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Länderberichte

Litauens Sicherheitslage im Frühjahr 2025: Bedrohung und Antwort an der NATO-Ostflanke

Litauen setzt auf Abschreckung, Aufrüstung und enge Partnerschaften

Litauen steht im Frühjahr 2025 im Zentrum europäischer Sicherheitsdebatten: Angesichts der anhaltenden Bedrohung durch Russland setzt das Land auf Abschreckung, Aufrüstung und enge Partnerschaften. Mit der am 22. Mai offiziell eingeweihten, dauerhaft stationierten Bundeswehr-Brigade sendet Deutschland ein starkes Signal der Solidarität und Führungsverantwortung. Die geopolitischen Spannungen zwischen Russland und den USA, die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus sowie Litauens ambitionierte Verteidigungspläne prägen die neue sicherheitspolitische Realität. Europas Sicherheit wird heute auch an der litauischen Ostflanke verteidigt.

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Für Litauen ist Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine weit mehr als ein ferner Konflikt – er wird als akute Gefahr für die eigene nationale Sicherheit begriffen. Das baltische Land fürchtet, nach der Ukraine selbst Ziel einer russischen Aggression zu werden, wie Staatspräsident Gitanas Nausėda mahnend betont. Diese Sorge ist keineswegs abstrakt: Litauen grenzt sowohl an die russische Exklave Kaliningrad als auch an Belarus – Russlands Verbündeten und Aufmarschgebiet. Moskaus Militärpräsenz in Kaliningrad ist mit Iskander-Kurzstreckenraketen und Truppen hochgerüstet, Belarus dient seit 2022 als verlängerter Arm russischer Machtprojektion. So wurden in Belarus russische Soldaten stationiert und sogar taktische Nuklearwaffen angekündigt – ein deutliches Signal, das in Vilnius Alarmglocken läuten ließ.

Hinzu kommt eine Palette hybrider Bedrohungen, mit denen Russland und Belarus Litauen unter Druck setzen. Ein prägnantes Beispiel war die vom belarussischen Regime inszenierte Migrationskrise 2021: Gezielt wurden Migranten an die litauische (und polnische) EU-Außengrenze gelotst, um Destabilisierung zu provozieren – ein Fall von „instrumentalisierter Migration“ als Waffe. Gleichzeitig sehen sich Litauens Behörden ständigen Cyberangriffen ausgesetzt. Russische Hackergruppen attackierten wiederholt staatliche Netzwerke und Infrastruktur; bereits 2022 legten Cyberangriffe zeitweise litauische Behörden-Websites lahm, nachdem Vilnius EU-Sanktionen gegen Kaliningrad umgesetzt hatte. Desinformation ist ein weiteres Schlachtfeld: Russische Propaganda versucht, Zwietracht in der litauischen Gesellschaft zu säen – bislang mit wenig Erfolg, denn die Bevölkerung steht bemerkenswert geschlossen hinter der pro-westlichen Ausrichtung ihres Landes.

In Litauen herrscht die Überzeugung, dass kein Szenario ausgeschlossen werden kann, auch kein militärischer Zwischenfall im Ostseeraum. Die Erinnerung an die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines 2022 hat die Verwundbarkeit kritischer Infrastruktur vor Augen geführt. Entlang der Ostsee und im Luftraum über dem Baltikum kommt es regelmäßig zu riskanten Annäherungen russischer Kampfflugzeuge an NATO-Maschinen. In Vilnius interpretiert man Russlands vermehrte Manöver in der Region als Machtdemonstration. Die Lehre aus all dem: Litauen lebt im Schatten einer realen Gefahr. Im öffentlichen Diskurs wird immer wieder daran erinnert, dass der Kreml schon 2022 unverblümt die frühere Anerkennung der litauischen Unabhängigkeit hinterfragte – ein beispielloser Affront, der Ängste vor einer Revision der Nachkriegsordnung weckt.

Diese Bedrohungswahrnehmung durchdringt die gesamte Gesellschaft. „Angst, die Nächsten zu sein“ – unter diesem Titel berichteten Medien über den enormen Zulauf zur sog. Litauischen Schützenunion, einer paramilitärischen Freiwilligenorganisation. Tausende Bürgerinnen und Bürger aller Altersgruppen melden sich dort, um den Umgang mit Waffen, Erste Hilfe und Partisanentaktiken zu lernen. Sie wollen vorbereitet sein, falls Putin nach der Ukraine sein Visier auf das Baltikum richten sollte. Obwohl Litauen seit 2004 Mitglied der NATO ist, verlassen sich die Menschen nicht passiv auf den Bündnisschutz – sie nehmen die Verteidigung des Vaterlandes in die eigene Hand. Überall spürt man die Solidarität mit der Ukraine: Flaggen in blau-gelb wehen an öffentlichen Gebäuden, Spendenaktionen und Hilfslieferungen gehören zum Alltag. Litauens Haltung ist klar: Die Freiheit der Ukraine und die eigene Freiheit sind untrennbar verbunden. Wenn Russland nicht gestoppt wird, so das weit verbreitete Empfinden, würde es sich mit einem Sieg über die Ukraine keineswegs zufriedengeben – „wer das ernsthaft glaubt, der irrt“, wie Bundeskanzler Friedrich Merz in Berlin warnte. Diese Worte des deutschen Kanzlers finden in Litauen zustimmendes Echo, beschreiben sie doch prägnant die existenzielle Dimension des Ukraine-Krieges für die baltischen Staaten.

 

Deutschlands neue Rolle: Eine deutsche Brigade in Litauen als Signal der Entschlossenheit

Das Abzeichen der neuen Panzerbrigade 45 „Litauen“ auf der Uniform eines Bundeswehrsoldaten vereint die Wappenfigur Litauens (Vytis, der Ritter) und ein Wahrzeichen der litauischen Hauptstadt (Gediminas-Turm) mit dem Schwert – Sinnbild der gemeinsamen Verteidigungsbereitschaft.

Ein militärhistorischer Moment vollzog sich am 22. Mai 2025 in Vilnius: Mit einem feierlichen Appell auf dem Kathedralenplatz stellte Litauen gemeinsam mit Deutschland die Bundeswehr-Panzerbrigade 45 in Dienst. Erstmals seit Bestehen der Bundeswehr wird damit eine kampffähige deutsche Brigade dauerhaft im Ausland stationiert – ein Paradigmenwechsel in der deutschen Sicherheitspolitik. Für Litauen bedeutet die Anwesenheit von rund 5.000 deutschen Soldaten (so der Soll-Stand der Brigade in den kommenden zwei Jahren) einen Quantensprung in der Verteidigungsfähigkeit vor Ort. Was ursprünglich zur Verstärkung der NATO-Ostflanke gedacht war, wurde zu einem Leuchtturmprojekt der Bündnissolidarität. Litauens Verteidigungsminister Arvydas Anušauskas sprach vom „Beginn einer neuen Ära der litauisch-deutschen Partnerschaft“: Deutschland sei durch diesen Schritt „zum wichtigsten Partner in Europa“ für Litauen geworden.

Bundeskanzler Friedrich Merz reiste persönlich zur Brigade-Einweihung nach Vilnius – demonstrativ in den ersten Wochen seiner Amtszeit. Er betont damit den Willen Deutschlands, mehr Verantwortung zu übernehmen. Merz bekräftigte dies am Donnerstag in Vilnius mit den Worten: „Liebe Litauer, Sie können auf Deutschland zählen!“ An der Seite von Verteidigungsminister Boris Pistorius unterstrich Merz damit den hohen Stellenwert, den Verteidigung und Bündnisbeistand für seine Regierung haben. Tatsächlich markiert die Stationierung der Brigade auch für Deutschland eine verspätete Zeitenwende: Nach Jahrzehnten zurückhaltender Verteidigungspolitik ist Berlin bereit, Verantwortung an vorderster Front zu übernehmen. Merz machte im Gespräch mit seinen litauischen Gastgebern deutlich, dass Deutschland ohne Wenn und Aber an der Seite Litauens steht, so wie es an der Seite aller NATO-Verbündeten steht – ein glasklares Bekenntnis zur Beistandspflicht. In seiner Regierungserklärung wenige Tage zuvor in Berlin hatte Merz bereits ausgeführt: „Allen Versuchen Russlands, die europäischen Demokratien zu spalten, werden wir mit Entschiedenheit, Geschlossenheit und Verteidigungsbereitschaft entgegentreten.“ Diese Botschaft – Geschlossenheit gegen Moskaus Einschüchterungsversuche – fand in Vilnius besonders Beifall, hatten die Balten doch in der Vergangenheit gelegentlich Zweifel, ob Berlin im Ernstfall wirklich resolut handeln würde. Nun sendet ein CDU-geführtes Kanzleramt unmissverständlich das Signal: Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik ist berechenbar und 

verlässlich, dient einem starken Europa und lässt sich von gemeinsamen transatlantischen Interessen und Werten leiten.

Der Schritt, die zugesagte NATO-Brigade tatsächlich nach Litauen zu verlegen, hebt Deutschland positiv von einigen Partnern ab. Großbritannien und Kanada etwa hatten nach dem Ukrainekrieg zwar jeweils eine Heeresbrigade für Estland bzw. Lettland in Bereitschaft gestellt, diese jedoch nicht vollständig vor Ort stationiert. Deutschland geht nun weiter und schafft Fakten in Vilnius: Kasernen, Übungsplätze und Logistik für die Panzerbrigade 45 werden ausgebaut, um die Truppe dauerhaft zu verankern. Dieser Unterschied – Präsenz in Litauen statt nur für Litauen – unterstreicht den politischen Willen Berlins, im Ernstfall unmittelbar mitzukämpfen und nicht erst Verstärkung aus der Ferne schicken zu müssen.

Was bedeutet die Präsenz der deutschen Brigade konkret? Für Litauen bringt sie ein enormes Plus an Sicherheitsgarantie. Deutsche Kampfpanzer, Schützenpanzer, Artillerie und Luftabwehreinheiten ergänzen die litauischen Streitkräfte und heben die Verteidigung an der Suwalki-Lücke – der potenziell gefährdeten Verbindung zwischen Litauen und Polen – auf ein neues Niveau. Ein Angriff Russlands auf Litauen würde nun automatisch auch deutsche Soldaten treffen, was den Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrages unmittelbar auslösen würde. Dies dient somit der Abschreckung: Moskau soll überzeugt werden, dass jeder Aggression ein unvertretbar hohes Risiko entgegensteht. Für Deutschland markiert die Litauen-Brigade einen Meilenstein auf dem Weg vom sicherheitspolitischen „Zögerer“ zum Sicherheitsgaranten Europas. Bundeskanzler Merz hat angekündigt, die Bundeswehr konventionell „zur stärksten Armee Europas“ aufzubauen – ein ambitioniertes Ziel, das nur mit erheblichen Investitionen und Reformen erreichbar ist. Die erfolgreiche Entsendung und Versorgung einer ganzen Brigade in der Region ist hierfür zum Prüfstein geworden. Zugleich sammelt die Bundeswehr in Litauen wertvolle Erfahrungen in multinationaler Zusammenarbeit und in der Vorbereitung auf eine mögliche Verteidigung Osteuropas. Nach Ansicht vieler Experten hat Deutschland damit endlich seine Rolle als führende Militärnation in Europa akzeptiert – ein Wandel, der in Osteuropa ausdrücklich begrüßt wird.

Für die baltische Region insgesamt ist die Ankunft der Bundeswehr-Brigade eine weitere Stärkung der kollektivalliierten Verteidigung. Gemeinsam mit den bereits verstärkten NATO-Bataillonen in Estland und Lettland entsteht so de facto in jedem der drei baltischen Staaten ein brigadestarkes Kontingent westlicher Truppen. Die unmittelbare Verzahnung deutscher, britischer, kanadischer und lokaler Einheiten verbessert die Interoperabilität und verkürzt Reaktionszeiten im Krisenfall. Zudem hat die NATO klargestellt, dass bei Bedarf schnell weitere Verbände – auch aus den USA – nachgeführt würden. Litauens Präsident Nausėda sprach von einem „Eisbrecher für die neue NATO-Strategie“: Die Präsenz der großen Bündnisnationen an der Ostflanke beweise, dass Abschreckung wieder ernst genommen werde und Verteidigung konkret organisierbar ist. In der Tat gilt der Grundsatz der Abschreckung durch Bündnissolidarität seit Jahrzehnten als Garant für den Frieden – und wurde nun sichtbar aufgefrischt. „Es gibt wenige Lehren aus der Geschichte, die so passgenau auf die Gegenwart übertragbar sind: Stärke schreckt Aggressoren ab, Schwäche hingegen lädt sie ein“, erklärte Merz mahnend im Bundestag. Dieser Grundsatz der Abschreckung eint Deutschland und Litauen. „Wir müssen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen“, hatte Merz es auf den Punkt gebracht. Genau das ist die Idee hinter der Litauen-Brigade: so stark aufzutreten, dass der Ernstfall gar nicht erst eintritt. Im Baltikum versteht man diese Logik aus eigenem Erleben nur zu gut – und ist dankbar, dass Deutschland sie sich nun zu eigen macht.

Natürlich steht der echte Härtetest für diese neue Aufstellung noch aus. In einem Kommentar hieß es treffend: Die eigentliche Feuertaufe stehe Merz und Deutschland noch bevor. Denn eine dauerhafte, glaubwürdige Abschreckung zu organisieren – notfalls auch ohne aktive US-Führung – bleibt eine riesige Aufgabe. Doch die baltischen Verbündeten sehen in der deutschen Brigade einen entscheidenden Schritt in die richtige Richtung: ein historisches Signal sicherheitspolitisch, symbolisch und bündnispolitisch, sich gemeinsam für ein freies Europa zu verpflichten. Deutschland beweist in Litauen, dass es bereit ist, Verantwortung in Europa zu übernehmen, und das Baltikum honoriert dies mit großem Vertrauen.

 

Litauens Aufrüstung: Wehrhafte Demokratie mit Plan und Budget

Angesichts der Bedrohungslage verfolgt Litauen mit bemerkenswerter Entschlossenheit eine umfassende Stärkung seiner eigenen Wehrfähigkeit. Bereits 2022 wurde der Verteidigungshaushalt sprunghaft erhöht; 2024 erreichten die Militärausgaben rund 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – eine der höchsten Quoten in der NATO. Doch dabei bleibt es nicht: Litauens Führung hat angekündigt, die Verteidigungsausgaben 2026 auf 5,25 Prozent und bis 2030 auf bis zu 6 Prozent des BIP zu steigern. Dieses beispiellose Vorhaben – Litauen würde damit gemessen an der Wirtschaftskraft zum Spitzenreiter in der Allianz – soll den Aufbau neuer militärischer Strukturen ermöglichen. Konkret plant Vilnius die Aufstellung einer eigenen Division, die auch ein Panzerbataillon umfasst. Bisher verfügt das Land nur über Brigaden; eine Division (rund 10.000 Soldaten) wäre ein Quantensprung und soll in den nächsten Jahren mit Hilfe zusätzlicher Ausrüstung und Personal entstehen.

Um diese Pläne zu finanzieren, hat Litauen tiefgreifende politische Entscheidungen getroffen. Im Juni 2024 beschloss das Parlament in Vilnius eine Reihe von Steuererhöhungen, die zweckgebunden die Verteidigungsausgaben stützen. Ein neu geschaffener Verteidigungsfonds erhält dadurch Zusatzmittel in dreistelliger Millionenhöhe: 2025 fließen 259 Mio. €, 2026 rund 425 Mio. € und 2027 etwa 444 Mio. € zusätzlich in die Kasse. Dieses Geld stammt aus einer moderaten Erhöhung der Körperschaftssteuer (um 1 Prozentpunkt) sowie Aufschlägen auf Alkohol, Tabak und Kraftstoffe (plus 6 Cent pro Liter Benzin/Diesel). Die litauische Finanzministerin, Gintarė Skaistė, erklärte zu dem Paket sinngemäß: Angesichts der geopolitischen Lage und Russlands Aufrüstung müsse Litauen alles tun, um seine Sicherheit zu gewährleisten und den Feind abzuschrecken – das beschlossene Fonds-Paket stelle die nötigen Finanzmittel bereit, um die Landesverteidigung zu stärken. Bemerkenswert: Die Maßnahmen wurden im Seimas, dem litauischen Parlament, mit großer Mehrheit verabschiedet. Dies spiegelt einen überparteilichen Konsens wider, dass Sicherheit oberste Priorität genießt und auch unbequeme Schritte – wie Steuererhöhungen – rechtfertigen kann. Eine wehrhafte Demokratie investiert in ihre Zukunft.

Litauen setzt die zusätzlichen Mittel gezielt ein. Beschaffung moderner Waffensysteme und Munition steht an erster Stelle. So wurden bereits 2022/23 amerikanische HIMARS-Raketenwerfer und zusätzliche deutsche gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Boxer (litauische Version „Vilkas“) bestellt. Im April 2025 bewilligte die Regierung nochmals rund 187 Mio. € extra für die Beschaffung weiterer Boxer-Schützenpanzer sowie des norwegisch-amerikanischen Luftabwehrsystems NASAMS. Die ersten NASAMS-Batterien sollen ab 2026 ausgeliefert werden. Damit baut Litauen eine mehrschichtige Luftverteidigung auf, die dringend nötig ist: Bislang verfügte das Land nur über kurze Reichweiten (Flugabwehrraketen wie „Stinger“ oder RBS-70), nun kommen Mittelstrecken hinzu, um etwa Marschflugkörper oder Kampfflugzeuge abfangen zu können. Auch in den Schutz des Luftraums und der kritischen Infrastruktur wird investiert – etwa durch Radaraufrüstung und den Ausbau der Luftwaffe (Litauen betreibt mehrere Transport- und Überwachungsflugzeuge, wenn auch keine eigenen Kampfjets). Weitere Kaufpläne umfassen möglicherweise die Anschaffung von Kampfpanzern für das geplante eigene Panzerbataillon. Experten halten es für wahrscheinlich, dass Litauen hierfür auf westliche Modelle (etwa gebrauchte Leopard 2 aus deutschen Beständen) zurückgreift, um nahtlos mit der deutschen Brigade operieren zu können.

Ein erheblicher Teil der neuen Mittel fließt in die Infrastruktur und Logistik – sowohl zur Verbesserung der Mobilität eigener Truppen als auch zur Aufnahme alliierter Kräfte. So baut Litauen derzeit Kasernen und Übungsgelände aus, insbesondere an Standorten, wo die Bundeswehr-

Brigade untergebracht wird. Straßen und Bahnverbindungen werden für den zügigen Truppentransport ertüchtigt, Depots für Treibstoff und Munition angelegt. Diese Investitionen stellen sicher, dass Litauen zum „Host Nation Support“ fähig ist: Alliierte Verstärkungen können im Bedarfsfall schnell verlegt und versorgt werden. Litauen leistet damit für seine Größe Beeindruckendes – eine Anerkennung dessen war auch aus Berlin zu vernehmen.

Neben der konventionellen Aufrüstung hat Litauen die Cyber- und Hybridabwehr zur Chefsache erklärt. Die Regierung gründete ein nationales Cyber-Sicherheitszentrum, erhöhte die Budgets für IT-Sicherheit und führt regelmäßig Cyberabwehr-Übungen durch. Litauische Experten gehören zu den führenden in Europa; im EU-Rahmen koordiniert Litauen sogar ein Projekt zur Aufstellung gemeinsamer Cyber-Eingreifteams. Nach den Erfahrungen massiver Cyberangriffe (etwa 2017 in der Ukraine oder 2022 gegen eigene Behörden) ist das Bewusstsein für digitale Verteidigung stark ausgeprägt. Auch Desinformations-Abwehr wird offensiv betrieben: Spezielle Einheiten in Regierung und Zivilgesellschaft (sog. Elfen) entlarven Fake News aus dem Propaganda-Apparat des Kremls, bevor sie größeren Schaden anrichten können.

Zuletzt setzt Litauen auf die Einbindung der gesamten Gesellschaft in die Verteidigung. Neben der bereits erwähnten Schützenunion gibt es Programme an Schulen und Universitäten, um Wehrkunde und Krisenvorsorge zu fördern. Die Regierung stockt die Reserve auf und hat die 2015 wieder eingeführte Wehrpflicht (für eine begrenzte Zahl von Männern pro Jahr) verlängert. Diskussionen über eine Ausweitung der Dienstpflicht – eventuell auch für Frauen in Zukunft – werden vor dem Hintergrund der Ukraine-Erfahrungen mit neuer Offenheit geführt. Die Idee einer „totalen Landesverteidigung“ (Total Defense), bei der Militär, Freiwillige und Zivilbevölkerung in einem Abwehrkonzept verzahnt sind, ist fest in den strategischen Doktrinen Litauens verankert. Litauen will zeigen, dass es bereit ist, sein Land um jeden Preis zu verteidigen – notfalls im Partisanenkampf, wie schon einmal in der leidvollen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

All diese Maßnahmen haben ihren Preis, doch Litauen ist bereit, ihn zu zahlen. In der Bevölkerung gibt es dafür breite Unterstützung. Meinungsumfragen zeigen, dass eine große Mehrheit zusätzliche Militärausgaben befürwortet, solange die Bedrohung durch Russland anhält. Das wirtschaftliche Wachstum der vergangenen Jahre und solide Staatsfinanzen helfen dabei, die Rüstungsvorhaben zu schultern, wenngleich andere Bereiche (z.B. Infrastruktur oder Sozialleistungen) etwas zurückstecken müssen. Die Prioritäten der litauischen Regierung sind eindeutig: Sicherheit zuerst. Getragen wird dies vom Wissen, dass Abschreckung und Verteidigungsbereitschaft die wirksamsten Friedensgaranten sind.

 

Globale Großwetterlage: Russland gegen den Westen – und die baltische Dimension

Litauens Sicherheitslage ist eingebettet in eine sich zuspitzende geopolitische Konfrontation. Das Verhältnis zwischen Russland und den USA hat große Bedeutung für Litauen. Aus litauischer Sicht hängt die eigene Sicherheit daher maßgeblich von der transatlantischen Partnerschaft und der Verlässlichkeit Washingtons ab. Schon in der Übergangszeit forderte Trump lautstark, dass alle NATO-Staaten mindestens 5 Prozent ihres BIP für Verteidigung ausgeben – weit mehr als das bisherige 2-Prozent-Ziel. Für Litauen, das diese Marke ohnehin anpeilt, ist dies Wasser auf die Mühlen der eigenen Politik. Doch man sorgt sich, ob der neue US-Präsident im Ernstfall so vorbehaltlos zur NATO-Beistandspflicht stehen wird wie sein Vorgänger. Trumps oft nachsichtiger Ton gegenüber Putin löst in Vilnius Unbehagen aus: Könnte ein „Deal“ zwischen Washington und Moskau zulasten osteuropäischer Sicherheitsinteressen erfolgen?

Gleichzeitig bleibt Russland unter Wladimir Putin auf Konfrontationskurs mit dem Westen. Sollte Putin versuchen, die Einheit der NATO zu testen, könnten provokative Aktionen in Litauen, Lettland oder Estland stattfinden – etwa Grenz- oder Luftraumverletzungen, zuletzt auch Aktivitäten rund um die russische Schattenflotte –, um die Reaktionsfähigkeit und politischen Willen des Bündnisses auszuloten. Vilnius weiß: Jeder lokale 

Zwischenfall kann schnell globale Dimensionen annehmen. Entsprechend setzt Litauen alles daran, zusammen mit den USA und den europäischen Partnern eine glaubwürdige Abschreckung aufzubauen. Die baltischen Staaten, Polen und andere osteuropäische NATO-Mitglieder haben als Antwort auf Russlands Aggression ihre Verteidigungsausgaben drastisch erhöht. Polen gibt bereits über 4 Prozent seines BIP für die Armee aus; Estland, Lettland und Litauen liegen deutlich über 2 Prozent und steigen weiter. Gerade Litauens Regierung rief die Alliierten auf, diesem Beispiel mutig zu folgen, denn „die Ära passiver Abwartestrategien ist vorbei.“ Diese Worte von Litauens Außenminister, Kęstutis Budrys, unterstreichen: Schwierige Zeiten erfordern mutige Entscheidungen – jetzt ist Führung gefragt.

Positiv wirkt sich die gestiegene Geschlossenheit der NATO aus. Die Allianz hat 2022 und 2023 auf den veränderten Bedrohungscocktail reagiert, insbesondere beim Gipfel in Vilnius (Juli 2023): Neue regionale Verteidigungspläne wurden verabschiedet, die den baltischen Staaten im Ernstfall schnelle und substanzielle Unterstützung zusichern. Für Litauen bedeutet dies, dass Angriffe nicht länger als unwahrscheinliche hypothetische Szenarien behandelt werden, sondern als Planungsgrundlage. Die ständige Präsenz alliierter Truppen (wie der NATO-Battlegroup unter deutscher Führung, die seit 2017 in Litauen steht) wird nun zu einer noch robusteren „Vorne-Präsenz“ ausgebaut, wie die NATO es nennt. Damit zeigt das Bündnis Putin klar: Kein Zweifel besteht daran, dass ein Angriff auf Vilnius als ein Angriff auf Washington, Berlin oder London betrachtet würde. Dennoch betont man in Litauen, dass europäische Eigenanstrengungen essenziell sind – gerade vor dem Hintergrund eventueller transatlantischer Unwägbarkeiten. Die enge Partnerschaft mit den europäischen Schwergewichten – allen voran Deutschland – gewinnt weiter an Bedeutung. In diesem Sinne gilt: Welche Signale sendet Berlin?

 

Fazit: Stärke, Entschlossenheit und Einheit als Friedensgaranten

Litauen befindet sich im Frühjahr 2025 an vorderster Front einer neuen sicherheitspolitischen Realität. Der Krieg in der Ukraine wirkt wie ein Brennglas für die Bedrohungen, die lange unterschätzt wurden. Doch Litauens Antwort ist kein Einknicken vor der Angst, sondern ein couragiertes „Jetzt erst recht“ im Zeichen von Stärke und Einheit. Das kleine Land hat sich entschlossen, wehrhaft zu sein – militärisch, zivil und moralisch. Es vertraut auf seine Verbündeten und arbeitet zugleich unermüdlich daran, selbst stärker zu werden. Die dauerhaft stationierte deutsche Brigade in Litauen ist dabei weit mehr als eine militärische Verstärkung: Sie ist ein politisches Signal, dass Europa und die transatlantische Gemeinschaft Schulter an Schulter stehen. Für Deutschland bedeutet dieses Engagement einen bewussten Schritt in die Verantwortung: „Dafür müsse Deutschland auch innerhalb der NATO und in der EU mehr Verantwortung übernehmen“, hatte Kanzler Merz gefordert – Litauen ist nun ein Ort, an dem sich diese Verantwortung konkret manifestiert.

Abschreckung wirkt, wenn sie glaubwürdig untermauert ist. Litauens aktuelle Sicherheitslage mag angespannt sein, doch sie ist nicht hoffnungslos. Im Gegenteil, sie zeigt exemplarisch, wie entschlossene Demokratien Bedrohungen begegnen können. Die Werte, die dabei gelebt werden – Bündnistreue, Einsatz für europäische Sicherheit, und die feste Überzeugung, dass friedliche Koexistenz am besten durch Stärke und Entschlossenheit gesichert wird – sind identisch mit den Prinzipien, auf denen das westliche Bündnis fußt.

Bundeskanzler Merz brachte es in seiner Regierungserklärung auf den Punkt: „Unser Ziel ist ein Deutschland und ein Europa, die gemeinsam so stark sind, dass wir unsere Waffen niemals einsetzen müssen.“ In Litauen wird dieses Ziel greifbar. Hier, an der Ostflanke der NATO, zeigt sich, dass Frieden bewahren heißt, zur Verteidigung bereit zu sein. Litauen ist bereit. Deutschland ist an Litauens Seite. Und gemeinsam sendet man eine unmissverständliche Botschaft Richtung Moskau: Wer die Freiheit herausfordert, wird auf eine geschlossene, wehrhafte Gemeinschaft stoßen – fest entschlossen, die Friedensordnung Europas zu schützen.

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Oliver Morwinsky

Oliver Morwinsky

Leiter des Auslandsbüros Baltische Staaten

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