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Die israelische Sicherheitsmauer

by Dr. Canan Atilgan, Dr. Manuel Schubert

Ramallah, 06.01.2004

Am 16. Juni 2002 gab die israelische Regierung unter Ariel Scharon grünes Licht für den Bau eines “Sicherheitszauns". Danach ist geplant, einen “Schutzwall” in mehreren Stufen zu errichten. In der ersten Phase wurde ein Zaun zwischen Salim im Norden der Westbank und Elqana (128km Länge) errichtet. Parallel dazu wurde mit dem noch im Bau befindlichen, sogenannten "Jerusalem Envelope" (29 km) zwischen Bethlehem und Ramallah begonnen. In der zweiten, im Januar 2003 beschlossenen Phase, soll der nördliche Abschnitt von Salim bis Tayasir, 20km südwestlich von Beit Shean und 8km hinter der Grünen Linie von 1967, um ca. 40km verlängert werden. Die weiteren Phasen befinden sich noch in der Planung. Der gesamte "Sicherheitszaun" wird nach Fertigstellung ca. 650km lang und im Durchschnitt 70m breit sein. Zur Zeit sind ca. 150km des geplanten Verlaufs fertig gestellt, der Abschluss des Projektes wird für 2005 erwartet.

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Mauer und "Depth Barrier"

5% der Strecke (32.5 km) werden aus einer 8m hohen und 4m breiten Betonmauer bestehen. Im Vergleich dazu: Die Berliner Mauer bestand aus einer 103 km langen Betonmauer, war jedoch nur 4 m hoch und die Gesamtlänge des nichtbefestigten Teils betrug lediglich ein Viertel des israelischen "Sicherheitszauns".

Im Zentrum des 60-100m breiten Zaunstreifens liegt der sich auf technologischem Höchststand befindende “intelligente Zaun”. Die beauftragten Firmen Magal Security Systems, Elbit Systems und Detection setzten beim Bau insbesondere auf die Verwendung von eingegrabenen Detektoren, die auf den Druck des menschlichen Körpers reagieren, auf Videoüberwachung und auf neuesten Stacheldraht mit rasiermesserscharfen Klingen.

Auf der westlichen, israelischen Seite führen ein Trampelpfad für Patrouillen, eine Panzerstraße sowie ein weiterer Zaun parallel zur Mauer entlang. Östlich befinden sich ein Graben, um Fahrzeuge abzuhalten, erneut ein Pfad für Patrouillen, eine befestigte Straße für Militärfahrzeuge sowie ebenfalls ein Zaun. Die Israelis werden zusätzlich an einigen Stellen, an denen die Westbankstädte besonders dicht an israelischen Siedlungen heranreichen, ein Sperrgebiet, eine sogenannte "Depth Barrier" errichten, die die Überwachung der angrenzenden Gebiete mit High-End-Kameras sicherstellen soll. Diese mehrere Kilometer umfassende Pufferzone soll die Erfassung von annähernden, unbefugten Subjekten und somit die Einleitung von Präventivmaßnahmen vor Erreichen der Mauer ermöglichen.

Pro 250 km werden jeweils 1.125.000 m³ Asphalt, 90.000 Detektoren, 600 km Maschendrahtzaun und 3.000 km Stacheldraht verbaut.

Das damit größte Infrastrukturprojekt in der Geschichte Israels wird nach Abschluss mehr als 2 Milliarden Euro verschlungen haben. Momentan finanziert der öffentliche Haushalt jeden Kilometer mit ca. 2,0 Mio. Euro – evtl. Entschädigungen für Enteignungen, Reparationsleistungen sowie sonstige Wagnisse nicht eingeschlossen.

Konsequenzen für Land und Leute

Der Nordabschnitt der "Separationwall" oder "Apartheidsmauer", wie die Palästinenser die Mauer bezeichnen, zwischen Salim und Elqana verläuft im Grenzgebiet zwischen der Westbank und Israel. Für diesen Teilbereich wurden 83 km² enteignet und 8.4 km² Obst- und Olivenhaine (etwa 100.000 Pflanzen) abgerodet. 40.000 Bäume wurden hinter der Mauer wieder eingesetzt. Zudem liegen im Norden 16 palästinensische Dörfer mit 13.386 Einwohnern westlich der Mauer, sprich auf israelischer Seite. Sie sind von ihren 238 km² Agrarländereien isoliert.

Die künftige Wasserversorgung der Palästinensischen Autonomiebehörde scheint ungewiss. Geographisch-hydrologische Untersuchungen haben ergeben, dass die nördliche Mauer über einem Grundwassergebiet, dem Westlichen Aquifer, dessen Nährgebiet in den Westbankhöhen liegt, errichtet wurde. Da sich die Israelis beim Verlauf der Mauer nicht an der Grünen Linie orientierten, fallen nun 47 Brunnen (23 % aller palästinensischen Brunnen) zwischen Tulkarm und Qalqiliya auf die unerreichbare israelische Seite der Mauer. Unter Berücksichtigung bisher noch unbestätigter Pläne zum Verlauf der „Depth Barrier“, würden weitere 60 Brunnen (insgesamt 75%) der palästinensischen Wasserressourcen wegfallen. Die Brunnen stellen neben einem israelischen Trinkwasserlieferanten die einzigen Wasserbezugsquellen der Palästinenser dar.

Die Integration der mit 500 Mio. Euro jährlich bewachten, laut UN-Resolutionen illegalen 150 jüdischen Siedlungen (231.000 Siedler) in den Palästinensischen Autonomiegebieten stellt die israelischen Planer vor weitere Probleme. Jüngst entschloss sich das israelische Kabinett zu einer Umzäunung der jüdischen Siedlung Ariel. Das 5000 Einwohner zählende Ariel liegt ca. 17km östlich der international anerkannten Grenze (Grüne Linie von 1967) an einer Stelle, wo die Westbank insgesamt nur 35 km breit ist. Zwischen Ariels Zaun und der eigentlichen Mauer wird nun auf Druck der USA ein Spalt von 3 km gelassen. Israel plant dort verstärkt Patrouillen einzusetzen, um möglichen Infiltrationen entgegen zu wirken.

Während beim nördlichen Abschnitt die Mauer nie mehr als 8 km in das Westjordanland hineinreicht (mit Ausnahme der Siedlungen), wird die Mauer des "Jerusalem Envelopes" tief in den Palästinensischen Autonomiegebieten liegen. Bisher noch im palästinensischen Gebiet liegende Stätten wie Rachels Grab - sowohl für Muslime als auch für Juden eine heilige Stätte - werden sich nach dem Bau auf israelischer Seite befinden, für Palästinenser nicht mehr zugänglich.

John Dugard, südafrikanischer Rechtsprofessor und Sonderberichterstatter der UN-Menschenrechtskommission, ging in einem Bericht von ca. 210.000 Palästinensern aus, die durch die erste Phase des Mauerbaus aktiv betoffen werden. Ca. 79.000 von ihnen werden nach Abschluss sämtlicher Baumaßnahmen in palästinensischen Enklaven wohnen, zwar östlich der Mauer, aber aufgrund der Pufferzonen ohne Zutritt zur Westbank. Die dortigen Familien werden in der Marginalexistenz zwischen Israel und den Palästinensischen Autonomiegebieten leben. Weder israelische noch palästinensische Kommunalleistungen wie Müllabfuhr, Zugang zu Schulen, Krankenhäusern, etc. werden den betroffenen Bewohnern zur Verfügung stehen.

Die UNRWA, United Nations Relief and Works Agency, ermittelte hingegen in einer Studie, dass in den drei nördlichen Regierungsbezirken Qalqiliya, Tulkarm und Jenin insgesamt 500.000 Menschen - 25 % der Westbankbevölkerung - Einschnitte in ihren Alltag erwarten dürfen.

Lt. israelischen Regierungskreisen sollen im Nordabschnitt 10 Hauptcheckpoints sowie 26 Landwirtschaftsübergänge, um den Palästinensern Zugang zu ihren abgeschnittenen Gebieten zu ermöglichen, errichtet werden. Der israelische Haushalt zeigte sich jedoch 2003 nicht in der Lage, auch nur einen Hauptcheckpoint zu errichten.

Die Zulassungskriterien für einen "Passierschein" bzw. einen "Zugangsschein aus landwirtschaftlichen Gründen" stehen noch nicht fest. Lt. Angehörigen des israelischen DCO (District Coordination Office) in Tulkarm soll es den Bauern ermöglicht werden, die Übergänge im entsprechenden Bezirk, 2-3 Mal täglich zu passieren.

Gründe für den Bau des "Sicherheitszaunes": Die israelische Perspektive

903 Tote, 4.166 Verletzte und 18.135 Terrorattacken seit Ausbruch der zweiten Intifada (26.09.2000) - so die amtlichen Zahlen.

Der israelischen Regierung zufolge manifestiere der Sicherheitszaun das simple Recht auf Selbstschutz. Die palästinensische Führung habe keine Erfolge in der Bekämpfung von Terror erzielt, folglich müssten die Israelis Maßnahmen zur Terrorbekämpfung einleiten. Die Sicherheit israelischer Bürger, die in ständiger Angst vor Anschlägen leben, müsse gewährleistet werden. Sie hätten ein Recht auf ein Leben ohne Bedrohung.

Nach dem Motto "gute Nachbarn haben gute Zäune" erhoffen sich israelische Politiker die Beruhigung der angespannten Gemüter auf beiden Seiten. Sei der Zaun erst einmal errichtet ließe sich der Friedensprozess wieder ankurbeln und das israelische Militär könnte sich zu Großteilen aus den besetzten Gebieten zurückziehen, auch um den Palästinensern wieder echte Autonomie zu gewähren.

Ein ähnlicher "Sicherheitszaun" existiert bereits im Gazastreifen seit der ersten Intifada (1987-1993). Israel und die PLO haben im Gaza-Jericho Abkommen von 1994 beiderseitig diesen "Sicherheitszaun" anerkannt. Seitdem wurden lediglich 12 unautorisierte palästinensische Eindringlinge registriert. Der Zaun scheint folglich seine Funktion zu erfüllen. Bei der Errichtung der jetzigen, zweiten Mauer setzen die Israelis daher auf Altbewährtes, wobei der Status der palästinensischen Gebiete, die fortan auf israelischer Seite liegen, offiziell nicht in Frage gestellt wird. Der Bau des “Sicherheitszauns” stellt somit keinen Versuch dar, eine künftige Grenze zu markieren, bzw. Neuland zu annektieren.

Der Verlauf soll in erster Linie von Sicherheitsbedürfnissen bestimmt worden sein. Um die Anforderung von privatem Land zu vermeiden, sind hauptsächlich Grundstücke der öffentlichen Hand genutzt worden.

Ferner wurde und wird die Notwendigkeit der Enteignung in jedem Fall separat geprüft. Falls es zu Enteignungen nach Artikel 23(g) der Haager Kriegskonventionen kommt, werden Entschädigungen gezahlt.

Lt. israelischen Regierungskreisen erkennt man die Notwendigkeit, einen angemessenen Ausgleich zwischen der Terrorismusbekämpfung und den humanitären Interessen der betroffenen Bevölkerung zu finden und man bemühe sich, das tägliche Leben so wenig wie möglich zu beeinträchtigen.

Die palästinensische Argumentation

Der geplante Verlauf der "Mauer" reicht so weit von der Grünen Linie in das Westbankgebiet hinein, dass Israel mit dem Bau einzig und allein die Annexion von Teilen der Palästinensischen Autonomiegebiete plant, so die Palästinenser.

Knapp 16% der Westbankgebiete werden durch die Mauer auf die israelische Seite fallen, allein der "Jerusalem Envelope" wird zum Verlust von 90% der dortigen, ursprünglichen Fläche führen. 2.9% der Westbank wurden bereits während des Baus des nördlichen Abschnitts enteignet. Die angepriesenen Ersatzleistungen für enteignete Ländereien bewegen sich bei ca. 10% des eigentlichen Markwertes. Die Benutzung der neuen Landwirtschaftsübergänge soll lt. palästinensischer Quellen nur gegen eine bestimmte Gebühr möglich sein.

Der Bau der Mauer besiegelt daher wohl nun endgültig das Schicksal des israelisch-palästinensischen Arbeitsmarktes, dessen Anteil seit Ausbruch der zweiten Intifada ohnehin schon eine verschwindend geringe Rolle gespielt hat. Einem Austausch wird dadurch gänzlich die Basis entzogen.

Die Wasserzufuhr wird zu 23-75% abgeschnitten, was eine Weiterentwicklung Palästinas langfristig verhindert, mehr noch, zu extremen Notständen innerhalb der Bevölkerung führen wird. Die Abkapselung palästinensischer Gebiete wird die noch verbleibenden palästinensischen Bürger ohne Zugang zu kommunalen Leistungen und bei einem durchschnittlichen Einkommen von 2,- € pro Tag unter enormen Emigrationsdruck setzen. Israel, bei einer Einwohnerzahl von 242 Menschen pro km² (Deutschland: 230), sieht die Chance, sich ein Stück der Westbank anzueignen. Dabei verstößt Israel bereits jetzt mit den jüdischen Siedlungen gegen geltendes, internationales Recht.

Die israelische Friedensorganisation B´Tselem befürchtet, die durch die Pufferzonen entstehenden Enklaven könne das gleiche Schicksal wie ähnlichen Gebieten im Gaza-Streifen ereilen. Dort werden zur Ein-/Ausreise ebenfalls besondere Passierscheine benötigt. Lange Verzögerungen in der Ausgabe dieser Scheine und die willkürlichen "Öffnungszeiten" des zugehörigen Checkpoints erlauben allerdings nur in den wenigsten Fällen die Ausreise.

Die USA, die sonst als Israel-Freunde galten, zeigten sich äußerst ablehnend gegenüber der Integration von Siedlungen wie Ariel in den „Mauerring“. Sie drohten sogar damit, ihre Subventionen für Israel einzustellen, sollte es zur Umzäunung der Siedlungen kommen. Erst in letzter Minute willigte die israelische Regierung in den Vorschlag Amerikas ein, die Siedlung separat zu umzäunen.

Ebenso sind sich die Israelis selbst uneinig über die Wirkungen der Mauer.

Das linke als auch das rechte politische Lager sind eindeutig gegen den Bau. Der linke Flügel sieht darin einen aggressiven Akt, der die Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern weiter eskalieren ließe, die Rechten hingegen, die grundsätzlich gegen einen Palästinenserstaat sind, befürchten, dass mit einer solchen Mauer künftig ein autonomer Staat anerkannt werden könnte.

Und in der Tat glauben viele palästinensische Politiker, dass Israel einer altbewährten Politik folgt: "Was du heute baust, wirst du morgen nicht wieder abreißen" - die Mauer stelle eines Tages die israelisch-palästinensische Grenze dar.

Dem Argument der Sicherheit vor Terrorangriffen entgegnen die Palästinenser schlicht mit Zahlen. Lt. der israelischen Zeitung Haaretz wurden von 903 getöteten Israelis 40% in der Westbank ermordet. Von 18.135 Übergriffen fanden lediglich 4% auf dem Gebiet Israels statt. Will man einen langfristigen Frieden erzielen, muss man einfach die Besatzungstruppen zurückziehen und die unrechtmäßigen Siedlungen auflösen.

Was man auf israelischer Seite außerdem übersieht: 2609 getötete und 41.000 verletzte Palästinenser in den letzten drei Jahren, davon 35,7% Kinder. Gezielte Angriffe mit Todesfolge auf diensttuende Ärzte und Journalisten, Bombardierung von Pressezentren, langfristige Verhängung von Ausgangssperren, abgestellte Wasser- und Stromzufuhr, zeitweilige Schließung von 850 Schulen, ständige Inhaftierung von ca. 10.000 Menschen sowie Zerstörungen und Plünderungen der israelischen Armee i.H.v. 301 Mio. Euro.

Anhand dieser Fakten sei offensichtlich, dass die israelische Regierung weder an tatsächlichem Schutz seiner Bevölkerung noch an einer friedlichen Beilegung des Nah-Ost-Konflikts interessiert sei, so die palästinensische Führung. Einzig die Landannexion und die Isolierung der palästinensischen Gebiete liegen in Israels Interesse.

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