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Présentations & compte-rendus

Der Brexit und die Folgen für den Friedensprozess in Nordirland

de Christopher Altstädt
Veranstaltungsbericht zum Online-Seminar vom 28.01.2021 über den Nordirlandkonflikt, den Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union und die Folgen für den Frieden auf der irischen Insel.

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Bild Wall Belfast (1)
Eine der noch bestehenden Friedensmauern (Peace Walls) im Nordirischen Belfast.
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Vor 100 Jahren erfolgte die Teilung Irlands, doch erst vor knapp 23 Jahren gelang es mit dem Karfreitagsabkommen den jahrzehntelang andauernden blutigen Unruhen weitestgehend ein Ende zu bereiten. Mit dem Brexit wuchs die Sorge vor einem Wiedererstarken der gewaltsamen Konflikte in Nordirland, welches mehrheitlich gegen den Brexit votierte. Darüber sprachen wir in einem Online-Seminar mit dem Abgeordneten des Unterhauses der Republik Irland Neale Richmond von der Partei Fine Gael, der nordirischen Professorin an der Queens University in Belfast und Expertin für den Nordirlandkonflikt und den Brexit Katy Hayward sowie Matthias Barner, dem Leiter des Auslandbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung im Vereinigten Königreich.

Zu Beginn der Veranstaltung umriss Matthias Barner einige kurze Einschätzungen zu den Brexit-Verhandlungen und dem Deal. So habe die Regierung von Boris Johnson es entgegen aller Widerstände geschafft, den Brexit wie im Referendum von 2016 bestimmt durchzusetzen, woran seine Vorgängerin gescheitert war. Gleichwohl habe die EU in den Brexit-Verhandlungen bewiesen, dass sie geschlossen auftreten und ihre Interessen klar durchsetzen könne. Der Brexit selbst sei damit formal vollzogen, obgleich viele Aspekte der Beziehung zwischen der EU und dem Vereinigten Königreichs nach wie vor zukünftiger Klärung bedürfen. Darüber hinaus sei, vor dem Hintergrund der anstehenden schottischen Parlamentswahl und der aktuellen Popularität der schottischen Nationalpartei, ein mögliches neues Unabhängigkeitsreferendum nicht mehr auszuschließen und somit der Zusammenhalt des Vereinigten Königreichs auf eine ernste Probe gestellt. Weder Deutschland noch die EU können dabei ein Interesse am Zerfall des Vereinigten Königreiches haben, da es nach wie vor einen der wichtigsten europäischen und globalen Partner darstelle. Durch die Brexit-Verhandlungen und deren Folgen seien die Komplexität und die Risiken eines möglichen Austritts aus der EU deutlich geworden, was eine eher abschreckende Wirkung entfalte. Einen möglichen „Domino-Effekt“ in der EU sieht Barner daher nicht.

Im Anschluss daran referierte Katy Hayward über das Fundament des nordirischen Friedens, das Karfreitagsabkommen von 1998, das Austrittsabkommen sowie dessen Auswirkungen und zukünftige Perspektiven. So werde, um eine neue irische Teilung zu verhindern, auf eine harte inner-irische Grenze auf der Insel verzichtet, zugleich aber eine neue Seegrenze zwischen Irland und Britannien in Kauf genommen. Hierdurch befinde sich Nordirland in einer besonderen Situation und verbleibe als Teil des Vereinigten Königreiches faktisch im europäischen Binnenmarkt. Sowohl Befürworter als auch Gegner des Brexits weigern sich jedoch, offen Verantwortung für das Abkommen zu übernehmen und befinden sich aktuell in einem „blame game“ der Schuldzuweisungen. Zudem berühre das Brexit-Abkommen die Souveränität des Karfreitagsabkommens, da laut dessen Statuten sowohl Irland als auch das Vereinigte Königreich und die EU eine Gesamtverantwortung für Nordirland trügen. Darüber hinaus seien nordirische Repräsentanten nur indirekt in den Verhandlungen über den Status Nordirlands vertreten gewesen. Anhand einer von der Northern Ireland Life and Times durchgeführten Studie könne man zudem die Gräben in der Wahrnehmung des Brexits zwischen den Loyalisten sowie den Unionisten klar erkennen. So seien nur 22% der Unionisten der Ansicht, dass der Brexit eine Wiedervereinigung wahrscheinlicher mache, gegenüber 77% unter den Nationalisten. Die Lagerzugehörigkeit stellte außerdem einen starken Indikator für das Wahlverhalten im Referendum dar. Denn während unter den Unionisten lediglich 27% einen Verbleib in der EU befürworteten, waren es unter den Nationalisten 83%. Sowohl Befürworter als auch Gegner des Verbleibs in der EU vertreten dabei ihre Ansichten mehrheitlich stark (27% Verbleib vs 27% Austritt) oder sehr stark (63% Verbleib vs 58% Austritt). Die Referentin illustrierte die steigenden Spannungen beispielweise anhand von Fotografien von Graffitis mit den Worten „All border post staff are targets“ (deutsch: „Alle Grenzbeamten sind Ziele“ – von Gewalt oder sogar Anschlägen?).

Obwohl die Corona-Pandemie selbst den Brexit überschatte, müssten einige Punkte weiterhin diskutiert werden, so Neale Richmond. So betonte er, dass das Zustandekommen eines Brexit-Abkommens aus irischer sowie aus EU-Perspektive eine große Erleichterung dargestellt habe. Das Abkommen sei dennoch unterm Strich „kein guter Deal“, so Richmond, und er betont weiter: „was wir hatten war ein guter Deal“ und meint die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreiches in der EU. So blieben viele Fragen noch immer unbeantwortet, wodurch sich unter anderem Unternehmen rechtlichen und operativen Unsicherheiten gegenübersehen. Weiterhin stellte er klar, dass, obgleich er für ein vereinigtes Irland eintrete, er eine Wiedervereinigung in naher Zukunft für unwahrscheinlich halte und es nun vielmehr die Aufgabe aller Parteien sei, zunächst auf eine gemeinsam genutzte Insel hinzuarbeiten. Die dafür notwendigen Institutionen bestünden bereits seit der Zeit des Karfreitagsabkommens, würden aber bisher von beiden Seiten sträflich wenig genutzt. Er sei im Übrigen schockiert, dass vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie plötzlich eine große Mehrheit der Iren eine Grenzschließung nach Nordirland befürworteten. Sollte das geschehen, würde das zu großen politischen Spannungen führen, wogegen er stets gekämpft habe.

Zum Abschluss stellten sich die Referenten den vielfältigen Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. So wurde unter anderem die Entscheidung diskutiert, dass die Regierung der Republik Irland für eine Fortführung des ERASMUS-Programms in Nordirland die Kosten tragen wird. Außerdem führe der Brexit zu stark erhöhten Kosten, welche auf die neuen Zölle und die damit einhergehenden Formalien zurückzuführen seien. Zudem werden die abnehmende Nutzung der Landbrücke zwischen Irland und der EU über die Britische Insel und die neuen Handelsbarrieren zu deutlich erhöhten Lieferungszeiten und dadurch auch Engpässen führen. Inwieweit sich eine mögliche schottische Unabhängigkeit auf das irische Streben nach Wiedervereinigung auswirke, bleibe noch abzuwarten, auch wenn zwischen Schottland und Irland starke kulturelle und geschichtliche Verbindungen bestehen. Bis im November oder Dezember 2024 das Nordirische Parlament in einer Konsensabstimmung seine Zustimmung zum Nordirland-Protokoll (Bestandteil des Austrittsabkommens) gibt oder dieses ablehnt könnten die Spannungen weiter bestehen bleiben oder sogar noch zunehmen.

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Interlocuteur

Christopher Altstädt

christopher.altstaedt@kas.de

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