Notas de acontecimientos
Im Rahmen der nunmehr 22. Verfassungsrechtsdebatte des
Rechtsstaatsprogramms Lateinamerika, gemeinsam ausgetragen mit dem
Mexikanischen Institut für Verfassungsprozessrecht (Dr. Eduardo Ferrer
MacGregor, jüngst zum Richter des Interamerikanischen Gerichtshof für
Menschenrechte gewählt), haben am vergangenen Dienstag, den 16. Oktober,
Dr. Marcos del Rosario und Dr. Daniel Márquez mit den Teilnehmern über die
jüngste politische Reform der Verfassung in Mexiko debattiert. Mit der
Verfassungsänderung vom 9. August hat der Verfassungsgeber insbesondere
die Möglichkeit von Gesetzesinitiativen aus dem Volk und Referenda
vorgesehen, (partei-)unabhängige Kandidaturen zugelassen, die Regelungen
für die Stellvertretung des Präsidenten der Republik überarbeitet und eine
neue Form der Zusammenarbeit zwischen Präsident und Legislative im
Gesetzgebungsverfahren eingeführt. Außerdem wurden einige Zuständigkeiten
des Obersten Gerichtshofs der Nation neu geregelt.
Die Experten waren sich einig, dass mit der Reform wichtige Aspekte des
politischen Systems des Landes angegangen worden sind, allerdings andere,
seit langem anhängige Justierungen der Verfassung ausgelassen wurden (etwa
die Möglichkeit der konsekutiven Wiederwahl von Abgeordneten oder die
Reduzierung ihrer Anzahl auf Bundesebene). Die Teilnehmer debattierten
eingehend zu der Frage, welche praktischen Konsequenzen die Reform haben
würde. Dr. Márquez bezweifelte insofern den wirklichen Reformwillen des
Gesetz- bzw- Verfassungsgebers und verglich die mexikanischen
Institutionen in ihrer Fähigkeit zur Vorspiegelung von Handlungsfähigkeit
mit einem Chamäleon.
Reformunwillen lässt sich dem mexikanischen Verfassungsgeber nominal nicht
vorwerfen. Dr. Ferrer rechnete eindrücklich vor, dass in den letzten
Jahren die Verfassung der Republik im Durchschnitt alle zwei Wochen
reformiert wurde. Prof. Dr. Stefan Jost, neuer Vertreter der KAS in
Mexiko, gab angesichts dessen zu bedenken, dass bei einem derartigen
Reformrhythmus vor allem Rechtsunsicherheit, nicht aber Rechtswirklichkeit
geschaffen werde.
Dies führte zu einer eingehenden Diskussion über die Gestaltungskraft des
Verfassungstextes. Dr. Steiner stellte die These auf, die
Reformbereitschaft des Gesetzgebers sei proportional zum Grad der
Nichtbeachtung von Normen: Je klarer dem Gesetzgeber sei, dass Normen nur
nach Opportunitätskriterien befolgt würden, desto sorgloser würden diese
erlassen und verändert. Solange die Spielregeln lediglich auf dem Papier
stünden, im entscheidenden momentan aber keine praktische Geltung
erlangten, sei die Arbeit des Gesetzgebers nicht gestaltender, sondern
lediglich deklarativer Natur. Statt kontinuierlich zu reformieren, solle
der Staat zunächst einmal für die Effektivität des geltenden Rechts
sorgen. Hierauf würden die verantwortlichen Akteure in Staaten mit
demokratischen und rechtsstaatlichen Defiziten nicht genügend Kraft
aufwenden. Die Verfassungsreform im Bereich des Menschenrechtsschutzes vom
Juli 2011 könnte in dieser Hinsicht eine Ausnahme darstellen, wenn die
Dynamik, mit der entscheidende Akteure ihre Umsetzung vorantrieben, allen
voran die Präsidentschaft des Obersten Gerichts Mexikos, die
Bundesrichterschule, aber auch Forschung, Lehre, Zivilgesellschaft und
einige Ombudsleute, beibehalten werde. Die Gerichtsbarkeit könne hier,
ähnlich wie in anderen Staaten, etwa Kolumbien und Costa Rica, einen
entscheidenden Beitrag zur Transformation der Verfassungs- und politischen
Kultur beitragen, um die historische Staatslastigkeit des
Staat-Bürgerverhältnisses in Ausgleich zu bringen.
Einigkeit bestand weitgehend auch bei der Beantwortung der Frage, ob
zuerst das Ei (Demokratie) oder das Huhn (demokratische Institutionen)
komme: Die Konsolidierung der Demokratie sei ohne Demokraten nicht
möglich; überzeugte Demokraten seien umgekehrt aber auch nicht ohne
demokratisch agierende Institutionen heranzubilden. Prof. Dr. Jost verwies
in diesem Zusammenhang auf die Erfahrungen der deutschen Geschichte. Die
Weimarer Republik habe über eine vorbildliche Verfassung verfügt, sei aber
trotzdem katastrophal gescheitert, weil es an den Demokraten gefehlt habe,
um dem exemplarischen Verfassungstext mit dem erforderlichen
demokratischen Geist praktische Wirksamkeit zu verleihen. Die
Mission "Demokratie" der Konrad-Adenauer-Stiftung sei gerade aus dieser
Erkenntnis erwachsen.
Das Rechtsstaatsprogramm der KAS organisiert seit mehreren Jahren
regelmäßig Verfassungsrechtsdebatten zu aktuellen Themen der mexikanischen
Rechtspolitik. An den Diskussionsveranstaltungen nehmen, je nach Thema,
Juristen (insb. Richter, Anwälte, Verwaltungsjuristen, NRO-Angehörige,
Akademiker, wiss. Mitarbeiter an oberen Gerichten) und Rechtspolitiker
teil. Üblicherweise werden hierfür zwei Redner geladen, die zum jeweiligen
Thema konträre Standpunkte vertreten. Nach kurzen Impulsreferaten
diskutieren die Teilnehmer mit den Experten die aufgeworfenen Fragen.