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Wenn die Sprache nicht stimmt ...

von Michael Braun

Vorträge und ein Roman beleuchten kritisch den rechten Populismus

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Theodor W. Adorno: Nachgelassene Schriften. Abteilung V: Vorträge und Gespräche, Band 1: Vorträge 1949–1968, Suhrkamp Verlag, Berlin 2019, 786 Seiten, 58,00 Euro.

Theodor W. Adorno: Aspekte des neuen Rechtsradikalismus, Suhrkamp Verlag, Berlin 2019, 86 Seiten, 10,00 Euro.

Heinrich Detering: Was heißt hier „wir“? Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten, Reclam Verlag, Stuttgart 2019, 60 Seiten, 6,00 Euro.

Burkhard Spinnen: Rückwind. Roman, Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2019, 400 Seiten, 24,00 Euro.

 

Am 23. November 2018 hielt der Göttinger Literaturwissenschaftler Heinrich Detering in Bonn auf Einladung von Thomas Sternberg, dem Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), einen Vortrag über die Rhetorik der parlamentarischen Rechten. Der Vortrag wurde auf der ZdK-Website als Ton- und Textdokument veröffentlicht, gekürzt auch in der Frankfurter Rundschau, flankiert von Zeitungsund Radiointerviews des Autors. Es gab heftige Reaktionen, die in Medien der politischen Rechten publiziert und auch an Detering persönlich gerichtet wurden. Darüber berichtet sein Nachwort zu dem nun vom Reclam Verlag vollständig abgedruckten Vortrag.

 

Kalkulierte Tabubrüche

Worum geht es? Detering hat sich vorgenommen, dem Reden mit der populistischen Rechten eine Analyse des Redens der Rechten vorzuschalten, anders gesagt: eine Analyse der Rhetorik und der Performanz von Politikern der Alternative für Deutschland (AfD), namentlich von Alexander Gauland, Beatrix von Storch, Björn Höcke und Alice Weidel. Deterings Analyse ist feinsinnig, umsichtig und geht von der grundständigen Annahme aus, dass kalkulierte Tabubrüche und Schlagworte aus dem Vokabular der populistischen Rechten dem demokratischen Diskurs umso mehr schaden, wenn sie nicht kritisch genug durchleuchtet und auf ihre Argumentationsstruktur und Zielrichtung hin befragt werden.

„Vogelschiss“, „Entsorgung“, „Messermänner“ sind solche Worte, die Grenzen des diskursiven Feldes überschreiten und zu totalitären Rache-, Verschwörungs- und Ermächtigungsphantasien führen können. Ausgesprochen werden sie mit dem Anspruch eines „Wir“, das für die Deutschen, für das „deutsche Volk“ stehen soll. Dieses oft unauffällig mitlaufende „Wir“ suggeriert Zugehörigkeit, Stabilität und Schutz. ‚Wir und nicht sie‘ lautet der Subtext, der eine potenzielle, möglichst homogene, volksnationale Wählermasse mobilisieren und gegen vermeintlich nicht-deutsche Einflüsse immunisieren will. Dabei kommt es manchmal zu manipulativen Uneindeutigkeiten (also zu Verletzungen des Redegebots der Klarheit und Deutlichkeit), wenn etwa Höcke in seiner Dresdner Rede im Januar 2017 vom „Denkmal der Schande“ spricht und damit vom Holocaust, an den das Denkmal erinnert (genitivus obiectivus), dergestalt auf das Denkmal selbst (genitivus explicativus) ablenkt, als ob man der Schande ein Denkmal setzen würde.

Deterings Sprachkritik steht in einer ehrwürdigen Tradition. Schon Thomas Mann und Dolf Sternberger haben im Nachkriegsdeutschland vor einem populistischen Missbrauch der Sprache gewarnt. „Wörter können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbewusst verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da“, schrieb Victor Klemperer. Die toxische Wirkung berechnender Tabubrüche und Skandalisierungen im politischen Diskurs ist auch Thema eines Vortrags über „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“, den Theodor W. Adorno am 6. April 1967 an der Universität Wien hielt und der jetzt zum 50. Todesjahr des Philosophen sowohl als Einzelpublikation als auch in der neuen kritischen Gesamtausgabe seiner Schriften wiederaufgelegt worden ist. Vor dem Hintergrund des Erstarkens der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), die seinerzeit in einigen Länderparlamenten vertreten war, warnt Adorno im Jargon seiner Zeit, aber erstaunlich aktuell, davor, die von ihm faschistisch genannten Tendenzen zu verharmlosen und zu unterschätzen. Rechtsradikale Äußerungen seien „Wundmale“ und „Narben einer Demokratie“, die „ihrem eigenen Begriff eben doch bis heute noch nicht voll gerecht wird“ – verpackt in einer Rhetorik, die auch von den neuen  Rechtspopulisten benutzt wird: „Konkretismus“ (die heute so genannten alternativen Wahrheiten), „Salami-Methode“ (Pedanterie zur Delegitimierung von Fakten) und Monopolisierung eines vermeintlichen „Wir“.

 

Wieviel Schicksal verträgt ein Mensch?

Der Schriftsteller Burkhard Spinnen hat sich des Phänomens des Rechtspopulismus in einem Roman angenommen: Rückwind ist eine epische Versuchsanordnung. Auch sie ist auf ihre eigene Weise feinsinnig in der Struktur, verwinkelt, aber nicht verwickelt, außerdem hochgradig spannend und mit Figuren besetzt, die wie am Schnürchen agieren: als „Handpuppen aus dem Material der Gegenwart“, wie Spinnen im Juni 2019 bei einem Gespräch über den Roman mit Stipendiaten der politischen Stiftungen in der Katholischen Hochschulgemeinde in Köln sagte. Es geht dabei nicht um ein herumspukendes „Wir“, sondern um die Frage: Wieviel Schicksal verträgt ein einzelner Mensch? Und wie wird man mit Hiobsbotschaften fertig in Zeiten, die auf Resilienz statt auf religiöse Instanzen schwören?

Hartmut Trössner, die Hauptfigur in Spinnens Roman, ist sozusagen mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden. Er hat Unternehmensgeist, wenn auch zuerst dem väterlichen Erbe abgetrotzt, dazu Ausdauer, Situationsgeschick und ganz einfach Glück. Mithilfe des Stromeinspeisungsgesetzes, das nach der Wiedervereinigung eine energiepolitische Lücke schloss und es ermöglichte, sich gut subventioniert vom Kohle- oder Atomstrom abzukabeln, wird er millionenumsatzschwerer Hersteller von Windrädern. Und ein erfolgreicher Fernsehproduzent. Seine Frau ist eine populäre Schauspielerin, sein Sohn wohlgeraten in jeder Hinsicht. Und dann schlägt das Schicksal zu: An einem einzigen Tag im April 2018 geht Trössners Unternehmen pleite, sein Sohn ertrinkt im Schwimmbad, seine Frau kommt bei einem Unfall ums Leben, sein Haus brennt völlig ab. Trössner begibt sich, anfangs suizidgefährdet, in eine Klinik und fährt dann mit dem Zug nach Berlin. Hier beginnt die eigentliche Erzählung.

Trössner ist ohne Zweifel ein moderner Hiob, den ein Lottogewinn von hinten trifft. So unwahrscheinlich sich das in der Verkettung mehrerer Unglücksfälle anhört, so sehr ist so etwas doch prinzipiell möglich. Nur dass sich eben bei individuellem Unglück weder mit der Politik noch mit Gott hadern lässt, weil in transzendental obdachlosen Zeiten auch das Beten den religiösen Adressaten verloren hat.

Doch Burkhard Spinnen lässt seine Figur nicht allein. Er stellt sie in das Umfeld der modernen Medien. Und hier beginnt eine zweite Lesart des Romans. Trössners Frau hat die Hauptrolle in einer politischen Fernsehserie gespielt, die um eine extreme rechtspopulistische Partei kreist, die „Partei der Politischen Christen“, kurz „PPC“. Sie ist, so heißt es, „ausländerfeindlich, nationalistisch, markige Sprüche, erzielt ein zweistelliges Wahlergebnis“. Natürlich ist diese Partei fiktiv, aber es gibt Parallelen zu den Rändern der real existierenden politischen Parteienlandschaft, die sich geradezu aufdrängen.

 

„Also dulde man keine Willkür in den Worten“

Hier liegt die eigentliche Pointe von Spinnens Erfindungsspiel. Im Medium der Fernsehserie, die höchste Einschaltquoten erzielt und sozusagen einen Roman im Roman installiert, kommt es zu einer politischen Okkupation der Religion – eines Christentums ohne Kirche, ja sogar ohne Gott. Das wäre wohl in der Wirklichkeit nicht möglich, ist jedoch ein legitimes Denkspiel, so zuletzt in Michel Houellebecqs Zukunftsroman Unterwerfung (2015) über ein muslimisches Frankreich.

Im Namen des Parteiprogramms der „PPC“ werden nicht nur die abendländischen Traditionen von Aufklärung und Nationalismus ausgeschlachtet. Auch die demokratischen Spielregeln werden umcodiert und gewissenlos gegen Pluralismus, Toleranzdenken und Kosmopolitismus eingesetzt.

Nicht aber um eine politische Parabel geht es Burkhard Spinnen, sondern um die Politik im Medium. Die Frage lautet: Macht das Fernsehen die bessere Politik? Und erzeugen Serien womöglich auch ein wirkungsvolleres Christentum? Was geschieht schließlich, wenn die Schauspieler politischer Figuren nicht nur mit ihren Vorbildern verwechselt werden, sondern – beim Vorsprechen populistischer Reden – selbst so sehr in die Rollen der von ihnen Dargestellten schlüpfen, dass die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit verschwimmen?

Es ist der hiobartige Held selbst, der sich diesen Fragen stellt, indem er an den Drehort der Serie, nach Berlin, reist und den zweiten Hauptdarsteller, einen ehemaligen Freund, vom Set entführt. Das Ende ist zu furios, um verraten zu werden; es spielt im Finanzministerium und erfüllt alle Kriterien eines guten „Tatort“-Krimis. Aber das ist noch nicht alles. Spinnen hat seinem Helden zwei mephistophelische Helfer beigesellt, die ein Verhältnis von Nähe und Distanz zum Rechtspopulismus ausloten. Die eine Figur ist insgeheim die Erzählerin des Romans, sie flicht kluge Kommentare ein, kann dem Helden von den Lippen lesen, kennt seine Geheimnisse, ist aber letztlich blind und machtlos: die hilflose Stimme eines besserwisserischen Gewissens. Die andere Begleiterin trifft Trössner auf seiner Zugfahrt, sie wird seine Muse und seine Geisel, sein schlechtes Gewissen in persona.

Das alles ist unaufdringlich kunstvoll komponiert. Neben und hinter Trössner stehen Gestalten, die sein Schicksal reflektieren. Es sind Hiobs Spiegel. Und Spinnens Hiob hadert nicht. Er handelt. Burkhard Spinnen erzählt vom Populismus in den Medien, den seinerzeit Adorno und jüngst Detering in der Politik analysiert haben. „Wenn die Sprache nicht stimmt“, so zitiert Hilde Domin Konfuzius, „so ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist; ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist, so kommen die Werke nicht zustande; kommen die Werke nicht zustande, so gedeihen Moral und Kunst nicht; gedeihen Moral und Kunst nicht, so trifft die Justiz nicht; trifft die Justiz nicht, so weiß das Volk nicht, wohin Hand und Fuß setzen. Also dulde man keine Willkür in den Worten. Das ist alles, worauf es ankommt.“

 

Michael Braun, geboren 1964 in Simmerath, Leiter des Referates Literatur der Konrad-Adenauer-Stiftung Berlin und außerplanmäßiger Professor für Neuere Deutsche Literatur und ihre Didaktik an der Universität zu Köln.

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