Coloquio
Detalles
Harald Martensteins eindringlicher, eleganter Aufsatz beschäftigt sich mit zwei Alltagsphänomenen gleichen Ursprungs: dem ambivalenten Verhältnis des Einzelnen zur Masse. Auf der einen Seite gibt es das „Lob der Reaktanz“, eine Art Widerwillen gegen ein Allzuviel an Mehrheitsdruck, den das Individuum bockig und vor allem gegenteilig reagieren lässt. Ein schönes Beispiel dafür ist die Prohibition in den USA, die mehr Trinkfreude hervorrief als das Verbot vorsah. Auf der anderen Seite steht ein zweites und vielleicht verhängnisvolleres Phänomen: der „Mainstream“, das unreflektierte Eintauchen in der Mehrheitsmeinung, was früher oder später zu einer formierten Gesellschaft führen kann. Zahlreiche sozialpsychologische Experimente etwa von Solomon Asch in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts belegen anschaulich und erschreckend zugleich wie bereits Kinder dem Mehrheitsdruck erlegen sind. Bei einem Versuch bekommen alle Probanden das gleiche Buch in die Hand, bis auf ein Kind, das davon natürlich nichts weiß. Auf einem Bild sehen alle Kinder das gleiche Tier, bis auf das Kind mit dem anderen Buch. Es erkennt seine Mutter, traut sich aber nicht zu sagen, dass es seine Mutter sieht, sondern nennt brav wie alle anderen ein Tier. Für seinen Beitrag "Der Sog der Masse" ("Die Zeit") wurde Harald Martenstein im vergangen Jahr mit dem Theodor-Wolff-Preis in der Kategorie Kommentar/Glosse/Essay ausgezeichnet.
"Harald Martenstein ist Kult." Berliner Zeitung
Harald Martenstein, 1953 in Mainz geboren, ist Kolumnist im "ZEITmagazin" und im "Tagesspiegel". 2004 erhielt er den Egon-Erwin-Kisch-Preis. Sein Roman "Heimweg" wurde im September 2007 mit der Corine ausgezeichnet. Sein neues Buch „Romantische Nächte im Zoo“ erscheint im März 2013.