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Realpolitik nach Lehrbuch: Reaktion der Mongolei auf den russischen Überfall der Ukraine

нь Viktor Frank, Адъяасүрэн Жамъяндагва

Nationale Interessen versus Völkerrecht

Die Invasion in der Ukraine stellt für alle Nachbarländer Russlands eine Herausforderung dar. In besonderem Maße gilt das auch für die Mongolei. Wie reagiert das Land, welches das Völkerrecht stets nach außen hochhält, auf dessen Bruch – durch einen Nachbarn, zu dem seit Jahrzehnten sehr gute Beziehungen gepflegt und dessen Einwohner von der eigenen Bevölkerung als „ältere Brüder“ bezeichnet werden? Dessen Zorn es zugleich fürchtet und genauestens darauf achtet, diesen nicht zu provozieren oder ihn auch nur zu verstimmen? Die geopolitische Lage der Mongolei als demokratischer Binnenstaat, eingeschlossen zwischen den beiden weltweit größten Autokratien China und Russland, lässt der mongolischen Politik äußerst wenig Raum für außenpolitische Manöver. Die Wirtschaft des Landes leidet bereits massiv an den Folgen der Corona-Pandemie und der seit Monaten andauernden Schließung der Grenze zu China. Wie geht die Mongolei nun mit der neuen Herausforderung um?

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Der Balanceakt zwischen China und Russland

Gute und gleichwertige Beziehungen zu den einzigen Nachbarn Russland und China sowie die „Politik des Dritten Nachbarn“ sind die beiden wichtigsten Prinzipien der mongolischen Außenpolitik. Die Politik des Dritten Nachbarn besagt, dass alle zentralen Akteure der Geopolitik als Nachbarn der Mongolei begriffen werden. Auch mit ihnen, ob es sich nun um Staaten oder internationale Organisationen handelt, sollen möglichst gute und nachhaltige Beziehungen angestrebt werden. Der Dritte Nachbar dient auch als metaphorische Balancierstange bei dem Drahtseilakt zwischen den beiden autoritären Nachbarn. Im Kern bedeutet dieses Konzept, dass sich die Mongolei vornimmt, Konflikte zu meiden, sich aktiv an der Arbeit internationaler Organisationen zu beteiligen und nicht zuletzt auf die Einhaltung des Völkerrechts zu bestehen.

Vor allem der letzte Punkt müsste dazu führen, dass die Mongolei im aktuellen Konflikt die Ukraine unterstützt. Jedoch fällt die offizielle mongolische Reaktion auf das völkerrechtswidrige Vorgehen Russlands mehr als verhalten aus.

 

Pragmatismus und Opportunismus: ein schmaler Grat

Erst sechs Tage nach dem Beginn des Krieges, am 2. März 2022, wandte sich die mongolische Außenministerin mit einem Statement an die Presse[i]. Sie verwies auf die Notwendigkeit von „Diplomatie und Verhandlungen zur Lösung der kritischen Situation in der Ukraine“ und erklärte weiter, dass „die Position der Mongolei im Einklang mit dem nationalen Sicherheitskonzept und der Außenpolitik klar ist, da das Land eine offene, friedliche und auf mehreren Säulen beruhende Außenpolitik verfolgt“. Am Ende ihrer kurzen Ausführungen kündigte sie eine ausführliche offizielle Stellungnahme des Nationalen Sicherheitsrats der Mongolei „in den kommenden Tagen“ an. Bis dato, 24.03.2022, bleibt es die einzige offizielle Reaktion der mongolischen Regierung auf den russischen Überfall auf die Ukraine. Bei der Abstimmung der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 2. März über die Resolution „Aggression against Ukraine“ (A/RES/ES-11/1)[ii] enthielt sich das Land der Stimme[iii].

Das äußerst zurückhaltende Agieren des Binnenlandes in dieser Situation ist primär auf seine besondere geopolitische Lage zurückzuführen, aus der eine immense Abhängigkeit von seinen beiden Nachbarn resultiert. 98% aller Ölerzeugnisse und 28% des Gesamtimports kommen aus Russland. Fast 90% aller Exporte gehen nach China und über 33% der Importe kommen von dort. Der Exportanteil am BIP beträgt insgesamt fast 60%.[iv] Der einzige für die Mongolei wirtschaftlich nutzbare Hafen liegt in China. Im Falle eines ernsthaften Dissens mit einem seiner Nachbarn, die im Ukrainekrieg zumindest aktuell auf der gleichen Seite zu stehen scheinen, müsste die Mongolei mit immensen Folgen für seine Wirtschaft und damit für seine gesellschaftliche sowie politische Stabilität rechnen.

Neben dem Verzicht auf eine klare Positionierung unternahm die Mongolei seit dem Beginn des Krieges jedoch einige Schritte, die über reinen Pragmatismus hinaus zu reichen scheinen. Am Tag der russischen Invasion, 24. Februar 2022, traf sich der belarussische Botschafter mit dem mongolischen Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Leichtindustrie[v] sowie dem Bürgermeister von Ulaanbaatar[vi]. Einen Tag später fand eine Sitzung der zwischenstaatlichen Kommission für Handel sowie wirtschaftliche, wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit zwischen der Mongolei und Belarus statt[vii]. Am 28. Februar 2022, vier Tage nach dem Beginn des Krieges, unterschrieb die Mongolei mit Gazprom einen Vertrag über den Beginn technischer Explorationsarbeiten für ein Erdgaspipelineprojekt von Russland nach China. Anschließend fand ein Arbeitsbesuch des mongolischen Ministers für Bergbau und Schwerindustrie, G. Yondon, vom 7.bis 11. März 2022 in Russland und Belarus statt[viii].

 

Solidarität mit der Ukraine und Verständnis für Russland

Selbst in der historisch russlandfreundlichen mongolischen Gesellschaft wurde das Timing der Intensivierung der Beziehungen zwischen der Mongolei sowie Russland und Belarus kritisch kommentiert. Der ehemalige mongolische Präsident Ts. Elbegdorj bekundete über soziale Medien offen seine Unterstützung für den Kampf des ukrainischen Volkes um seine Souveränität und übte heftige Kritik am Vorgehen der russischen Regierung. Insgesamt reagierte die oppositionelle Demokratische Partei sehr scharf auf den russischen Überfall der Ukraine. In ihrer offiziellen Erklärung wurde Russland für den Einsatz militärischer Mittel und die Verletzung der territorialen Integrität sowie der Souveränität der Ukraine kritisiert. Die Mitglieder der Partei bekundeten offen „in Solidarität mit dem Volk der Ukraine [zu] stehen“[ix].

Nicht nur die Politik, auch die mongolische Gesellschaft ist in der Ukrainefrage gespalten. Die Unterstützung für beide Seiten, Solidarität mit der Ukraine und Verständnis für die russische „Reaktion auf die Bedrohung durch den Westen“, wird auch nicht nur in den sozialen Medien, vornehmlich auf Facebook, kommuniziert. Am 1. März 2022 fand ein kleiner Protest gegen den Krieg in der Ukraine statt, der von einer rechten Gruppe gestört wurde, so dass letztendlich die Polizei einschreiten musste[x]. Die Nationalisten begründeten ihre Aktion mit der Sorge um die mongolische nationale Sicherheit, die im Falle eines Dissens mit Russland gefährdet wäre[xi]. Eine Argumentation, die der sozialistisch geprägten Regierungspartei sehr ähnlich ist.

Die staatlichen Stellen ließen diese Auseinandersetzung sowie die Demonstrationen von in der Mongolei lebenden ukrainischen Staatsbürgern, die vom ehemaligen Präsidenten Ts. Elbegdorj begleitet wurden, weitgehend unkommentiert. Jedoch deutet einiges darauf hin, dass die Stimmung in der Gesellschaft genau beobachtet wird: so forderte die Polizei etwa den führenden Mehlhersteller des Landes, Altan Taria LLC, auf, eine aus Solidarität auf dem Unternehmensgelände gehisste ukrainische Flagge wieder abzunehmen.[xii] Das Unternehmen ist der Aufforderung gefolgt.

Bei den geschilderten Ereignissen handelt es sich jedoch eher um Episoden als um eine kontinuierliche Debatte oder eine tiefgreifende gesellschaftliche Auseinandersetzung. Bei allen geäußerten Sympathien ist der Konflikt für die meisten Menschen in der Mongolei weit weniger präsent als in Deutschland. Auch wenn in den russischsprachigen mongolischen Facebook-Gruppen vermehrt Nachfragen zur Einreise- und Arbeitsbedingungen für Russen und Ukrainer auftauchen, handelt es sich weiterhin um Einzelfälle. Es ist nicht davon auszugehen, dass die innenpolitische Debatte von einer verstärkten Zuwanderung aus Russland oder der Ukraine beeinflusst werden könnte. Unwahrscheinlich ist ebenfalls, dass eine größere Präsenz der russischen Aktivitäten in den mongolischen Medien[xiii] das Interesse von Mongolinnen und Mongolen an dem Krieg noch steigern könnte.

 

Wenn Prinzipien an ihre Grenzen kommen

Bis auf anfängliche Probleme bei der Evakuierung mongolischer Studierender aus Charkiw und Kiew[xiv], die schnell erfolgreich gelöst wurden, ergeben sich für die Mongolei, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, keine sicherheitspolitischen Konsequenzen aus dem Krieg in der Ukraine. Die größten und langwierigsten Probleme finden sich aus mongolischer Sicht eher auf der wirtschaftlichen Seite. Die faktische Schließung der mongolisch-chinesischen Grenze ab Oktober 2021 in Folge der strikten chinesischen Zero-Covid-Strategie wirkt sich bereits sehr negativ auf die Lieferketten sowie die Warenverfügbarkeit in der Mongolei aus. Eine Schließung des Transportkorridors durch Russland bzw. dessen massive Beeinträchtigung in Folge von gegenseitigen Sanktionen zwischen der EU und Russland verschärft die Lage der mongolischen Wirtschaft zusätzlich. Die EU-Delegation führt einen intensiven Dialog mit der Mongolei darüber, wie der Schaden minimiert bzw. ausgeglichen werden kann.

Darüber hinaus könnte die offizielle Reaktion der Mongolei die außenpolitische Strategie des Landes kompromittieren. Selbst vor dem Hintergrund der geschilderten Abhängigkeit der Mongolei von Russland und China erscheint der engmaschige Austausch zwischen der Mongolei sowie Russland und Belarus am Tag des Kriegsbeginns sowie direkt danach als unangebracht. Die mongolische Seite rechtfertig diese damit, dass die Treffen bereits vor einer langen Zeit arrangiert worden seien. Dennoch ist zu bezweifeln, dass zumindest ein Aufschub dieser Treffen tatsächlich die befürchteten schwerwiegenden sicherheits- und wirtschaftspolitischen Konsequenzen zur Folge gehabt hätte. Die Handlungen der Mongolei könnten an dieser Stelle als fragwürdiger Opportunismus interpretiert werden. Die Gunst der Stunde, in der Russland und Belarus nach vermeintlicher Normalität in den internationalen Beziehungen haschen, um die eigene Isolation zu negieren, könnte zur Erreichung eigener Interessen ohne jegliche Rücksicht auf einen eklatanten Völkerrechtsbruch durch die Verhandlungspartner genutzt worden sein.

 

 

[i] Montsame State News Agency, Munkhbaatar: B.Battsetseg: Es ist wichtig, die Spannungen in der Ukraine durch Verhandlungen zu entschärfen https://www.montsame.mn/mn/read/291299, Stand 03-22-2022

[ii] Resolution adopted by the General Assembly of the United Nations on 2 March 2022: „Aggression against Ukraine“ http://www.undocs.org/en/A/RES/ES-11/1 , Stand 03-22-2022

[iii] The Diplomat, Shannon Tiezzi: How Did Asian Countries Vote on the UN’s Ukraine Resolution? https://thediplomat.com/2022/03/how-did-asian-countries-vote-on-the-uns-ukraine-resolution/, Stand 03-22-2022

[iv] Germany Trade & Invest, Wirtschaftsdaten Kompakt Mongolei, November 2020 https://www.gtai.de/resource/blob/18360/efd07630710c92c6177b4798b2f7d635/GTAI-Wirtschaftsdaten_November_2020_Mongolei.pdf, Stand 03-22-2022

[v] Ministry of Foreign Affairs of the Republic of Belarus: Ambassador of Belarus D.Harelik meets the Minister of Food, Agriculture and Light Industry of Mongolia https://www.mfa.gov.by/en/press/news_mfa/ebeeb4698c07c8a1.html, Stand 03-22-2022

[vi] Ministry of Foreign Affairs of the Republic of Belarus: Ambassador of Belarus to Mongolia meets the Mayor of Ulaanbaatar https://mongolia.mfa.gov.by/en/embassy/news/a99c9adb3f24eb8a.html, Stand 03-22-2022

[vii]Monstame State News Agency, M.Anudari: Zwischenstaatliche Kommission Mongolei-Belarus tagt https://www.montsame.mn/en/read/290995, Stand 03-22-2022

[viii] Montsame State News Agency, E.Ayanzaya: Bergbauminister besucht Russland https://www.montsame.mn/en/read/291871, Stand 03-22-2022

[ix] Eaglenews: Die Demokratische Partei hat eine Erklärung zur Ukraine abgegeben http://eagle.mn/r/98706, Stand 03-22-2022

[x] Nachrichtenportal Ikon, Badamgarav: „No War“-Demonstration, die zum Frieden aufruft, wird gestört https://ikon.mn/n/2has, Stand 03-22-2022

[xi] Nachrichtenportal Ikon, Tögöldör: Die „No War“-Demonstration wurde von einem Auto der russischen Botschaft beobachtet. Darauf haben wir reagiert. https://ikon.mn/n/2hbu, Stand 03-22-2022

[xii] Nachrichtenportal Ikon, Tögöldör: Auf Beschwerden von Bürgern über die ukrainische Flagge besuchte die Polizei die Firma "Altan Taria" https://ikon.mn/n/2hdz, Stand 03-22-2022

[xiii] Vertreter mongolischer Medien sind der Einladung russischer Regierung gefolgt, russische Truppen in der Donbas-Region zu begleiten. Nachrichtenportal Tovch: Ariunzaya: Unser Journalist arbeitet in Genichesk, Melitopol, Ukraine https://tovch.mn/n/19f4?fbclid=IwAR2w6q6gMtHAA3SZAwJssyY6Nf871sb395XG797a-uqhuXYuMxpsuBusD0o, Stand 03-22-2022

[xiv] Nationales öffentliches Radio und Fernsehen der Mongolei: Das Außenministerium berichtet über die Ukraine https://www.mnb.mn/i/257826, Stand 03-22-2022

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