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Die Post-Trump-Ära und die Einheit der amerikanischen Nation

Eine erste Analyse der US-Wahl 2020

Die Wahl hat gezeigt, dass die ideologische Polarisierung zwischen Demokraten und Republikaner stärker wird. Woran liegt es und kann Joe Biden das Land einen?

Nach Tagen der Stimmenauszählung gewann der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden nicht nur die notwendige Mehrheit von über 270 Wahlleuten im electoral college, sondern erhielt auch landesweit über 4,5 Millionen Stimmen mehr als der amtierende Präsident Donald Trump. Allerdings wäre es falsch, von einem Erdrutschsieg der Demokraten zu sprechen. Vor der Wahl bestand die Hoffnung unter den Demokraten, dass viele Wähler, insbesondere in den Staaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania, die traditionell als Hochburgen der Demokraten und Teil der sogenannten blue wall galten, bedauern würden, dass sie bei der letzten Wahl für Trump gestimmt hatten. Meinungsumfragen schienen diese Erwartung zu bestätigen und sahen einen klaren Vorsprung für Biden.

 

Auch wenn Biden die vormaligen Staaten der blue wall wieder zurückgewinnen konnte, sollte dieser Umstand nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Amerikaner die Wahl Trumps nicht als Fehler sahen. Trotz all seiner rhetorischen Eskapaden, politischen Desaster und autoritären Tendenzen wählte fast die Hälfte der amerikanischen Wähler erneut den amtierenden Präsidenten, was bei vielen Demokraten auf völliges Unverständnis stößt. Anstelle eines Zeichens des Bedauerns und der Versöhnung bestätigt die Wahl den vorherrschenden Eindruck, dass die Vereinigten Staaten tief gespalten bei ihren politischen Ansichten sind. Demokraten und Republikaner unterscheiden sich dabei nicht nur in ihren politischen Einstellungen, sondern nehmen die wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung völlig anders wahr.

 

Die ideologische Polarisierung zwischen Demokraten und Republikaner wird verstärkt durch eine zunehmende geografische Trennung. Ein Blick auf die Karte des electoral college zeigt einen Nordosten und Westen in Blau, geteilt von einem Meer roter Staaten, die abwertend auch als flyover countries bezeichnet werden. Die Unterscheidung zwischen blauen und roten Staaten vermittelt allerdings einen unvollständigen oder verzerrten Eindruck der Polarisierung innerhalb der amerikanischen Gesellschaft. Bei genauer Betrachtung wird deutlich, dass sich in allen Einzelstaaten das gleiche Bild ergibt. Während die Demokraten in urbanen Regionen die klare Mehrheit behaupten, sind die ländlichen Teile durch eine deutliche republikanische Mehrheit geprägt. Diese geografische Trennung hat sich bei der jetzigen Wahl verstärkt. In den entscheidenden battleground states wie Wisconsin, Michigan und Pennsylvania gewann Biden in ländlichen Teilen im Vergleich zur Präsidentschaftswahl vor vier Jahren keine Stimmen zurück, sondern Trump konnte vielmehr seinen Stimmenanteil in ländlichen Regionen vergrößern. Dennoch konnte Biden den Vorsprung in den urbanen Gebieten ausbauen und sich so am Ende die notwendige Mehrheit in den battleground states sichern.

 

Ergänzend zu ideologischen Polarisierungen lassen sich eine verstärkte Animosität und soziale Entfremdung zwischen den Demokraten und Republikanern feststellen: ein social distancing, unabhängig von Schutzmaßnahmen infolge der Corona-Pandemie. 71 Prozent der Demokraten und 47 Prozent der Republikaner, die Singles sind, würden keine Beziehung mit einer Person in Betracht ziehen, die bei der Wahl 2016 für Trump beziehungsweise Clinton gestimmt hatte.[1] Des Weiteren haben Demokraten und Republikaner zunehmend negative Ansichten über den jeweils anderen. Demokraten und Republikaner erachten die jeweils andere Seite als engstirnig (75 bzw. 64 Prozent), nicht intelligent (38 bzw. 36 Prozent) und unmoralisch (47 bzw. 55 Prozent). Darüber hinaus sind Republikaner der Ansicht, dass Demokraten unpatriotisch (63 Prozent) seien. Positive Ansichten über die andere Seite haben Demokraten und Republikaner nur selten.[2]

 

Die ideologische Polarisierung zwischen liberalen Demokraten und konservativen Republikanern wird somit durch eine steigende geografische Trennung und soziale Distanzierung begleitet, sodass –ohne die Lage überdramatisieren zu wollen – mehr und mehr zwei getrennte Lebenswelten innerhalb der amerikanischen Gesellschaft entstehen. Langfristig könnte hierdurch die Solidarität zwischen den beiden Seiten und damit das Fundament einer Gesellschaft schwinden. Dieser Trend wird durch die Medienlandschaft in den Vereinigten Staaten verstärkt. Sinnbildlich hierfür steht die parteiische Berichterstattung von Fox News, die ihrer Zuschauerschaft größtenteils ein einseitiges Bild der politischen, sozialen und wirtschatlichen Lage vermittelt. Aber auch liberale Nachrichtensender wie MSNBC lassen nicht selten eine ausgewogene Berichterstattung vermissen. Da viele Amerikaner sich nur einseitig über Medien informieren, die ihre bestehende Meinung bestätigen, bilden sich sogenannte echo chambers, in denen Demokraten und Republikaner nur selten mit gegensätzlichen Meinungen und Vorstellungen konfrontiert werden. Die Social Media verstärken diesen Prozess, da sie über entsprechende Algorithmen ihren Nutzern überwiegend Inhalte bereitstellen, die ihren Einstellungen entsprechen. Es enstehen filter bubbles. Als Folge nehmen Demokraten und Republikaner zwei getrennte Wirklichkeiten wahr. Knapp 80 Prozent der Demokraten und Republikaner sind sich einig, dass sie sich nicht einmal mehr auf grundlegende Fakten einigen können.[3]

 

Die hohe Wahlbeteiligung ist vor dem Hintergrund der zunehmenden Polarisierung zunächst eine erfreuliche Nachricht und lässt auf ein hohes Vertrauen in die Demokratie und Integrität der Wahlen schließen. Sie erreicht mit rund 67 Prozent einen Rekordwert seit 1900. Über 145 Millionen Amerikaner haben gewählt. Eine Erklärung für die hohe Wahlbeteiligung ist allerdings eher die wahrgenommene Bedeutung der diesjährigen Wahl als ein vorhandenes Vertrauen in die Legitimität der Wahl. So sind 83 Prozent der Wähler der Meinung, dass es wirklich wichtig sei, wer dieses Mal die Wahl gewinnt.[4] Hingegen hatten kurz vor den Wahlen nur 59 Prozent der Wähler ein hohes oder mäßiges Vertrauen in die Richtigkeit der Wahlen, wobei der Anteil unter den Republikanern bei nur 44 Prozent lag.[5] Dies sollte nicht wundern, nachdem Präsident Trump und konservative Medien während des Wahlkampfes ständig Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahlen säten. Das Vertrauen innerhalb der repulikanischen Wählerschaft dürfte aufgrund der aktuellen rhetorischen Breitseiten und juristischen Klagen Trumps gegen die Rechtmäßigkeit der Wahlen weiter sinken. Verstärkt wird das Misstrauen in die Integrität der Wahlen auch durch die Sorgen oder gar Ängste vieler Wähler über die Folgen des Wahlausgangs. 63 Prozent der Demokraten und 71 Prozent der Republikaner geben als einen Hauptgrund an, warum sie sich als Demokrat beziehungsweise Republikaner identifizieren, dass sie die Politik der anderen Seite als schädlich für das Land sehen.[6]

 

Die Polarisierung der amerikanischen Gesellschaft verursacht somit einen Teufelskreis. So spiegelt sie sich zunächst in den Wahlergebnissen zum Kongress wider, in dem die ideologischen Differenzen zwischen Demokratischen und Republikanischen Kongressabgeordneten seit Dekaden zunehmen. Die Folge ist eine Politikblockade, die notwendige strukturelle Reformen in fast allen Themenbereichen – von der Gesundheits- und Umweltpolitik bis hin zu Waffengesetzen oder dem Wahlrecht – erschwert und verhindert. Die Politikblockade verstärkt einen Vertrauensverlust seitens der Gesellschaft in die öffentlichen Institutionen. Die gesellschaftliche Polarisierung beraubt somit die Politik der praktischen Fähigkeit und der Legitimation, die notwendig wären für die Umsetzung struktureller Reformen, um der Spaltung der Gesellschaft Einhalt zu gebieten.

 

Vor dem Hintergrund dieser Problematik ist Bidens Versprechen zu bewerten, die Seele Amerikas zu heilen und das Land zu einen. Während Trump mit seiner Rhetorik, seiner fehlenden Empathie und stellenweise unmoralischen Politik gezielt die Polarisierung in der amerikanischen Gesellschaft anheizte, wird Biden versuchen, Gräben zu überwinden. Der Präsident kann allein durch seine moralische Führung und Anteilnahme in Krisen die Solidarität innerhalb der Gesellschaft stärken. Außerdem ist Biden erfahren darin, überparteiliche Kompromisse im Senat zu schließen. Es bedarf allerdings vor allem eines gesellschaftlichen Wandels, initiiert und getragen von sozialen Bewegungen aus der Mitte der Gesellschaft, um die Spaltung der amerikanischen Nation zu überwinden. Die Erfolge überparteilicher Graswurzelbewegungen zur Erhöhung der Wahlbeteiligung geben hierfür Hoffnung. Ein gesellschaftlicher Wandel geschieht allerdings nicht von heute auf morgen. Die Polarisierung in der Gesellschaft und Politik wird deshalb langfristig ein Merkmal der Vereinigten Staaten bleiben und auch in einer Post-Trump-Ära die politischen Institutionen auf die Probe stellen.

 

 

Dr. Holger Janusch ist Akademischer Oberrat im Nordamerikastudienprogramm an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Zuvor war er tätig als Langzeitdozent an der Andrássy Universität Budapest und Gastforscher an der Johns Hopkins University in Washington, DC. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die US-Außen- und Handelspolitik, Polarisierung in der amerikanischen Politik und Macht in den Theorien der Internationalen Beziehungen. Er veröffentlichte vor Kurzem das Sonderheft “Peacebreaker or Dealmaker? US Security and Foreign Policy after Four Years under President Trump” der Zeitschrift Sicherheit und Frieden.

 

[1] Anna Brown (24.04.2020): Most Democrats who are looking for a relationship would not consider dating a Trump voter. Pew Research Center; https://www.pewresearch.org/fact-tank/2020/04/24/most-democrats-who-are-looking-for-a-relationship-would-not-consider-dating-a-trump-voter/.

[2] Pew Research Center (10.10.2019): Partisan Antipathy: More Intense, More Personal. https://www.pewresearch.org/politics/2019/10/10/how-partisans-view-each-other/.

[3] John LaLoggia (23.08.2018): Republicans and Democrats agree: They can’t agree on basic facts. Pew Research Center; https://www.pewresearch.org/fact-tank/2018/08/23/republicans-and-democrats-agree-they-cant-agree-on-basic-facts/.

[4] Pew Research Center (13.08.2020): Election 2020: Voters Are Highly Engaged, but Nearly Half Expect To Have Difficulties Voting, https://www.pewresearch.org/politics/2020/08/13/election-2020-voters-are-highly-engaged-but-nearly-half-expect-to-have-difficulties-voting/.

[5] Justin McCarthy (8.10.2020): Confidence in Accuracy of U.S. Election Matches Record Low. Gallup, https://news.gallup.com/poll/321665/confidence-accuracy-election-matches-record-low.aspx.

[6] Hannah Fingerhut (29.03.2018): Why do people belong to a party? Negative views of the opposing party are a major factor. Pew Research Center; https://www.pewresearch.org/fact-tank/2018/03/29/why-do-people-belong-to-a-party-negative-views-of-the-opposing-party-are-a-major-factor/.

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