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Europa als Quelle von Antworten auf globale Fragen

Expertendiskussion mit Prof. Dr. Kurt Biedenkopf

Wie wird sich die Europäische Union in Zukunft entwickeln und welche Rolle wird sie in Zukunft bei der Lösung globaler Herausforderungen spielen? Welche Ansätze zur Überwindung der Krise sind heute notwendig? Diese und weitere Fragen zur Europäischen Union wurden im Rahmen einer Reihe von Expertengesprächen mit Prof. Dr. Kurt Biedenkopf und Historikern, Politikwissenschaftlern, Wirtschaftsexperten und Rechtswissenschaftlern an der Stanford Universität, in San Francisco und an der Berkeley Universität diskutiert.

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Mit der Diskussion europäischer Fragen an der Westküste der USA setzte die KAS ein Zeichen, dass auch bei einer zunehmenden pazifischen Orientierung der Vereinigten Staaten - welche an der Westküste ein besonderes Gewicht hat - transatlantische Fragen weiterhin eine große Bedeutung für die USA haben werden.

Prof. Biedenkopf ging in seiner Analyse der gegenwärtigen Situation in Europa in die Geschichte zurück und betonte immer wieder die kulturelle und politische Dimension der europäischen Integration, wie etwa die Überwindung der jahrhundertealten Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland. Eine rein wirtschaftliche und monetäre Betrachtung greife zu kurz. Zudem sei die gegenwärtige Krise in Europa keine Euro-Krise. Der Außenwert der Währung sei nach wie vor sehr stabil. Das Wechselkursverhältnis zum Dollar bewege sich zum Beispiel in einem engeren Korridor als damals die D-Mark.

Vielmehr sei die gegenwärtige Krise als eine Krise der europäischen Institutionen sowie der Regierungen der europäischen Staaten zu verstehen. Die zum Teil noch jungen Demokratien wie etwa Spanien, Portugal und Griechenland, welche dem Euro beigetreten waren, hatten es nicht vermocht, ihr Verlangen nach Schuldenaufnahme über das eigene Vermögen zur Rückzahlung der Schulden hinaus zu begrenzen. Die dafür notwendigen Strukturanpassungen und politischen Anstrengungen wurden nicht geleistet und bleiben als offene Probleme bestehen.

Das Kernproblem seien damit die unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeiten und Unterschiede in der Produktivität der europäischen Staaten, welche jetzt in den Blick genommen werden müssten. Eine Lösung könne nicht sein, dass Staaten aus dem Euro austreten oder ausgeschlossen werden. Auch allgemeine Eurobonds seien in der gegenwärtigen Situation keine Lösung, da derzeit die strukturellen Probleme nicht gelöst seien und die erneute Ausweitung der Staatsschulden („moral hazard“) nicht ausgeschlossen werden könne. Vielmehr müsse die Frage der gemeinsamen Stabilitätskriterien neu diskutiert werden, so Biedenkopf.

Die Unterschiedlichkeit der europäischen Staaten führe auch zu einer Krise der europäischen Institutionen, welche auf Annahmen basierten (zum Beispiel der Einhaltung von Stabilitätskriterien, konvergierende Wirtschaftsentwicklung), die sich in der Realität jedoch als unzutreffend erwiesen haben. Die Institutionen und Verträge müssten deshalb auf realistischer Grundlage weiterentwickelt werden.

In diesem Zusammenhang tut sich das Dilemma zwischen Normen und Werten auf: bestehende Verträge seien rechtlich bindend, spiegelten jedoch eine Realität wider, die es so nicht gibt. Gleichzeitig müssten die Verträge jedoch Beachtung finden, um nicht das öffentliche Vertrauen in europäische Verträge generell und in gemeinsame Vereinbarungen zu erschüttern.

In der Diskussion erwiderte Biedenkopf die Auffassung, wonach Deutschland durch den Euro stark sei damit, dass Deutschland aufgrund der notwendigen strukturellen Veränderungen und aufgrund einer steigenden Produktivität stark sei und sich darin Vorteile im Vergleich zu anderen erarbeitet habe.

Auf die Frage nach einer notwendigen, stärkeren politischen Integration zur Kontrolle der Fiskalpolitik machte Biedenkopf deutlich, dass die Stärke Europas die große Vielfalt sei. Europa werde auch in Zukunft nicht eine „einzige Telefonnummer“ haben, auch das Konzept von „Vereinigten Staaten von Europa“ werde den europäischen Gegebenheiten nicht gerecht. Hingegen müsse eine Situation geschaffen werden, wo gleiche Entwicklungschancen der europäischen Staaten Ziel der Politik seien, nicht jedoch gleiche Ergebnisse. Dies bedeute ein Überdenken der gegenwärtigen „governance“ Europas. Zudem sei eine stärkere politische Integration noch keine Antwort auf die unterschiedlichen Wettbewerbs- und Produktivitätsunterschiede.

Auf die amerikanische Kritik, wonach Deutschland Europa eine zu strenge Sparpolitik verordne, entgegnete Biedenkopf, dass erhöhte Liquidität an sich keineswegs notwendigerweise zu mehr Produktivität führe. Expansivere Geldpolitik ginge deshalb nicht an den Kern des Problems. Biedenkopf problematisierte in diesem Zusammenhang auch den allgemeinen Wachstumsbegriff: Zwar gehe das Wachstum auch in den wirtschaftlich starken europäischen Staaten zurück, gleichzeitig steigt jedoch der Wohlstand. Wachstum relativ zum BIP zu interpretieren sei irreführend, vielmehr müsse Wachstum absolut betrachtet werden. So hatte China in der Vergangenheit hohe Wachstumsraten gemessen am BIP, Deutschland habe jedoch mit geringerem Wachstum höheren Wohlstand generiert.

Prof. Biedenkopf gab in den Gesprächen immer wieder seinem Optimismus Ausdruck, dass Europa auch in Zukunft Lösungen für die anstehenden Herausforderungen finden werde. Dazu sei es jedoch notwendig, eingefahrene Gleise zu verlassen und neu über grundlegende gesellschaftliche Fragen nachzudenken. Dazu zwinge etwa auch der demographische Wandel und die Alterung der Gesellschaft - Europa könne auch in Zukunft die Quelle von kreativen Antworten auf globale Fragen sein, welche sich aus der kulturellen Vielfalt sowie der langen Geschichte Europas speisen.

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