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Länderberichte

Gerechtigkeit siegt - langsam

Nach 13 Jahren der Flucht wurde am Montag der ehemalige bosnische Serbenführer und mutmaßliche Kriegsverbrecher Radovan Karadžić in Serbien festgenommen.

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Offenbar lebte er dort unter falscher Identität und führte unter dem Namen Dragan Dabić eine Arztpraxis in Belgrad. Derzeit wird er von der serbischen Staatsanwaltschaft vernommen. Eine baldige Überstellung an das UNO-Kriegsverbrechertribunal, das bereits am 11 Juli 1995 gegen Karadžić Anklage erhoben hatte, wird erwartet. Seit 1995 wurde Karadžić international per Haftbefehl gesucht. Im Rahmen der Annäherung Serbiens und Bosnien-Herzegowinas an die EU wird seit Jahren die Auslieferung Karadžićs verlangt - bislang ohne Resultate. Die Festnahme Karadžićs kann als Erfolg der EU-Außenpolitik gewertet werden, ist ein Zeichen eines pro-europäischen Kurses der neuen Regierung in Belgrad, könnte der Auftakt einer kritischen Vergangenheitsbewältigung in Serbien und der Republika Srpska darstellen und gilt als Stärkung des Internationalen Rechts.

Internationaler Haftbefehl

13 Jahre wartet die internationale Justiz bereits auf Karadžić. Die Anklageschrift des UNO-Tribunals umfasst 16 Punkte: Karadžić wird u.a. Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Konflikt zwischen 1992 und 1995 zur Last gelegt. Mit Karadžić wird die ganze Brutalität des Krieges in Bosnien-Herzegowina in Verbindung gebracht: darunter die Belagerung Sarajevos, die Gefangenenlager und das Massaker von Srebrenica, das sowohl vom UNO-Tribunal als auch vom Internationalen Gerichtshof als Völkermord eingestuft wurde. Karadžić soll die Verantwortung für den Tod von etwa 100 000 Menschen haben.

Fast hatte man in Bosnien-Herzegowina aufgegeben, an die Festnahme Karadžićs zu glauben. Obwohl er in den vergangenen Jahren angeblich immer wieder in Serbien oder der Republika Srpska gesichtet worden war - beispielsweise bei Behördengängen oder als er mit der Veröffentlichung eines Gedichtsammlung Ende 2005 in Erscheinung trat - war es weder staatlichen Behörden, UNO-Truppen noch Geheimdiensten gelungen ihn der Justiz zu übergeben. Für die Opfer seiner Gräueltaten war er unerreichbar. Für diese wurde er zum ungreifbaren Phantom, für andere jedoch zur Ikone.

Gewaltsamer Schmied der RS

Radovan Karadžić, Psychiater von Beruf, hatte im Jahr 1990, mit dem Ende des Einparteiensystems in Jugoslawien, in der damaligen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina die Serbische Demokratische Partei (SDS) gegründet. Diese zog im Dezember 1990 mit etwa 30% der Stimmen als stärkste Partei der bosnischen Serben und zweitstärkste Partei Bosnien-Herzegowinas in das Parlament ein. Gemeinsam mit den Hauptparteien der Bosniaken und bosnischen Kroaten (SDA und HDZ) bildete die SDS kurzzeitig eine labile Regierung in Sarajevo.

Im Zuge des Zerfalls Jugoslawiens erklärten sich territoriale Kleinsteinheiten für unabhängig. So wurde am 9. Januar 1992 auch die "Serbische Republik Bosnien-Herzegowina" die spätere Republika Srpska (RS) ausgerufen, deren erster Präsident Karadžić wurde. Dieses Amt, mit seinen weitgehenden Vollmachten, hatte er bis Juni 1996 inne. Neben den kleinen territorialen Einheiten strebte jedoch die Mehrheitsbevölkerung Bosnien-Herzegowinas die Unabhängigkeit von Jugoslawien - in den bestehenden Grenzen - an. Das Unabhängigkeitsreferendum, das unter Aufsicht der EG am 29. Februar und 1. März 1992 stattfand, wurde von Karadžić als "Kriegserklärung an die Serben" bewertet und boykottiert. Am 3. März griffen die bosnischen Serben zu den Waffen. Erst mit dem Eintritt der NATO in den Konflikt und mit dem Friedensvertrag von Dayton im November 1995 wurde den Kämpfen Einhalt geboten und ein brüchiger Friede ausgerufen, der bis heute durch eine zivile Behörde, das Amt des Hohen Repräsentanten und durch militärische Macht (IFOR, SFOR, EUFOR) garantiert wird.

Radovan Karadžić ist nicht nur für unzähliges Leid verantwortlich, sondern auch Mitverantwortlich für die heutige Struktur und Zerrissenheit Bosnien-Herzegowinas. In vieler Hinsicht wurde in den vergangenen 13 Jahren ein System der ethnischen Trennung bzw. Versäulung weiter vorangetrieben. Auch wenn Hass oberflächlich abgebaut wurde, haben Vorurteile zugenommen. Es kann nur gehofft werden, dass mit dem bevorstehenden Gerichtsverfahren mehr Wahrheit ans Licht kommt, Schuld klar ausgesprochen wird und Verantwortung übernommen wird. Alle drei konstitutiven Völker Bosnien-Herzegowinas müssen sich ihrer Vergangenheit stellen, um einen dauerhaft stabilen Staat bauen zu können. Die Hauptlast liegt jedoch bei den bosnischen Serben.

In Sarajevo und weltweit wurde die Festnahme Karadžićs begrüßt und an große Hoffnungen gebunden.

REAKTIONEN

Einheimische Reaktionen

Hajra Catic, Vorsitzende der Organisation „Mütter von Srebrenica“:

Ich kann es nicht fassen, dass Karadžić in Haft ist! Ich frage mich immer, ob das tatsächlich stimmt. Nach so viel Leid, das er in diesem Land verbreitet hat, nach den Gräueltaten von Srebrenica, war es an der Zeit, dass jemand diesen Verbrecher hinter Gittern bringt. Wer auch immer dies getan hat, ich gratuliere dieser Person, als Mutter, deren Kind von der Politik Karadžićs und von der Armee Karadžićs ermordet wurde. Zahlreiche Mütter von Srebrenica haben zwar diesen Tag nicht mehr erleben können, vermutlich ist es so, wenn man auf die Gerechtigkeit wartet.

Reisu-l-ulema Dr. Mustafa Ef. Ceric, Großmufti Bosnien-Herzegowinas:

Der heutige Tag ist ein Sieg der Wahrheit und Gerechtigkeit, des Friedens und der Versöhnung in Bosnien und Herzegowina. ... Die Festnahme Karadžićs – und hoffentlich eine baldige Festnahme von Mladic – ist eine Botschaft an alle Verbrecher weltweit, die auf eine Flucht vor der Gerechtigkeit hoffen; dies ist ein Beweis dafür, dass so etwas nicht möglich ist. Natürlich dürfen wir in Bosnien-Herzegowina nun nicht nachlassen. Wir haben noch viel zu tun. Dies sollen wir als ein Anstoß verstehen, nach all dem, was uns widerfahren ist, an Wahrheit, Gerechtigkeit und Versöhnung zu glauben.

Haris Silajdžić, Vorsitzender der Präsidentschaft Bosnien-Herzegowinas und SBiH-Vorsitzender:

Haris Silajdžić erklärte, die Verhaftung von Karadžić sei "eine kleine Genugtuung für die Familien der Opfer". Er sagte "obwohl Karadžić verhaftet ist und Milosević starb, ist ihr Projekt in Bosnien-Herzegowina noch lebendig". Die gesamte Internationale Gemeinschaft sei verpflichtet, die Auswirkungen des Genozids in Bosnien rückgängig zu machen und nicht nur Karadžić und Mladić festzunehmen, sagte Silajdžić. Dieser Tag sei ein "großer Tag für die internationale Gerechtigkeit, die – zwar spät, aber doch – kommt". Silajdžić äußerte seine Überzeugung, dass sich die Festnahme Karadžić auf die Zukunft von Bosnien-Herzegowina positiv auswirken würde.

Sulejman Tihić, Stllv. Vorsitzender des Volkshauses von Bosnien-Herzegowina und SDA-Vorsitzender:

Tihić begrüßte die Verhaftung des ehemaligen Anführers der bosnischen Serben und Angeklagten und betonte, die RS sei sein Werk. "Das Verfahren, das nun gegen Karadžić geführt wird, wird viele Antworten auf die Fragen über den Charakter des Kriegs in Bosnien-Herzegowina und über Karadžićs Rolle darin geben." Er äußerte die Hoffnung, dass das Gerichtsverfahren gegen Karadžić auch zu einer Hinterfragung des Fortbestandes der Republika Srpska führen würde.

Sven Alkalaj, Außenminister von Bosnien-Herzegowina:

Sven Alkalaj sagte, die Bürger von Bosnien-Herzegowina hätten lange auf diesen Moment gewartet: "Die Gerechtigkeit ist zwar langsam, aber sie ist doch fassbar. Ich hoffe, dass die Opfer wenigstes eine minimale Genugtuung erfahren, wenn Karadžić zur Rechenschaft gezogen wird. Die spezialisierten Institutionen von Bosnien-Herzegowina werden den Prozess möglichst stark unterstützen."

Miroslav Lajčák, Hoher Repräsentant und EU Sonderbeauftragter:

Ich begrüße diese Nachricht! Sie ist ein Sieg der historischen Gerechtigkeit und eine Genugtuung für die Opfer. Diese Frage war eine der Prioritäten meiner Arbeit. Ich freue mich, dass sie nun gelöst ist. Die Festname Karadžićs zeigt, dass keiner der Angeklagten es vermeiden kann, sich vor dem Gericht zu verantworten.

Raffi Gregorian, Stellvertretender Hoher Repräsentant:

Radovan Karadžić ist verantwortlich für Tod, Verletzungen und Leid von Tausenden von Bosniaken, Kroaten und Serben, sowie anderen Bürgern von Bosnien-Herzegowina. Schuldig ist er für die gewaltsame Umsiedlung von nahezu 2 Mio. Menschen. Er schuldet uns die Antworten auf zahlreiche Fragen und Gott sei Dank, dass er sie nun wird beantworten müssen! Seit 1997 wurden 59 Angeklagte zur Gerechtigkeit gezogen. Aber wir dürfen nicht ruhen, bevor wir die zwei verbliebenen Flüchtlinge – Ratko Mladić und Goran Hadžić – festgenommen und zur Verantwortung gezogen haben. Mladić hat nicht nur den Völkermord in Srebrenica organisiert und überwacht, er hat zudem noch jeden Ort, an dem Festgenommene ermordet wurden, besichtigt - unmittelbar vor den Ermordungen.

Reaktionen aus dem Ausland

Angela Merkel, Deutsche Bundeskanzlerin:

Bundeskanzlerin Merkel begrüßte die Festnahme des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Radovan Karadžić außerordentlich: "Dies ist ein historischer Augenblick. Die Opfer dürfen wissen: Massive Menschenrechtsverletzungen bleiben nicht ungestraft." ... "Die Festnahme Karadžić ist eine gute Nachricht für den gesamten Balkan. Es ist ein wesentlicher Schritt zu Gerechtigkeit, Frieden und Aussöhnung in der Region. Präsident Tadić hat mit diesem mutigen Schritt die europäische Berufung Serbiens unterstrichen."

Jose Barroso, EU-Kommissionspräsident:

Im Namen der Europäischen Kommission begrüße ich die Nachricht von der Festnahme. "Das ist eine sehr positive Entwicklung, die dazu beitragen wird, Gerechtigkeit und andauernde Versöhnung in den Westbalkan zu bringen." Die Festnahme beweise die Entschlossenheit der neuen serbischen Regierung, voll mit dem UNO-Tribunal in Den Haag zusammenzuarbeiten.

Javier Solana, EU-Chefdiplomat:

EU-Chefdiplomat Solana begrüßte die Verhaftung und lobte die Belgrader Regierung. Dies sei ein guter Tag für die Gerechtigkeit auf dem Balkan.

Olli Rehn, EU-Erweiterungskommissar:

"Die Verhaftung von Karadžić ist ein historischer Augenblick für die internationale Justiz und die Versöhnung auf dem westlichen Balkan", sagte EU-Kommissar Rehn. Er erwartet nun eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Serbien und der EU. "Dies zeigt, dass Serbien es ernst meint und mit dem UNO-Tribunal zusammenarbeiten kann", sagte Rehn. "Die Verhaftung zeige, "dass die neue Regierung Serbiens entschlossen ist, eine neue Seite aufzuschlagen, die nationalistische Vergangenheit hinter sich zu lassen und eine europäische Zukunft zu suchen."

Wesley Clark, der ehemalige Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte auf dem Balkan:

„Karadžić war ein Motor für serbische Taten, die so viel Leid und Schmerz in Bosnien-Herzegowina verursacht haben. Gerechtigkeit sei nötig. "Sie soll effizient sein. Die Anklage soll auf klaren Fakten basieren. Das Gericht darf nicht zulassen, dass Karadžić das gleiche Spiel wir Milosevic spielt. Dieses Verfahren ist eine Herausforderung für das Tribunal“, so Clark. Er äußerte seine Hoffnung, dass Mladić auch bald nach Den Haag kommt, um sich für das schlimmste Verbrechen in Europa nach dem II. Weltkrieg – nämlich für den Völkermord in Srebrenica - zu verantworten.

Richard Holbrooke:

"Das ist eine tolle Nachricht. Er ist der meistgesuchte Mann Europas, der europäische Bin Laden. Er entzieht sich seit über 13 Jahren einer Verhaftung. Er war der tatsächliche Architekt der ethnischen Säuberung. Meiner Meinung nach war er schlimmer als Slobodan Milosević. ... Das ist ein großer Schritt vorwärts für Serbien, sich dem Westen zu nähern. Natürlich ist Mladić noch auf freiem Fuß, aber Karadžić ist wichtiger. Er war der Architekt der Massenmorde".

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