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„Ich habe nicht zurück geschaut“

Veranstaltung zur Erinnerung an den Fall der Mauer 1989

145 Meter sind eigentlich nicht viel – doch es kann die längste Strecke der Welt sein, wenn es der Weg in die Freiheit ist: Krabbelnd durch einen Tunnel in den Westen, über einem nichts außer Erde und der Todesstreifen der innerdeutschen Grenze. Zeitzeugen berichten vom Kampf gegen die Mauer.

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Mit den Erzählungen von Zeitzeugen den Mauerfall verstehen. Fragen an die Menschen stellen, die die Teilung Deutschlands und Europas selbst miterlebten. Dazu luden zum 25. Jubiläum des Berliner Mauerfalls die Konrad-Adenauer-Stiftung, die Deutsche Botschaft in Washington und das Newseum ein. In der öffentlichen Podiumsdiskussion „Inside Media“ berichteten drei Zeitzeugen von ihrem Leben mit und vor allem gegen die deutsche Teilung.

An einen Gesichtsausdruck kann sich Ralph Kabisch noch ganz genau erinnern: „Dieses Glänzen in den Augen der Menschen, wenn sie im Westen angekommen waren, das vergesse ich bis heute nicht“, sagt der Fluchthelfer, der 1964 mit 20 Freunden einen Tunnel nach Ostberlin grub. 57 Menschen gelangten so in die Freiheit. Ralph Kabisch erzählt die Geschichte des Tunnels 57.

Ein halbes Jahr grub die Gruppe an dem Tunnel, der in einer leerstehenden Bäckerei in der Bernauer Straße auf Westberliner Seite begann. „Wir mussten so still wie nur möglich sein“, sagt Kabisch „und auch der Freundin durften wir nichts verraten.“ Die Zuschauer im voll besetzen Fernsehstudios des Newseums lachen. Die Geschichte dieser spektakulären Rettungsaktion fasziniert die zum größten Teil amerikanische Zuhörerschaft, sodass es viele Fragen gibt: Wie wurden die Flüchtlinge ausgesucht? Wie funktionierte die Kommunikation? Und wie war das Leben, war man erst einmal im Westen angekommen?

Kabisch erzählt mit leiser Stimme weiter: Die 57 Menschen bekamen erst am Tag der Flucht eine Nachricht, von wo aus sie in den Westen fliehen würden. Tag und Ort waren geheim. Um Zugang zum Tunnel zu erhalten, musste das Codewort „Tokio“ genannt werden. „Wir hofften, dass das Wort einfach zu merken war, da die Olympischen Spiele 1964 in Tokio stattfanden“; erklärt Kabisch.

Alle 15 Minuten schleusten Kabisch und Freunde einen Menschen oder eine kleine Familie unter dem Todesstreifen hindurch. 145 Meter mussten die Flüchtlinge krabbeln, bis sie Westberliner Boden erreichten. Doch die Flucht durch den Tunnel währte nur zwei Tage. Einer der Fluchtwilligen war ein inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit und verriet die Fluchthelfer. Am 4. Oktober war Schluss. Doch nie hatten Fluchthelfer so viele Menschen auf einmal Freiheit geschenkt.

Nicht zurückschauen

Neben Ralph Kabisch sitzt Toralf Pilz, einer der letzten Flüchtlinge, der über Ungarn und Jugoslawien in den Westen gelangte, bevor der Eiserne Vorhang Risse bekam. Schon 1983 hatte Pilz als Student angefangen, sich mit der Grenze durch Europa zu beschäftigen: Er wollte herausfinden, wo es Schwachstellen im Eisernen Vorhang gab. Als Pilz mit einem Freund 1988 seine Flucht begann, wussten nicht einmal seine Eltern Bescheid, die einzige Mitwisserin war die Schwester. „Schon lange vor meiner Flucht habe ich vom Weltreisen geträumt“, erzählt Pilz.

Zu zweit schwammen die Männer durch die Donau in Richtung Freiheit. „Ich habe mich damals dazu entschieden, nicht zurück zu schauen. Deshalb wusste ich nicht, was hinter mir passierte“, so Pilz. Sein Begleiter schwamm nicht schnell genug und wurde verhaftet. In der Sorge um seinen Freund ging Pilz zur ungarischen Polizei und kam auch für 15 Tage in ein Gefängnis. Pilz erinnert sich: „Das war eine Zeit der Ungewissheit. Ich wusste nicht, was mit mir passieren würde.“ Doch Pilz hatte Glück: Er konnte Kontakt mit der deutschen Botschaft aufnehmen und schließlich in die BRD ausreisen.

„Haben Sie es je bereut, dass Sie geflohen sind?“, fragt eine Geschichtsstudentin der George Washington Universität aus dem Publikum. Nein – wenn Pilz etwas bereut hätte, dann nur den Zeitpunkt, denn nicht lange nach seiner Flucht war der Weg über Ungarn einfacher. „Ich bin kein Mensch, der gern sein Leben aufs Spiel setzt“, sagt Pilz. „Aber diese Flucht hat mein Leben verändert.“

Viele Jahre später und einige Zeit nach dem Mauerfall arbeitete Pilz in Berlin. Er erzählt, wie er morgens mit dem Rad durch das Brandenburger Tor und abends durch den ehemaligen Checkpoint Charlie fuhr– Pilz' persönlicher Triumph über den Mauerfall. Einige Zuhörer im Saal lächeln. „Als ich nach Berlin kam, sah ich, dass hier Geschichte gemacht wurde und Deutschland nun ein anderes Land war“, sagt Pilz.

Checkpoint Charlie und der Karneval

Als dritter geladener Zeitzeuge beschreibt Günter Nooke die Wochen vor und nach dem Mauerfall mit Begeisterung: „Ich erinnere mich an sehr bewegende Wochen im Herbst 1989. Überall waren die Emotionen der Menschen sichtbar.“ Nooke war Bürgerrechtler und Mitglied des ersten demokratisch gewählten Parlaments in der DDR. Die Stimmung nach dem 9. November wäre einzigartig gewesen – all die Freude der Menschen und Erleichterung. „Wir können sehr glücklich sein, dass die Revolution, die in Leipzig begann, friedlich verlaufen ist“, sagt Nooke. Doch der Weg bis zur Einheit sei ein schwieriger gewesen. “Bis zum 3. Oktober 1990 gab es viele Verhandlungen und Verträge, die diskutiert und beschlossen werden mussten.“ Nooke war am Runden Tisch mit dabei und erlebte, wie Deutschland sich wiedervereinte.

Immer mehr Fragen kommen aus dem Publikum: Wie war der Alltag in Ostberlin? Welche Rolle spielte die marode Wirtschaft der DDR? „Mir ist lange nicht aufgefallen, wie grau die DDR war“, erzählt Pilz. Wie ging man nach dem Mauerfall mit der Stasi um? Nooke erklärt, wie zum ersten Mal die Stasi-Unterlagen geöffnet wurden und dass sehr viele Menschen Akteneinsicht beantragt hätten.

Einige Zuschauer waren mehrere Male seit der Maueröffnung in Berlin und erzählen von den spektakulären Veränderungen in der einst geteilten Stadt. „Den Checkpoint Charlie nehme ich heute eher als einen Ort mit Karnevalsatmosphäre war als einen Gedenkort. Gibt es in Berlin eine Erinnerung an die Maueropfer?“, fragt ein Mann. Ebenfalls aus dem Publikum meldet sich die Historikerin Hope M. Harrison und wirft ein, dass Gedenken nicht am Checkpoint Charlie in Berlin stattfinden würde, sondern an der Berliner Mauergedenkstätte an der Bernauer Straße, unweit vom Tunnel 57. „Zeitzeugen und Nachwende-Generationen sehen den Mauerfall sehr verschieden“, sagt Nooke und Pilz ergänzt, dass jüngere Menschen sehr viel entspannter mit der deutsch-deutschen Geschichte umgehen würden.

Erinnerung zum Anfassen

Von der Stiftung Berliner Mauer hält Dr. Maria Nooke einen Gastvortrag. Es bedeutet der stellvertretenden Direktorin der Stiftung viel, hier in Washington, DC, zu stehen und vor amerikanischem Publikum zu sprechen. „Vor 25 Jahren habe ich immer davon geträumt, einmal in die USA zu reisen. Möglich war es nicht.“

Nooke hat viele Bilder mitgebracht – Fluchtszenen aus Häusern an der Bernauer Straße, die Veränderungen des Todesstreifens, jubelnde Menschen am 9. November 1989. Bilder, die Nooke und ihre Genration kennen und selbst miterlebten.

Das Publikum schaut interessiert auf die Bildschirme. Doch Menschen, die die deutsch-deutsche Teilung nur aus Erzählungen kennen, könnten die Ereignisse nur schwer nachvollziehen, berichtet Nooke. „Wie also soll man solche Themen unterrichten?“ Zeitzeugenberichte von Mauerflüchtlingen und Fluchthelfern könnte Geschichte greifbar machen. Nooke schlägt Multimediaprojekte vor, um den jüngeren Generationen entgegenzukommen und zeigt schließlich Bilder von der Lichtgrenze in Berlin, die zum 25. Mauerfalljubiläum mit fast 8000 leuchtenden Ballons die Hauptstadt durchzog und schließlich in den Himmel flog. Eine Gedenkveranstaltung zum Anfassen, die jedem zeigte, wo genau die Berliner Mauer verlief.

Für Dr. Maria Nooke ist die Lichtgrenze ein wichtiges Beispiel: „Geschichte kann auf viele Arten erzählt werden und Geschichte sollte auf viele verschiedene Arten erzählt werden.“ Dass die Geschichte der deutsch-deutschen Teilung vor allem immer und immer wieder erzählt werden müsste, darin sind sich alle Gäste der Podiumsdiskussion einig – nicht nur zum Gedenken an die Opfer, sondern auch als Mahnung an die nächsten Generationen: „Demokratie und Freiheit sind wichtige Werte aber sie sind sehr zerbrechlich. Deshalb sollten sie immer bewahrt werden“, sagt Günter Nooke zum Abschluss.

Autorin: Katharina Fiedler

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