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Länderberichte

Der "Botschafterkrieg"

von Dr. Alexander Brakel

Verhältnis zwischen Belarus und EU bleibt schwierig

Mit der Rückkehr der Botschafter der EU-Länder nach Minsk in der ersten Maiwoche ist eine Phase erneuter Verschärfung der Beziehungen zwischen dem Lukaschenko-Regime und der Europäischen Union vorerst zu Ende gegangen. Unbeantwortet bleibt indes die Frage zur Zukunft der gegenseitigen Beziehungen zwischen der EU und der Republik Belarus.

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Bereits nach der Niederschlagung der Proteste gegen die gefälschten Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember 2010 hatte Brüssel das vorübergehend außer Kraft gesetzte Einreiseverbot gegen Lukaschenko und seine engste Entourage reaktiviert. Neben dem Präsidenten wurden 156 weitere Vertreter der Regierung, sowie von Polizei, Gerichten, Staatsanwaltschaft und Geheimdienst auf diese Liste genommen, soweit sie an Aktionen gegen Oppositionelle und Menschenrechtler beteiligt waren.

Ende Februar dieses Jahres beschloss der Rat der EU-Außenminister eine erneute Ausweitung der Visa-Bannliste. Erstmalig sollte mit Jurij Tschish auch ein hoher Wirtschaftsvertreter in die Liste aufgenommen werden. Tschish, der über ein großes Firmenimperium gebietet, gilt als Vertrauter Lukaschenkos und als einer seiner Finanziers.

Mit dem gegen ihn gerichteten Einreiseverbot wollte die EU versuchen, das belarussische Regime auch wirtschaftlich zu begrenzen. Zunächst scheiterte dieser Versuch am Veto der lettischen und slowakischen Regierung, die negative Folgen für den Erhalt belarussischer Aufträge für die Umsetzung größerer Investitionsprojekte befürchteten.

Auf die dennoch am 27. Februar 2012 erfolgte Ausweitung der Visa-Bann-Liste, wenn auch in einer reduzierter Form, die die Geschäftsleute aus der Umgebung von Lukaschenko nicht betraf und keine punktuellen Wirtschaftssanktionen vorsah, reagierte Minsk mit der de-facto Ausweisung des polnischen Botschafters und des EU-Repräsentanten sowie dem Abzug der eigenen Botschafter aus Warschau und Brüssel. In einem Akt der Solidarität riefen daraufhin sämtliche EU-Mitgliedsstaaten ihre Botschafter aus Belarus zurück.

Gemeinsamer Abzug der Botschafter

Seitdem hat sich die Situation weiter verschärft. Auf ihrer Sitzung am 23. März beschlossen die EU-Außenminister die Aufnahme von Tschish und einem weiteren führenden Geschäftsmann neben 10 Vertretern des Staatsapparats auf die Visa-Bann-Liste und sowie die Einführung von punktuellen Wirtschaftssanktionen gegen 29 Unternehmen.

Mit dem gemeinsamen Abzug der Botschafter haben die EU-Länder eine Einigkeit gezeigt, die sie gegenüber Belarus lange vermissen ließen. Zusammen mit der Einführung erster wirtschaftlicher Sanktionen hat dies seinen Eindruck auf Lukaschenko nicht verfehlt. Dabei ist es unklar, ob die Aufnahme dreier Großunternehmer tatsächlich geeignet ist, dem belarussischen Präsidenten Schaden zuzufügen. Denkbar wäre, dass es eher die Sorge vor weitergehenden Wirtschaftssanktionen ausschlaggebend war.

Auf jeden Fall war die Besorgnis in Minsk nicht zu übersehen: In den staatlichen Medien häuften sich Erklärungen offizieller Vertreter, dass Sanktionen entweder unmoralisch oder wirkungslos seien, die staatlich kontrollierten Gewerkschaften bestritten ihre Zulässigkeit ebenso wie der staatliche Journalistenverband. Lukaschenko selbst versuchte mehrfach, die Phalanx der EU-Staaten aufzubrechen, indem er öffentlich sein Verständnis für Staaten wie Litauen oder Lettland erklärte, die angeblich gegen ihren Willen und zum eigenen wirtschaftlichen Schaden von der EU gezwungen worden seien, die Sanktionen mitzutragen.

Versöhnungssignale an Brüssel

Gleichzeitig sandte Minsk Versöhnungssignale in Richtung Brüssel. Wiederholt betonte er seine Dialogbereitschaft und schließlich ließ er sogar zwei der prominentesten politischen Gefangenen frei, Dmitrij Bondarenko und Andrej Sannikov, der bei der Präsidentschaftswahl 2010 gegen Lukaschenko angetreten war.

In der Tat ist die Lage des „letzten Diktators in Europa“ einigermaßen verzweifelt: Mit der brutalen Niederschlagung der Proteste nach den Präsidentschaftswahlen ist ihm die Möglichkeit genommen, seine jahrelang erfolgreich praktizierte Schaukelpolitik zwischen Russland und dem Westen fortzusetzen. Und das ausgerechnet in einer Situation, in der er so stark auf ausländische Unterstützung angewiesen ist, wie selten zuvor: Belarus ist infolge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise, besonders aber wegen seiner jahrelang auf Pump finanzierten Sozialpolitik de facto zahlungsunfähig. EU und IWF verweigern wegen der politischen Repressalien bzw. wegen der ausbleibenden wirtschaftlichen Reformen weitere finanzielle Unterstützung. Einziger potenter Geldgeber ist in dieser Situation Russland.

Russland will wirtschaftliche Verflechtung

Der östliche Nachbar hat sich diese Notlage zu Nutzen gemacht, um Belarus noch enger an sich zu binden. Anders als die EU und die USA hat Moskau die Ergebnisse der Präsidentschaftswahl uneingeschränkt anerkannt und sich auch in der jüngsten Auseinandersetzung zwischen Minsk und der EU demonstrativ hinter Lukaschenko gestellt. Belarus erhält von Russland weiterhin Öl- und Gaslieferungen zu Preisen, die weit unter Weltmarktniveau liegen. Auch Milliardenkredite wurden gewährt.

Allerdings verlangt der Kreml mehr als nur das Ende von Lukaschenkos Flirt mit dem Westen. Die russischen Milliarden sollen auch einer engeren wirtschaftlichen Verflechtung den Weg ebnen. Konkret fordert Moskau den Verkauf großer belarussischer Unternehmen an russische Investoren. Bereits im vergangenen Jahr ist das belarussische Pipelineunternehmen Beltransgaz an die russische Gazprom veräußert worden.

Andere Akquisitionen scheiterten an Lukaschenkos Widerstand oder an aus russischer Sicht zu hohen Preisforderungen. Aber in letzter Zeit hat Russland den Druck weiter erhöht. So endete ein mehrwöchiger Streit zwischen der belarussischen Fluggesellschaft BelAvia und der russischen Aeroflot über Flugrechte von Russland nach Belarus mit der Erhöhung der Anzahl der ohne dies nur zu 50 Prozent ausgelasteten Flüge zwischen den beiden Staaten, was deren Rentabilität für BelAvia weiterhin reduziert. Ende April sind sogar Gerüchte über den Verkauf von BelAvia an Aeroflot aufgetaucht. Und obwohl das belarussische Verkehrsministerium die Gerüchte heftig dementiert hat, dürfte BelAvia wohl auch zukünftig mit mehr Problemen am russischen Himmel konfrontiert sein.

Angesichts von Putins Ankündigung, die engere wirtschaftliche Verflechtung des post-sowjetischen Raums solle eines der Hauptanliegen seiner dritten Amtszeit werden, scheinen diese Versuche die Firmenverkäufe zu erzwingen nur der Auftakt einer ganzen Reihe weiterer Übernahmepläne zu sein.

Ausblick

Mit dem Verkauf der Filetstücke der belarussischen (Staats-) Wirtschaft verlöre Lukaschenko jedoch den entscheidenden Hebel für seine bisherige Sozialpolitik. Der stillschweigende Tausch wirtschaftlicher Stabilität gegen politische Nichteinmischung ist das Fundament seiner weiterhin hohen, wenn auch rückläufigen Akzeptanz in der belarussischen Bevölkerung. Ihr Verlust könnte unangenehme Folgen haben.

Deshalb versucht er, durch eine Wiederannäherung an die EU den russischen Griff zu lockern. Die Rückkehr der EU-Botschafter war in seinen Augen ein wichtiger Etappensieg. Mehr aber auch nicht: Denn die Visa-Bann-Liste mit inzwischen 243 Personen ist weiterhin in Kraft. Zudem hat die EU klargemacht, dass sie weiterhin an der Freilassung und Rehabilitierung sämtlicher politischer Gefangener als Voraussetzung für jedweden Dialog festhält. Momentan befinden sich noch mindestens 13 von ihnen in Haft.

Es gibt Anzeichen dafür, dass zumindest deren Freilassung in Bälde erfolgen könnte. Allerdings ist Lukaschenko sorgsam darauf bedacht, diese nicht als Folge des europäischen Drucks erscheinen zu lassen. Einziger Grund für die Freilassung von Sannikov und Bondarenko sei das von ihnen unterschriebene Gnadengesuch und ihre familiäre Situation, gab das belarussische Staatsoberhaupt zu Protokoll. Angesichts der Tatsache, dass diese Gnadengesuche jedoch bereits vor Monaten gestellt worden waren und sich seitdem auch an dem familiären Umfeld nichts geändert hat, erscheint diese Behauptung wenig glaubwürdig.

Auch für eine etwaige Freilassung der übrigen politischen Gefangen ohne Gesichtsverlust hat der belarussische Präsident mit der nebulösen Ankündigung einer etwaigen Generalamnestie anlässlich des Unabhängigkeitstags, der am 3. Juli gefeiert wird, bereits ein Hintertürchen geöffnet.

Keinerlei Zugeständnisse hat er jedoch hinsichtlich der geforderten Rehabilitierung angedeutet. Denn diese käme dem Eingeständnis gleich, mit den Repressalien 2010/11 gegen das Gesetz verstoßen zu haben. Es ist unwahrscheinlich, dass Minsk diesen Weg beschreiten wird. Genauso wenig hat das belarussische Regime eine Bereitschaft zu einem grundsätzlichen Umdenken erkennen lassen. Während es die EU umwirbt, werden Tag für Tag weiterhin Oppositionelle und Vertreter der Zivilgesellschaft unter Druck gesetzt und verhaftet, viele von ihnen dürfen das Land nicht verlassen.

Gleichwohl ist es nicht ausgeschlossen, dass mit der Freilassung der politischen Gefangenen die entschlossene einheitliche Haltung der europäischen Regierungen gegenüber dem belarussischen Regime zerfällt. Gerade Länder mit hohem Interesse an guten wirtschaftlichen Beziehungen zu Minsk könnten einer Wiederaufnahme des Dialogs das Wort reden. Die Einheitlichkeit und Entschlossenheit der EU, die sich im „Botschafterkrieg“ als so er-folgreich erwiesen hat, wäre damit gefährdet.

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Dr. Michael Borchard

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Leiter Wissenschaftliche Dienste / Archiv für Christlich-Demokratische Politik

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