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Länderberichte

Wahlen ohne Wähler

Bosnien und Herzegowina vor der Wahl

Am 07. Oktober 2018, fast 23 Jahre nach dem Friedensvertrag von Dayton finden in Bosnien und Herzegowina (BuH) Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt. Diese allgemeinen Wahlen werden auf gesamtstaatlicher Ebene und in beiden Entitäten, das heißt in beiden durch Dayton festgeschriebenen Landesteilen durchgeführt. Dass auch diese Wahlen maßgeblich von ethnischer Politik bestimmt sind, verwundert nicht.

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Dies ist nicht zuletzt auch auf die durch Dayton geschaffene dysfunktionale Staatsstruktur und die komplexe Verfassung zurückzuführen, die ethnische Prinzipien zementierte und die Resultate des Kriegs faktisch bestätigte.

Ein gemeinsames Staatsverständnis gibt es bei den meisten – besonders den national ausgerichteten – Parteien bis heute kaum und ist in den unterschiedlichen Volksgruppen auch nur rudimentär ausgeprägt. Dementsprechend präsentieren sich fast alle Regierungsparteien als nationalistische Schutzmächte der eigenen ethnischen Gruppe. Schutzmächte, ohne die das jeweilige Volk nicht überleben könne. Politische Gegner gibt es nicht – wohl aber ausreichend politische Feinde.

In Bosnien Herzegowina wird also gewählt. Wie vor vier Jahren und wie vor acht Jahren auch schon. Und wie Jahre zuvor – seit dem Ende des Bosnienkrieges. Aber – wird sich etwas ändern? 86 Prozent der bosnischen Bürger glauben, dass sich ihr Land in die falsche Richtung entwickle. Laut Aussagen der Weltbank hat BuH die weltweit höchste Jugendarbeitslosigkeit. Sie liegt bei 67,5 Prozent. Die Jungen – und nicht nur sie – verlassen das Land. Legal mit Arbeitsvisa, legal ohne Arbeitsvisa auf Kreuzfahrschiffe oder in Urlaubsressorts, mit doppelter Staatsbürgerschaft (bosnische Kroaten) oder eben illegal. Sie gehen, weil das Land sie nicht braucht. Jedenfalls fühlen sie nicht, dass sie gebraucht werden, dass sie mitgestalten können und sollen.

Resignation weicht der Hoffnung, die längst zur Stagnation in allen Teilen der Gesellschaft geführt hat. Zementiert spätestens seit der Abgabe des Antrages auf Mitgliedschaft in der EU im Februar 2016. Wenige Tage danach begann der Rückzug – die schleichende Stagnation. Von Oktober 2014 bis Februar 2016 – fast 18 Monate dauerte das euphorische Gefühl im Land, befreit zu sein. Befreit von lähmender Blockade, 20 Jahre Stillstand und Reformunwillen. Der bosnische Dornröschenschlaf schien beendet. Die deutsch-britische Initiative hatte Weichen gestellt, die national und international kaum mehr für möglich gehalten worden waren. Aus dieser Initiative wurde eine gesamteuropäische. Mit viel gutem Willen, viel Unterstützung, sehr viel Geduld und sehr viel Hilfe. Doch die Partikularinteressen der handelnden Politiker im Land dominierten über den allgemeinen Interessen. Der Rest ist Geschichte. Ende Februar 2018 wurde mit reichlicher Verspätung der Fragekatalog abgegeben, der über kurz oder lang den Kandidatenstatus bringen soll. Da stand das Land schon den sechsten Monat im Vorwahlkampf.

Änderung des Wahlgesetzes

Auch für diese Wahlen ist es nicht gelungen, das Wahlgesetzt zu reformieren. Eine maßgebliche Bedingung auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft. Das Verfassungsgericht BuH hatte eine Frist bis Anfang Mai gegeben, die ungenutzt verstrich. Die stärkste kroatische Partei im Land, die HDZBiH, bestand auf ihren eigenen Vorschlag, weil sie in den Entwürfen der anderen die Möglichkeit herauslas, mit deren Stimmen auch kroatische Vertreter auf allen Ebenen der Entitäten und des Staats wählen zu können. Pro-bosnisch orientierte Parteien, allen voran die SDA, mutmaßten hinter dem Vorschlag der HDZBiH indes einen weiteren Schritt zur Schaffung einer dritten Entität. Trotz der Tatsache, dass sowohl die Venedig-Kommission, als auch die Europäische Volkspartei (EVP) und mehrere demokratische Institutionen, die sich mit den Wahlen und der Änderung des Wahlgesetzes in BuH befassten, den Vorschlag, den die pro-bosnischen Parteien eingebracht hatten, als progressiv bezeichneten, lehnte die HDZBiH ab.

Damit es nicht zur einer Blockadehaltung im Zuge der Regierungsbildung kommen kann – sollte es zu einem Wahlergebnis kommen, dass einer oder mehreren Parteien nicht gefällt, weil das Wahlgesetzt nicht, wie vom Verfassungsgericht verlangt, reformiert wurde, ist die zentrale Wahlkommission CIK auf Grund internationaler Vorstöße gehalten, eine vorläufige Rechtsauslegung nach der Verfassung der Föderation BiH zu initiieren, damit diese Blockaden als Formen der Verweigerung nicht möglich sind. Nun wird man sehen, was nach den Wahlen geschieht.

Bosnische Parteien

Die bislang stärkste bosnische Partei im Land, die SDA, sieht sich bei diesen Wahlen neben der schon seit Jahren konkurrierenden SBB erstmals mit zwei neuen Parteien konfrontiert. Beide Parteien speisen sich zu Teilen aus ehemaligen Parlamentariern und enttäuschten Mitgliedern der SDA: Die Partei Volk und Gerechtigkeit („Narod i Pravda“ gegründet von Elmedin Dino Konakovic) und die Partei Unabhängiger Block („Nezavisni Blok“ gegründet von Senad Sepic). Beide Parteien wenden sich an die unzufriedenen Wähler der SDA, aber auch und vor allem an junge Menschen, ethnisch übergreifend, die von Vetternwirtschaft, Nepotismus und Korruption sowie fehlender Rechtsstaatlichkeit und der Abwesenheit jedweder innerparteilicher Kritik nichts mehr wissen wollen.

Bei der sozialdemokratischen SDP ist beim Wähler nicht vergessen, dass sie in der Zeit ihrer Regierungsverantwortung bis 2014 fast kein einziges Wahlversprechen erfüllt hat; dass sie selbst in Fragen von Nepotismus und Korruption nicht besser sei als die SDA. Der SDP Spitzenkandidat allerdings ist erfrischend jung, charismatisch und in Teilen der Gesellschaft beliebt. In jedem Fall wird die Partei durch ihn einen Zuwachs an Wählerstimmen bekommen. Aber er allein ist nicht die SDP. Das wissen auch die Wähler. Bei dem Ableger der SDP, der DF, ist der Wahlkampf sehr auf Dialog und Zuhören sowie auf Teamfähigkeit angelegt. Letzteres hat die DF aber gerade in Bezug auf ihre Kompromissbereitschaft mit anderen Parteien bei der Regierungsgestaltung in der FBiH nicht unter Beweis gestellt, als sie Koalition und Regierung nach kurzer Zeit wieder verließen. Aber auch hier wird es mutmaßlich einen Stimmenzuwachs geben.

Republika Srpska –die zweite Entität

In der zweiten Entität, der Republika Srpska (RS) versucht die Opposition den Präsidenten der RS Milorad Dodik und seine Partei SNSD politisch anzugreifen. Seit September 2017 versuchen sie es. Dodik ist es auf Grund der Gesetze nicht ein weiteres Mal möglich, sich zum Präsidenten der RS wählen zu lassen. Statt seiner kandidiert seine bisherige Vize Zeljka Cvijanovic.

Dodik tritt daher am 07. Oktober zur Wahl für das Amt des serbischen Mitglieds der gesamtstaatlichen Präsidentschaft an. Mitbewerber ist das amtierende serbische Präsidentschaftsmitglied Mladen Ivanic (PDP). Dodik ist es abermals gelungen, die RS und nicht nur diesen Landesteil mit einer Freund-Feind-Rhetorik zu überziehen und sich selbst als einzig wahren Erben der RS und als Beschützer der Serben im Gesamtstaat zu gerieren. Dementsprechend diffamiert er die Opposition als Volksverräter an der serbischen Kultur und als Verräter an den Ideen der RS. Dabei bemüht er eine deklarativ sezessionistische Rhetorik, die den permanenten Schulterschluss zu Russland und Serbien sucht. Und von beiden Seiten erhält er öffentlich und nicht hinter vorgehaltener Hand Unterstützung in seinem Tun. So war der russische Außenminister vor wenigen Tagen in Banja Luka und Milorad Dodik traf zum Ende des Wahlkampfes, knapp eine Woche vor dem Wahltermin Präsident Putin in Moskau, der ihm Erfolg für die Wahlen wünschte.

Ungeklärte Morde im Schatten der Wahlen

Zwei Fälle ungeklärter Tötungsdelikte beherrschen indirekt den Wahlkampf. Sie stehen sowohl in der RS als auch in der Föderation FBiH im öffentlichen Interesse und führten seit dem Frühjahr zu regelmäßigen Demonstrationen und Solidaritätsbekundungen mit den Angehörigen der Opfer. In beiden Fällen wurde ein Jugendlicher getötet. In beiden Fällen weisen die Spuren anscheinend zu Tätern, die regierenden Politikern nahe stehen. In beiden Fällen werfen die Familien der Opfer Staatsanwaltschaft und Polizei Verschleierung von Tatsachen, Verdeckung und fehlende Rechtsstaatlichkeit vor, um Täter, Hintermänner und Politik zu schützen.

Der erste Fall ist der Fall Dzenan Memic: während eines Spaziergangs soll Memic bei einem Autounfall „verunglückt“ sein. Sieben Tage später erlag er den Folgen seiner Verletzungen. Nach Erkenntnissen seiner Familie ist sein Tod indes nicht Folge eines Autounfalls, sondern auf eine Schlägerei zurück zu führen, in der auch der Sohn eines einflussreichen Geschäftsmanns beteiligt gewesen sein soll, der Politikern der SDA nahesteht. Die Justiz musste die Angeklagten, die den Autounfall verursacht haben sollen, freisprechen. Seitdem demonstrieren Freunde des Getöteten und Familienangehörige mit anderen Bürgern regelmäßig für eine unabhängige Justiz, um die wahren Täter und den Tathergang zu ermitteln.

Der zweite Fall ereignete sich in de RS. Am 18. März 2018 wurde David Dragicevic von seiner Familie als vermisst gemeldet. Polizei und Behörden ermittelten kaum oder nur oberflächlich. Nach sechs Tagen wurde die Leiche von Dragicevic in einem Fluss gefunden. Erst drei Monate nach dem Fund erteilte die Staatsanwaltschaft an die Polizei den Auftrag, die Umstände des Todes zu untersuchen. In der Zwischenzeit lies die Familie privat ermitteln. Sie glauben an einen Mordkomplott. Bis heute Kämpft die Familie um Gerechtigkeit. Im Fokus der Vorwürfe stehen Politiker im Umfeld des Innenministeriums und des Präsidenten der RS (SNSD). Seit dem Frühsommer demonstrieren jeden Tag auf dem Krajina-Platz im Zentrum Banja Lukas um 18:00 hunderte Menschen friedlich für Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit.

Beide Väter der Getöteten haben Polizei, Justiz und Regierung bis zum 05. Oktober ein Ultimatum gesetzt, um die Wahrheit ans Licht zu bringen. Kein Mensch weiß, was nach Ablauf des Ultimatums geschehen wird.

Diese Solidaritätsbekundungen und die zehntausenden Reaktionen in den neuen Medien in beiden Fällen sind unerwartet groß und halten seit Monaten kontinuierlich an. Hier scheinen die ungeschriebenen Gesetze der Menschen, der Wunsch nach Aufklärung und Gerechtigkeit, verletzt worden zu sein. Beide Fälle stehen daher symptomatisch für die Abwesenheit einer unabhängigen Justiz, für die fehlende Gewaltenteilung im Staat – und dies in beiden Entitäten.

Freiheit des Wortes

Pünktlich vor den Wahlen kam es in der Föderation BuH über Wochen hinweg zu Demonstrationen von Kriegsveteranen. Sie kämpfen für eine Besserstellung und für Transparenz im Umgang mit den Auszahlungen. Die Veteranen werfen der Regierung Korruption vor, weil auf den Pensionslisten regelmäßig neue Namen auftauchen, die keiner ehemaligen Kampfeinheit zugeordnet werden können, so dass der Vorwurf im Raum steht, die staatlichen Pensionen seien in einer Art Selbstbedienung an Parteifreunde und Angehörige verteilt worden. Von den Regierungspolitikern werden demgegenüber diese Demonstrationen als politisch motiviert und als von Oppositionsparteien angezettelt bzw. instrumentalisiert bezeichnet.

Bei der Klärung dieser Anschuldigungen wurden in Sarajevo Journalisten vom Portal KLIX und der Al Jazeera Balkan Gruppe (einige von ihnen waren während des Krieges selbst in der Armee) von Demonstranten tätig angegriffen.

Ende August wurde in der RS der Journalist Vladimir Kovacevic vom BN-TV, einem Sender, der den Präsidenten der RS und seine Partei SNSD häufig kritisiert, brutal zusammengeschlagen. Zwar verurteilte Dodik unmittelbar nach der Tat auf einer eilig angesetzten Pressekonferenz den Angriff scharf; dennoch mehreren sich nicht wenige Stimmen von Medien- und Menschenrechtsaktivisten, die hinter diesen Angriff Teile der Regierung der RS vermuten. Die Staatsanwaltschaft der RS ermittelt in dem Fall wegen versuchten Mordes. Am 27. August demonstrierten daraufhin Journalisten aus ganz BuH vereint und verlangten die lückenlose Aufklärung des Angriffes auf Kovacevic. Allein bis Ende August 2018 zählten die Medienvertreter mehr als 40 schwere Übergriffe auf Journalisten in der RS auf. Auch hier ist der Rechtsstaat gefordert, werden die Rufe nach einer strikten Einhaltung der Gewaltenteilung, nach Bekämpfung von Korruption und Vetternwirtschaft immer lauter. Diese zentralen Themen lassen sich allerdings nicht ansatzweise in den Wahlprogrammen der regierenden Parteien finden. Bei den Oppositionsparteien und den neueren bzw. den kleineren Parteien dagegen häufiger.

Bleibt zu hoffen, dass der Wähler von seinem Wahlrecht Gebrauch macht und nicht resignierend die Arme in den Schoß legt, in dem Glauben, er könne mit seinem Votum nichts ändern, sondern dass er sich mündig informiert und sein am Stimmrecht am 07. Oktober nutzt.

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Kontakt

Dr. Karsten Dümmel

Dr

Landesbeauftragter und Leiter Politisches Bildungsforum Saarland

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