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Länderberichte

Konflikt am Río San Juan zwischen Costa Rica und Nicaragua

von Friedrich Claudius Schlumberger
Mitte Oktober gab die costaricanische Regierung ihr Einverständnis zur Anfrage Nicaraguas den Grenzfluss San Juan auszubaggern, um die Schifffahrt auf ihm zu erleichtern. Der ehemalige Kommandant der Sandinisten Edén Pastora wurde von Präsident Daniel Ortega mit der Durchführung der Bauarbeiten beauftragt.

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Am 20.10. meldete ein auf der Flussinsel Calero lebender costaricanischer Landwirt, dass nicaraguanische Soldaten Sedimente auf der Insel deponiert hätten. Zudem hätten sich diese selbst auf Calero eingerichtet. Zwei Tage später schickte die costaricanische Präsidenten Laura Chinchilla, mangels eigenen Militärs, ein Polizeiaufgebot in die Zone. Zeitgleich spricht die Staatsanwaltschaft Costa Ricas eine Klage gegen Nicaragua wegen Umweltschädigung aus.

Die nicaraguanische Regierung zieht ihre Soldaten nicht von der plötzlich von beiden Ländern beanspruchten Insel zurück, der Tonfall zwischen Präsident Ortega und Präsidentin Chinchilla wird zunehmend aggressiver. Am 09. November stellt Chinchilla Ortega ein Ultimatum von 48 Stunden, um seine Soldaten abzuziehen. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), welche zuerst von Costa Rica, dann auch von Nicaragua um Vermittlung gebeten worden war, erbittet erfolgreich von Chinchilla eine Verlängerung des Ultimatums um einen Tag. Danach finden die Gespräche im Rahmen der OAS statt (12. und 13.11.), welche mit Mehrheit einen Vorschlag verabschiedet, der den binationalen Dialog, die Kennzeichnung des Grenzverlaufes im Gelände, sowie Abzug der Soldaten bzw. Polizisten beinhaltet.

Costa Rica erklärt sich damit einverstanden, Nicaragua auch, jedoch mit Ausnahme des Soldatenabzuges. Daraufhin kündigt Chinchilla an, es handle sich um eine militärische Invasion Nicaraguas welche sie vor den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen brächte, zöge das Nachbarland nicht bald seine Soldaten ab. Ortega verkündete es handele sich um eine Grenzstreitigkeit, welche er beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag anzeigen werde. Am 15.11. schickte der General Humberto Ortega, Bruder des nicaraguanischen Präsidenten, einen Brief an Laura Chinchilla in welchem er die Bereitschaft Daniel Ortegas seine Soldaten abzuziehen andeutet – dies bedeute jedoch nicht, dass Nicaragua die Insel als costaricanisch anerkenne. Vorerst ist ein binationales Treffen für den 27. November angedacht.

Völkerrechtliche Abkommen und Geographie

Der Grenzverlauf zwischen den beiden Staaten wurde bereits im Jahr 1858 durch den Vertrag Cañas-Jerez festgelegt. Uneinigkeiten in der Interpretation dieses Vertrages räumten 1888 der Schiedsspruch des damaligen US Präsidenten Cleveland, und kurz darauf die vier Schiedssprüche (1897-1899) des Ingenieurs Alexander aus. Ein weiteres und bis dato letztes Mal wurden der Grenzverlauf und die jeweiligen Rechte am San Juan im Juli 2009 vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag klargestellt. Im Osten der beiden Länder bildet der Fluss San Juan die Grenze, über welchen Nicaragua das alleinige Hoheitsrecht besitzt. Costa Rica ist es erlaubt den Fluss frei zu befahren, einzige Ausnahme stellen polizeiliche Aktivitäten dar.

Einige Kilometer bevor der San Juan in die Karibik entwässert, teilt er sich in ein mehrarmiges Delta auf. Der breiteste und dabei südlichste Flussarm könnte rein geographisch weiterhin als San Juan betrachtet werden, heißt jedoch Río Colorado und gehört laut der verschiedenen Schiedssprüche zu Costa Rica. Auch auf offiziellen nicaraguanischen Karten, wie bspw. auf der 2003 vom staatlichen Vermessungsinstitut INETER herausgegebenen Landkarte, befindet sich der Colorado Fluss in Costa Rica, wohingegen der nördlichste Arm des San Juan die Grenze bildet bis er bei der bereits im Vertrag Cañas-Jerez erwähnten Landspitze Punta Castilla in die Karibik mündet. Zwischen Rio San Juan und Rio Colorado befinden sich zwei - nach dieser Logik costaricanische - Inseln. Die mit 151,6 km2 größere von beiden heißt Isla Calero. Die Grenze ist im Gelände nicht durch Grenzposten gekennzeichnet.

Diskurs und dahinterstehende Interessen

Sowohl Chinchilla, als auch Ortega teilen mit davon überzeugt zu sein, sich im Recht zu befinden und korrekt zu handeln, wohingegen der/die jeweils andere sich „kindisch verhalte“. Tatsächlich scheint die Situation sonderbar und es stellt sich die Frage, worum es denn tatsächlich geht.

Daniel Ortega teilte in einer Volksansprache vergangenen Samstagabend mit, der Grenzverlauf sei im Laufe der Zeit wegen natürlichen Flusslaufverlagerungen unklar geworden, die Insel sei lediglich eine Sandbank aus der Trockenzeit und zudem nicaraguanisch. Nicaragua wolle kein weiteres Land mehr an Costa Rica verlieren und werde deswegen den Fluss so lange ausbaggern, bis sein ursprünglicher Verlauf wiederhergestellt sei. Der Colorado Fluss sei zwar costaricanisch, allerdings hätte Nicaragua das Recht diesen frei zu befahren, da Costa Rica selbiges auf dem San Juan dürfe. Es handle sich folglich eindeutig um einen Grenzkonflikt, der vor den Internationalen Gerichtshof gehöre. Zudem bekämpften Nicaraguas Soldaten im Gegensatz zu Costa Rica die Drogenkriminalität in der Grenzregion. Costa Rica, verträte mit Guatemala, Mexiko, Kolumbien und Panama gemeinsame „Drogeninteressen“ innerhalb der OAS, weswegen die Länder keine Kontrolle der Region wünschten und den Abzug der nicaraguanischen Soldarten forderten.

2011 finden in Nicaragua Präsidentschaftswahlen statt. Der mittlerweile immer autoritärer regierende und in der Bevölkerung immer unbeliebterere Daniel Ortega plant, sich erneut aufstellen und wählen zu lassen. Der San Juan Fluss ist eines der wenigen Themen die die Bevölkerung hinter ihrem ungeliebten Präsidenten stehen lassen. Ein Prozess in Den Haag dauert lange und je länger sich die Lösung des Konfliktes hinziehen lässt, desto länger dauert der „politische Effekt“ an.

Bekäme Nicaragua das Recht zugesprochen den Colorado Fluss zu befahren, so hätte das Land (auch wenn während der Trockenzeit der San Juan in Teilen nicht befahrbar ist) ganzjährig eine durchgängige Verbindung von der Karibik- zur Pazifikküste.

Der Diskurs Laura Chinchillas klang zuerst ungewohnt aggressiv, bis am vergangenen Donnerstag der Ton umschlug. Seit dem stilisiert sich das heerfreie Land in seiner Pazifisten- und damit in diesem Fall auch Opferrolle. Viertausend Grundschulkinder zogen weißgekleidet für Frieden demonstrierend durch die Innenstadt San Josés, die meistgesehenen Fernsehsender erinnern in sanften Werbespots an Costa Ricas friedliche Tradition. Diese Maßnahmen sind selbstverständlich angebrachter als Kriegsrhetorik und dienen auch dazu, fremdenfeindliche Ausbrüche der costaricanischen Bevölkerung ihren zahlreichen nicaraguanischen Mitbürgern gegenüber zu vermeiden. Gleichzeitig dienen sie der Präsidentin, ihre Argumentation zu untermauern, es handle sich um eine militärische Invasion, für welche der UN Sicherheitsrat zuständig sei. Nicht zu vergessen ist außerdem der costaricanische Umweltdiskurs der Nicaragua als ökologischen Sünder präsentiert.

Die Entscheidungen des UN Sicherheitsrates werden häufig von den USA dominiert, welche traditionell eher für Costa Rica und gegen Nicaragua eingenommen sind. Außerdem trifft der Rat seine Entscheidungen um einiges schneller als der Internationale Gerichtshof. Laura Chinchilla hat nicht nur Probleme mit ihrer Partei und Parlamentsfraktion, sondern v.a. mit den Brüdern Arias. Vor dem Hintergrund der Uneinigkeiten mit Ex-Präsident Oscar Arias, der nicht nur den Friedensnobelpreis bekam, sondern auch gerne als diplomatisches Genie hingestellt wird, ist es für die Präsidentin besonders wichtig den Konflikt nicht nur „gut“, sondern auch so schnell wie möglich zu lösen.

Auch wenn es richtig ist, dass die unmittelbare Grenzregion auf costaricanischer Seite unter Naturschutz steht (Refugio de Vida Silvestre Barra del Colorado), so tragen die costaricanischen Zuflüsse des San Juans große Mengen an Sedimenten aus den grenznahen Ananasplantagen ein. Laut Daten des Landwirtschaftsministeriums von 2004 bestehen 52% der Fläche der grenznahen Nordregion Huetar Norte aus Ananasplantagen, welche auf Grund „ökologisch schlechter“ Bearbeitung starke Bodenerosion auslösen.

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