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Présentations & compte-rendus

„Der diskrete Charme der Diktatur. Gefährdungen von Demokratie gestern und heute“

11. Geschichtsmesse der Bundesstiftung Aufarbeitung in Suhl

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Geschichtsmesse Bundesstiftung Aufarbeitung

In diesem Jahr nahmen über 300 Personen an der Geschichtsmesse der Bundesstiftung Aufarbeitung im thüringischen Suhl teil, deutlich mehr als in 2017. Das war nicht zuletzt auf das spannende Thema „Der diskrete Charme der Diktatur. Gefährdungen von Demokratie gestern und heute“ zurückzuführen. Vertreten waren u.a. Außenstellen des Beauftragten für die Stasi-Unterlagen, Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur, Landeszentralen für politische Bildung, Gedenkstätten und Stiftungen, Schulen sowie Vereinen und Initiativen.

 

Auftakt

Die Geschäftsführerin der Bundesstiftung Aufarbeitung, Dr. Anna Kaminsky, stellte in ihrer Begrüßung fest, die Demokratie sei in Deutschland zwar nicht gefährdet, allerdings gebe es einen „Stresstest für Konsens“. Viele Menschen fühlten sich nicht repräsentiert, die gesellschaftliche Polarisierung, ausgedrückt in der Haltung „mit dem rede ich nicht“, nehme zu. In mehreren Umfragen – auch in Europa – hätte sich eine Mehrheit der Befragten vorstellen können, nicht in einer Demokratie zu leben, solange denn die soziale Sicherheit gewährleistet sei. Linke Diktaturen würden immer noch milder bewertet, ein Beispiel sei etwa die unterschiedliche Wahrnehmung des Jahres 1968 in Ost- und Westeuropa. Das Ziel der diesjährigen Geschichtsmesse sei deshalb, eine Plattform für Debatte und Disput um diese Fragen zu bieten.

Wie im vergangenen Jahr sorgte der parteilose Suhler Oberbürgermeister Dr. Jens Triebel, der aktuell um seine Wiederwahl im April und eine dritte Amtszeit kämpft, mit seinem Grußwort für einen starken Auftakt: Die Demokratie sei durch die Deutschen selbst gefährdet, denn den Menschen gehe es vor allem um Wohlstand, das stehe deutlich an erster Stelle. Und die Angst vor einer künftigen Beschränkung des Wohlstandes lege den Keim für eine Gefährdung der Demokratie. Demokratische Grundprinzipien spielten eine immer geringere Rolle. Die breite, humanistische Bildung der Deutschen sei bedroht, die Sozialen Netzwerke bezeichnete er in diesem Zusammenhang als „Asoziale Netzwerke“ und nannte etwa die Gefahren durch falsche Profile/Accounts und die wachsende Verrohung der Kommunikation.

 

Diktaturtheorie

Der Auftaktredner Professor Dr. Jörg Baberowski von der Humboldt-Universität Berlin bot in seinem Vortrag eine inspirierende Diktaturtheorie. Diktaturen fallen nicht vom Himmel, sie setzen sich durch, so Professor Baberowski. Und der Preis dafür sei hoch, wie er am Beispiel der Sowjetunion verdeutlichte.

Im Zeitalter der Aufklärung avancierte der Mensch zum Maßstab der Dinge, der absolutistische Herrscher und Gott (Religion) verloren ihre prägende Kraft. Hinter diese „Entzauberung der Welt“ (Max Weber) könnten die Menschen nicht zurück, Instanzen, die Autorität ausstrahlten, seien dadurch verloren gegangen und würden heute nicht zuletzt in Diktaturen gesucht. Lenin und Stalin setzten auf die Bindung der Gefolgschaft durch Verbreitung von Furcht, ebenso auf die Paralysierung potentieller Gegner durch Anwendung exzessiver Gewalt. Der Terror wurde nicht zuletzt im Wege „sporadischer“, willkürlicher Gewaltausübung etabliert. Für Diktaturen sei der Kampf gegen den inneren Feind zentral, deshalb biete der Ausnahmezustand die Gelegenheit zur Ausübung von Gewalt. Aus einem solchen System resultiere schließlich die freiwillige Unterwerfung der Menschen, die nun an ihrer eigenen Vernichtung mittun. Die diktatorische Macht, die im Sinne Carl Schmidts auch als „kommissarische Diktatur“ bezeichnet werden könne, verwandele sich sukzessive in diktatorische Herrschaft. Der Terror Stalins bereitete Verschwörungstheorien und Paranoia jedweder Art das Feld, keiner der Unterdrückten erwartete noch „Wahrheit“.

Abschließend kam Jörg Baberowski auf die „verführerischen Seiten“ von Diktaturen zu sprechen. Diktaturen träfen Entscheidungen für die Menschen, die somit von dieser, oft als Last empfundenen, Aufgabe befreit würden. Sie brächten zunächst Ordnung in chaotische Situation und stabilisierten in vielen Fällen die politische und gesellschaftliche Lage. Sie könnten klare Lösungen rasch durchsetzen und seien nicht, wie die Demokratie, auf die schwierige Suche nach Kompromissen angewiesen. Wem das nun aber positiv erscheine, so Baberwoski, der solle die gravierenden Konsequenzen nicht übersehen, die mit der Diktatur heraufzögen.

 

Aus der Geschichte gelernt?

Es folgte ein spannend besetztes Podium, das über die Frage „Der diskrete Charme der Diktatur? Über die Schwierigkeiten, aus der Geschichte zu lernen“ diskutierte und damit eine in den vergangenen Jahren auf der Geschichtsmesse immer wieder thematisierte Frage aufgriff.

Prof. Dr. Jörg Ganzenmüller von der Stiftung Ettersberg sieht die Gemeinsamkeiten aller Rechtspopulisten in ihrem Bezug auf „das Volk“, dessen Interessen durch die Politiker angeblich nicht berücksichtigt würden. Der Nationalismus sei in Osteuropa aus historischen Gründen heute von anderer Qualität als im Westen. Dr. Eva-Clarita Pettai vom Imre Kertész Kolleg Jena erklärte, dass die Situation in den baltischen Staaten durch eine verbreitete Bedrohungsangst der Bürger vor aggressiver russischer Politik geprägt sei. Und nicht nur der ungarische Präsident mache das Angebot, das „Chaos der liberalen Demokratie“ einzudämmen und „Grenzen zu ziehen“. Kristian Brakel, Leiter des Istanbuler Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, erläuterte, dass Nationalismus schon die Gründung der Türkei begleitete und der Traum vom Osmanischen Reich unter dem neuen Präsidenten eine große Rolle spiele. Prof. Dr. Birgit Aschmann von der Humboldt-Universität Berlin sieht ganz Europa vor der Herausforderung, den Pluralismus gegen einfache Lösungen zu verteidigen. In späteren Zeiten werde unsere Epoche als Zensur empfunden werden. Jedes Land in Europa sei durch eigene Traumata geprägt, eine gemeinsame europäische Erzählung sei zwar wünschenswert, derzeit aber kaum realistisch. Jörg Ganzenmüller ergänzte, ein europäisches Gedächtnis sei nicht vorstellbar, viel zu unterschiedlich seien dafür die Nationen Europas. Wichtig sei jedoch, die Geschichte des Nachbarn zu kennen und zu verstehen.

 

Pegida … ungefiltert

Nach dem Abendessen folgte die Vorführung de Filmes „Montags in Dresden“ der Dokumentarfilmerin Sabine Michel, die selbst in Dresden aufwuchs. Sie stand im Anschluss für ein Gespräch zur Verfügung und beantwortete Fragen des Publikums. In ihrem Film begleitet sie drei sehr unterschiedliche Pegida-Anhänger, u.a. eine alleinerziehende Arbeitslose und einen die Bedeutung des Christentums betonenden Unternehmer. Ausführlich kommen ihre Protagonisten zu Wort, die kaum durch kritische Nachfragen unterbrochen werden. Manchem mag dieses Vorgehen der Filmemacherin zu wenig Distanz zu den politischen Zielen Pegidas ausdrücken, jedoch liegt gerade in der so erreichten Authentizität die beeindruckende Kraft des Filmes. Im anschließenden Gespräch wurde denn auch angesprochen, dass so ein Film den Raum für die Forderung öffnet, die auf der Messe von vielen auf den Podien erhoben wurde - miteinander in ein Gespräch zu kommen und dies nicht per se zu verweigern. Das sorgte durchaus für Kontroversen. Die Teilnehmer der Messe setzten die Diskussion im Anschluss untereinander fort.

 

Beutelsbacher Konsens – Revitalisierung nötig?

Der Beutelsbacher Konsens von 1976 sei nur ein „Tagungsbericht“, der nie Anerkennung als offizielle Grundlage politischer Bildungsarbeit gefunden habe. Mit dieser einführenden Feststellung überraschte Professor Dr. Alfons Kenkmann von der Universität Leipzig manchen Teilnehmer. Die gleichwohl große Bedeutung der Tagung in Beutelsbach – gerade vor dem Hintergrund polarisierender Debatten in der Gegenwart – betonten aber alle Podiumsteilnehmer. Kathrin Semechin vom sächsischen Geschichtslehrerverband berichtete aus eigener Erfahrung, dass nach der Deutschen Einheit 1990 die ehemaligen Geschichtslehrer der DDR weiter an den Schulen blieben. Viele junge Lehrer hätten sich jedoch die Prinzipien des Konsenses angeeignet. Wichtig sei die schülerorientierte Arbeit, also Inhalte mit den Interessen der Schüler zu verknüpfen. Dr. Alexander Jehn von der hessischen Landeszentrale für politische Bildung forderte den Mut, Kontroversen im Unterricht anzusprechen und zu diskutieren. Eine „Streitkultur“ sei nötig. Der Besuch von Gedenkstätten immunisiere Schüler keineswegs angesichts der aktuellen Herausforderung, vor denen die Demokratie stehe. In manchen Städten hätten mehr als 50% der Neugeborenen einen Migrationshintergrund – was bedeute das für die Bildungsarbeit, und was bedeuten Gedenkstätten diesen Jugendlichen? Professor Kenkmann kritisierte das aktuelle genutzte Material, mit dem Flüchtlingen deutsche Geschichte vermittelt wird und fragte: „Wieso sollten sie eine Verantwortung für deutsche Geschichte empfinden?“ Genau das sei der Grund, so Alexander Jehn, weshalb die Deutschen dringend eine Debatte über ihr Selbstbild benötigten. Zudem müsse das Verständnis dafür stärker geweckt werden, wie wichtig Parteien für die funktionierende Demokratie seien. Diese Erkenntnis gehe sonst verloren.

 

Projektpräsentationen

Am zweiten Tag der Messe folgten in zwei Zeitblöcken 54 parallele Projektpräsentationen. Die übergeordneten Themenfelder waren:

- „Demokratiebildung und historische Aufarbeitung“,

- „Das Erbe des Kommunismus in der Bildungsarbeit“,

- „Interkulturelles historisches Lernen“,

- „Lernen am historischen Ort“,

- „Friedliche Revolution und deutsche Einheit“,

- „Zeitzeugen in der Bildungsarbeit“,

- „Anpassung, Opposition und Repression in der SBZ und DDR“,

- „Teilung und Grenze“,

- „Internationale Aufarbeitung von Diktaturen und Krieg“,

- „Bildung in der Diktatur“.

Auch der zweite Abendvortrag sorgte für intensive Debatten unter den Teilnehmern. Der Jurist, Journalist und Gründer von verfassungsblog.de Maximilian Steinbeis sprach über das Thema „Wie wehrhaft ist unsere Demokratie?“ In seinem Vortrag präsentierte er eine Analyse der Rolle von Verfassungsgerichten in Europa und jüngster Beschränkungen für diese Gerichte etwa in Polen und Ungarn. Auf großes Interesse stieß seine Theorie einer weichen, kaum spürbaren Entmachtung von Verfassungsgerichten, die auch in Deutschland im Wege einer Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes durch den Deutschen Bundestag denkbar wäre.

 

Demokratie in Gefahr?

Im ersten Podium am Samstag knüpfte der Moderator Marcus Kiesel (diepolitiksprecher.de) an das Grußwort des Oberbürgermeisters an und fragte ihn, inwiefern unsere demokratischen Grundprinzipien denn eigentlich gefährdet seien. Jens Triebel verwies als Beispiel auf die Entfernung eines angeblich sexistischen Gedichtes von der Fassade der Alice Salomon Hochschule in Berlin. Wenn Menschen überlegten, wo sie mit einer Äußerung anecken könnten, seien wir „wieder da, wo die DDR am Ende ihres Bestehens gewesen“ sei. Es gebe inzwischen viele Menschen, die nur hinter vorgehaltener Hand offen sprächen, das erlebe er selbst. Er schilderte dann eine städtebauliche Debatte in Suhl, um die Rolle der Medien zu verdeutlichen. Wer „Wahrheiten transportiere“, der werde „von den Medien gesteinigt“. Blind setzten wir uns heute der Überwachung durch Online-Dienste und Soziale Netzwerke aus, dabei handele es sich um leicht manipulierbare Systeme. Die allseits gelobte Bürgerbeteiligung sei wichtig, jedoch keineswegs in allen Bereichen sinnvoll, nicht etwa bei der Aufstellung eines Finanzhaushaltes.

Klagen ehemaliger DDR-Bürger, ihnen gehe es schlecht, verwundern ihn. Denn die Folgen des Industriesterbens nach der Wiedervereinigung konnten für die ehemaligen DDR-Bürger abgefedert werden; selbst Hartz IV-Empfänger lebten heute besser als der durchschnittliche DDR-Bürger. Dies gelte aber nicht für andere osteuropäische Länder, die unter der Wucht des Wandels noch heute leiden. Der „Verordnungswahn“ der Europäischen Union münde in ihrer Ablehnung durch die Bürger. Viele hätten das Gefühl, „Europa legt uns lahm“, und dann reiche es nicht, auf die europäische Geschichte oder gemeinsame Werte zu verweisen. Wolle man Europa stärken, müsse es stärker „regional gedacht“ werden. Dr. Michaela Selling vom Amt für Kultur der Hansestadt Rostock widersprach der in den Medien verbreiteten These vom „Rechtsruck“. Es gehe vielmehr darum, dass sich viele Menschen nicht gehört und ausgeschlossen fühlten. Deshalb seien Streit und Debatte dringend erforderlich. Sie berichtete über die Probleme bei der Erinnerung an die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen 1992 und machte zudem deutlich, dass die damalige Stadtverwaltung einen großen Teil der Schuld an den Vorgängen trage, da die katastrophalen Zustände bei der Versorgung der Flüchtlinge damals erst zu dem Unmut der Menschen geführt hätten. Tobias Dollase, Stadtrat für Jugend, Familie und Sport in Berlin-Reinickendorf, berichtete über eine konstruktive und sachorientierte Zusammenarbeit aller Fraktionen bei der Verabschiedung des Haushalts des Bezirkes. Dies sei in der Demokratie wesentlich, der Streit müsse sich einzig darum drehen, was das Beste für das Gemeinwohl sei.

 

Jubiläumsjahr 2019

Das die Messe beschließende Podium warf einen Blick voraus auf das Jubiläumsjahr 2019. Kira Lange vom Europäischen Jugendparlament berichtete, dass 2019 die Grundrechte, Demokratie und Wahlen im Zentrum ihrer Arbeit stünden, im Jahr 2018 beschäftige man sich mit den Themen „Europa in der Welt“, Klimapolitik und Entwicklungshilfe. Auf dem Podium wurde festgestellt, dass auch die erste Osterweiterung der Europäischen Union 2004 dann bereits 25 Jahre vergangen sei. Iris Gleicke, Beauftragte der Bundesregierung für die Neuen Länder, wird 2019 eine Bilanz der Entwicklung der ostdeutschen Länder präsentieren. Angesichts von erstarkendem Nationalismus sei 2019 zudem geeignet, einen Blick auf die deutsche Geschichte insgesamt, angefangen mit der Weimarer Republik 1919, zu werfen. Markus Meckel, Ratsvorsitzender der Bundesstiftung Aufarbeitung, wies darauf hin, das bereits 2018 mit dem Ende des Ersten Weltkrieges an ein wichtiges Jubiläum erinnert werde. Der Erste Weltkrieg habe das Jahrhundert wesentlich geprägt, nicht zuletzt durch das Auftreten der USA in Europa und die Schaffung erster internationaler Organisationen (Völkerbund). In vielen europäischen Ländern, etwa in Frankreich, werde am 11. November vor allem an den Ersten Weltkrieg erinnert. In Polen sei dies zudem der Tag der Unabhängigkeit. Die Bundesstiftung werde die großen Linien in den Blick nehmen. Zudem sei die Rolle der DDR-Bürger für die Deutsche Einheit stärker zu berücksichtigen, Helmut Kohls Beitrag werde überschätzt, da dieser vor allem auf di

e Ereignisse reagiert habe. Iris Gleicke beklagte in diesem Zusammenhang die falsche Auffassung vieler ehemaliger DDR-Bürger vom „Anschluss“, vielmehr habe die Volkskammer der DDR darüber selbst entschieden. Abschließend betonte sie in Bezugnahme auf ihren Bericht aus dem Jahr 2014: „Die allermeisten Menschen in der DDR haben versucht, ein anständiges Leben zu führen.“

Eine treffende Feststellung, die zeigt, dass Diktaturen sich trotz der „allermeisten Anständigen“ etablieren und halten können. Das war auch im Dritten Reich nicht anders, und diese Erkenntnis bietet Anlass, über die Gefährdung der Demokratie im 21. Jahrhundert nachzudenken.

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