Sachsen-Anhalt.

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