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Country reports

Jazenjuks Rücktrittsversuch

Kiewer Machtspiel oder eine neue politische Krise in der Ukraine?

Entgegen den meisten Medienberichten ist der Rücktritt von Ministerpräsident Jazenjuk noch keine beschlossene Sache. Ungeachtet der anhaltenden Kämpfe und der weiteren Eskalation im Osten der Ukraine werden innenpolitische Konflikte in Kiew weiter ausgetragen. Die Parteien UDAR und Swoboda verließen am vergangenen Donnerstag, den 24. Juli, die Mehrheitskoalition in der Werchowna Rada und machten damit ein Regieren für das Kabinett Jazenjuk fast unmöglich. Noch während seiner Rede in der Rada verkündete Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk, dass er von seinem Amt zurücktreten wolle.

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Nach diesem Paukenschlag bleibt nun die Frage, ob es sich dabei um eine politische Strategie Jazenjuks handelt oder ob die politische Elite in Kiew in eine neue innenpolitische Krise schlittert.

Am 24. Juli schaffte die Werchowna Rada es nicht, einige Schlüsselgesetze zu verabschieden, die unter anderem den Haushalt, die Steuergesetzgebung und die Beteiligung ausländischer Investoren am ukrainischen Energietransportsystem betrafen. Insbesondere das Haushaltsgesetz war eine der Bedingungen, um die nächste Tranche der Hilfszahlungen des Internationalen Währungsfonds zu ermöglichen. Zudem war es für die weitere Finanzierung der Anti-Terror-Operation im Osten des Landes von Bedeutung. Jazenjuk beschuldigte in seiner Rede das Parlament, sich seiner Verantwortung zu entziehen und kam zu dem Entschluss, dass es unter diesen Umständen für ihn und seine Regierung unmöglich sei, das Land weiter zu regieren.

Das Verhalten des Parlaments und Jazenjuks Entscheidung sorgten in diplomatischen und journalistischen Kreisen in Kiew für Verwunderung.

Ukrainische Kommentatoren bezeichneten diesen Schritt als abgekartetes Spiel, da alle beteiligten Parteien sich der politischen Verantwortung für die Lösung dringlicher politischer und wirtschaftlicher Probleme entziehen wollten. Zudem sorgte das Datum des angekündigten Rücktritts von Jazenjuk für Aufsehen. Genau einen Monat vor dem 24. August, dem Tag der Unabhängigkeit der Ukraine, kam es zur Ankündigung des Rücktritts und dem Show-Down in der Rada. Für Petro Poroschenko wäre dieser bedeutende ukrainische Feiertag eine gute Gelegenheit, um sich im Hinblick auf die Parlamentswahlen politisch zu profilieren. Er könnte die Auflösung des Parlaments verkünden und damit den Weg für Neuwahlen ebnen. Er würde dadurch wieder die Rolle des starken politischen Führers einnehmen, der das Parlament und die Regierung in ihre Schranken weist. Petro Poroschenko arbeitet zurzeit an der Weiterentwicklung seiner Partei „Solidarnost“, die bisher allerdings nur auf dem Papier existiert. Es ist zu erwarten, dass bei den Parlamentswahlen, ähnlich wie bei den Kiewer Stadtratswahlen im Mai, Petro Poroschenko entweder formell oder auf Grundlage eines „gentlemen agreement“ mit Vitali Klitschko und UDAR zu-sammenarbeiten wird. Daher werden zurzeit im Vorlauf der Wahlen politische Deals vorbereitet und ausgehandelt.

Reaktionen der Parteien

Die Partei UDAR von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko begründete ihren Austritt aus der Koalition mit der Notwendigkeit baldiger Parlamentsneuwahlen. Zwar waren schnelle Parlamentswahlen eine der Hauptforderungen des Euromaidan. Allerdings mehren sich in Kiew die Stimmen, dass der jetzige Schritt ein Ergebnis eines politischen Deals sei, um Poroschenkos Machtbasis zu stärken und die Batkiwschtschyna-Partei von Julia Timoschenko zu schwächen. Diese dagegen ist in der politischen Öffentlichkeit nicht mehr so präsent wie zuvor und hält sich im politischen Alltagsgeschäft zurück. Aus der Parteizentrale von Batkiwschtschyna hörte man, die Partei würde sich inhaltlich neu ordnen und auf die Parlamentswahlen hinarbeiten. Die rechtsnationale Swoboda-Partei, die in den vergangenen Monaten signifikant an politischem Einfluss und Unterstützung in der Bevölkerung verloren hatte, scheint sich durch das Verlassen der Mehrheitskoalition in der Rada noch einmal öffentlichkeitswirksam profilieren zu wollen.

Die Fraktion der Partei der Regionen dagegen, einstiges Machtinstrument des ehemaligen Präsidenten Janukowitsch, ist in der Rada weitgehend zerfallen und würde laut Umfragen bei Parlamentswahlen landesweit unter drei Prozent bleiben. Die meisten Abgeordneten haben ihre Fraktion verlassen und sind nun fraktionslos oder aber haben neue parlamentarische Gruppen gegründet. Genauso wie die Kommunistische Partei (KPU), deren Fraktion nach einer Abstimmung über ein Gesetz zur Änderung der Verfahrensordnung und der quantitativen Zusammensetzung von Parlamentariergruppen in der Rada in der vergangenen Woche aufgelöst wurde, wird die Partei der Regionen bei den nächsten Parlamentswahlen viele Stimmen verlieren und zukünftig, wenn überhaupt, nur noch eine marginalisierte Rolle in der Rada spielen. Zudem steht die Zukunft der Kommunistischen Partei insgesamt unter keinem guten Zeichen, da gegen sie ein Verbotsverfahren vor dem Kiewer Verwaltungsgericht anhängig ist. Der Partei wird vorgeworfen, Separatisten im Osten der Ukraine unterstützt zu haben.

Neue politische Landschaft

Mit Blick auf die Probleme der KPU und der Partei der Regionen ist im Vorlauf der bevorstehenden Parlamentswahlen zu erwarten, dass neue politische Parteien mit großzügiger finanzieller Ausstattung im Osten des Landes entstehen werden, um dieses Vakuum zu füllen. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass eine Ein-Thema-Partei gegründet wird, die nur die Interessen der russischsprachigen Bevölkerung vertreten wird. Sicher dagegen ist, dass sich die politische Landschaft der Ukraine in Folge des Euromaidan und des Krieges im Osten umfassend wandeln wird. Die schwierige politische und wirtschaftliche Situation im Land hat dazu beigetragen, dass populistische Kräfte, wie zum Beispiel Oleh Ljaschko, Vorsitzender der Radikalen Partei, bei aktuellen Erhebungen des internationalen Kiewer Instituts für Soziologie mit 23,2 Prozent den meisten Zuspruch in der Bevölkerung erhalten. Ljaschko konnte sich medial gut in Szene setzen und stellt sich als „Kämpfer für die Gerechtigkeit“ in der Ukraine dar. Diese Strategie spricht viele Bürger an, da sie das Vertrauen in die etablierten politischen Kräfte und Institutionen im Land verloren haben. Der Block UDAR und Solidarnost von Petro Poroschenko würde laut dieser Umfrage auf 19,3 Prozent und Julia Timoschenko mit ihrer Partei auf 16,8 Prozent der Stimmen kommen. Es bleibt spannend, ob sich dieser Negativ-Trend für die etablierten demokratischen Parteien fortsetzen wird und ob die zahlreichen politischen Kräfte aus dem NGO-Sektor, die den Maidan getragen haben, ihre politische Gestaltungskraft in eine politische Partei umwandeln können.

Wie geht es weiter?

Entgegen den meisten Medienberichten ist der Rücktritt von Ministerpräsident Jazenjuk noch keine beschlossene Sache. Das Parlament muss nun noch einmal über diese Entscheidung abstimmen. Dies wird voraussichtlich frühestens am 12. August geschehen. Erst dann müsste die Rada innerhalb von 30 Tagen eine alternative Mehrheitskoalition bilden, aus der eine neue Regierung hervorgehen könnte. Falls dies den Parlamentariern nicht gelingen sollte, muss der Präsident die Rada per Dekret auflösen und Neuwahlen ankündigen, die nach Ablauf einer 60-Tage-Frist stattzufinden hätten.

Vladimir Groisman, bisheriger Vize-Premierminister und Minister für regionale Entwicklung und Kommunales, wird nun als neuer Premierminister gehandelt. Zuvor war der unabhängige Kandidat in der Agrarindustrie tätig und erfolgreicher Bürgermeister der zentralukrainischen Staat Winnizja, der Geburtsstadt Poroschenkos, zu dem er enge Verbindungen hat. Der Präsident teilte bereits mit, dass er den Rücktritt Jazenjuks nicht begrüße und sich wünsche, dass die bisherige Regierung als starke und einheitliche Kraft zusammen mit dem Parlament weiter an den Reformen arbeiten solle. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sich das Kabinett in den nächsten Tagen ändern wird.

Unzureichende Reformen

Die Kritik an der Werchowna Rada und dem Präsidenten wächst in der Ukraine, da viele Beobachter feststellen, dass der Reformbedarf von Tag zu Tag größer wird und die politischen Eliten sich diesen Herausforderungen nicht annehmen. Zwar erschwert der Krieg im Osten des Landes den politischen Alltag, allerdings darf diese schwierige Situation von Teilen der Eliten nicht genutzt werden, um den politischen Wandel zu verhindern. Die so dringend notwendigen Veränderungen in den Bereichen Korruptionsbekämpfung, Lustration, Modernisierung der Wirtschaft oder der Wahlgesetzgebung kommen nicht in Gang. Zudem ist die Verfassungsreform, die eine Dezentralisierung und Kompetenzverlagerung weg vom Präsidenten hin zum Parlament und dem Ministerkabinett vorsieht, noch nicht weit gekommen. Zwar hatte Poroschenko vor einigen Wochen einen Vorschlag eingereicht, der aber keine wirkliche Kompetenzverschiebung zur Folge gehabt hätte. Zudem wurde beklagt, dass der Reformprozess nicht transparent ablaufe, sondern nur von wenigen Akteuren in der Rada und der Präsidialadministration gestaltet werde. Zahlreiche Nichtregierungsorganisationen in Kiew fordern eine öffentliche Beteiligung von Experten aus dem In- und Ausland sowie eine verfassungsgebende Versammlung mit Vertretern aus allen Regionen, um einen echten Wandel des politischen Systems einzuleiten.

Parlamentswahlen

Bei Einhaltung aller Fristen würden die Parlamentswahlen höchstwahrscheinlich am 26. Oktober stattfinden. Allerdings gibt es auch in diesem Zusammenhang noch einige Herausforderungen, die zuvor gelöst werden müssen. Zum einen sind die Mandate von zwölf der insgesamt 15 Mitglieder der zentralen Wahlkommission, die für die Organisation und Durchführung der Wahlen verantwortlich ist, am 1. Juni diesen Jahres abgelaufen. Die Werchowna Rada muss nun in den kommenden Wochen die Wahlkommission neu besetzen, da ansonsten die Parlamentswahlen verzögert oder gar verschoben werden müssten. Es ist zu erwarten, dass dieser Entscheidungsprozess weitere politische Verteilungskonflikte in Kiew auslösen wird. Außerdem haben sowohl ukrainische Nichtregierungsorganisationen als auch die OSZE und der Europarat eine Änderung des Wahlgesetzes gefordert. Bisher wurde eine Hälfte der Abgeordneten in Wahlkreisen per Direktwahl und die andere Hälfte durch geschlossene Parteilisten gewählt. Dies hat unter anderem dazu beigetragen, dass sich Oligarchen direkt aus ihren Wahlkreisen in die Rada wählen ließen und Parteien die Listenplätze ebenfalls an großzügige Spender und Unterstützer vergaben. Daher ist auch eine Veränderung in diesem Kontext von großer Bedeutung, um die politische Energie, die aus dem Euromaidan entstanden ist und sich nun größtenteils in der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen wiederspiegelt, auch in politisch-formelle Einflussmöglichkeiten zu gießen.

Baldige Entscheidung

Präsident Poroschenko hat noch am vergangenen Donnerstag Parlamentssprecher Turtschinow gebeten, die Rada innerhalb der nächsten zehn Tage über den möglichen Rücktritt Jazenjuks abstimmen zu lassen. Es bleibt abzuwarten, ob sich die politischen Kräfte in Kiew auf weitere Stabilisierungsschritte einigen und eine politische Krise abwenden können.

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Arseni Jazenjuk

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