Eine Karikatur, die im Gedächtnis bleibt, veröffentlicht in den 1980er Jahren: „Wer hat Dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben...“ trällert ein Wandersmann, während er durch eine Landschaft spaziert, die ausschließlich aus trostlosen Baumstümpfen besteht. Das „Waldsterben“, vor allem im Harz und im Bayerischen Wald, war damals in aller Munde. Die Deutsche Bundespost widmete dem Thema sogar eine 80-Pfennig-Briefmarke. Dem Wald – neben dem Auto vermutlich des Deutschen liebstes Kind – drohte das großflächige Aus, und der Schrecken in allen Teilen der Gesellschaft war groß. Bilder von riesigen Flächen abgestorbener Bäume, wo einst intakte Wälder wuchsen, erschütterten die Republik – und wurden in den Parlamenten diskutiert. Auch weil wichtige Emissionsquellen hinter dem Eisernen Vorgang lagen, also jenseits der Staatsgrenze. Das Waldsterben und die erstarkende Umweltbewegung sind neben der Atomkraft die entscheidenden Gründe dafür, dass die Grünen in den Parlamenten so schnell Fuß fassen konnten.
Politischer Konsens war angesichts der erschreckenden Bilder schnell erreicht. Ursächlich war der saure Regen, der die Wurzeln der Bäume schädigte. Er war die Folge der Industrie- und vor allem Braunkohle-Kraftwerksemissionen in der DDR, der Tschechoslowakei, aber auch in Westdeutschland. In gemeinsamer Anstrengung gelang es, das Waldsterben weitestgehend in den Griff zu bekommen. Die politische Wende mit der Abschaltung oder Nachrüstung der überwiegend ostdeutschen und osteuropäischen Kraftwerke spielte den Akteuren dabei kräftig in die Karten.
Das ist lange her, und die Wälder schienen gerettet. Allmählich änderte sich auch ihre Bewirtschaftung. Stand in früherer Zeit vor allem die Holzproduktion im Vordergrund – auf die Spitze getrieben in 60er und 70er Jahren, als die Reinertragslehre auch den Forst ergriff und jeder Quadratmeter produktiv genutzt werden sollte, ja sogar Dünger und Pflanzenschutzmittel eingesetzt wurden, um das Wachstum zu optimieren –, kamen Huckepack mit dem Waldsterben Ende der 1980er Jahre Themen wie Artenschutz und der Wald als Wasserspeicher, Landschaftselement und Erholungsraum auf. Doch so neu ist der Ökogedanke im Forst gar nicht, der für sich reklamiert, vor 300 Jahren die Nachhaltigkeit erfunden zu haben und sie seit dem aktiv zu praktizieren. 1922, also vor knapp 100 Jahren, war es der Waldbaupapst Alfred Möller, der mit seinem Standardwerk „Der Dauerwald“ den Grundstock für eine ökologisch orientierte Forstwirtschaft legte, und einen permanenten Wald ohne Kahlschläge propagierte. Der Begriff von multifunktionalen Wäldern erlebte in den 1980er Jahren eine Renaissance, Wälder sollten auf gleicher Fläche eine Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktion ermöglichen. Vor allem im öffentlichen Wald, der die Vorreiterrolle übernahm. Für die etablierten Parteien war dieser Kurswechsel in der Regel kein Problem, zumindest wollte man sich nicht auch noch bei diesem Thema von einer stärker werdenden grünen Bewegung treiben lassen und Angriffspunkte bieten.
Erfahrungen aus dem „ersten Waldsterben“
Etwa ein Drittel des deutschen Forstes ist als Landeswald im Besitz der Bundesländer, deren Forstverwaltungen über die Art der Bewirtschaftung entscheiden. Die Richtung geben die jeweiligen Ministerien und Länderparlamente vor. In Niedersachsen beispielsweise brachte man vor 30 Jahren unter dem damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder das Programm LÖWE auf den Weg, das für eine langfristige ökologische Waldentwicklung steht und an das viele weitere Landesforstverwaltungen anknüpften. Festgezurrt wurden darin in 13 Grundsätzen unter anderem die Laub- und Mischwaldmehrung, der Verzicht auf Kahlschläge und die Bevorzugung von Naturverjüngungen sowie ein konsequenter Schutz alter Bäume und seltener, bedrohter Arten. Auch ein System aus Waldschutzgebieten – den Urwäldern von morgen –, ein konsequenter Bodenschutz sowie die ökologisch orientierte Ausrichtung von Jagd- und Forsttechnikeinsatz wurden eindeutig geregelt. Die Ausbildung wurde ebenfalls „grüner“, wie der Autor, ehemals Forststudent in Göttingen, bestätigen kann.
Die Bemühungen dieses Richtungswechsels trugen allmählich erste Früchte. Das Waldsterben schien besiegt, unangetastete Naturwaldreservate entstanden vielerorts, die Wälder wurden bunter, vielfältiger, ökologisch wertvoller. Im Harz zum Beispiel wurden in einem gigantischen Waldumbauprogramm Millionen junger Buchen unter die Kronen der zumeist eintönigen Fichtenbestände gepflanzt, die in Folge des bergbaubedingten Holzhungers im Harz entstanden waren. Die Höhenlagen des Harzes wurden zum Nationalpark und damit der Nutzung gänzlich entzogen.
Ist nun also alles im Lot? Mitnichten. Die eingangs beschriebene Karikatur kann wieder hervorgeholt werden. „Waldsterben 2.0“ nennt es der Naturschutzverband BUND, „Klimanotstand im Wald“ die Förstergewerkschaft BDF. Wieder sehen große Waldgebiete in Deutschland so aus wie in den 1980er Jahren, wieder prägen abgeholzte Wälder ganze Landstriche, vor allem in den Mittelgebirgen. Allein in Niedersachsen steht im Landeswald nahezu kein lebender Baum mehr auf einer Fläche von über 25.000 Hektar, hinzu kommen 40.000 Hektar Kahlfläche im niedersächsischen Privatwald - das ist größer als der Bodensee und 30 Mal die Größe des Frankfurter Flughafens. Und alles ganz ohne ostdeutsche Braunkohlekraftwerke.
Wie konnte es dazu kommen? Trockene, heiße Sommer und ein seit Jahren aufgebautes Niederschlagsdefizit stressen die Bäume und bringen sie an ihr Limit. Und hier kommt der Borkenkäfer ins Spiel. Genauer gesagt sind es zwei Arten, die den Nadelwäldern die Galgenschlinge knüpfen – der Kupferstecher und der Buchdrucker. Für Borkenkäfer gibt es nichts Besseres als gestresste Bäume. Die können ihnen bei Trockenheit weniger Harzfluss entgegensetzen, wenn sie sich an ihr zerstörerisches Werk machen und in die Rinde des Baumes ihr Loch für die anzulegenden Fraß- und Brutgänge nagen.
Die Borkenkäferbestände bauten sich allmählich auf, und in den Wäldern begann eine Zeitbombe zu ticken. Die ging schließlich am 18. Januar 2018 hoch, als Orkantief Friederike mit Windgeschwindigkeiten bis zu 200 Stundenkilometer über das Land fegte und mehrere Millionen Festmeter Holz umriss. Vor allem Fichten, die als ausgesprochene Flachwurzler in den durchfeuchteten Böden nicht mehr ausreichend Halt fanden. Der Tisch für die Käfer war gedeckt. Zumal drei Jahre mit ausgeprägten Trockenzeiten folgten, die für den Käfer idealer Brutbedingungen boten. Und der Borkenkäfer ist sehr vermehrungsfreudig: Aus 1200 Weibchen, die einen Brutbaum anfliegen, werden in einem optimalen Borkenkäferjahr 20 Millionen Käfer. Um auch hier mit einem Vergleich zu dienen: Aus der Einwohnerschaft eines durchschnittlichen Dorfes würde annähernd die der Metropole Shanghai.
Nun sind Borkenkäfer kein neues Phänomen, und natürlich müssen intakte Waldökosysteme mit ihnen klarkommen. Schutzgebiete wie die Nationalparks machen es vor. Auch wenn Bilder von baumskelettbestanden Flächen im Nationalpark Harz leicht verstörend wirken, muss man doch attestieren: Auf den aufgefressenen Wald folgt wieder ein Wald, ganz ohne das Zutun des Menschen. Der besteht zwar im Harz – neben einigen Pionierbaumarten wie Birken und Ebereschen –überwiegend aus jungen Fichten, das aber ist die dort gewünschte natürliche Walddynamik. Frei nach dem Motto: Wie gut hat es die Forstpartie, der Wald, der wächst auch ohne sie. Bleibt jedoch die Frage, ob dort noch ausreichend verwertbares Holz wächst. Eine Frage, die sich im Nationalpark zumindest aber auch kein Förster stellen muss, denn dort bleibt das Holz grundsätzlich ungenutzt im Wald.