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Islamismusprävention aus Sicht der Sicherheitsbehörden

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Wie bei vielen sicherheitspolitischen Herausforderungen reichen auch im Bereich Islamismus rein repressive Mittel nicht aus, um dem Phänomen effektiv zu begegnen. Es bedarf daher auch hier präventiver Maßnahmen. Begreift man die Attraktivität islamistischer Einstellungen in Deutschland als gesamtgesellschaftliches Problem, so wird schnell deutlich, warum die Präventionsarbeit nicht allein durch die Sicherheitsbehörden geleistet werden kann. Der folgende Artikel soll beleuchten, in welchen Teilen der Islamismusprävention die Sicherheitsbehörden aktiv sind und an welcher Stelle die Arbeit durch andere Akteure aus Behörden und Zivilgesellschaft erfolgt.

Islamismusprävention verfolgt das Ziel, Radikalisierungsprozesse zu verhindern, aufzuhalten oder rückgängig zu machen. Radikalisierung muss nicht zwingend zu Gewaltbereitschaft führen und verläuft selten mit einem klar definierten Start- und Endpunkt. Fragen der (sozialen und/oder ökonomischen) Ausgrenzung, Diskriminierung und vor allem der Identitätsfindung spielen neben der Ideologie eine maßgebliche Rolle in diesem Prozess. Unter Radikalisierung wird der soziale und psychologische Prozess der zunehmenden Hinwendung von Personen oder Gruppen zu einer politisch oder religiös extremistischen, also den demokratischen Prinzipien zuwiderlaufende Denk- und Handlungsweise verstanden (siehe auch Radikalisierungsprozesse).

Im Kontext extremistischer Radikalisierung wurde bisher zwischen primärer, sekundärer und tertiärer Prävention unterschieden. Die neuere Forschung geht davon aus, dass diese Bereiche in der Praxis nicht immer eindeutig voneinander abzugrenzen sind und sich daher überschneiden können.

 

Primäre Präventionsarbeit umfasst Maßnahmen wie beispielweise demokratiefördernde und interkulturelle Projekte oder Workshops, die zu einer eigenständigen Urteilsbildung beitragen und über extremistische Ideologien aufklären. Sie dient primär der Resilienzbildung. Dabei steht keine bestimmte Zielgruppe im Fokus. Dementsprechend breit ist das Feld von Initiativen im Bereich der Jugend- und Kulturarbeit. Sie sollen unmittelbar Kompetenzen stärken und fördern, wie etwa die Fähigkeit, Konflikte und komplexe Probleme rational und emotional zu bewältigen.

Sekundäre, auch selektive Präventionsarbeit genannt, richtet sich an Personen, die bereits bestimmte Risikofaktoren einer Radikalisierung aufweisen (zum Beispiel gesellschaftliche Entfremdungserscheinungen sowie ein Interesse an Personen und Literatur, die extremistische Einstellungen und Haltungen vertreten). Darüber hinaus kann zwischen direkter und indirekter sekundärer Prävention unterschieden werden. Bei direkten Maßnahmen wird mit den Betroffenen zusammengearbeitet, die indirekte Prävention richtet sich hingegen an sogenannte Multiplikatorinnen und Multiplikatoren (Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Verwandte), die dann die direkte Prävention durchführen. Der Verein ufuq.de bietet beispielsweise entsprechende Multiplikatorenfortbildungen und Workshops an Schulen an.

Somit ist auch die Angehörigenberatung eine Art der indirekten Sekundärprävention. Unterstützung können Angehörige beispielweise über die Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge erhalten, die Hilfesuchende an entsprechende Experten und Expertinnen weitervermittelt.

Die tertiäre oder auch indizierte Prävention umfasst Maßnahmen, die sich an bereits radikalisierte Einzelpersonen richten. Daher wird in diesem Fall häufig von Deradikalisierungsmaßnahmen oder Intervention gesprochen. Dazu gehören direkte Ansprachen und Maßnahmen, die den Ausstieg aus der entsprechenden Szene unterstützen sollen, wie die Hilfe bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, dem Umgang mit Behörden, der Vermittlung von Ausbildungsmöglichkeiten und bei Bedarf die Unterstützung bei einem Wohnortwechsel. Zu unterscheiden sind die Fachbegriffe „Disengagement“, welches das Ziel einer Verhaltensänderung im Sinne eines Ablassens von politisch motivierten Gewalttaten beschreibt, und „Deradikalisierung“, womit auch eine kognitive Loslösung von extremistischen Ideologien bezeichnet wird. So heißt beispielsweise die für das Kompetenzzentrum für Deradikalisierung und Extremismusprävention im Land Bremen zuständige Beratungsstelle „Legato Disengagement“ und stellt hierdurch das primäre Ziel der Distanzierung von Gewalt in den Vordergrund.

Während in einigen Bundesländern, wie zum Beispiel in Schleswig-Holstein, Hamburg und Bremen, zivilgesellschaftliche Träger die tertiäre Prävention abdecken und hierzu mit den Sicherheitsbehörden in Kontakt stehen, übernehmen in anderen Bundesländern (beispielsweise in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg) der Verfassungsschutz oder die Polizei den Bereich der tertiären Prävention.

Der Grund hierfür ist, dass in diesem Bereich oft eine sogenannte „Sicherheitsrelevanz“ besteht, was bedeutet, dass von den radikalisierten Personen möglicherweise eine Gefahr für die Öffentlichkeit ausgeht. Deshalb sehen einige Bundesländer die Arbeit als „Hoheitsaufgabe“ des Staates an. Die andere Sichtweise geht davon aus, dass zivilgesellschaftliche Organisationen einen besseren Zugang zu als radikalisiert eingestuften Personen aufbauen können, da ihnen mehr Vertrauen entgegengebracht wird als staatlichen Institutionen, die im Sinne der Ideologie oft als Feindbild gelten.

Wichtig ist in dieser Konstellation, dass in dem Austausch zwischen den Präventionsträgern und den Sicherheitsbehörden keine relevanten Informationen verlorengehen, aber gleichzeitig die Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte der Klientin/des Klienten gewahrt bleiben. Diesen Drahtseilakt zu meistern, gehört zu den ständigen Herausforderungen für beide Seiten – Zivilgesellschaft und Staat – in diesem Themenfeld. Ein probates Mittel sind Fallkonferenzen, in denen nur Informationen übermittelt werden, die für die Risikoeinschätzung von hoher Bedeutung sind.

Für die Sicherheitsbehörden gilt, dass die Einschätzungen des Präventionsträgers nur ein Baustein in ihrer Gefahreneinschätzung sein können. Denn wie die Attentate von Dresden und Wien 2020 gezeigt haben, ist der Kontakt mit einer Beratungsstelle allein keine ausreichende Garantie, dass von der betroffenen Person keine Gefahr mehr ausgeht. Umgekehrt können die Vorfälle nicht als Beleg für das vermeintliche Scheitern des zivilgesellschaftlichen Ansatzes herangezogen werden, da es ebenso Versäumnisse auf staatlicher Seite geben kann. Zudem liegt die Anzahl an Fällen von Interventionen, die erfolgreich verliefen im Vergleich zu den Fehlschlägen deutlich höher. Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder sind darüber hinaus im Bereich der primären Prävention aktiv. So gibt es in fast allen Bundesländern Fortbildungsveranstaltungen im Bereich Islamismus für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Polizei, des Justizvollzugs, der Bundeswehr und kommunaler Behörden, aber auch für Lehrerinnen und Lehrer und Sozialpädagoginnen und –pädagogen. Daneben bringen sie ihre Expertise auch in die länderbezogenen Präventionsnetzwerke ein. Denn Maßnahmen, welche die Ressorts für Soziales, Bildung oder Justiz betreffen, sind in erster Linie durch die dortige Zuständigkeit zu klären. Eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes kann Gefängniswärterinnen und Gefängniswärter über Salafismus, verfassungsfeindliche Symbole und mögliche Anzeichen einer Radikalisierung aufklären, doch die alltägliche Arbeit mit extremistischen oder Extremismus gefährdeten Gefangenen obliegt dann den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Haftanstalten. Auch muslimische Gefängnisseelsorge kann nur durch entsprechend religiös und pädagogisch geschultes Personal, etwa Imame, geleistet werden.

Ähnlich gestaltet es sich im Feld Schule: Schulleitungen und Lehrpersonal können Hintergrundinformationen über Formen des Extremismus und Radikalisierungsprozesse auch durch die Sicherheitsbehörden erhalten. Wenn es allerdings darum geht, den Lehrerinnen und Lehrern pädagogische Handlungsanweisungen an die Hand zu geben, sind Akteure gefragt, welche über die nötige Qualifikation und Expertise verfügen. In diesem Kontext wurden durch die 2015 im Rahmen des Bundesprojekts Demokratie Leben in den Bundesländern eingerichteten Demokratiezentren nachhaltige Strukturen geschaffen, um die Qualifizierung und Beratung im Themenfeld extremistischer Radikalisierung zu professionalisieren. Hierdurch erlangen Institutionen, in denen potenzielle Radikalisierungssachverhalte auffällig werden, Hilfe zur Selbsthilfe. Die Sicherheitsbehörden werden hierdurch entlastet und können sich auf die Fälle konzentrieren, bei denen eine tatsächliche Gefahr für die öffentliche Ordnung besteht.

Nachdem die Präventionslandschaft in Deutschland in ihren Anfangsjahren von einer hohen Dynamik gekennzeichnet war, da verschiedene Ansätze erprobt und teilweise wieder fallengelassen wurden, scheint sich mittlerweile eine vielversprechende Struktur etabliert zu haben. Eine Übersicht über die zahlreichen Projekte und Initiativen bietet das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt MAPEX (Mapping und Analyse von Präventions- und Distanzierungsprojekten im Umgang mit islamistischer Radikalisierung). Wichtig war und ist eine kontinuierliche Evaluation bestehender Projekte, so wie zum Beispiel die Evaluierung des ersten Durchlaufs von Demokratie Leben durch das Deutsche Jugendinstitut. Nur durch ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure und den Anforderungen der Sicherheitsbehörden kann islamistischer Radikalisierung in Deutschland langfristig erfolgreich begegnet werden.

– Hazim Fouad

 

Lesetipps

  • Brahim Ben Slama/Uwe Kemmesies (Hrsg.), Handbuch Extremismusprävention. Gesamtgesellschaftlich. Phänomenübergreifend. Wiesbaden, 2020.
  • Bundeszentrale für politische Bildung. Islamismusprävention in Deutschland. Akteure und Strukturen in Bund und Ländern. Bonn, 2020.

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Felix Neumann

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Counter-extremism and counter-terrorism

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