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Reportajes internacionales

Paukenschlag im Energiebereich

de Frank Priess

Calderón löst Luz y Fuerza auf

Mit dieser Maßnahme hatte auf kurze Sicht sicher kaum jemand gerechnet: per Dekret löste Mexikos Präsident Felipe Calderón jetzt die parastaatliche Stromfirma Luz y Fuerza auf und forderte damit vor allem die mächtige Gewerkschaft SME heraus. Von den Stromkunden gab es Applaus, von den Betroffenen und ihren politischen Verbündeten heftige Kritik. Die Frage nun: hat diese Maßnahme mitten in der Wirtschaftskrise das Potential, größere Protestaktionen auszulösen?

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Es war ein wirklicher Paukenschlag, der Mexiko und nicht zuletzt die unmittelbar Betroffenen während der Feiern nach dem entscheidenden Ausscheidungsspiel zur Fußballweltmeisterschaft 2010 traf, in dem Mexiko sich durch einen 4:1-Sieg gegen El Salvador endgültig für das Turnier in Südafrika qualifizierte: Mit einem Präsidialdekret erklärte Felipe Calderón die Auflösung der parastaatlichen Elektizitätsgesellschaft Luz y Fuerza del Centro (LyF) . Unmittelbar nach seiner Unterschrift besetzten starke Kräfte der Bundespolizei die Firmensitze – nach wie vor sind diese abgeriegelt.

Luz y Fuerza versorgte bisher die zentralen Landesteile Mexikos (die Hauptstadt sowie die Bundesstaaten México, Puebla, Hidalgo und Morelos) mit Strom und steht seit langem als Musterbeispiel von Ineffizienz und Nepotismus in der Kritik: Hohe Preise, schlechter Service, überbordende Verschuldung stehen auf der Negativseite einer Organisation, die vor allem durch die Gewerkschaft der Elektriker SME kontrolliert wird und deren Tarifvertrag mit LyF durch die Präsidialmaßnahmen jetzt erlischt . Diese hat es verstanden, in den zurückliegenden Jahrzehnten enorme Privilegien anzuhäufen, die massiv auf der Gesellschaft lasten.

Die Präsidentenaktion hat daher auch über den aktuellen Fall hinaus Bedeutung, legt er sich doch mit einem der meist verkrusteten Überbleibsel aus Jahrzehnten korporatistischer PRI-Regime an: den Arbeitnehmervertretungen im staatlichen und parastaatlichen Bereich. Auch kann Calderón so belegen, dass er es mit seinem Zehn-Punkte-Plan zur Modernisierung Mexikos, angekündigt bei seiner dritten Erklärung zur Lage der Nation, Ernst meint.

Beispiel für Ineffizienz

Vorerst übernimmt nun die ebenfalls parastaatliche Elektrizitätskommission CFE die Serviceleistungen, dien bisherigen Mitarbeitern wurden großzügige Abfindungen angeboten. Anschließend soll es zu Neueinstellungen kommen, allerdings für eine erhebliche reduzierte Belegschaft. Schon jetzt sind die Zahlen eindrucksvoll: während „Luz y Fuerza“ mit seinen über 40.000 Mitarbeitern zwanzig Prozent der Haushalte Mexikos mit Strom versorgte, schaffte es die CFE, mit 67.000 Angestellten die restlichen achtzig Prozent zu bedienen. Ein Angestellter von LyF „produziert“ demnach 751 Megawatt pro Jahr, einer bei CFE 2.400 Megawatt. Nachgewiesen ist zudem, dass bei Luz y Fuerza ein Drittel des eingespeisten Stroms „verlorengeht“, technische Ineffizienz und fehlende Investitionen kommen hinzu. Weniger als fünfzig Prozent ihrer Kosten erwirtschaftet LyF zudem über den Stromverkauf, der Rest wird durch staatliche Subvention gedeckt. 42 Milliarden Pesos (ein Euro ist derzeit etwa 19,5 Pesos wert) musste Mexiko im Jahr 2008 dafür aufwenden, 115 Millionen täglich.

Während der Privatsektor die Entscheidung heftig und auch mittels Medienwerbung begrüßte, kündigten die Gewerkschaft und verschiedene politische Kräfte gleichwohl rechtliche Schritte gegen das Dekret an. Es scheint allerdings auf einer sehr soliden juristischen Grundlage zu beruhen, die ihren Ursprung im Artikel 32 des Bundesgesetzes über parastaatliche Einrichtungen hat. Entsprechend selbstbewusst klingt die Regierung.

Frei von Problemen ist allerdings auch CFE nicht. Auch hier zweifeln Fachleute, ob sie ohne weiteres in der Lage sein wird, die zusätzliche Versorgung zu übernehmen und die Aufgaben von Luz y Fuera zu integrieren. Einen erheblichen Investitionsstau für die Modernisierung eigener Anlagen und vor allem die Stromnetze schiebt CFE vor sich her. Auch hängt sie stark von privaten Investitionen ab, die über verschiedene Kooperationsmodelle eingebunden sind und zu Festpreisen Strom verkaufen. Ein Drittel des Stroms, den CFE an die Kunden leitet, wird von unabhängigen Produzenten zur Verfügung gestellt. Schon jetzt gibt es Gemeinschaftsprojekte mit LyF.

Konflikt in der Gewerkschaft

Da das Präsidialdekret mit Konflikten innerhalb der Gewerkschaft SME zusammenfällt, keimte sofort der Verdacht einer politischen Entscheidung auf. Die „üblichen Verdächtigen“ auf der Linken, allen voran Ex-Präsidentschaftskandidat López Obrador, solidarisierten sich unmittelbar mit der SME und beteiligten sich an Demonstrationen und anderen Protestmaßnahmen. Sie versammeln sich einmal mehr hinter der Fahne der „Gewerkschaftsautonomie“ und der „Ablehnung jeglicher Privatisierungen“, auch wenn dies nur allzu vorgeschobene Argumente zur Verteidigung von Privilegien einiger weniger sind. Mobilisieren tun sie allemal.

Allerdings ist diesmal und zumindest bis jetzt die öffentliche Meinung zu den gewerkschaftsinternen Wahlen, aus denen der aktuelle Führer der SME Martín Esparza mit 352 Stimmen Vorsprung hervorgegangen war und die von seinen Gegnern angefochten wurden, klar: Nach einer Umfrage der Zeitung Reforma gehen rund 70 Prozent der Befragten von Wahlbetrug aus. Die mexikanischen Gesetze – auch das ein Relikt der Vergangenheit und mit Gewerkschaftsautonomie eigentlich nicht zu vereinbaren -sehen vor, dass solche Wahlen von der zuständigen staatlichen Stelle, dem Arbeitsministerium, bestätigt werden müssen. Dies ist bisher unterblieben, was Esparza und die Seinen u.a. mit Straßenblockaden beantworteten.

Bleibt dies ein Einzelfall?

Andererseits wurden, nicht zuletzt aus den Medien, aus der Regierungspartei PAN und der Privatwirtschaft Stimmen laut, diese Einschnitt in die Privilegien der Gewerkschaften auch auf andere Sektoren zu übertragen, vor allem beim Energiekonzern PEMEX, bei den Lehrern und den Mitarbeitern des Sozialversicherungssystems IMSS. Auch in diesen Einrichtungen haben sich in den Jahrzehnten der PRI-Herrschaft und ihrer Kooptationspolitik Mechanismen aufgebaut, die mit einer verantwortlichen Unternehmungsführung kaum in Einklang zu bringen sind und teils unverantwortliche wirtschaftliche Zugeständnisse an die Gewerkschaften gegen politische Loyalität tauschten.

Eingebettet werden müssten all diese Fragen in eine umfangreiche Reform der Arbeitsgesetzgebung, die allerdings fraglich erscheint. In diesen weitreichenden Forderungen liegt zudem eine Gefahr für die Regierung: sie könnten andere organisierte Interessen gerade zu einer Solidarität mit der SME veranlassen, die der Fall an sich nicht hergibt.

Ein bis heute nicht korrigierter Punkt ist dabei, dass erhebliche Summen direkt aus den Kassen parastaatlicher Einrichtungen oder vom Staat selbst an die Gewerkschaften überwiesen werden, die angesichts ihrer inneren Organisation jede Transparenz vermissen lassen und zu entsprechender Rechnungslegung nicht verpflichtet sind. An den Spitzen dieser Organisationen halten sich zum Teil seit Jahrzehnten Personen, die erheblichen persönliche Reichtum und politische Macht angehäuft haben, ohne dass sich dies aus ihren „normalen“ Einkünften rechtfertigen ließe. Die politische Öffnung nach dem Jahr 2000 und die neue Parteienkonkurrenz in Mexiko hat ihren Einfluss zum Teil sogar noch gestärkt, können sie sich jetzt doch „meistbietend“ verkaufen: früher stand ihnen nur die monolithische PRI gegenüber. Ein besonders gutes Beispiel ist die Lehrergewerkschaft SNTE, die mit Nueva Allianza sogar über eine eigene Partei verfügt. Der Schwiegersohn der Gewerkschaftsvorsitzenden Elba Esther Gordillo dient Präsident Calderón als Staatssekretär ausgerechnet im Bildungsministerium.

Auch unabhängige Gewerkschafter kritisieren seit Langem die sogenannten Gewerkschaften charros, richtig knacken aber konnten auch sie das System nicht. Interne Oppositionsbewegungen, die es durchaus gibt, verstanden die Machtcliquen in den Organisationen bisher immer wirkungsvoll zu unterdrücken. Die Arbeitsgesetzgebung hilft ihnen in soweit, als sie Unternehmen verpflichtet, nur mit einer und zwar der stärksten Arbeitnehmerbewegung in einem Unternehmen Tarifverträge abzuschließen. Und in manche Unternehmen und Einrichtungen gelangt als Mitarbeiter ohnehin nur, wer sich vorher das entsprechende Gewerkschaftsticket gesichert hat.

Im Falle LyF allerdings signalisierte sogar die PRI über ihren Fraktionsvorsitzenden im Senat, Manlio Fabio Beltrones, Zustimmung zu Calderóns Dekret: zu groß scheint auch dort die finanzielle Bürde für die Zukunft des mexikanischen Staatshaushaltes, zu offensichtlich haben sich auch Martín Esparza und die SME politische auf die Seite von Andrés Manuel López Obrador geschlagen.

Schwierige Haushaltsdebatte

Die Auflösung von Luz y Fuerza findet im Umfeld einer engagierten und schwierigen Debatte um den mexikanischen Staatshaushalt 2010 statt. Massive Sparnotwendigen kennzeichnen die Lage, wie diese allerdings bewältigt werden sollen, darüber sind sich die Parteien nicht einig. Während der Präsident, unterstützt von der PAN, eine zweiprozentige Zusatzsteuer vorgeschlagen hat, deren Erlös speziell in Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut fließen soll, wird dies von großen Teilen der Opposition abgelehnt. Auf wenig Gegenliebe stoßen auch Calderóns Pläne, den Regierungsapparat zu straffen. Speziell die Abschaffung des Tourismusministeriums und die Integration von dessen Aufgaben ins Wirtschaftsministerium stoßen auf Widerstand, speziell in den tourismusstarken Bundesstaaten.

An konkreten und gangbaren Gegenvorschlägen aber mangelt es noch. Vielen erscheint es reizvoll, den für Mexikos Staatshaushalt so wichtigen Barrel-Preis für den Export von Rohöl für 2010 höher anzusetzen als der Finanzminister, um so zusätzlichen finanziellen Spielraum zu gewinnen. Immerhin stammen rund vierzig Prozent von Mexikos Staatseinnahmen aus dem, was der Energieriese PEMEX direkt an den Haushalt abführen muss. Kritiker werfen der Regierung zudem vor, zu sehr auf die Haushaltsdisziplin zu schauen, während andere Länder mit gewaltigen Konjunkturpaketen – und einer höheren Staatsverschuldung – auf eine Ankurbelung der Wirtschaft setzten.

Wirtschaftslage bleibt ernst

Dass die mexikanische Wirtschaft schnell wieder anspringen könnte, glauben trotz hoffnungsvoller Signale aus den USA nur wenige. Gerade erst ist die Arbeitslosigkeit nach Angaben des Statistikamtes INEGI deutlich über sechs Prozent gestiegen – der höchste Prozentsatz seit dem Jahr 2000. Danach waren Ende August 2,87 Millionen Menschen in Mexiko ohne Arbeit – die verbreitete Unterbeschäftigung nicht einmal mitgerechnet. In der laufenden Regierungsperiode hat sich die Zahl damit um 79 Prozent erhöht. Auffällig ist zudem der hohe Anteil gut Ausgebildeter unter den Arbeitslosen.

Im internationalen ranking in Sachen Wettbewerbsfähigkeit, dass das Weltwirtschaftsforum jährlich veröffentlicht, steht Mexiko nach wie vor an sechzigster Stelle. Die Gründe, warum das Land seit Jahren auf der Stelle tritt, weist die Organisation in den Bereichen rigider Arbeitsgesetze, Wettbewerb, Innovationsfähigkeit, Stärkung der Institutionen und Niveau des Bildungswesens nach. Die Haupthindernisse, warum es schwierig sei, in Mexiko Geschäfte zu machen, wird in der überbordenden Bürokratie gesehen, gefolgt von Korruption, Kriminalität, Finanzierungsgrenzen, dem Arbeitsrecht. und mangelhafter Infrastruktur. In Lateinamerika liegen Chile (30), Costa Rica (55) und Brasilien (56) vor Mexiko. Auch in diese Beispielliste ordnet sich das Thema Luz y Fuerza also gut ein.

In einer Umfrage der Zeitung Universal, veröffentlicht am 21. September, bestätigen die Mexikaner die Krisensituation: 55,3 Prozent der Bürger sagen demnach, ihre persönliche Wirtschaftslage habe sich in den vergangen sechs Monaten verschlechtert, sogar 70,8 Prozent der Befragten halten dies für ihr ganzes Land für zutreffend. Dies bleibt nicht ohne Auswirkung auf die Zustimmungswerte des Präsidenten: Kam er im März auf einen Wert von 7.02 auf einer Skala von 1 – 10, sank dieser Wert auf jetzt 6,71. Konstant bei rund 42 Prozent ist allerdings der Prozentsatz derer, die der Politik Calderóns zustimmen, von 24,1 auf 33,6 Prozent gestiegen ist allerdings im gleichen Zeitraum der Prozentsatz derer, die sie ablehnen.

Außenpolitische Frustrationen

Entlastung kommt derzeit jedenfalls nicht von der außenpolitischen Front. Geriet die mexikanische Politik im Fall Honduras fast zwischen die Mühlsteine – einerseits ein Staatsempfang für den abgesetzten Präsidenten Zelaya, dann ein gewisses Zurückrudern beim Gipfel mit Barack Obama – waren speziell der G20-Gipfel in Pittsburgh und sein Vorfeld eher Anlass, die Kluft zum lateinamerikanischen Erzrivalen Brasilien noch größer erscheinen zu lassen.

Während die Südamerikaner im Kreise der anderen BRIC-Staaten mehr Einfluss reklamierten und an Profil gewannen, blieb Mexiko blass. Der brasilianische Rüstungsdeal mit Frankreich ist zudem geeignet, Großmachtansprüche der Nation und ein Mitspielen der ersten Weltliga zu untermauern. Hinzu kommen Prestigeerfolge wie die Olympischen Spiele, die Präsident Lula da Silva für 2016 an den Zuckerhut holte – immerhin gegen die starke und unmittelbare Konkurrenz von Barack Obama, der vehement für Chicago warb. Mexiko leistet es sich demgegenüber, wichtige Botschafterposten wie den in Berlin seit langen Monaten vakant zu lassen.

Viele Mexikaner - gerade in den global orientierten Eliten – sehen die Wahrnehmung eines Zurückfallens ihres Landes mit Frustration. Carmen Aristégui, eine bekannte Hörfunk- und Fernsehjournalistin, brachte dies angesichts der Olympia-Entscheidung auf den Punkt: “Schlecht für Mexiko, das im Vergleich zu Brasilien Einfluss und Wichtigkeit in der Welt verliert. Brasilien und Mexiko waren vorher Wettbewerber. Heute sind wir Zuschauer. Früher haben wir uns gegenseitig diplomatische Führung streitig gemacht. Heute hat Brasilien uns abgehängt: im Verhältnis zu Obama, im Verhältnis zu China, zu den Europäern und auch in den Beziehungen zu Lateinamerika.“

Da kann der Präsident einen Befreiungsschlag gut gebrauchen, will er nach der Wahlniederlage seiner Partei im Juli und einer klaren Oppositionsmehrheit im Abgeordnetenhaus nicht in die lame duck-Rolle eines „Hausmeisters“ im Amtssitz Los Pinos geraten, die ihm Kommentatoren wie Denise Dresser mit Blick auf eine mögliche Rückkehr der PRI an die Macht im Jahr 2012 und ihre parlamentarische Stärkung bereits zugeschrieben haben. Calderón – bisher ein „Präsident des Möglichen“ – hat in schwierigem Umfeld noch drei Jahre Zeit, seinem Zukunftsprojekt für Mexiko ein Gesicht zu geben. „Der Präsident und seine Partei“, so der Hintergrunddienst Seminario Político, „müssen zeigen, dass sie die Macht auch für etwas einsetzen.“ Der Fall Luz y Fuerza könnte ein Signal dafür gegeben haben.

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