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Botschafter eines neuen Denkens

de Dr. Christoph Böhr

Glaube und Vernunft: das gegenwärtige Pontifikat Benedikt XVI. und die ratlose Moderne

Gekürzte Fassung eines Vortrags, zu dem die Konrad-Adenauer-Stiftung Potsdam und die Propstei-Gemeinde St. Peter und Paul Potsdam im Vorfeld des Deutschland-Besuchs von Papst Benedikt XVI. am 14. September 2011 in Potsdam eingeladen hatten. Der Text erschien am 24. September in der Zeitung Die Tagespost.

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Botschafter eines neuen Denkens

Glaube und Vernunft: das gegenwärtige Pontifikat Benedikt XVI. und die ratlose Moderne

Von Dr. Christoph Böhr

Gekürzte Fassung eines Vortrags, zu dem die Konrad-Adenauer-Stiftung Potsdam und die Propstei-Gemeinde St. Peter und Paul Potsdam im Vorfeld des Deutschland-Besuchs von Papst Benedikt XVI. am 14. September 2011 in Potsdam eingeladen hatten.

Der Text erschien am 24. September in der Zeitung Die Tagespost.

Johann Wolfgang von Goethe hat in seinen „Noten und Abhandlungen zu besserem Verständnis des West-Östlichen Divans“ den Konflikt zwischen Glauben und Unglauben als das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte bezeichnet – und fährt nach dieser Feststellung fort: „Alle Epochen, in welchen der Glaube herrscht, sind glänzend, herzerhebend und fruchtbar für Mitwelt und Nachwelt. Alle Epochen dagegen, in welchen der Unglaube einen kümmerlichen Sieg behauptet, verschwinden vor der Nachwelt, weil sich niemand gern mit Erkenntnis des Unfruchtbaren abquälen mag.“

Die europäische Moderne ist, wie vielleicht keine andere Epoche zuvor, von diesem Konflikt geprägt – und mehr noch: sie hat versucht, sich dieses Konfliktes zu bemächtigen, und ihn zugespitzt auf die Frage nach der Möglichkeit einer grundsätzlichen Rechtfertigung von Glaube und Unglaube. Wortführer dieser Auseinandersetzung haben auf beiden Seiten eine Selbstbezeugung der Moderne ins Spiel gebracht, die darauf hinausläuft, dass die Moderne bis heute ihr Selbstverständnis in der Emanzipation des szientifischen Denkens von seinen religiösen Ursprüngen verankert. Modernisten wie Antimodernisten haben das – jubelnd oder grausend – so gesehen. In welchem Lager man immer stand: Der eigene Machtanspruch in Kirche, Wissenschaft oder Gesellschaft gründete nicht selten entweder zustimmend im Bekenntnis zu den Errungenschaften – oder aber ablehnend in der Zurückweisung der Verirrungen einer Moderne, die beidseitig und übereinstimmend gedeutet wurde als der Siegeszug eines Denkens, das die Möglichkeit einer Rechtfertigung des Glaubens ausschloss. Diese Deutung, die Glanz oder Elend der Moderne in einer Befreiung des Menschen von Glaubensbeständen vermutet, formte sich mit der Zeit zu einem bis heute wirkmächtigen Mythos.

Das verwundert außerordentlich – auch angesichts der Tatsache, dass jener Mann, dem das Denken der Moderne vielleicht am meisten zu verdanken hat, Immanuel Kant, seine Philosophie so ganz anders verstand, wenn er den Beweggrund für die Entwicklung eines kritischen Begriffs menschlicher Vernunft erläutert: Ich musste, schrieb Kant, das Wissen aufheben, um zum Glauben Platz zu bekommen. Der mit „um“ beginnende Nebensatz beschreibt vor allem eine Zielsetzung und nicht nur eine Schlussfolgerung. Eine Vernunft, die sich der Grenzen ihrer Leistungskraft nicht bewusst ist, erhebt einen unzulässigen Machtanspruch, dem Kant entgegentrat. Das Vermögen der – neuzeitlich verstandenen, also beweiskräftigen, wissen-schaffenden – Vernunft versagt angesichts aller wichtigen Lebensfragen, die wir nicht mit unserem Wissen, sondern nur in einem Glauben beantworten können. Das wusste schon Sokrates, und Kant hat diese Einsicht auf überzeugende Weise neu begründet.

Die Moderne musste eine ihrer wichtigsten Gründungsurkunden, zu denen Kants Kritik der Vernunft zweifellos zählt, vergessen, um jene Entzweiung von Glaube und Vernunft behaupten zu können – mit der von Goethe festgestellten Folge, dass sie sich dort, wo die Entzweiung gar zur zwingenden Folge eines unversöhnlichen Gegensatzes erklärt wurde, mit der Erkenntnis des Unfruchtbaren abquält. Entsprechend groß ist heute die Ratlosigkeit, nachdem die Rechnung in dieser Hinsicht nicht aufgegangen ist.

Nun hat sich jener Mann, der 2005 zum Oberhaupt der Katholischen Kirche gewählt wurde, Benedikt XVI., auf den Weg gemacht, jene Entzweiung von Glaube und Vernunft in einem neuen Denken zu überwinden, um so Intellektualität und Spiritualität wieder zusammenzuführen – und in diesem Bemühen findet sich die Botschaft seines Pontifikats. Als Mann des Glaubens und der Wissenschaft weiß er um die Verführbarkeit, die dem Glauben wie der Vernunft zu Eigen sein können, wenn sie sich nicht in ein Verhältnis wechselseitiger Verwiesenheit setzen. In der Entfaltung dieser Verwiesenheit über Jahre und Jahrzehnte ist Benedikt selbst zum Botschafter eines neuen Denkens geworden. Was es am Beginn des 3. Jahrtausends bedeutet, die Vernunft in ein Verhältnis zum Glauben zu setzen, hat kaum jemand so durchdacht wie er. Diese Rolle führt dazu, dass – glaubenden wie nicht glaubenden – Menschen von kaum jemanden in vergleichbar überlegter Weise vor Augen geführt wird, was es heute, an der Schwelle zum 3. Jahrtausend, bedeutet, einen Glauben zu haben – oder eben nicht zu haben.

Wenn das Herz eines Menschen erkrankt, aus dem Takt gerät und zu flattern beginnt, rät der Arzt zu einem Herzschrittmacher. Die Flatterhaftigkeit der Moderne in Glaubensfragen – hin- und hergerissen zwischen Modernismus und Antimodernismus – bedarf eines solchen Schrittmachers, damit ihr Herz wieder im Takt schlagen kann. Dieser Aufgabe widmet sich Benedikt wie kein Anderer – und findet dabei jenen Zuspruch und jenen Widerspruch, wie das nicht verwundern kann, wenn man bedenkt, welcher Anspruch mit der Bewältigung dieser Aufgabe einhergeht: nämlich wieder zusammenzuführen, was seit dem Beginn der Neuzeit mehr und mehr getrennt erschien: Intellektualität und Spiritualität. Der Versuch einer neuerlichen Zusammenführung bringt die alte Schlachtordnung durcheinander, der zu Folge Glaube und Vernunft in einem unversöhnlichen Gegensatz stehen. Dieser Unterstellung widerspricht das Denken Benedikts mit aller Entschiedenheit.

Der Gottesglaube eines Menschen – die Erfahrung seiner Gegenwart wie seiner Abwesenheit – ist zunächst immer ein spirituelles Ereignis, das allerdings unser Verstehen einfordert, auch wenn Menschen immer wieder feststellen, dass alle Erkenntnis übersteigt, was wir gerne doch auch verstehen möchten. Der Glaube an Gott ist im europäischen Denken seit der Antike eine Frage nicht nur der Offenbarung – und damit der Theologie, sondern ebenso auch eine Frage der Vernunft – und damit der Philosophie. Benedikt XVI. ist unermüdlich in der Betonung dieses Beziehung zwischen Glaube und Vernunft als einer wechselseitigen Zuordnung. Und damit stellt er sich in einem – wahrscheinlich sogar dem schlechthin entscheidenden Punkt einem Denken der Moderne, soweit sie im Positivismus und dessen Wissenschafts-Gläubigkeit ihre Heimat glaubt gefunden zu haben, entgegen.

Denn wer an Gott glaubt, hat die Wahrheit zum Maßstab seines Lebens gewählt – und zwar ‚die‘ Wahrheit: nicht eine mögliche, denkbare, unbestimmte, vermutete Wahrheit, sondern jene einzige Wahrheit, die es nur im Singular (William J. Hoye) gibt: eine Wahrheit, der man begegnen kann (religiös gesehen) und die man erkennen kann (philosophisch gesehen). Das bedeutet – nota bene – nicht, dass ein Mensch, der sein Leben so versteht, je behaupten dürfte, im Besitz der Wahrheit zu sein. Die Unendlichkeit der Wahrheit lässt sich von der Endlichkeit unserer Vernunft nicht in Besitz nehmen. Aber die Unendlichkeit der Wahrheit stellt die Endlichkeit unserer Vernunft unter ihren An- und Aufruf.

Benedikt verkörpert und fordert als Wissenschaftler wie als Seelsorger eine neue Verbindung von Spiritualität und Intellektualität. Damit folgt er ganz dem platonischen Ideal, dass die Wissenschaft nie die Sorge um das Heil der Seele des Menschen aus dem Blick verlieren dürfe. Das gelingt nicht, wie heute so oft unterstellt wird, indem Frömmigkeit an die Stelle von Wissenschaft tritt. Im Gegenteil: Wer diese Brücke bauen will, bedarf eines aufgeklärten Begriffs von Wissenschaft – eines Begriffs, der das Wissen um die unüberwindlichen Grenzen unseres Wissens in sich aufgenommen hat.

Dieser Gedanke ist nicht neu. Und nicht ohne Grund ist am Beginn auf Kant – und seine antidogmatische Bestimmung von Vernunft und Wissenschaft – Bezug genommen worden. Es spricht allerdings viel dafür, dass die Zeit gekommen ist, diese alte neue Bestimmung in die Selbstverständigung unserer Gegenwart einzuführen. Das bedeutet, im Hier und Heute zu bestimmen, was es mit der Vernunft des Glaubens auf sich hat: den Glauben zu verstehen im genitivus subiectivus dieser Redewendung, dass es nämlich vernünftig ist zu glauben, wie im genitivus obiectivus, dass der Glaube nämlich die reinigende Kraft der Vernunft für sich in Anspruch nimmt.

Versteht man Benedikt falsch, wenn man eben an diesem Punkt seine Einladung zum ökumenischen Dialog vermutet? Geht es – lange vor rituellen, juridischen, ekklesiologischen und dogmatischen Fragen – nicht zu allererst um diese Frage, die auf die vernünftige Begründungsfähigkeit des Glaubens an Gott abzielt?

Um diese entscheidende Kernfrage geht es in der Tat. Und im Blick auf die Ökumene ist sie deshalb so wichtig, weil sie unmittelbar in eine sich anschließende Frage einmündet: Gibt es ein gemeinsames Verständnis der Antwort auf die Frage nach dem Beziehungsverhältnis von Glaube und Vernunft seitens der monotheistischen Religionen?

Die Frage ist deshalb so wichtig, weil heute das Verständnis von Glaube so verwischt und unbestimmt ist – als Folge auch der vielfältigen Versuchungen einer Unterjochung des Glaubens im Paradigma des Szientismus. Eben diese Unterjochung hat zur Folge, dass der Glaube, abgesondert von der Vernunft, so vielfältigen Formen seiner mißbräuchlichen Inanspruchnahme ausgesetzt ist – zwischen den Extremen selbstbezogener Innerlichkeit, angepasster Unverbindlichkeit und kämpferischer Verweltlichung, zwischen mythischer Esoterik und politischer Religion als Formen der Entmündigung des Menschen.

Joseph Ratzinger forderte im Gespräch mit Jürgen Habermas die „Korrelationalität“ von Glaube und Vernunft. Beide müssen in eine Beziehung zueinander treten, um sich wechselseitig vor Entgleißungen zu schützen. Diese Korrelationalität hat weitreichende Folgen. Denn wenn Glaube und Vernunft diese Beziehung miteinander eingehen, gestehen sie sich ein, wechselseitig voneinander abhängig zu sein. Sie bleiben unterschiedliche Weisen der Deutung von Wirklichkeit und sind deshalb in ihren Denkweisen wie Erklärungsversuchen voneinander zu unterscheiden. Aber zwischen diesen voneinander zu unterscheidenden Denk- und Erklärungsweisen verläuft eine gemeinsame Grenze. Und es tut – um im Bild zu bleiben – der Vernunft wie dem Glauben gut, über diese Grenzen hinweg zu schauen, um den Blick auf das Gegenüber zu richten.

Nur am Rande sei erwähnt, dass unser zeitgenössisches Verständnis der liberalen Demokratie seine Grundlage in eben einer so bestimmten Beziehung zwischen Glaube und Vernunft findet – in jener nicht relativierbaren Anthropologie freiheitlicher Verfassungen, die im Begriff der unantastbaren Würde des Menschen den Grund ihrer Gründung finden.

Benedikts These von der Korrelationalität eröffnet ein neues Kapitel in der Selbstvergewisserung der Moderne – jenseits von säkularem Messianismus und religiösem Indifferentismus. Die Verbindung, die Glaube und Vernunft bei Benedikt eingehen, ist dazu angetan, dem Denken der Moderne auf neue Weise eine Richtung zu geben – hin zur Vollendung der Moderne in einem Selbstverständnis, das den Menschen befreit von der Last, sich selbst erlösen zu müssen, indem es mittels der über sich selbst nachdenkenden Vernunft diesen Glauben an die Möglichkeit der Selbsterlösung als einen Aberglauben aufdeckt. Zuletzt im 20. Jahrhundert wurde der Traum des Menschen, sich selbst zu erlösen, endgültig zum Alptraum: Folge eines unvernünftigen Glaubens und einer ungläubigen Vernunft.

Das Programm des gegenwärtigen Pontifikats, in einem neuen Denken Glaube und Vernunft miteinander zu versöhnen, eröffnet jedenfalls der Moderne alle Möglichkeiten, zu sich selbst zu finden.

Der Autor, Dr. Christoph Böhr, ist Hochschullehrer und Publizist und war von 2002 bis 2006 stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU Deutschlands.

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