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EBD / Karin Neuhauser

Drei Herausforderungen für ein starkes parlamentarisches Europa

Mehr Mut für die demokratische Debatte und den politischen Wettstreit muss die Devise bei der Bewältigung der wirtschafts- und außenpolitischen Herausforderungen lauten.

In diesen Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheiten und geopolitischer Verschiebungen muss die EU beim Wiederaufbau und in der Außenpolitik neue Wege gehen. Parlamente als Vertretung der Bürgerinnen und Bürger sollten in den Richtungsentscheidungen eine tragende Rolle spielen.

„Gemeinsam. Europa wieder stark machen“ ist das Motto der deutschen Ratspräsidentschaft. Eine klare Aussage für ein herausforderndes Halbjahr. Nichts weniger als die wirtschaftliche Stabilität und die politische Handlungsfähigkeit der EU stehen auf dem Spiel. Neben dem Brexit muss die Präsidentschaft drei Herausforderungen stemmen. Alle drei kann die EU nur im Schulterschluss mit ihren Parlamenten meistern, und so neues Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern gewinnen.

 

Herausforderung 1: Den Wiederaufbau zukunftsorientiert gestalten

Der Sondergipfel des Europäischen Rates im Juli drehte sich viel um die Frage, wer bei der Umsetzung des Wiederaufbauprogramms und die Auszahlung der finanziellen Hilfen an die Mitgliedstaaten die Zügel in der Hand behält.

Schnell war klar, dass besonders die Länderrunde der Sparsamen Fünf nicht mit dem Vorschlag von Ursula von der Leyen einverstanden war, dass die EU-Kommission allein per sogenannten Durchführungsrechtsakt und nur unter Kontrolle eines Veto-Vorbehalts des Rats über die Reformpläne der Mitgliedstaaten und die damit zusammenhängenden Mittelverteilung entscheiden sollte. Nun hat der Europäische Rat den Spieß umgedreht, und so liegt das letzte Wort bei den Mitgliedstaaten, die auf Vorschlag der Kommission die Bewertung der Reformpläne mit qualifizierter Mehrheit billigen müssen. Zudem können sie eine „Super-Notbremse“ aktivieren, wenn bereits nur ein Mitgliedstaat schwerwiegende Abweichungen bei der Verwendung der Mittel und der Einhaltung der Verpflichtungen sieht. Dann werden die Genehmigungen der Auszahlungen ausgesetzt, bis sich die Staats- und Regierungsspitzen im Europäischen Rat mit der Angelegenheit befasst haben.

Besser wäre es gewesen, der Rat wäre dem Vorschlag der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament gefolgt und hätte stattdessen den Europaabgeordneten ein Vetorecht im Verfahren gegeben. Denn nun besteht die Gefahr, dass Ratsentscheidungen Gegenstand von Paketdeals und nationalen Eitelkeiten werden, da die Mitgliedstaaten in den Verhandlungen voneinander abhängig sind. Das Europaparlament könnte dagegen aus einer gesamteuropäischen Perspektive kontrollieren, ob die Unterstützungen in das Puzzle des gemeinsamen Wiederaufbaus passen und einen echten europäischen Mehrwert schaffen.

Auch wenn die Zeit drängt, sollte das Europaparlament – das dem Paket noch zustimmen muss – auf diesen Punkt in der Debatte um das Wiederaufbauinstrument beharren. Schließlich ist das Parlament Mitgesetzgeber in Haushaltsfragen und sollte sich der Beschneidung seiner parlamentarischen Kontrollfunktion erwehren.

 

Herausforderung 2: Außenpolitisch die Souveränität Europas auf der Weltbühne stärken 

Außenminister Heiko Maas hatte zu Beginn der Ratspräsidentschaft wiederholt betont, dass neben Solidarität im Wiederaufbau auch die europäische Souveränität in einer sich stark verändernden geopolitischen Lage gestärkt werden müsse. Die EU sollte mit einer Stimme gegenüber China sprechen und in der Lage sein, Konflikte in der Nachbarschaft auch ohne die USA einzudämmen.

Ob dies unter Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips im Rat gelingen mag, sei dahingestellt. Schließlich hat das Prinzip, mit dem ein Mitgliedstaat eine Entscheidung der 26 anderen blockieren kann, schon zu oft Europa gelähmt. So gewinnt die Diskussion, künftig im Rat auch in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik mit qualifizierter Mehrheit zu entscheiden, wieder an Fahrt.

Eine solche Veränderung muss jedoch mit einer Stärkung des Mitwirkungsrechts des Europaparlaments einhergehen, um die Interessen der kleineren Mitgliedstaaten zu wahren. Denn wenn nationale Parlamente nicht mehr die Möglichkeit haben, ihr Veto über die eigene Regierung im Rat einzulegen, muss das Europaparlament diese Rolle einnehmen, um parlamentarische Kontrolle aufrechtzuerhalten. In einer öffentlichen Debatte kann somit das Parlament den Raum geben, in dem die kollektive Willensbildung in den Beziehungen zu China oder den USA geschehen kann. Die großen parlamentarischen Auseinandersetzungen würden damit nicht in den nationalen Parlamenten rund um eine Regierungserklärung zum Europäischen Rat stattfinden, sondern kontinuierlich im Europäischen Parlament. Ganz nebenbei würde dies auch zu einer deutlich gesteigerten medialen Sichtbarkeit des Europaparlaments als Herz der europäischen Demokratie führen.

 

Herausforderung 3: Europäische Handlungsfähigkeit durch weitere Integrationsschritte sichern, ohne Vertrauen beim Souverän zu verspielen

Die Reform der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik kann natürlich nur über Vertragsänderungen gelingen, und dies bringt uns zum dritten Punkt: Um Europa zukunfts- und krisenfest zu gestalten, müssen wir gemeinsam weitere Integrationsschritte diskutieren. Richtig ist daher, dass Ursula von der Leyen gleich zu Beginn ihres Mandates eine Konferenz zur Zukunft Europas versprochen hatte und diese nun zeitnah nach einer Einigung der drei EU-Institutionen beginnen soll, um Herausforderungen und weitere Integrationsschritte im breiten Kreis zwischen nationalen Parlamenten und Regierungen, der EU-Politik und Bürgerinnen und Bürgern zu erörtern.

In der Debatte zur Weiterentwicklung der EU-Institutionen darf der dringende Reformbedarf der deutschen Europapolitik allerdings nicht ausgeblendet werden.

Obgleich es seit dem Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2009 klare Fortschritte in der Stärkung der Mitwirkungsrechte des Bundestages und des Bundesrates gab, bleibt das Problem, dass europapolitische Themen nur selten in die gesellschaftliche Debatte in Deutschland durchdringen. Dies liegt vor allem an fehlender Transparenz und einem Mangel an Teilhabemöglichkeiten von gesellschaftlichen Kräften in der Formulierung der deutschen Ratsposition. Denn wie die Bundesregierung zu ihrem Standpunkt kommt und wer darauf von außen einwirkt, ist wenig bekannt.

Im Jahr der deutschen Ratspräsidentschaft und mit Blick auf die Bundestagswahl 2021 sollten die Parteien daher die Aufmerksamkeit nutzen, eine Reform der deutschen Europapolitik anzustoßen. Es gilt, eine kohärente und transparente deutsche Europakoordinierung zu gestalten.

Dabei sollten alle Optionen auf den Tisch gelegt werden. Wieso zum Beispiel nicht das Amt einer Europaministerin bzw. eines Europaministers für besondere Aufgaben im Kanzleramt schaffen, das unter Kontrolle des Bundestags und im Dialog mit Verbänden und Vereinen die Expertise aus den Fachressorts bündelt? Der deutschen Europapolitik könnte man so eine starke, demokratische Stimme verleihen. Dies würde die Berliner Europapolitik aus dem Vorborgenen holen und die manchmal holprige, zweigeteilte Europakoordinierung unter dem Auswärtigen Amt und dem Bundeswirtschaftsministerium zu einer kohärenten deutschen Europapolitik verschmelzen.

Denn nur wenn wir die Debatte zu europapolitischen Themen auf nationaler Bühne fest verankern und mehr Licht ins Dunkel der deutschen Europapolitik bringen, können wir dem von Populisten bewusst verzerrt gezeichneten Bild eines undemokratischen Europas mehr Transparenz und parlamentarischer Mitwirkung entgegensetzen.

Mehr Mut für die demokratische Debatte und den politischen Wettstreit sollte die Devise bei der Bewältigung der wirtschafts- und außenpolitischen Herausforderungen daher lauten. Europas Handlungsfähigkeit können wir nur durch einen starken Parlamentarismus auf allen Ebenen festigen.

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