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Sozialistin Michelle Bachelet gewinnt Stichwahl und wird erste Präsidentin Chiles

Oppositioneller Mitte-Rechts-Kandidat Sebastián Piñera unterliegt klar im zweiten Wahlgang

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Chile hat entschieden. Der nächste Präsident wird zum ersten Mal in der Geschichte des südamerikanischen Landes eine Frau sein. Die Sozialistin Michelle Bachelet Jeria setzte sich in der Stichwahl am 15. Januar 2005 gegen ihren Herausforderer, den Unternehmer Sebastián Piñera Echeñique von der wirtschaftsfreundlichen Mitte-Rechts-Partei „Renovación Nacional“ (RN), durch. Damit wird sie das vierte Staatsoberhaupt des Landes seit dem Ende des Pinochet-Regimes 1990 sein. Die Stimmen verteilen sich nach dem vorläufigen Endergebnis wie folgt:

Sebastián Piñera Echenique: 3.227.658 =46,50%

Michelle Bachelet Jeria: 3.712.902 =53,49%

gültige Stimmen insgesamt: 6.940.560

Quelle: Daten des chilenischen Innenministeriums, www.elecciones.gov.cl

Anmerkungen:

  1. Der Wahlsieg Bachelets fiel mit rund sieben Prozent Vorsprung deutlich aus. Damit bestätigten sich sowohl die Umfragen im Vorfeld der Wahl als auch die Hoffnungen der seit 16 Jahren regierenden Mitte-Links-Koalition „Concertación Democrática“. Der Abstand an den Urnen zwischen Bachelet und ihrem Herausforderer Piñera ist etwa vier Prozent größer, als dies bei den letzten Präsidentschaftswahlen 1999 zwischen dem amtieren Präsidenten Ricardo Lagos und seinem Herausforderer Joaquin Lavín von der konservativen, ehemals Pinochet nahestehenden Partei „Unión Demócrata Independiente“ (UDI), der Fall war.
  2. Bachelet behielt in zwölf der dreizehn Regionen des Landes, inklusive der Hauptstadtregion Santiago, die Oberhand. Sie gewann fast in gleichem Masse bei männlichen und weiblichen Wählern. Wenn ihr Vorsprung bei den Männern auch minimal größer war, konnte sie damit doch einen Trend brechen, demzufolge Frauen in Chile konservativer wählen als Männer. Offenbar haben die weiblichen Wähler die Kandidatur einer Frau für das Präsidentenamt honoriert. Ein anderer Trend wurde hingegen bestätigt: Seit 1958 gelang es keinem konservativen Kandidaten mehr, sich bei Präsidentschaftswahlen durchzusetzen.
  3. Die sozialistische Kandidatin profitierte von der großen Zustimmung, die ihr Parteifreund, der amtierende Präsident Ricardo Lagos, im Volk genießt. In Umfragen bescheinigen ihm rund 60 Prozent der Chilenen eine gute Amtsführung. Offenbar ist es dem Staatschef gelungen, diese Zustimmung auf seine Wunschkandidatin zu übertragen. Zudem kam Bachelet die gute Stimmung im Lande zu gute. Die Wirtschaft wächst stark und die Armut konnte in den Jahren der Concertacións-Regierungen deutlich reduziert werden. Die Opposition vermochte es vor diesem Hintergrund nicht, den Chilenen glaubhaft zu vermitteln, die bessere Option für das Land zu sein.
  4. Michelle Bachelet gelang es in der Stichwahl, die meisten der 5,4 Prozent der Stimmen, die im ersten Wahlgang auf den Kandidaten der extraparlamentarischen Linken, Tomás Hirsch, entfallen waren, für sich zu mobilisieren.
  5. Piñera hingegen schaffte es nicht, alle der über 23 Prozent der Wähler für sich zu gewinnen, die im ersten Wahlgang für seinen konservativen Mitbewerber Joaquín Lavín gestimmt hatten. Obwohl Lavín im Vorfeld des zweiten Wahlgangs seine uneingeschränkte Unterstützung für Piñera ausgesprochen hatte, war das Ergebnis des Unternehmers in der Stichwahl mehr als zwei Prozent schlechter als die Summe der Stimmen der beiden oppositionellen Kandidaten im ersten Wahlgang. Nach der Meinung von Experten waren es vor allem die Wähler Lavíns aus den unteren Bevölkerungsschichten, denen es schwer fiel, sich mit Piñera zu identifizieren und die deshalb zum Teil zu Bachelet überwechselten.
  6. Michelle Bachelet sagte in ihrer Siegesrede, sie wolle eine „Präsidentin aller Chilenen“ sein. Zudem versprach sie, den Weg des wirtschaftlichen Wachstums weitergehen zu wollen. Gleichzeitig kündigte die künftige Staatschefin einen neuen, dialogbereiteren und partizipativeren Regierungsstil an und legte großen Nachdruck auf die soziale Sicherheit. Für die vier Jahre ihrer Legislaturperiode formulierte Bachelet das ehrgeizige Ziel, in Chile ein „großes System des sozialen Schutzes“ zu verankern.
  7. Sebastián Piñera erkannte seine Niederlage schon früh am Wahlabend an und gratulierte der Wahlsiegerin. Er versprach, in den nächsten vier Jahren eine konstruktive Oppositionspolitik betreiben zu wollen. Gleichzeitig kritisierte Piñera die Regierung Lagos dafür, sich aktiv in die Kampagne Bachelets eingeschaltet zu haben. Die Regierung hatte in den letzten Wochen einige kontroverse Gesetzesinitiativen im Parlament zur Abstimmung gebracht, die eine Zerreißprobe für die Einheit des aus RN und UDI bestehenden Oppositionsblocks bedeuteten.
  8. Der Wahlprozess lief insgesamt friedlich, demokratisch sauber und ohne Störungen ab. Eine Ausnahme war der Urnengang des neugewählten Senators Pablo Longueira (UDI) in Santiago, der auf dem Weg ins Wahllokal mit Steinen und Erdklumpen beworfen wurde. Dies vermochte das positive Gesamtbild jedoch nicht entscheidend trüben. Viele internationale Gäste und Beobachter begleiteten die Wahlen.
  9. Das eindeutige Wahlergebnis verschafft Michelle Bachelet als Präsidentin erst einmal eine große Handlungsfreiheit. Zudem verfügt sie über eine Machtfülle, die keiner der drei anderen Präsidenten des nachautoritären Chile hatte. Im Gegensatz zu ihren Amtsvorgängern wird sie mit einer Mehrheit in beiden Parlamentskammern regieren können. Das Gleichgewicht innerhalb der Concertación hat sich mit den Parlamentswahlen vom 11. Dezember 2005 deutlich nach links verlagert. Die Christdemokraten stellen seitdem nur noch rund ein Drittel der Parlamentarier der Regierungskoalition.
  10. Es ist nicht zu erwarten, dass Michelle Bachelet die politische Linie von Präsident Lagos grundsätzlich ändert. Mit ihrem Bekenntnis zum Weg des wirtschaftlichen Wachstums setzte sie ein eindeutiges Zeichen. Allerdings könnte eine Fortführung des vergleichsweise liberalen Wirtschaftsmodells am linken Rand des Regierungslagers für Widerstände sorgen. Es bleibt abzuwarten, ob es Bachelet wie ihren Vorgängern gelingen wird, diese Kräfte zu disziplinieren.
  11. Ein Politikfeld, dass eine große Herausforderung für die neue Regierung darstellt, ist die Außenpolitik. Angesichts des sich ausweitenden Linkspopulismus auf dem lateinamerikanischen Kontinent, wird es interessant zu beobachten, wie sich Chile hier künftig positionieren wird. Dies gilt insbesondere, wenn der neue Außenminister nicht mehr wie bisher aus dem christdemokratischen Lager kommen sollte.
  12. Im gesellschaftspolitischen Bereich könnte der gesunkene Einfluss der Christdemokraten einer „progressiveren“ Politik Vorschub leisten. Themen wie Abtreibung und Homo-Ehe dürften künftig stärker diskutiert werden. Traditionell existiert hier eine Bruchstelle zwischen den Christdemokraten und ihren linkeren Koalitionspartnern. Bisher war es den Christdemokraten gelungen, diese Politikfelder weitgehend in ihrem Sinne zu gestalten. Ob dies auch künftig so bleiben wird, bleibt abzuwarten.
  13. Sebastián Piñera hatte im Wahlkampf versucht, sich als Führungsfigur einer neuen, großen Koalition des politischen Zentrums zu profilieren, zu der er ausdrücklich auch die Christdemokraten einlud. Obwohl die Partei bis auf einige Abweichler dieses Angebot entschieden zurückwies und Bachelet unterstützte, fiel vielen christdemokratischen Wählern die Unterstützung der Sozialistin schwer. Sollte Michelle Bachelet als Präsidentin nicht ähnliche Erfolge aufweisen können wie Ricardo Lagos, oder sich die Christdemokraten in der neuen Regierung nicht ausreichend berücksichtigt fühlen, werden neue Bündnisse in der chilenischen Politik sicherlich weiter diskutiert werden.
Santiago de Chile im Januar 2006

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