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Reportajes internacionales

Kabinettsumbildung in Chile

de Dr. Martin F. Meyer, Winfried Jung

Präsident Piñera stärkt politisches Profil angesichts fallender Umfragewerte und andauernder Demonstrationen

Am Montag, den 18. Juli 2011, hat Chiles Präsident Sebastián Piñera vom regierenden Mitte-Rechts-Bündnis „Coalición por el Cambio“ eine tiefgreifende Umstrukturierung seines Kabinetts vollzogen. Mit insgesamt acht Neubesetzungen handelt es sich um die größte Anpassung seit der Regierung des Christdemokraten Eduardo Frei Ruiz-Tagle im Jahre 1998, der infolge der Auswirkungen der Asienkrise ebenfalls acht Minister austauschte.

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Dies war bereits die zweite Kabinettsumbildung seit Piñeras Amtsantritt im März 2010, welche vor dem Hintergrund andauernder Demonstrationen und sinkender Umfragewerte der Regierung – bestehend aus der rechtskonservativen Unión Demócrata Independiente (UDI) sowie Piñeras liberaler Renovación Nacional (RN) – stattfand.

Seit Anfang des Jahres sieht sich die erste Mitte-Rechts-Regierung in Chile seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahre 1989 mit etlichen Massenprotesten u.a. gegen den geplanten Bau eines kontroversen Staudammprojektes im Süden des Landes (HidroAysén) sowie gegen den desolaten Zustand des öffentlichen Bildungssystems konfrontiert. Ende Juni und Anfang Juli waren bei Kundgebungen im ganzen Lande bis zu 200.000 Menschen auf die Straße gegangen, um ihren Unmut gegenüber dem chilenischen Hochschulsystem zum Ausdruck zu bringen. Kritisiert wird insbesondere die staatliche Finanzierung von Privatuniversitäten, des Weiteren fordern die Demonstranten einen besseren Hochschulzugang sowie mehr öffentliche Mittel für Studenten aus ärmeren Schichten. Ferner traten am 11. Juli rund 15.000 Minenarbeiter des weltweit größten Kupferunternehmens Codelco in einen 24-stündigen Warnstreik, um gegen eine etwaige Privatisierung des staatlichen Konzerns zu protestieren. Angesichts dieser andauernden Proteste sind die Umfragewerte der Regierung Piñera auf einen historischen Tiefstand von 31 Prozent gesunken – der schlechteste Wert seit 20 Jahren.

Diese Tatsachen spiegelten sich dann auch in der Regierungsumbildung Anfang dieser Woche wider. „Unsere Einrichtungen und Verantwortungsträger werden von einer Zivilgesellschaft geprüft, die ihre Möglichkeiten viel stärker wahrnimmt und mehr Partizipation und vor allem mehr Gleichheit fordert“, so der Präsident während der Vereidigungszeremonie der neuen Minister. Er sei sich vollkommen dessen bewusst, dass er nach einem Drittel seiner Amtszeit „noch einen langen Weg vor sich“ habe, wenn er die beiden Ziele erreichen wolle, die er sich vergangenes Jahr gesetzt habe: „Das Land nach der Zerstörung vom 27. Februar wieder aufzubauen und die Kapazitäten und die Dynamik unserer Wirtschaft wieder herzustellen“. Piñera bezeichnete die Ministerien für Bildung, Wirtschaft, Bergbau und Planung (zuständig für soziale Entwicklung) als Schlüsselressorts für das Umsetzen neuer Pläne und Projekte, um soziales und wirtschaftliches Wachstum in Chile zu schaffen. In all diesen Ressorts wird künftig ein neuer Minister an vorderster Stelle stehen.

Der angesichts der Studentenproteste unter Druck geratene Joaquín Lavín (UDI) wechselt vom Bildungs- ins Planungsministerium, neuer Bildungsminister ist ab sofort Felipe Bulnes (RN), der bis dato das Ressort Justiz innehatte. Seinen Posten übernimmt der in Würzburg ausgebildete Teodoro Ribera (RN), einer von drei neuen Ministern im Kabinett. Der bisherige „Superminister“ für Bergbau und Energie, Laurence Golborne (pro-UDI), leitet fortan das Ministerium für Öffentliches Bauwesen. Seine bisherigen Zuständigkeiten werden wieder getrennt: Hernán de Solminihac (parteilos) ist der neue Minister für das Ressort Bergbau; Fernándo Echeverría (RN), vorgesehen für das Ressort Energie, reichte drei Tage nach seiner Ernennung seinen Rücktritt ein, da er als Teilhaber eines Bauunternehmens mit Verbindungen zum Energiesektor einen möglichen Interessenkonflikt vermeiden wollte. Ein Nachfolger soll in Kürze ernannt werden. Die beiden parteilosen Minister Felipe Kast und Juan Andrés Fontaine, ehemals zuständig für soziale Entwicklung bzw. für Wirtschaft, sind nun genau wie die ehemalige Regierungssprecherin Ena van Baer (UDI) nicht mehr im Kabinett vertreten. Neu hinzugekommen sind stattdessen zwei „politische Schwergewichte“ aus der UDI, nämlich die beiden Sentatoren Andrés Chadwick als neuer Regierungssprecher und Pablo Longueira als neuer Wirtschaftsminister.

Mit dieser Personalentscheidung hat Piñera wie schon bei seiner ersten Kabinettsumbildung am 16. Januar 2011 das politische Profil seines Regierungsteams gestärkt und sich endgültig von seinem ursprünglichen Vorhaben, anstelle von Politikern vorrangig auf „Technokraten“ zu setzen, abgewendet. Kurz vor seinem Amtsantritt im vergangenen Jahr hatte der neugewählte Präsident noch verkündet, dass er bei der Auswahl seiner Minister keine Quoten hinsichtlich Parteizugehörigkeit, Geschlecht oder Alter verfolgen werde. Stattdessen wolle er für jeden Posten den „qualifiziertesten Kandidaten“ ohne Rücksicht auf dessen politischen oder persönlichen Hintergrund ernennen. Tatsächlich waren bei der offiziellen Vorstellung der 22 Minister im Februar 2010 nur acht offizielle Mitglieder einer der beiden Parteien des Regierungsbündnisses – sehr zum Unmut der Führung der Renovación Nacional (RN) und der Unión Demócrata Independiente (UDI). Im Kabinett dominierten stattdessen Vertreter aus der Wirtschaft sowie aus wissenschaftlichen Einrichtungen.

Diese Haltung revidierte Piñera bereits Anfang des Jahres bei seiner ersten Kabinettsumbildung, als er die damaligen Senatoren Andrés Allamand (RN) und Evelyn Matthei (UDI) ins Verteidigungs- bzw. Arbeitsministerium berief. Mit deren Ernennung änderte der Präsident auch seine Position in einem anderen Punkt: Anfang 2010 hatte er noch verkündet, keine gewählten Abgeordnete oder Senatoren für sein Kabinett nominieren zu wollen, da es dem Wähler nur schwer zu vermitteln sei, dass ein Repräsentant die Aufgaben nicht mehr wahrnehmen könne, für die er von den Bürgern gewählt worden sei. Bei der jüngsten Kabinettsumbildung wurden mit Chadwick und Longueira noch einmal zwei Mitglieder des Oberhauses des Kongresses in die Regierung berufen.

Von der Mitte-Links-Opposition wurden Piñeras Personalentscheidungen kritisch kommentiert. Laut Auffassung von José Antonio Gómez, Präsident der Radikalen Sozialdemokratischen Partei (PRSD), sei der seit der spektakulären Rettung der 33 verschütteten Minenarbeiter zu hoher Popularität aufgestiegene Laurence Golborne in ein weniger heikles Ressort versetzt worden, um seine Aussichten für eine mögliche Kandidatur bei den Präsidentschaftswahlen im Jahre 2013 nicht zu gefährden (Piñera selbst darf laut Verfassung nicht direkt wiedergewählt werden). Für Verstimmung sorgte auch die Entscheidung, erneut zwei Senatoren ins Kabinett zu berufen. Nach der bestehenden Rechtslage werden die durch das Ausscheiden eines gewählten Parlamentariers frei gewordenen Posten nicht von den Wählern sondern von den jeweiligen Parteien wieder besetzt. „Fehlt nur noch, dass Ena von Baer, die bei den letzten Wahlen nicht zur Senatorin gewählt wurde, nun von ihrer Partei zur Senatorin ernannt wird“, kritisierte Ignacio Walker, Präsident der Chirstdemokratischen Partei (PDC). Es gilt in der Tat als sehr wahrscheinlich, dass von Baer eines der beiden Mandate übernehmen wird. Doch auch die Regierung hat bereits angedeutet, dass sie mit der aktuellen Regelung nicht zufrieden ist und daher in der Zukunft eine Überarbeitung des jetzigen Systems anstrebt.

Für Überraschung sorgte bei vielen Piñeras Festhalten an seinem umstrittenen Innenminister und Kabinettschef Rodrigo Hinzpeter, der wie der Präsident ebenfalls der Renovación Nacional angehört und in der jüngsten Vergangenheit insbesondere vom eigenen Bündnispartner UDI heftig kritisiert wurde. Um seinen engsten Vertrauten im Kabinett zu behalten, musste Piñera offensichtlich den Forderungen der UDI nach mehr Beteiligung in der Regierung entgegenkommen. Diesen Anspruch hatte die Partei schon nach den jüngsten Parlamentswahlen verlauten lassen, als sie mit 39 Abgeordneten die bei weitem stärkste Partei im Unterhaus des Kongresses geworden war und 20 Mandate mehr als die Renovación Nacional bekam. Damals hatte man erwartet, dass Piñera dieses Kräfteverhältnis auch mit Posten im Kabinett zum Ausdruck bringen würde. Mit der jüngsten Regierungsumbildung dürfte der Präsident daher versucht haben, das zuletzt angespannte Verhältnis zwischen den beiden Regierungsparteien zu verbessern.

Erst in den nächsten Wochen wird sich feststellen lassen, ob dieses Revirement zu einer erhofften Verbesserung in der öffentlichen Wahrnehmung verhelfen werden. Die Sprecher der Studentenbewegungen werteten die Ablösung von Lavín an der Spitze des Bildungsministeriums schon einmal als ersten Erfolg ihrer Proteste.

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Andreas Michael Klein

Andreas Michael Klein

Leiter des Regionalprogramms Politikdialog Asien

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