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Politischer Neustart oder Rückfall in Gewalt? Bolivien eine Woche vor den Neuwahlen

de Dr. Georg Dufner, Ellen Haas

Am 18. Oktober 2020 sind die Bolivianer aufgerufen, Präsident, Vizepräsident und Kongress zu wählen. Der Ausgang ist unklar, die Stimmung unruhig – aber es gibt auch Zeichen der Hoffnung.

Fast ein Jahr nach dem Abgang des autoritären Langzeitpräsidenten Evo Morales und einer von der Pandemie überforderten Interimsregierung besteht in Bolivien trotz Krisensymptomen die Möglichkeit zu einem geordneten demokratischen Machtwechsel. Was ermutigend ist: zuletzt spielten Debatten, Umfragen und Rücktritte eine größere Rolle als Gewalt, Blockaden und Pandemieangst.

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Rückzug der Interimspräsidentin Jeanine Áñez

Am Abend des 17. September gab Interimspräsidentin Áñez (Demócratas) bekannt, ihre Kandidatur zur Präsidentschaft zurückzuziehen. Hintergrund waren enttäuschende Umfrageergebnisse, die die am Vortag publizierte Umfrage der Initiative „Tu voto cuenta“ offengelegt hatte. Diese umfassende und vertrauenswürdige Umfrage hatte Áñez und ihrer Allianz „Juntos“ nur 10,6% der gültigen Stimmen vorhergesagt, und damit den vierten Platz hinter Luis Arce (Movimiento al Socialismo, MAS), Carlos Mesa (Comunidad Ciudadana, CC) und Fernando Camacho (Creemos). Vorangegangen waren diesen Umfragewerten harsche Kritik am Handeln der Übergangsregierung in der Corona-Krise und Unzufriedenheit selbst im bürgerlichen Lager. Die Rolle als Interimsprädentin und Kandidatin zugleich hat Áñez‘ Arbeit zweifellos erschwert und sie angreifbar gemacht.

„Tu voto cuenta“ attestierte dem MAS-Kandidaten und ehemaligen Wirtschaftsminister Arce 40,3% der gültigen Stimmen und gleichzeitig einen Vorsprung von mehr als die für einen direkten Erstrundensieg notwendigen zehn Prozent auf den Zweitplatzierten Mesa (26,2%). Die Möglichkeit eines MAS-Sieges im ersten Wahlgang löste im gesamten, politisch heterogenen Anti-MAS-Lager Entsetzen aus und erhöhte den Druck auf die zuletzt glücklose Áñez. Für die Interimspräsidentin war es ein Ende mit Schrecken. Sie begründete ihren Rückzug mit Sorge über eine Rückkehr des MAS. Es wird erwartet, dass der Rückzug Áñez' die Kräfteverhältnisse zum Nachteil des MAS verändert. Die am 2. Oktober veröffentlichte Umfrage des Unternehmens Ciesmori, die den Rücktritt schon miteinbezieht, sieht Mesa nur noch etwa 7% hinter Luis Arce.[i]

Mit dem Rückzug der Präsidentschafts- und Vize-präsidentschaftskandidaten von „Juntos“ wird auch deren komplette Liste für die Kongresswahlen annulliert, was die Parteien der Allianz hart trifft (Demócratas, sol.bo, Unidad Nacional). In den letzten Wochen deuteten sich innerparteiliche Spannungen in der Regierungspartei „Demócratas“ an. Am 28. September kündigte Wirtschaftsminister Oscar Ortíz seinen Rücktritt an. Auf Ortíz‘ Rücktritt folgte auch der Rücktritt zwei weiterer Minister des Kabinetts.[ii]

Präsidentin Áñez kann nun bis zum Ende ihres Mandats im Dezember (bei einem 2. Wahlgang) mit etwas weniger Angriffen rechnen. Bereits jetzt ist zu erkennen, dass sich der Fokus der Aufmerksamkeit auf die Kandidaten Arce, Mesa und Camacho verschoben hat. Wem genau die Stimmen der Juntos-Wähler zufließen werden, ist schwierig zu sagen. Camacho kann mit Stimmen aus dem dezidiert antisozialistischen Lager sowie mit einem Sieg in Santa Cruz rechnen, während Mesa wohl die urbanen Stimmen und die des Hochlands und insgesamt wohl die meisten Stimmen von „Juntos“ zufließen werden. Camacho, der ehemalige Anführer der Bürgerbewegung „Pro Santa Cruz“, hält seine Kandidatur aufrecht, da er Mesa als Politiker des alten Systems tituliert und mit dieser Strategie auch seinen Wahlkampf führt, wovon indirekt der MAS profitiert.

Die Umfrage „Tu voto cuenta“ verdeutlicht neben der Führung des MAS-Kandidaten Luis Arce auch die tiefe politische Spaltung Boliviens. Diese zeichnet sich einerseits an den Unterschieden der Umfrageergebnisse zwischen Stadt und Land ab. Während Arce CC-Kandidat Carlos Mesa in den ländlichen Wahlkreisen mit deutlichen 14% Vorsprung hinter sich lässt, schrumpft dieser in städtischen Gebieten auf nur noch knapp 6%.

Darüber hinaus spiegeln sich die Ereignisse der annullierten Wahl 2019 und auch die Konflikte der letzten Monate in den Umfrageergebnissen zum Vertrauen in die anstehende Wahl wider. Laut der Umfrage vertrauen weniger als die Hälfte der Bolivianer (48%) darauf, dass ihre Stimme respektiert wird; in städtischen Gebieten ist diese Tendenz noch stärker.

Wahlkampf in der Pandemie

Seit dem 6. September 2020 hat der Wahlkampf offiziell begonnen. Da die Interimsregierung wenige Tage zuvor Lockerungen der bis dahin strengen Quarantäne beschloss, fanden neben Online-Formaten auch Wahlveranstaltungen in Präsenz und teilweise ohne das Einhalten der gesundheitlichen Vorschriften statt.

Die Wahlkampagne war von Auseinandersetzungen und teilweise gewalttätigen Konfrontationen zwischen den Anhängern der verschiedenen Parteien geprägt, seien es die Zerstörung eines Wahlstands des MAS in Santa Cruz, Steinwürfe in Oruro oder ein Angriff auf die Wahlkampfzentrale von CC in Cochabamba. Diese Auseinandersetzungen sind ein Ausdruck der polarisierten Gesellschaft, in der insbesondere zwischen MAS-Gegnern und MAS-Befürwortern der Dialog fast unmöglich scheint.

Nach dem Rücktritt von Áñez ringen noch sieben Kandidaten um die Präsidentschaft, von denen aber nur Luis Arce, Carlos Mesa und Fernando Camacho Chancen auf eine relevante Anzahl von Sitzen im Kongress haben. Die wichtigsten und meistdiskutierten Themen sind die Krise des Gesundheitssektors, die Ankurbelung der Wirtschaft, die Waldbrände in den tropischen Gebieten, die Krise der Justiz und die Bekämpfung der Korruption. Die drei wichtigsten politischen Gruppierungen positionierten sich wie folgt:

Luis Arce, MAS:

Der MAS verfolgt die Strategie, mit einem vordergründig moderaten Programm die urbanen Mittelschichten anzusprechen. Das Kalkül geht dahin, dass die indigenen Gruppen des Hochlands ohnehin MAS wählen werden. Luis Arce ist ein dazu passender moderater „weißer“ Kandidat. Teil des Programms sind unter anderem der Aufbau eines „Interkulturellen Gesundheitsprogramms für Familie und die Gemeinschaft“ (SAFCI) und die Stärkung eines universellen und kostenlosen Gesundheitssystems. Nach den Exzessen der Morales-Jahre verschreibt sich der MAS nun öffentlich dem Prinzip „Nulltoleranz gegenüber Korruption“ und verspricht die Stärkung des Rechtsstaats und der Polizei sowie mehr Transparenz des Staates. Das Wirtschaftskonzept des MAS basiert auf der Stimulierung der Nachfrage durch Boni.

Carlos Mesa, Comunidad Cuidadana (CC):

Ex-Präsident Mesa (2003-2005) präsentiert sich als moderater Kandidat der Mitte. Er fordert mehr Investitionen im Gesundheitssektor, plädiert für die Diversifizierung der Wirtschaft und für die Stärkung des Dienstleistungssektors. Priorität hat für ihn der Aufbau einer nationalen Lithiumindustrie und die Bekämpfung von Korruption und Drogenkriminalität. Seit seiner Präsidentschaft Anfang des Jahrtausends hat Mesa einen Linksruck vollzogen und hat Analysten zufolge das progressivste Programm (er ist der einzige Kandidat, der die gleichgeschlechtliche Ehe,, medizinische Schwangerschaftsabbrüche und die Legalisierung von Marihuana befürwortet). Zweifellos ist Mesa der Kandidat, der das heterogene Anti-MAS-Lager, das letztes Jahr durch wochenlange Proteste gegen den Wahlbetrug die Regierung Morales zu Fall brachte, am ehesten ansprechen kann.

Luis Fernando Camacho, Bündnis „Creemos“:

Camacho, der öffentlich vor allem durch seine rhetorische Schärfe, seinen evangelikal geprägten Diskurs und seine Ablehnung der „alten“ Politiker auffällt, plädiert für die Reform des politischen Systems mit einem Fokus auf der Dezentralisierung, beispielsweise in den Bereichen Bildung und Gesundheit. Das Bündnis Creemos, das aus Bürgervereinigungen in Santa Cruz und Potosí entstanden ist, fordert die Abschaffung der Wiederwahl des Präsidenten. Um die Wirtschaft anzukurbeln, sollen das Unternehmertum, öffentlich-private Kooperationen und Privatinvestitionen gestärkt und Zölle und administrative Hürden reduziert werden. Camacho spricht sich für den Beitritt zum Mercosur aus.

Der wichtigste Unterschied zwischen den Kandidaten und großer Konfliktpunkt sind die verschiedenen Narrative rund um die von schweren Unregelmäßigkeiten und Manipulationen überschatteten Präsidentschaftswahlen 2019. Sowohl Mesa als auch Camacho sprechen von Wahlbetrug. Aus diesem Grund fordern beide, insbesondere Camacho, dass der MAS und Evo Morales sich vor Gericht dafür verantworten müsse. Arce und seine Anhänger beharren auf dem Narrativ eines angeblichen Putsches und dementieren einen Wahlbetrug, der ihrer Version zufolge eine Strategie zur Machtübernahme der Rechten, des Militärs und neoliberaler Kräfte war.

In den letzten Monaten war darüber hinaus immer wieder die Rede von „Hetzkampagnen“. Dieser Vorwurf kam einerseits vom MAS, welcher der Interimsregierung von Áñez vorwirft, Morales böswillig juristisch zu verfolgen. Beispiele hierfür seien die Anklagen von Ex-Präsident Morales wegen einer mutmaßlichen Affäre mit einer Minderjährigen und die Kontaktaufnahme mit dem Internationalem Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.  Auf der anderen Seite veröffentlichte die MAS-nahe Ombudsfrau (Defensoría del pueblo) Mitte September einen Bericht über die politische Krise des letzten Jahres, in dem die Regierung Áñez ihrerseits für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich gemacht wird.

Die gegenseitigen Anschuldigungen wurden in einem von Human Rights Watch verfassten Bericht mit dem Titel „Gerechtigkeit als Waffe: Politische Verfolgung in Bolivien“, aufgegriffen, worin der Autor eine umfassenden Justizreform fordert.[iii]

Saubere Wahlen am 18. Oktober?

Nachdem das Oberste Wahlorgan (OEP) während der Legislaturperiode des MAS instrumentalisiert wurde und deshalb keine unabhängige Instanz darstellte, änderte sich dies nach der Annullierung der Wahlen von 2019. Dank einer Neuzusammensetzung des OEP nach dem Rücktritt von Evo Morales stellte sich das Wahlorgan als wichtiger Akteur und Vermittler während der Übergangszeit heraus. Der jetzige Wahltermin wurde am 23. Juli aufgrund des im September zu erwartenden Höhepunkts der Epidemie verkündet. Ein möglicher zweiter Wahlgang soll am 29. November stattfinden.  Nichtsdestotrotz äußern mehrere Parteien, allen voran der MAS, immer wieder ihr Misstrauen gegenüber dem Wahlorgan.  Phrasen von Nichtanerkennung von Ergebnissen finden sich in den Äußerungen Arces und Camachos, einzig Carlos Mesa beteiligte sich nicht an der öffentlichen Demontage einer der wenigen unparteiischen und funktionierenden Institutionen des Landes. Der im August von militanten, dem MAS nahestehenden Gruppen unternommene Versuch, das OEP durch landesweite Blockaden selbst lebenswichtiger Güter zu einem früheren Wahltermin zu erpressen, scheiterte krachend und endete mit einem schweren Imageverlust für den MAS.

Um die Transparenz der Wahlen zu garantieren und einen erneuten Wahlbetrug zu verhindern, haben im Vorfeld mehrere internationale und nationale Organisationen ihre Teilnahme an der Wahlbeobachtung bestätigt. Trotz der Ablehnung des MAS wird die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) im zweiten Jahr in Folge eine Wahlbeobachtungsmission von mehr als 30 Experten einsetzen, geleitet vom ehemaligen Außenminister Costa Ricas, Manuel González Saénz. Zudem wird die EU mit einer Expertenkommission von etwa 5-6 Personen vor Ort präsent sein. Weitere internationale Organisationen wie der Union of Electoral Bodies of America, das Carter Center und internationale Diplomaten werden die Wahl vor Ort beobachten.

Darüber hinaus wird die Initiative „Observa Bolivia“ etwa 2.500 freiwillige Beobachter in 428 Wahlbezirken und 1.173 Wahllokalen einsetzen. Die Beobachter verpflichten sich zu politischer Neutralität und werden anhand eines Leitfadens für Wahlbeobachtung, in Übereinstimmung mit dem Handbuch für Wahlbeobachtung der Europäischen Union ausgebildet.

Die Sorge um eine geringe Wahlbeteiligung aufgrund der Pandemie ist nicht vollständig ausgeräumt, weshalb lokale NGOs in Zusammenarbeit mit der KAS Bolivien und unter Beteiligung vieler Influencer eine Social-Media-Kampagne zur Erhöhung der Wahlbeteiligung initiiert haben. Erste Eindrücke deuten darauf hin, dass die ausgelosten freiwilligen Wahlhelfer ihrer Bürgerpflicht trotz Corona-Bedenken weit überwiegend nachkommen wollen. Der viel beachtete Analyst Franklin Pareja betonte, Bolivien wolle sich nicht durch gewaltbereite  Gruppen oder die Pandemie sein „Fest der Demokratie“ nehmen lassen.

 Wahl-Szenarien

Mehrere Ausgänge sind für die erste Runde der Generalwahlen am 18. Oktober unter den gegebenen Umständen und Umfragedaten denkbar:

 Wahlsieg Mesas in der ersten Runde

Der nach heutiger Perspektive am wenigsten wahrscheinlichste Ausgang ist ein Wahlsieg Carlos Mesas in der ersten Runde. In diesem Fall würde es höchstwahrscheinlich zu einem knappen Ergebnis und Anfechtungen des Wahlergebnisses durch den MAS und gewalttätige Proteste kommen, wie dies im Vorfeld schon mehrfach angekündigt wurde.[iv]

Wahlsieg Arces in der ersten Runde
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Eine zweite, etwas wahrscheinlichere Möglichkeit ist der Wahlsieg Arces in der ersten Wahlrunde. Der MAS erwartet und hofft aktuell auf „versteckte Stimmen“, die aus Scham oder Angst nicht in Umfragen zum Ausdruck gebracht werden.

Ein Wahlsieg Arces würde das Land in eine tiefe Krise stürzen, da dieser bereits die Rückkehr von Morales im Falle seines Wahlsiegs (und in Missachtung der Gewaltenteilung) den Abbruch sämtlicher gegen Morales laufenden Verfahren angekündigt hat. Die Bürgerproteste des letzten Jahres würden in diesem Falle erneut aufflammen und zu einer Konfrontation mit den MAS-nahen Sektoren führen. Der Wahlsieg des MAS würde vermutlich knapp ausfallen und angefochten werden. Arce beteuert, sein Kabinett würde neu besetzt werden und Morales darin keine Rolle spielen. Eine friedliche Rückkehr von Morales – egal in welcher Position – ist nach den Ereignissen von 2019 jedoch für viele Bolivianer vollkommen undenkbar.

Zweiter Wahlgang am 29. November

Das wahrscheinlichste Szenario ist ein zweiter Wahlgang mit einer Stichwahl zwischen Arce und Mesa. Bei dieser würde Mesa das strategische Abstimmungsverhalten der MAS-Gegner zugutekommen und einen Wahlsieg begünstigen.

In jedem der drei oben beschriebenen Fälle ist nach dem Rückzug von „Juntos“ ein heterogenerer Kongress mit den drei Kräften MAS, CC und Creemos zu erwarten. Im Falle eines Zweitrundensiegs Arces ist erneut mit schweren Unruhen aus den oben geschilderten Gründen zu rechnen. Obendrein würde Arce ein Partner in der Legislative fehlen. Weder CC noch Creemos sind zur Zusammenarbeit mit dem MAS bereit. Der wahrscheinlichere Fall eines Sieges von Mesa würde zwangsläufig zu einer engen Zusammenarbeit mit Creemos in Parlament und Senat führen, um entsprechende Mehrheiten bilden zu können.

Ausblick

Trotz einer chaotischen Vorgeschichte im Zeichen der Pandemie und unerbittlicher politischer Polarisierung erscheinen die Wahlen 2020 in Bolivien zumindest auf der Zielgeraden in einem etwas helleren Licht. Am vergangen Wochenende hatten die Bolivianer zum ersten Mal nach 18 Jahren wieder die Möglichkeit, zwei TV-Debatten in Anwesenheit aller Kandidaten zu sehen, auch wenn sich MAS-Kandidat Arce der Teilnahme an der größeren und professionelleren der beiden Debatten verweigerte. Damit wurde wenige Tage vor den Wahlen erstmals über Inhalte statt über Personalfragen und Schuldzuweisungen gesprochen.

Die Chance zu einem friedlichen Machtwechsel ist gegeben, weil eine Mehrheit der Bolivianer – selbst im moderaten Lager des MAS – keine Rückkehr zu den Zuständen von 2019 oder vom August 2020 wünscht. Im Vergleich zu 2019 ist der Wahlprozess, vor allem durch das Wirken des erneuerten OEP, weitaus glaubwürdiger. Auch kann der MAS nach dem Fehlschlag der „militanten Option“ im August nicht ohne massiven politischen Schaden erneut zu diesem Mittel greifen. Dennoch hätte ein möglicher Wahlsieg des MAS – sei es in der ersten oder zweiten Runde – unabsehbare Folgen und würde mit hoher Wahrscheinlichkeit zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen.

Sollten die Wahlen eine stabile Regierung unter friedlichen Vorzeichen hervorbringen, stehen dem nächsten Präsidenten schwere Zeiten bevor. Nicht nur im wirtschaftlich-sozialen Bereich steht das Land vor enormen Zukunftsaufgaben, auch die Vertiefung gesellschaftlicher Spaltungen und das Aufflammen rassistischer und regionalistischer Vorurteile wird die nächste Regierung vor große Herausforderungen stellen. Die neutrale Aufarbeitung der Geschehnisse rund um die Wahl 2019 wird in jedem Fall eine zentrale Bedingung für die langfristige Normalisierung der politischen Lage Boliviens sein.

 

[i] Alle vom bolivianischen Wahlorgan OEP zugelassenen Umfragen werden von der von KAS Bolivien initiierten Website „EncuestasEleccionesBolivia” dokumentiert. Online unter: http://www.encuestaseleccionesbolivia.bo/ 

[ii] Als Grund nannte er den Plan der Präsidentin, die im Jahr 2010 vorgenommene Teilverstaatlichung des Energieversorgers Elfec rückgängig zu machen. „Boliviens Übergangspräsidentin wechselt drei Wochen vor den Wahlen Minister aus“, in: NZZ, 29.09.2020, online unter: https://www.nzz.ch/international/boliviens-uebergangspraesidentin-wechselt-drei-wochen-vor-den-wahlen-minister-aus-ld.1579032

[iii] „Justice as a Weapon. Political Persecution in Bolivia”, online unter: https://www.hrw.org/report/2020/09/11/justice-weapon/political-persecution-bolivia

[iv] „Arce: Si el señor Mesa gana las elecciones, la única posibilidad es con fraude”, in: Los Tiempos, 20.09.2020, online unter: https://www.lostiempos.com/actualidad/pais/20200920/arce-si-senor-mesa-gana-elecciones-unica-posibilidad-es-fraude

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