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Rapports pays

100 Tage Kabinett Scheljaskow

par Norbert Beckmann-Dierkes, Borislaw Wankow

Eine positive Zwischenbilanz

Am 16. Januar 2025 hatte das bulgarische Parlament (Volksversammlung) eine Koalitionsregierung aus dem Bündnis „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens-Union Demokratischer Kräfte“ (GERB-SDS, beide EVP), der „Bulgarischen Sozialistischen Partei-Vereinte Linke“ (BSP-OL), der Partei „Es gibt so ein Volk“ (ITN) und der „Allianz für Rechte und Freiheiten“ (APS), gewählt. Das Kabinett ist inzwischen 100 Tage im Amt und man kann als Fazit festhalten, dass es ihm gelungen ist, die politische Stabilität im Land wieder herzustellen und wichtige Weichenstellungen vorzunehmen. Bulgarien bleibt darüber hinaus weiterhin ein verlässlicher und wichtiger Partner Deutschlands.

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Staatshaushalt

Eine der ersten und wichtigsten Amtshandlungen der neuen Regierung war die Einbringung des Staatshaushaltes für 2025 als Voraussetzung für das erklärte Ziel Bulgariens, so schnell wie möglich der Eurozone beizutreten. Der Etat für dieses Jahr sieht keine Steuererhöhungen vor und das Haushaltsdefizit wird auf 3% des BIP festgesetzt, was der zulässige Höchstwert für die Eurozone ist.

Die Gehälter in bestimmten Organisationseinheiten der Geheimdienste und dem Innenministerium werden um 50% angehoben. Das Parlament billigte zudem den Vorschlag des Vorsitzenden der „Bewegung für Rechte und Freiheiten-Neuanfang“ (DPS-NN), Deljan Peewski, staatliche Lebensmittelgeschäfte einzurichten, in denen der Preisaufschlag nicht mehr als 10% betragen darf, was Bürgern aus sozial schwachem Milieu zugutekommen soll. Die Geschäfte dieser Kette sollten in den Räumlichkeiten der Postämter untergebracht werden. Bis heute ist dies allerdings nicht umgesetzt worden. Eine andere Maßnahme ist, dass trotz der Proteste von Restaurantbesitzer der für sie in der Covid-Zeit gesenkte Mehrwertsteuersatz von 9% auf 20% angehoben wird. Dies hat trotz Befürchtungen bislang nicht zu Preiserhöhungen in der Gastronomie geführt.

Für 2025 wird ein Wirtschaftswachstum von 2,8% erwartet, wobei das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 215 Mrd. Lewa bzw. 110 Mrd. Euro erreichen soll. Die Staatsverschuldung wird voraussichtlich auf 61,7 Mrd. Lewa steigen, was 26,6 % des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Das Maximalvolumen an Schulden, die im Jahr 2025 aufgenommen werden können, beträgt 18,9 Mrd. Lewa.

Finanzministerin Temenuschka Petkowa (GERB) sagte nach der Verabschiedung des Haushalts: „Sicherlich hätte der Haushalt 2025 besser sein können, aber die Bedingungen, unter denen er erstellt wurde, machten ihn zum bestmöglichen Haushalt. Ich hoffe, dass wir mit gemeinsamen Anstrengungen die öffentlichen Finanzen Bulgariens stabilisieren und für 2026 einen besseren Haushalt aufstellen können, der dann der erste Etat in Euro sein wird“.

 

Regierungsprogramm

Ministerpräsident Rossen Scheljaskow (GERB) kündigte bei der Regierungsbildung an, man werde innerhalb eines Monats ein Regierungsprogramm ausarbeiten. Am 18. Februar legte das Kabinett ein 100 Seiten umfassendes Programm vor.

Im Mittelpunkt stehen Investitionen in mehrere Schlüsselbereiche: Infrastruktur, Bildung, Gesundheitswesen, Innovation sowie die beschleunigte Modernisierung der Armee unter Beteiligung der bulgarischen Rüstungsindustrie.

Ein weiteres zentrales Thema ist die Integration Bulgariens in das europäische Wirtschafts- und Finanzsystem. Um die erfolgreiche Umsetzung des Nationalen Aufbau- und Resilienzplans (ARF) zu gewährleisten, sind Neuverhandlungen mit der Europäischen Kommission vorgesehen. Insgesamt soll auf eine beschleunigte Umsetzung der verbleibenden Reformen hingearbeitet werden. Um die EU-Mittel aus dem ARF zu erhalten, müssen die Mitgliedstaaten Pläne für umfangreiche Investitionen und Reformen vorlegen, die die wirtschaftliche Erholung befördern und die soziale Resilienz stärken

Das Programm enthält auch eine Strategie zur Diversifizierung der Energiequellen sowie zur Entwicklung der Kernenergie und grüner Technologien, um die Energiepreise vorhersehbar und für die Verbraucher erschwinglich zu machen. Ziel ist es, die Energieeffizienz zu steigern und die Abhängigkeit von externen Lieferanten zu verringern.

Außenpolitische Priorität ist die Stärkung der Position Bulgariens in der EU und NATO zur Wahrung der nationalen Interessen und regionalen Stabilität sowie eine gezielte Politik zur Streichung des Landes von der so genannten „Grauen Liste“ durch Maßnahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung sowie von Korruption, organisierter Kriminalität und grenzüberschreitenden kriminellen Netzwerken. Die “Schwarze“ und „Graue“ Liste wird durch die 1989 von der G7 geschaffene Gruppe „Bekämpfung der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung“ (FATF) erstellt. Die EU hält sich im Allgemeinen an die FATF-Liste, führt aber auch unabhängige Bewertungen durch.

 

Einzug von „Welitschie“ ins Parlament, Ukraine und Misstrauensanträge

Am 14. März 2025 entschied das bulgarische Verfassungsgericht, dass die Partei „Welitschie“ („Größe“), der bei den Wahlen am 27. Oktober 2024 nur wenige Stimmen für die Überwindung der 4%-Sperrklausel fehlten, mit zehn Abgeordneten doch noch ins Parlament einzieht. Im Gegenzug mussten Abgeordnete anderer Parteien einen Teil ihrer Sitze in der Volksversammlung räumen, womit die Regierungsmehrheit von ursprünglich 126 auf das absolute Minimum von 121 Sitzen schrumpfte.

In Bezug auf den Krieg in der Ukraine ist der Ministerpräsident bereits aktiv geworden und hat Bulgariens Solidarität mit dem ukrainischen Volk bekräftigt. Am 6. März 2025 führte er ein Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Er betonte im Anschluss, dass Bulgarien auf der Seite der Ukraine stehe, weil es glaube, dass die Grundsätze des internationalen Rechts geachtet und jedem Land garantiert werden sollten, welches die UN-Grundsätze der Souveränität, territorialen Integrität und Unabhängigkeit akzeptiert habe. Hier müsse man auch die Demokratie hinzufügen.

Die Haltung Bulgariens zum Krieg in der Ukraine stieß allerdings bei einem Teil der oppositionellen Parteien auf Ablehnung. Am 3. April 2025 überlebte das Kabinett einen von der nationalistischen und prorussischen Partei „Wasraschdane“ (“Wiedergeburt“) eingebrachten Misstrauensantrag. Als Grund für den Antrag wurde angeführt, dass „Bulgarien unter dem Druck externer Mächte in einen ausländischen geopolitischen Konflikt (d.h. in der Ukraine) hineingezogen wurde“. „Anstatt die nationalen Interessen zu verteidigen, folgt das Kabinett blindlings der konfrontativen Linie der liberalen Elite in Brüssel und ignoriert den Wunsch des bulgarischen Volkes nach Frieden, Neutralität und Dialog“, verlautete aus der Partei.

Insgesamt 54 Abgeordnete von „Wasraschdane“, der Partei „METSCH“ („Schwert“) und „Welitschie“ stimmten für den Antrag. Es gab keine Enthaltungen. Gegen den Antrag votierten 150 Abgeordnete, weit mehr als die erforderliche Mindestzahl von 121 Stimmen.

Die oppositionelle prowestliche Koalition „Wir setzen den Wandel fort – Demokratisches Bulgarien“ (PP-DB) nahm weder an den parlamentarischen Debatten noch an der Abstimmung teil. Damit wollte sie sich sowohl von den antiwestlichen Oppositionsparteien als auch von der Regierung abgrenzen. PP-DB hat mehrmals nachdrücklich betont, dass sie bis zum Erhalt des Konvergenzberichtes der Europäischen Kommission, der am 4. Juni 2025 erwartet wird, keine Schritte zur Destabilisierung der Regierung unternehmen wird. Der Konvergenzbericht bewertet die Bereitschaft des Landes für den Beitritt zur Eurozone anhand von Kriterien wie Inflation, Zinsen und Verschuldung.

Bulgarien habe „eine sehr ausgewogene und gute Außenpolitik“, sagte der GERB-Vorsitzende Bojko Borissow anlässlich des Misstrauensvotums gegen die Regierung von Rossen Scheljaskow: „Bulgarien steht sehr gut mit den USA, mit der EU und mit unseren Partnern. Ich sehe kein Problem in der Außenpolitik. Die Tatsache, dass wir einen festen Kurs in Richtung Eurozone und europäische Rechtsstaatlichkeit verfolgen, werden wir, wenn dies ein Problem ist, im Parlament mit den Stimmen derjenigen verteidigen, die wollen, dass Bulgarien der Eurozone beitritt.“

MEТSCH, „Wasraschdane“ und „Welitschie“ brachten am 10. April ein zweites Misstrauensvotum gegen das Kabinett von Rossen Scheljaskow ein. Die Begründet wurde er mit angeblichem „Versagen der Regierung im Kampf gegen Korruption“.

Der Antrag wurde mit 72 Ja-Stimmen und 130 Nein-Stimmen zurückgewiesen. Die PP-DB hat sich auch diesmal nicht an der Abstimmung beteiligt.

Beim Votum zeigte sich allerdings eine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Parlament. Beim ersten Misstrauensantrag unterstützte die APS noch die Regierungskoalition, doch nunmehr stimmte sie gegen das Kabinett. Die Regierung hat den Antrag dennoch mit den Stimmen der DPS-NN von Deljan Peewski überstanden, die den Ausfall der APS kompensierte.

 

Spannungen in der Regierungskoalition

Zu Verwerfungen in der Regierungskoalition ist es aufgrund der Haltung der „Allianz für Rechte und Freiheiten“ (APS), auch „DPS-DPS“ oder „DPS-Dogan“ genannt, gekommen. Die Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS), die vorwiegend von den ethnischen Türken und teilweise den Roma gewählt wird, hatte sich im Sommer 2024 in zwei verfeindete Flügel jeweils um ihren Ehrenvorsitzenden Ahmed Dogan (APS bzw. DPS-Dogan) einerseits und Deljan Peewski (DPS-NN) andererseits gespalten. Peewski hatte bis zum Sommer 2024 den Parteivorsitz zusammen mit Dschewdet Tschakarow geführt. Die DPS-Dogan ist am 15. April offiziell aus der Regierungskoalition ausgetreten. Damit ist die Regierung mit 102 Abgeordneten in der Minderheit im Parlament.

Der Vorsitzende der DPS-NN Deljan Peewski hat jedoch angekündigt, die Regierung bei wichtigen Abstimmungen unterstützten zu wollen. Zusammen mit seinen Abgeordneten verfügt sie über 131 Sitze, wobei die absolute Mehrheit bei 121 liegt.

 

Die ersten 100 Tage in der Einschätzung des Ministerpräsidenten

Ministerpräsident Rossen Scheljaskow verbuchte das verabschiedete Regierungsprogramm, den Staatshaushalt und die erfolgreiche Überwindung der beiden Misstrauensvoten als Erfolge der Regierung: „Es waren Misstrauensvoten gegen das klare politische Ziel, das sich diese Regierung gesetzt hat, das formuliert wurde und das bis zu seiner erfolgreichen Verwirklichung verfolgt werden wird.“ Er forderte aber die Minister auf, eine bessere Kommunikation mit der Öffentlichkeit zu pflegen. Nach seinen Worten gehe darum zu erklären, worin die Prioritäten bestünden, wie der Stand der Umsetzung sei, welche Mittel zur Verfügung stünden, denn nur im Dialog mit der Öffentlichkeit werde Vertrauen aufgebaut oder zerstört.

 

Ausblick

Bulgarien hat nach einer längeren Phase häufiger Neuwahlen, in der es durch vom Staatspräsidenten eingesetzte Übergangsregierungen geführt wurde, eine parlamentarische Regierung, die für Stabilität sorgen und wichtige Vorhaben wie vor allem den Beitritt zur Eurozone voranbringen kann. Die nächste große Bewährungsprobe für das neue Kabinett wird der Konvergenzbericht für den Beitritt zur Eurozone sein, der Anfang Juni erwartet wird.

Auch auf der internationalen Bühne hat das vom Parlament gewählte Kabinett im Vergleich mit den präsidialen Interimsregierungen ein größeres Gewicht. Seine Stimme ist in Bezug auf den Krieg in der Ukraine besser hörbar. Ministerpräsident Scheljaskow hat betont, dass Bulgarien gemeinsam mit seinen europäischen und transatlantischen Partnern bereit sei, sich an einer Lösung für Frieden und Sicherheit in der Ukraine zu beteiligen. Bulgarien hat in den letzten Jahren unabhängig von den zahlreichen vorgezogenen Urnengängen und der politischen Konstellation die Ukraine nicht nur politisch, sondern auch materiell mit Kriegsgerät und Munition in großem Umfang unterstützt, da das Land noch militärische Ausrüstung aus der Zeit des Warschauer Vertrags besitzt und die sehr leistungsfähigen bulgarischen Munitionsfabriken große Mengen an Munition sowjetischen Kalibers herstellen können, die in der Ukraine noch immer gefragt ist.

Was die traditionell ausgezeichneten deutsch-bulgarischen Beziehungen anbelangt, so hat der bulgarische Ministerpräsident Rossen Scheljaskow dem neuen deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz zu seiner Wahl gratuliert. In seinem Schreiben unterstreicht Scheljaskow die strategische Bedeutung der Zusammenarbeit zwischen Bulgarien und Deutschland auf bilateraler Ebene und innerhalb der EU, der NATO und internationaler Organisationen und die tiefen historischen Bindungen beider Länder, die gemeinsamen Werte, den gegenseitigen Respekt und die gemeinsame Vision für ein geeintes, stabiles und wohlhabendes Europa. Einheit, Solidarität und gemeinsames Handeln innerhalb der EU seien die angemessenste Antwort auf die drängenden Fragen unserer Zeit.

Diese Äußerungen sind angesichts der nationalistischen, populistischen und euroskeptischen Tendenzen mancherorts in Europa beachtenswert. Insofern ist Bulgarien weiterhin ein verlässlicher Partner Deutschlands und der EU, den man, zumal angesichts der wichtigen geostrategischen Lage des Landes im Zentrum der Balkanhalbinsel und als Schwarzmeer-Anrainerstatt, in Berlin unbedingt im Blick haben sollte.

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Norbert Beckmann-Dierkes

Portrait von Norbert Beckmann-Dierkes

Leiter des Auslandsbüros Bulgarien

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