Asset-Herausgeber

Neujustierung der Geschlechter

von Christine Henry-Huthmacher

Die neue Unübersichtlichkeit in der Geschlechterdebatte

Asset-Herausgeber

Die Missbrauchsvorwürfe gegen den Filmproduzenten Harvey Weinstein haben seit Herbst 2017 in vielen Ländern der westlichen Welt eine heftige Debatte über sexuelle Diskriminierung und sexualisierte Gewalt gegen Frauen ausgelöst. In dieser Debatte geht es nicht nur um die Ahndung von Sexismus, sondern auch um ein neues Ausloten von Geschlechteridentitäten. Im Mittelpunkt steht die Grundsatzfrage, was heute Männlichkeit und Weiblichkeit ausmacht und welche Rolle das Geschlecht in unserer Gesellschaft spielt.

 

Die Neujustierung der Geschlechterfrage war auch Gegenstand des Bundestagsbeschlusses vom Juli 2017, die Ehe für homosexuelle Paare einzuführen. In diesem Kontext ist auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2017 zu sehen, mit der Paragraph 22 Absatz 3 des Personenstandsgesetzes für verfassungswidrig erklärt wurde. Beanstandet wird, dass das Gesetz neben dem Eintrag „weiblich“ oder „männlich“ keine Möglichkeit bietet, eine andere geschlechtliche Identität „positiv“ eintragen zu lassen (BVerfG 1 BvR 2019/16).

 

Die bislang geltenden Geschlechternormen sind in Bewegung gekommen und unterliegen einem Wandel im Geschlechterverhältnis und in der Geschlechteridentität. Angesichts des Urteils des Bundesverfassungsgerichts geht es auch um die Grundsatzfrage, welche Bedeutung die Geschlechterzugehörigkeit in der Gesellschaft heute hat und künftig haben soll.

 

 

Wandelbarkeit und Geschlechterbestimmung

 

Die Neuausrichtung der Geschlechteridentitäten verursacht nicht nur eine Unübersichtlichkeit in der Spannbreite der Debatte, die von einer Sexismusdebatte über „Ehe für alle“ bis hin zu Fragen der Akzeptanz eines dritten Geschlechtes reicht. Vielmehr geht es auch um den Verlust geltender Selbstverständlichkeiten, indem auch die „Normalität“ in der Geschlechterwelt neu verhandelt wird. Das löst vielfach Irritationen, Verunsicherungen und Kritik aus. Die bisher geltende „Normalität“ wird relativiert, indem auch Gesetze eine neue Faktenlage schaffen.

 

Durch das Bestreben, Minderheiten gleichzustellen und Diskriminierungen zu verhindern, ist eine Debatte über Geschlecht und Identität entstanden, der die grundsätzliche Neubestimmung des Geschlechts zugrunde liegt und die maßgeblich durch die Genderforschung bestimmt wird.

 

Die Genderforschung unterscheidet analytisch zwischen sozialem Geschlecht (gender) und dem biologischen Geschlecht (sex) und geht von der Annahme aus, dass Männlichkeit und Weiblichkeit nicht nur auf biologische Grunddispositionen zurückzuführen sind. Vielmehr liegt der Genderforschung die Annahme zugrunde, dass die Geschlechterdifferenz sozial gestaltet wird und sich je nach historischem und kulturellem Kontext verändert.

 

„Geschlechter bestehen in kulturwissenschaftlicher Sicht nicht bloß aus ein paar durch körperliche Tatsachen begrenzten Sozialisationseinflüssen, sondern aus einer historisch trägen Gemengelage aus Klassifikationspraktiken, kognitiven Schemata, sprachlichen Kategorien, Verhaltensgewohnheiten, Stereotypen, institutioneller Trägheit, Machtinteressen und diversen sich verstärkenden oder abschwächenden Bedingungskonstellationen“ (Hirschauer 2014). Die Genderforschung konkurriert mit den Naturwissenschaften um die Grundsatzfrage, was das Geschlecht überhaupt ausmacht. Während die Naturwissenschaft die Grundlagen der Zweigeschlechtlichkeit in den genetischen Codes sieht, sucht die Genderforschung sie in den kulturellen Codes.

 

Die Geschlechteridentitäten werden in einem umfassenderen, sozialen Kontext verstanden, der sich im Verständnis der Genderforschung nicht in den biologischen Funktionen des Zeugens und Gebärens als geschlechterspezifischen Fähigkeiten erschöpft. Vielmehr geht die Genderforschung davon aus, dass kollektive Erwartungen auf die individuelle Geschlechteridentität einwirken. Aufgrund dieser Vielschichtigkeit ist die soziale Konstruktion „Geschlecht“ eine relativ stabile Realität.

 

Dieses Denken stößt in der Gesellschaft auf tradierte Überzeugungen von der Natürlichkeit und Universalität des Geschlechtsunterschieds, die seit dem 19. Jahrhundert durch die Biologie geprägt worden sind. Allerdings sind die biologischen Unterschiede und ihre Relevanz auch innerhalb der Biologie umstritten. Daher geht die Genderforschung davon aus, dass jede Gesellschaft ihre eigenen ethnobiologischen Annahmen besitzt. Wissenschaftshistoriker haben ihrer Ansicht nach gezeigt, wie wandelbar biologische Vorstellungen sind. Die strikte zweigeschlechtliche Anatomie, die unserer Gesellschaft zugrunde liegt, gibt es erst seit dem 18. Jahrhundert. Sie wird von Genderforschern als Zumutung angesehen, weil sie Männern und Frauen ein bestimmtes Verhaltensspektrum zuweist und ein anderes mehr oder weniger verwehrt (Hirschauer 2016).

 

 

Verschiebungen bei der geschlechtlichen Codierung

 

Eine Minderheit in der Gesellschaft erlebt heute die Unstimmigkeit zwischen ihrer Geschlechterklassifikation und der Codierung ihres persönlichen Verhaltensstils. Sie lässt sich nicht auf die Codes festlegen. Diese geschlechtliche Codierung, was als männlich oder weiblich gilt, hat sich im Laufe der Jahrhunderte stark gewandelt. Im 19. Jahrhundert lag der gesellschaftlichen Codierung eine lange Liste zugrunde, die von bestimmten Berufen, Tätigkeiten, Sportarten, Nahrungsmitteln, Kleidungsstücken, Frisuren bis auch in Verhaltensweisen und Gesichtsausdrücke reichte (Hirschauer 2016).

 

Diese starre Geschlechterordnung der bürgerlichen Gesellschaft hat sich seit einem halben Jahrhundert aufgelöst. Die Geschlechtsbedeutung von Berufen und Verhaltensweisen hat vor diesem Hintergrund kontinuierlich an Relevanz verloren (Hirschauer, Der Standard 2016). Die Frauen haben heute in der Bildungs- und Arbeitswelt nahezu gleiche Möglichkeiten wie Männer. Sie verlassen die Schule mit besseren Abschlüssen als die Männer und haben auf dem Arbeitsmarkt Berufe erobert, die vor einhundert Jahren für sie unerreichbar waren. Medizinische und juristische Berufe werden in naher Zukunft von Frauen dominiert werden. In dem Wunsch der Generation Y, mehr Partnerschaftlichkeit in der privaten Beziehung und im Beruf leben zu wollen, wird deutlich, wie sehr auch in Paarbeziehungen die alte Geschlechterordnung ins Wanken gekommen ist.

 

In der zunehmend individualisierten Gesellschaft verliert nach Ansicht der Genderforschung das Geschlecht an Bedeutung für die Selbstbeschreibung. Daher könnte ihrer Ansicht nach das Geschlecht „eine belanglose, private Sache sein, etwas, das alle Menschen haben, so wie sie auch einen Kopf, einen Magen, einen Teint haben. Aber es wäre eine Sache, die aus unseren Papieren verschwunden ist und nach der uns keine Behörde mehr fragt“ (Hirschauer 2016).

 

Die zunehmende Auflösung sozialer Geschlechterkategorien ist bereits in verschiedenen Wandlungen sichtbar geworden. Nach Ansicht der Genderforschung verliert die Homosexualität ihren Sonderstatus und löst sich in gleichgeschlechtlichen Beziehungen auf. Die klassische „Mutter“ gerät durch die Reproduktionsmedizin unter Druck. Die Möglichkeit besteht, dass die Mutter durch die Reproduktionsmedizin ersetzbar wird und sich in verschiedene Personen aufspaltet. Auch die tradierte Rolle des Mannes verliert an Bedeutung, da sein Selbstverständnis als Ernährer heute schon von Frauen mit übernommen werden kann. Die Geschlechteridentität und die Geschlechterrolle sind aus Sicht der Genderforschung in einem Veränderungsprozess, der zukünftig durch eine weitere Differenzierung fortentwickelt wird (Hirschauer 2014).

 

 

Kampfzone der Geschlechterdebatte

 

Der Begriff „Gender“ provoziert. Kaum ein Begriff zieht so viele negative Emotionen auf sich. In sozialen Netzwerken, Feuilletons und Talkshows begegnen Genderforscherinnen einer Flut von Ablehnung, Ängsten bis hin zu persönlichen Anfeindungen, die sogar in einer Kleinen Anfrage im Sommer 2017 im Bundestag zur Sprache kamen. Die Geschlechterdebatte ist zur Kampfzone geworden. Es geht um mehr als nur persönliche Befindlichkeiten. Es geht um Macht und Deutungshoheit und um das Verhältnis der Mehrheit zu einer Gruppe von Lesben, Schwulen, Transgendern, Intersexuellen und Queers, die die Grundsatzfrage sexueller Identität aufwerfen.

 

Die Liste der Kritik an der Genderdebatte ist lang. Mit Gender verbinden viele eine Abkehr von der Naturwissenschaft oder auch einen Angriff auf christliche Werte sowie die Abschaffung des Weiblichen oder Männlichen. Der Begriff „Gender“ diene nicht nur der Aufhebung der Geschlechterpolarität, sondern auch der Relativierung des Geschlechts selbst. Es geht dabei um die Grundsatzfrage, wie weit sich ein Mensch ermächtigen darf, sich selber zu dem zu machen, was er sein will, ein Mann oder eine Frau oder etwas dazwischen. Und es geht um die gesellschaftlichen Folgen, wenn das Geschlecht „von einer Frage des Schicksals zu einer Frage der Wahl wird“ (Ribi, Neue Zürcher Zeitung, 2017). Schließlich entzündet sich auch Kritik am Selbstverständnis der Genderforschung als einer Wissenschaft, in der viele eine Ideologie sehen.

 

Erschwerend kommt die Unübersichtlichkeit der Geschlechterdebatte hinzu. Dies hängt mit der häufigen ideologischen Bezugnahme auf diese Thematik zusammen, die nicht selten als dogmatisch empfunden wird. Vielfach wird der Diskurs als elitäre akademische Debatte mit großer Realitätsferne wahrgenommen. Hinzu kommt der erbitterte Streit zwischen Feministinnen (zum Beispiel Alice Schwarzer) und universitären Genderforscherinnen (zum Beispiel Judith Butler). Beide werfen einander nicht nur reaktionäre Positionen vor. Vielmehr geht es um den Anspruch auf Moral und Menschenrechte.

 

 

Genderdebatte und Political Correctness

 

Kontrovers verläuft ebenfalls die Einschätzung der aktuellen Bedeutung des Geschlechts für die eigene Identität. Während die Genderforschung eine wachsende Geschlechterindifferenz feststellt, wie sie in der Gleichwertigkeit homosexueller und heterosexueller Lebensstile ihrer Ansicht nach zum Ausdruck kommt, ist bei einem großen Teil der Jugendlichen sogar ein gegenläufiger Trend zu erkennen. In den sozialen Medien verläuft die Selbstvermarktung junger Frauen der Generation „Selfie“ über ihr Aussehen und ihren Körper. Das ist auch ein Thema der aktuellen #MeToo-Debatte. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch bei Männern im Fitnessstudio beobachten. Männlichkeit wird über den optimierten Körper definiert. Im Gegensatz zur Annahme einer zunehmenden Relativierung des Geschlechts zeichnet sich in anderen Kulturen in Deutschland eine Zunahme traditioneller Geschlechterpolaritäten ab, die keine Öffnung der Geschlechteridentitäten zulassen. Die Verschleierung der Frau ist ein sichtbarer Ausdruck davon.

 

Ein weiterer grundlegender Kritikpunkt ist das unausgewogene Verhältnis von Problemen der Mehrheit in Bezug auf die Probleme der Minderheiten. Damit verbunden ist das Unbehagen, dass die Mehrheit als solche nur noch als eine Ansammlung von Minderheiten verstanden wird, wie es manche Queerforscher/-innen behaupten. Auch wird die große Bedeutung, die kulturelle Entwicklungen im Vergleich zu den sozialen Problemen heute erfahren, kritisch gesehen. Erschwerend kommt hinzu, dass die Genderdebatte ein Bestandteil der Political Correctness ist. Ihr Ausgangspunkt war es, ethnische und religiöse Minderheiten nicht auszugrenzen, Diskriminierung zu vermeiden und die Vielfalt der Menschen anzuerkennen und gleichzustellen. Daraus entwickelte sich in den letzten Jahren eine Emanzipationswelle, die erst durch die USA und dann durch Europa zog. In dieser Emanzipationswelle entstand nicht nur eine neue Kultur gegen Rassismus, sondern auch eine Debatte über Geschlechteridentitäten. Begleitet wird diese Debatte von einem vielfach kritisierten „Sprachterror“.

 

Kritisiert wird die Durchsetzung einer geschlechtergerechten Sprache, die versucht, Frauen und Männer gleichermaßen anzusprechen, Frauen sprachlich und bildlich sichtbar zu machen und stereotypen Vorstellungen über die gesellschaftlichen Rollen von Männern und Frauen entgegenzuarbeiten. Das generische Maskulinum („der Kunde“) reicht aus Sicht der Genderforscher nicht mehr aus. Sprache wird als Schlüsselwerkzeug für die Veränderung bestehender Geschlechternormen verstanden. In der geschlechtergerechten Sprache werden zwei unterschiedliche Wege eingeschlagen: zum einen durch Sichtbarmachung, indem das Geschlecht explizit genannt wird (Studenten und Studentinnen), zum anderen durch die Neutralisierung des Geschlechts (Studierende). Angesichts des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum dritten Geschlecht stellt sich die Frage, wie dieses sprachlich adäquat abgebildet wird. Eine neue Entwicklung mit schnellem Verbreitungsgrad ist in schriftlicher Form das Gendersternchen. Der Stern soll auf die Fülle anderer Geschlechter verweisen, ähnlich wie der „Gendergap“ (Geschlechterlücke) in Form eines Unterstrichs. Über den Sinn geschlechtergerechter Sprache wird in Feuilletons der Zeitungen heftig gestritten.

 

 

Gesellschaftspolitische Folgen und offene Fragen

 

Die lange Zeit vornehmlich in akademischen Zirkeln laufenden Genderdebatten haben mittlerweile konkrete gesellschaftspolitische Auswirkungen auf Lehrpläne in Schulen (Kultusministerkonferenz 2016), auf Sprache in Wort und Text sowie auf die Gestaltung der Alltagswelt (zum Beispiel Unisextoiletten) und reichen bis hin zu einer öffentlichen Diskussion über eine genderneutrale Fassung der deutschen Nationalhymne.

 

Auf viele Fragen hat die Gesellschaft noch keine Antworten: Wie häufig können sich Intersexuelle für ein anderes Geschlecht entscheiden? Bis zu welchem Alter des Kindes können Eltern dessen Geschlecht wählen? Welche Zustimmungen sind künftig für die Operationen notwendig, die das Geschlecht des Kindes für immer festlegen? Ganz abgesehen von dem hilflosen Umgang mit der Sprache und der Anrede. Welches Personalpronomen benennt Intersexuelle? Werden Vornamen künftig nicht mehr an das Geschlecht gebunden sein? Wie wird die Anrede Herr/Frau künftig in Amtstexten sein? Welche Bedeutung wird einer gendergerechten Sprache eingeräumt? Wie wird sich der Umgang zwischen Männern und Frauen in Zukunft gestalten (zum Beispiel Grenzen des Flirtens)?

 

Die Diskussion um Geschlechteridentität, die vor allem in wissenschaftlichen Zirkeln in Deutschland geführt wird, ist mittlerweile in einer breiteren Öffentlichkeit angekommen. Das Übermalen des Gedichts „Avenidas“ von Eugen Gomringer an der Hausfassade der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin ist ein öffentlich sichtbares Zeichen dieser Debatte in Deutschland.

 

Dennoch konzentriert sich die Sexismusdebatte vor allem auf die Fernseh- und Filmbranche. Die große Mehrheit der Bevölkerung nimmt die #MeToo-Debatte zur Kenntnis, bleibt aber von der Genderdebatte weitgehend unberührt. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich in der konkreten Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfass

ungsgerichts ab. Im Alltag wird sie mit der „Toilettenfrage“ und dem Bestreben, die Genderfrage auch in Kindergärten und Schulen zu thematisieren, konfrontiert. Den immer vielfältiger werdenden Umsetzungen in Sprache, Schrift und Aktionen steht sie irritiert gegenüber. So steht eine breite gesellschaftliche Gruppe zwischen einer zunehmenden individualisierten Geschlechterindifferenz und einer starken Geschlechterpolarität und Tabuisierung der Sexualität, wie sie im Selbstverständnis kollektiver Identität von anderen, vornehmlich muslimischen Kulturen, im Alltag gelebt und eingefordert wird. Die zum Teil heftigen Debatten in deutschen Kommunen über einen trennenden Vorhang in öffentlichen Schwimmbädern für muslimische Frauen und eigenes muslimisches Badepersonal oder die Anschaffung von Burkinis in Schulen sind nur wenige Beispiele dieser Irritation.

 

Mit der kulturellen Öffnung der Lebensformen, wie sie in der Pluralisierung der Geschlechterformen zum Ausdruck kommt, ist eine zunehmende Unübersichtlichkeit der Vielfalt der Geschlechter und Sexualitäten verbunden. Dazu gehört, dass die Begrifflichkeit von LGBTQ* (lesbisch, schwul, bi- und transsexuell, queer) nicht mehr ausreicht, um die Vielfalt sexueller Ausprägungen abzubilden. Daher dient das Sternchen als Ausdruck für alle weiteren sexuellen Ausprägungen. Die Programmatik dieser Identitätspolitik zielt auf immer neue voneinander abgegrenzte Submilieus.

 

Vielfalt ist allerdings nur dann eine gesellschaftliche Stärke, wenn sie zu einer Akzeptanz in der Gemeinschaft führt. Wenn sie zur Zersplitterung einzelner abgegrenzter Identitäten beiträgt, verliert sie jede Bindungskraft. Gerade in einer globalisierter werdenden Gesellschaft ist das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Traditionen und Kulturen, Überzeugungen und Geschlechterrollen und -identitäten nur durch einen starken Rechtsstaat zu organisieren, der einen allgemeinen Rahmen gibt. Dieser allgemeine Rahmen muss ergänzt werden durch die Rolle, die die Gemeinschaft und die Kultur in einer modernen Gesellschaft spielen. Die politische Herausforderung wird darin bestehen, die Emanzipationsgewinne fortzuentwickeln und zugleich das Kulturelle stärker zu regulieren und unter die Imperative des Gemeinwohls zu stellen. Dazu ist ein kultureller Diskurs notwendig, der breite Teile der Gesellschaft erfasst und mitnimmt.

 

 

 

Literatur

 

 

 

Bundesverfassungsgericht: Beschluss des 1. Senats vom 10. Oktober 2017 – 1 BvR 2019/16.

 

 

 

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Geschlechtervielfalt im Recht, Berlin 2017.

 

 

 

Furedi, Frank: „Identitätspolitik – Solidarität war gestern“, in: Neue Zürcher Zeitung, 05.01.2018, S. 35.

 

 

 

Geyer, Christian: „Nicht aktenkundig – Das Geschlecht muss keine Staatsangelegenheit sein“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.12.2017, S. 11.

 

 

 

Hirschauer, Stefan: „Wozu Gender Studies? Ein Forschungsfeld zwischen Feminismus und Kulturwissenschaft“, in: Forschung & Lehre 11/2014, S. 880–882.

 

 

 

Hirschauer, Stefan: Interview zur Genderdebatte. Kultur. ARD.de 2016.

 

 

 

Hirschauer, Stefan: „Eine Welt ohne Differenzierung ist undenkbar“, in: Der Standard, 25./26.10.2016, S. 18.

 

 

 

Hirschauer, Stefan: „Im Zwischenraum der Geschlechter“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.11.2017, S. 9.

 

 

 

Kultusministerkonferenz: Leitlinien zur Sicherung der Chancengleichheit durch geschlechtersensible schulische Bildung und Erziehung, Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) vom 06.10.2016.

 

 

 

Patsy l’Amour laLove (Hrsg.): Beißreflexe – Kritik an queerem Aktionismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten, Berlin 2017.

 

 

 

Reckwitz, Andreas: „Das Band zerreißt“, in: Die Zeit, 22.02.2018, S. 43 f.

 

 

 

Reckwitz, Andreas: Die Gesellschaft der Singularitäten, Berlin 2017.

 

 

 

Ribi, Thomas: „Willkommen in der Kampfzone“, in: Neue Zürcher Zeitung, 25.11.2017, S. 14.

 

 

 

Schwarzer, Alice: „Der Rufmord“, in: Die Zeit, 10.08.2017, S. 37.

 

 

 

Stark, Holger: „Wohliger Schauer der Arroganz“, in: Die Zeit, 20.12.2017, S. 50 f.

 

 

-----

 

Christine Henry-Huthmacher, geboren 1955 in Saarbrücken, Koordinatorin für Familien- und Frauenpolitik in der Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.

comment-portlet