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Veranstaltungsberichte

Zeitzeugengespräch Edith-Stein-Schule

Ein Zeitzeugengespräch mit Sabine Popp an der Edith-Stein-Schule in Bremerhaven, moderiert von Sarah Bunk, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung Bremen, eröffnete am 25. Januar 2017 die Ausstellung „DDR-Stasi – Spitzel von nebenan“ der KAS.

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Im Dialog mit den Schülerinnen und Schülern schilderte Sabine Popp ihre Erfahrungen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und ihren Protest gegen die Umstände in der SED-Diktatur durch Graffitis wie „Wiedervereinigung“ als 17-Jährige, was nach dem Verrat durch einen Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) an die Stasi zu ihrer Verhaftung und einer Verurteilung zu fünf Jahren Gefängnis führte.

Die Schülerinnen und Schüler wurden von Herrn Huisgen, stellvertretender Schulleiter der Edith-Stein-Schule, begrüßt. Durch Sarah Bunk erhielten sie einen Überblick über den „größten geheimdienstlichen Apparat der Weltgeschichte“, der zwischenzeitlich (1988) 91.000 DDR-Bürgerinnen und -Bürger hauptamtlich und 189.000 als Inoffizielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (IM) beschäftigte.

Deutschland heute kann man nur verstehen, wenn man auch die Geschichte der DDR kennt, so Sabine Popp. „Demokratie ist nicht selbstverständlich“, betonte sie und erklärte, dass sie erst nach der Wiedervereinigung die wahren Ausmaße der Bespitzelung durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS bzw. Stasi) erfuhr.

Sabine Popps Eltern waren mit einer Gärtnerei selbstständig und christlichen Glaubens und daher in der DDR „immer benachteiligt“, so Popp. Sie durfte nicht studieren, sondern musste eine Ausbildung zur Gärtnerin machen, da ihr Schulleiter es so entschieden hatte. Dass sie ihren Onkel, der im Westen lebte, nicht besuchen durfte sowie ihr durch das Ausreiseverbot in der DDR nicht zu verwirklichender Traum, in die USA zu reisen, verstärkte Popps Unzufriedenheit mit dem Leben und der Unfreiheit in der DDR. So begann sie als 17-Jährige, Graffitis mit Losungen wie „Wiedervereinigung“ oder „Die Mauer muss weg“ heimlich nachts zu sprühen. „Es ging mir besser, weil ich etwas gemacht habe“, sagte Popp.

Popp sprühte über knapp zwei Jahre ihre Graffitis und war stolz darauf, nicht entdeckt zu werden. Die Stasi hatte indessen, wie sie später erfuhr, längst eine Sonderkommission gebildet, um den Täter zu ermitteln – dass es eine Frau sein könnte, sei ihnen nicht in den Sinn gekommen, erzählte Popp verschmitzt. Sie war immer sehr vorsichtig und beschrieb das ständige „Gefühl der Angst“ in der SED-Diktatur, da man nicht wissen konnte, wem man vertrauen könne und wer für die Stasi spitzele. Als sie jemandem aus ihrem Freundeskreis von ihren Graffitis erzählte, trat genau diese Befürchtung ein: Ihr Bekannter, IM „Schubert“, verriet sie an die Stasi. Knapp 30 Stunden später holten Stasi-Beamte sie aus der elterlichen Gärtnerei „zur Klärung eines Sachverhalts“ ab und ließen ihre Eltern vier Wochen im Ungewissen über den Verbleib ihrer Tochter. „Mein altes Leben war zu Ende“, sagte Popp, die zunächst mehrere Wochen in Einzelhaft war und der erst nach 7 Monaten Untersuchungshaft der Prozess gemacht wurde, obwohl sie längst gestanden hatte. „Man wusste nicht, ob man jemals wieder rauskommt“, erzählt sie über ihre Zeit im Gefängnis.

Aufgrund „staatsfeindlicher Hetze“ wurde sie zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt und kam in das berüchtigte DDR-Frauengefängnis Hoheneck. Besonders schlimm war für sie, dass ihre völlig unbeteiligte Schwester und Popps Freund ebenfalls verhaftet und verurteilt wurden, da sie Popp nicht verraten hatten, obwohl sie über ihre Aktivitäten etwas wussten. Dabei wollte sie nur „die DDR verbessern“, so Popp. Von ihren Eltern, die sie einmal im Vierteljahr für 30 Minuten besuchen durften, erfuhr sie, dass ihre Schwester einen Ausreiseantrag in die Bundesrepublik Deutschland gestellt hatte. Popp tat es ihr gleich und war dabei auf ihre „Erzieherin“ im Gefängnis angewiesen, der Popp heimlich ihren Ausreiseantrag zusteckte in der Hoffnung, dass diese ihn an die notwendigen Stellen weiterleitete. Dass sie es getan hatte, wusste Popp erst, als sie 1982 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in das Notaufnahmelager in Gießen gebracht, nachdem sie zuvor ohne Erklärung in das Kaßberg-Gefängnis gebracht worden war. Über ihren Freikauf war sie einerseits froh, da sie nicht mehr in das Leben in der SED-Diktatur zurück wollte und in Gießen zum ersten Mal spürte „was Freiheit sein kann“. Andererseits hatte sie Angst, im Westen alleine neu anzufangen und war traurig über den Verlust ihrer Heimat und ihr lebenslanges Einreiseverbot in die DDR.

Über ihre Ankunft in Frankfurt a.M., wo ihre ausgereiste Schwester schon lebte, sagte Popp: „Da lief das Leben wieder als Mensch, es zählte nicht mehr so was wie Gesinnung“. Sie lebte sich dort gut ein und erzählte von der „riesigen Freude unter den Leuten“ über die Wiedervereinigung, nach der sie das erste Mal nach 1982 wieder in ihre Heimat fahren durfte. Popp übernahm 1997 schließlich die elterliche Gärtnerei und zog zurück in ihre Heimat, obgleich sie sich „als Wessi“ fühlte. Bis 2008 erzählte sie nichts von dem Unrecht, das ihr geschah – bis es eine Ausstellung gab, bei der der Stasi-Spitzel, der sie verriet, mit einer gerichtlichen Verfügung gegen die Nennung seines Klarnamens vorgehen wollte. Da wurde es ihr „zu viel der Ungerechtigkeit“: zusammen mit dem Pfarrer, der hinter den Veröffentlichungen stand, klagte Popp dagegen und bekam Recht.

Popp kritisierte die oft noch fehlende Aufarbeitung der SED-Diktatur und dass ehemalige Stasi-Mitarbeiter meistens freigesprochen wurden von Richtern, die selbst in der DDR schon im Amt waren. Bis heute hat es mit IM „Schubert“ kein klärendes Gespräch oder eine Entschuldigung seinerseits gegeben, obwohl sie im selben Ort leben. Popp bedauerte dies, will aber auch nicht den ersten Schritt auf denjenigen machen, der sie verraten hatte und dafür auch noch von der Stasi unter anderem mit einem Studienplatz und einer Moskau-Reise belohnt wurde.

Popp antwortete auf die Frage, ob sie es wieder so machen würde, zwiegespalten: „Der Preis war eigentlich zu hoch“, sagte sie, gab aber zu Bedenken, dass die DDR vielleicht nie geendet hätte, wenn sich die Menschen nicht so gegen die SED-Diktatur eingesetzt hätten. Sie sieht auch in ihrem Graffiti einen Beitrag dazu. Sie mahnte abschließend die Schülerinnen und Schüler, sich des Wertes der Demokratie bewusst zu sein und sich mit der SED-Diktatur auseinanderzusetzen, besonders auch mit dem Klima der Angst und des Misstrauens durch die Stasi-Bespitzelung, was es ihr heute noch schwer mache, Menschen zu vertrauen.

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Dr. Ralf Altenhof

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Landesbeauftragter und Leiter Politisches Bildungsforum Bremen

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