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"Das Wählerbiest" oder doch nur der ganz normale Wahnsinn?

Eine Nachlese zur Landtagswahl in Niedersachsen

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„Das Wählerbiest“. Diese reißerische Überschrift prangt am Tag nach der Niedersachsenwahl nicht etwa, wie vielleicht zu erwarten, auf der ersten Seite von Deutschlands bekanntester Boulevardzeitung. Nein, es war das intellektuelle Grundnahrungsmittel par excellence, die Wochenzeitung DIE ZEIT, die diese drastische Formulierung wählte. Der Autor des Beitrags, Bernd Ulrich, lässt den Leser im Untertitel wissen, warum er den Wähler so grimmig charakterisiert: „Die Bürger sind unberechenbar und schlau – das blamiert alle Parteitaktik und zwingt zum Kampf um die Sache.“

Trifft diese halb jubelnde, halb erschrockene Einschätzung zu? Hat der Wähler wirklich eine neue Seite von sich gezeigt, liegt das alles, was sich da in Niedersachsen zugetragen hat, neben der gewohnten Spur? Ist die „Laune“, die der Wähler da an einem kalten, aber schönen Sonntag im Januar an der Urne gezeigt hat, Ausdruck klügsten strategischen Denkens oder das krasse Gegenteil? Ist die Niedersachsen-Wahl gar das Ende aller Parteiverdrossenheit oder, wie andere sagen, erst recht eine neue Variante, um diese Unzufriedenheit in wirksamer Weise zu zeigen? Ist der gute alte Lagerwahlkampf wieder da, irgendwie goutiert vom Wähler, oder führt gerade diese Wahl zur endgültigen Überwindung des Lagerdenkens?

Man kann sich schon denken, was Radio Eriwan auf alle diese Fragen in seiner bauernschlauen Weisheit geantwortet hätte: „Im Prinzip ja.“ Kurz gesagt und damit die Pointe schon vorweggenommen: Diese Wahl bestätigt Trends, die die Wahlforschung schon eine Weile verfolgt. In gleichem Ausmaß ist sie allerdings überraschend und in Teilen sogar nur schwer erklärbar. Erkennbar ist jedenfalls, dass das Phänomen „Niedersachsen 2013“ der genaueren Betrachtung bedarf. Leider tritt aber in der medialen Nachwahlbetrachtung an die Stelle eines tiefen Erkenntnisinteresses und des Bemühens, diese ungewöhnliche Wahl wirklich zu verstehen, die vorgefertigte Meinung.

 

Kommentare von eklatanter Unkenntnis

Viele Kommentare in den Medien zeugen jedenfalls von einer eklatanten Unkenntnis der relevanten Wahldaten und der Union in Niedersachsen. In seinem Beitrag „Wie man Stärke verspielt“ im Handelsblatt wirft Michael Inacker David McAllister vor, eine „profillose Kampagne“ geführt zu haben. Dieses Vorgehen, so Inacker, trage einen Namen: „asymmetrische Demobilisierung“. Programmatische Grenzen seien verschwommen, die Union sei ein Gemischtwarenladen geworden. „Je schwammiger das Profil, desto mehr erwägen die CDU-Strategen eine weitere Sozialdemokratisierung und Vergrünung der Partei.“ So kunstvoll auch immer dieses Lamento in Worte gekleidet sein mag, es bleibt dennoch unwahr, ja unsinnig!

Die Fakten sprechen in Niedersachsen eindeutig gegen Inackers Thesen. Von wegen Wählerdemobilisierung – die CDU konnte im Nichtwählerlager mobilisieren, wenngleich die Anzahl mit 49.000 Stimmen zugegebenermaßen deutlich geringer ist als bei der SPD und den Grünen. Noch eindrucksvoller ist der Blick auf die Kompetenzdaten: Es sind die traditionellen Felder, die harten Brot-und-Butter-Themen, bei denen die Union besonders gepunktet hat: bei der Wirtschaftspolitik mit 46 (CDU) zu 24 (SPD) Prozent (Forschungsgruppe Wahlen), bei den Finanzen mit 44 (CDU) zu 25 Prozent (SPD). Bei der Zukunftskompetenz, die immer ein Gradmesser für Wahlchancen ist, liegt mit 38 zu 29 Prozent ebenfalls ein sehr deutlicher Vorteil bei der CDU. Damit ist auch der Vorwurf Inackers an anderer Stelle seines Beitrages widerlegt, wo es heißt, dass man „den Markenkern (falls den in der Union überhaupt noch jemand kennt) weiter verwässert“ habe und sich nicht wundern müsse, dass die Menschen das „grüne oder rote Original wählen“.

Schon allein das Eintreten für Studiengebühren, das möglicherweise zu den schlechteren Kompetenzwerten der Union im Bereich der Bildung mit beigetragen hat, zeigt, dass der Wahlkampf nicht mit grünen und roten Anleihen geführt worden ist, sondern durchaus „gegen den Strich“. Besonders absurd ist allerdings die Unterstellung, der Kandidat sei nicht genügend profiliert und habe deshalb nicht gezogen. Sieben von zehn Niedersachen waren der Auffassung, dass er ein guter Kandidat für die CDU sei, zwei Drittel waren zufrieden mit seiner Arbeit. In der klassischen Beliebtheitsskala erzielte er einen Wert von 2,2. Das ist der beste Wert, den ein CDU-Kandidat für ein Ministerpräsidentenamt seit 2009 erzielt hat. Besonders schön hat Jasper von Altenbockum in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung deutlich gemacht, dass David McAllister nicht der ausschlaggebende Grund für diese Niederlage war: „McAllister war in Niedersachsen, was Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen“ war.

 

Keine Wechselstimmung weg von der CDU

Eine Wechselstimmung weg von der Union hat es nicht gegeben: Gut jeder zweite Niedersachse hat für eine CDU-geführte Regierung unter David McAllister votiert. Auch ist das Zutrauen zur Regierungsfähigkeit der SPD nicht sehr ausgeprägt gewesen. Im Jahr 2012 waren nur etwa dreißig Prozent der Menschen der Auffassung, eine SPD-geführte Landesregierung sei besser in der Lage, die anstehenden Aufgaben und Probleme in Niedersachsen zu lösen. Eine eindeutige Wechselstimmung hin zur SPD hat es also nicht gegeben. Nicht zu leugnen ist hingegen – und das ist entscheidend für die Interpretation des Wahlergebnisses –, dass es eine Wechselstimmung weg von der CDU-FDP-Koalition gegeben hat.

Während sich noch im Jahr 2008 etwa 49 Prozent für eine schwarz-gelbe Koalition aussprachen, waren es vor der Wahl nur noch 36 Prozent.

Die Daten, die vor der Wahl erhoben worden sind, erhärten den Verdacht, dass diese Wechselstimmung weg von der Koalition vor allem der FDP zuzuschreiben ist. Das Zutrauen zur FDP war erschreckend gering: In keinem der abgefragten Kompetenzfelder kam sie über einen niedrigen Prozentwert um die drei Prozent hinaus. Noch nicht einmal zwanzig Prozent haben dem Spitzenkandidaten Stefan Birkner gute Arbeit bescheinigt. Zum Vergleich: Wolfgang Kubicki hat in Schleswig-Holstein Werte um die fünfzig Prozent erzielt. Auch in der Regierungsbilanz wird die Partei gravierend schlecht eingeschätzt und fällt dabei auf der +5/-5-Skala mit -0,5 Punkten weit hinter die CDU mit 1,4 zurück. Neben dem zerstrittenen Bild, das die FDP in ganz Deutschland abgibt, hat dabei offensichtlich auch der Bundesvorsitzende eine ganz besondere Rolle gespielt: 53 Prozent der Befragten gaben in Niedersachsen an, dass Rösler der Partei massiv geschadet habe. Den einhelligen Bekundungen der FDP-Granden am Wahlabend, es sei der Parteivorsitzende gewesen, der die Wahl für die FDP gewonnen habe, entziehen diese Zahlen die Grundlage.

Die schlechten Zahlen der FDP, die sich schon seit längerer Zeit andeuten und damit alles andere als eine kurzfristige Laune des Wählers sind, verbieten jeden falschen Jubel! Nein, die herrliche Karikatur, die am Tag nach der Wahl in der Berliner Zeitung und im Netz zu sehen war, beschreibt die tatsächliche Situation zumindest teilweise treffend: Sie zeigt einen ermatteten David McAllister im Krankenbett mit zwei deutlich sichtbaren Vampirmalen am Hals und einer besorgten Kanzlerin am Bett stehend; vor allem aber sieht man im Hintergrund ein offenes Fenster, durch das sich gerade eine Fledermaus aus dem Staub macht. Auf ihrem Rücken prangt eine Aufschrift: FDP. Und die Liberalen haben – Leihstimmendiskussion hin oder her – wirklich ausschließlich von dieser milden Gabe der CDU-Anhänger gelebt. Die Wählerwanderungsbilanz zeigt, dass sie so gut wie keine Wähler außerhalb dieser „Transfusion“ hinzugewonnen und ihre klassische Klientel kaum mobilisiert haben. Ganz gleich übrigens, ob die angebliche Zweitstimmenkampagne der CDU für die FDP nun geflüstert oder unüberhörbar war, ob sie explizit oder implizit oder gar nicht ausgesprochen worden ist: Niemand hätte damit rechnen können, dass die Wählerwanderung so deutlich ausfallen würde, wenngleich Infratest dimap festgestellt hat, dass rund 46 Prozent der Wählerinnen und Wähler der Aussage zugestimmt haben: „Wer McAllister als Ministerpräsidenten behalten will, sollte überlegen, FDP zu wählen.“

 

Stammwähler nicht homogen, nicht sattelfest

Es könnte allerdings ein Trugschluss sein, zu glauben, dass Stimmensplitting in der Art, wie wir es in Niedersachsen erlebt haben, auf den klug abwägenden, an Sachthemen interessierten, informierten und analysierenden Wähler hindeutet, wie das in den Medien gelegentlich interpretiert worden ist. Selbst die Gruppe der Stammwähler, die gemeinhin als die „eiserne“ homogene und politisch sattelfeste Einheit betrachtet werden, ist – wie Forschungen der Konrad-Adenauer-Stiftung zeigen – extrem heterogen: Sie sind oft wenig politisch informiert. Wenn sie sich für die Parteien interessieren, dann ist ihre Wahrnehmung eher selektiv und an den eigenen Interessen orientiert. Die emotionale Zuneigung zur Partei ist habituell, ja fast traditionell und wird in der Familie „vererbt“. Selbst bei Stammwählern spielt Politik eine untergeordnete Rolle.

Der Wahlforscher Matthias Jung hat die Vermutung geäußert, dass wegen dieses geringeren politischen Interesses auch unwahrscheinlich sei, dass die Umfragen signifikante Auswirkungen auf das Wahlverhalten gezeitigt hätten – schlicht, weil sie nicht wirklich wahrgenommen worden seien. Die Forschung ist aus guten Gründen immer noch weitgehend unschlüssig, ob Wahlumfragen solche „Echo-Effekte“ auslösen. Allerdings ist es durchaus an der Zeit, zu überlegen, ob man die allgemeine Zurückhaltung, kurz vor der Wahl keine Umfrage mehr zu veröffentlichen, vielleicht aufgeben sollte. Die Tatsache, dass sich die Wähler immer später entscheiden und dass sich bei dieser Niedersachsen-Wahl rund 57 Prozent erst unmittelbar in den Wochen vor der Wahl entschieden haben, zeigt, dass Umfragen, die spätestens eine Woche vor der Wahl geheim gehalten werden, ein völlig anderes Bild liefern, als das Umfragen unmittelbar vor der Wahl tun.

Richtig vorausgesagt haben die Umfragen zwar nicht das Ergebnis für die CDU, wohl aber das Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden politischen Lager. Allerdings wäre es wohlfeil, die extrem knapp „gescheiterte Aufholjagd“ des schwarz-gelben Lagers nur mit dem strategischen Wahlverhalten der FDP-Wähler zu erklären. Stärken der SPD und der Grünen und gewisse Schwächen der Union dürfen in einer ehrlichen Analyse nicht verschwiegen werden.

 

Die Nichtwähler gaben den Ausschlag

Ein klares Lagerwahlverhalten war entscheidend für den Ausgang der Wahl. Diese These wird auch durch die Wählerströme bestätigt. Dabei war durchaus entscheidend, dass am Ende die SPD und die Grünen, möglicherweise auch wegen der gestiegenen Chancen von Schwarz-Gelb, vor allem aber wegen der messbaren Wechselstimmung gegen dieses Bündnis, gemeinsam besser mobilisieren konnten. Während die CDU und die FDP zusammen noch nicht einmal 60.000 Stimmen der Nichtwähler für sich gewinnen konnten, waren es bei Rot-Grün addiert fast 150.000 Stimmen. Es sind die Nichtwähler, die am Ende für dieses sehr knappe Wahlergebnis den Ausschlag gegeben haben.

Vielfach ist nach der Wahl mit Besorgnis darauf hingewiesen worden, dass die Union gerade in ihrem wichtigsten Reservoir, bei den Wählerinnen und Wählern über sechzig Jahre, acht Prozent weniger erzielen konnte. Übersehen wurde dabei, dass ein ganz erheblicher Teil dieser Wähler zur FDP gewechselt, somit dem „bürgerlichen Lager“ nicht verloren gegangen ist. Allerdings hat die Union auch bei den unter 25-Jährigen deutliche Verluste erzielt – wie bei einigen anderen Landtagswahlen zuvor. Wenn man das zu der altbekannten Tatsache in Beziehung setzt, dass das politische Interesse in dieser Altersgruppe insgesamt überdurchschnittlich gering ist, dann zeigt sich hier ein erheblicher Handlungsbedarf für alle Demokraten!

 

Steinbrück und Niedersachsen

Warum Rot-Grün am Ende mit hauchdünnem Vorsprung die Landtagswahl gewonnen hat? Dafür gibt es personelle und inhaltliche Gründe. Relativ wenig Beachtung hat die Tatsache gefunden, dass der neu gewählte Ministerpräsident Stephan Weil kurz vor der Wahl in Sachen Bekanntheit und Sympathie einen beachtlichen Rückstand kompensiert hat. Auch ihm ist – ebenso wie das bei David McAllister zu Unrecht geschehen ist – verschiedentlich Profillosigkeit vorgeworfen worden. Die Umfragen vor der Wahl zeigen zumindest in der Schlussphase ein etwas anderes Bild. Nachdem der landespolitische Neueinsteiger Weil den damaligen Landesvorsitzenden Olaf Lies 2011 zunächst nur mit Mühe und Not ausgestochen hatte, konnte er gerade in den allerletzten Wochen vor der Wahl noch einmal beachtlich aufholen. Während nur ein Drittel der Niedersachsen ihm um den Jahreswechsel herum gute Arbeit bescheinigt hatte, tat das doch in der Woche vor der Wahl fast jeder Zweite. Den massiven Schaden, den Kanzlerkandidat Peer Steinbrück in den Wochen vor der Wahl in dem norddeutschen Bundesland angerichtet hat – sogar 44 Prozent der Anhänger seiner Partei hatten in Niedersachsen diesen Eindruck –, konnte die SPD vor Ort so wenigstens teilweise ausgleichen.

Ob das mit Blick auf die Bundestagswahl gelingen wird, darf zumindest angezweifelt werden, denn jeder zweite Niedersachse unterstellt Peer Steinbrück, dass ihm das Thema der „sozialen Gerechtigkeit“ nicht wirklich wichtig sei. Die SPD hat immer dann Landtagswahlen verloren, wenn es ihr nicht gelang, mit der sozialen Gerechtigkeit als dem glänzenden, imagebildenden Diadem auf dem Haupt der Sozialdemokratie ihren Positionen Glanz und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Soziale Gerechtigkeit aber wird, dafür muss man nicht einmal ein mäßig begabter Prophet sein, durchaus Thema der Bundestagswahl sein. Wer sich das vor Augen führt, wird sich mit dem viel beschworenen Modellcharakter, den diese Wahl angeblich für die Bundestagswahl hat, deutlich schwerer tun.

Auch andere Indikatoren deuten darauf hin, dass sich an dem Lehrsatz, „eine Landtagswahl ist eine Landtagswahl“, auch in Niedersachsen nichts geändert hat. Trotz aller Rücken-, Gegen- und sonstigen Winde aus dem Bund ist in Niedersachsen wieder spürbar gewesen, was in allen zurückliegenden Landtagswahlen nachweisbar war: Landtagswahlen werden in allererster Linie landespolitisch entschieden. Hier waren es erneut mehr als fünfzig Prozent, die landespolitische Motive für ihre Wahlentscheidung angeführt haben.

Damit richtet sich fast automatisch der Blick auf die wahlentscheidenden Themen. Hier gibt es eine zweite Gesetzmäßigkeit, die den Ausgang fast jeder zurückliegenden Landtagswahl mehr oder minder besiegelt hat: Die Bildungspolitik ist mit weitem Abstand das Sorgenthema Nummer eins für die Menschen – noch deutlich vor der Arbeitslosigkeit. Nur reicht die Tatsache, dass die von der CDU regierten Länder in sämtlichen Bildungsrankings deutlich besser abschneiden, leider nicht, um diesen Trend zu nutzen. Die einhellige Ablehnung des Festhaltens an den Studiengebühren – nach Infratest dimap 72 Prozent der Niedersachsen – wird zwar ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass die CDU in diesem Feld nicht reüssieren konnte. Aber hinreichend erklären, wieso es der Union insgesamt bereits seit einiger Zeit nicht gelingt, in der Bildungspolitik zu punkten, trotz deutlicher und kommunizierter programmatischer     Fortschritte, kann diese Ablehnung nicht. Offenbar hat sich hier, ähnlich wie bei der „sozialen Gerechtigkeit“ ein wirkmächtiges „Image“ herausgebildet. Umso mehr muss die Union an dieser Stelle neue Stärke und Überzeugungskraft entwickeln – nicht zuletzt, indem sie die Sorgen der Eltern ernst nimmt und diese als politische Zielgruppe noch stärker in ihre Zielkoordinaten aufnimmt.

 

Linke im Westen nicht mehr gebraucht

Ein „echter Verlierer“ dieser Wahl ist im Windschatten des „kuriosen“ CDU-FDP-Ergebnisses zumindest medial einigermaßen unbemerkt „um die Ecke gehuscht“: Die Linke hat in Niedersachsen einen massiven Absturz erlebt. Die spannende Frage bleibt, ob sich das Phänomen „Linke im Westen“ schon wieder erledigt hat. Wenn es nach den Wählerinnen und Wählern in Niedersachsen geht, dann ist die Frage klar beantwortet. Hier haben sechzig Prozent die Ansicht bestätigt, dass die Linke als „Partei im Westen nicht mehr gebraucht wird“. Auch die „Bluttransfusion“ durch die Präsenz von Sarah Wagenknecht hat den miserablen Eindruck, den die Partei geboten hat, nicht wettmachen können. Das muss sogar die Rosa-Luxemburg-Stiftung zähneknirschend eingestehen. In ihrer Analyse verweist sie auf die Daten von Infratest dimap, nach denen nur vierzehn Prozent der Befragten die streitbare Leitfigur als „guten Grund“ für eine Wahlentscheidung angegeben haben. Besonders bemerkenswert ist, dass die Linken bei den Arbeitslosen deutlich verloren und deshalb offensichtlich bei ihren Kernthemen kein glaubwürdiges Bild geboten haben.

Wenn die Entscheidung zwischen zwei Lagern eine Wahl so deutlich dominiert, dann hat Protestwahlverhalten wenig Raum. Deshalb haben auch die Piraten, die trotz allem „Netzgeplänkel” unter dem Strich immer noch und vor allem Protestpartei sind, bei dieser Wahl ebenso wenig profitieren können wie die Linke. Den Bestatter sollte man für die Piraten allerdings noch nicht vorschnell bestellen. Bei einer Bundestagswahl, bei der das Protestwahlpotenzial erfahrungsgemäß deutlicher ausgeprägt ist als in den Ländern, kann sich die Sache auch noch anders darstellen, zumal die Piraten jenen Heimat bieten könnten, die sich weder für das eine noch für das andere politische Lager entscheiden können.

 

Ausblick

Bleibt am Ende die Frage, was diese Lagerentscheidung nun für die Politik in Niedersachsen bedeutet und ob – frei nach dem SPD-Evergreen „Wenn wir schreiten Seit an Seit“ – nun die „neue Zeit“ mit der neuen Koalition einzieht. Die neue Regierung hat sich mit einer denkbar knappen Mehrheit konstituiert. Die SPD in Niedersachsen ist mit einer grünen Fraktion verbunden, die deutlich nach links gerückt ist. Als die eigentlichen Wahlsieger mit dem besten Ergebnis, das sie in Niedersachsen jemals hatten, können die Bündnisgrünen vor Kraft kaum laufen. Gerade deshalb wird die SPD in Niedersachsen aufpassen müssen, dass der Schwanz nicht mit dem Hund wedelt.

Die Bauern in Niedersachsen jedenfalls werden die Ankündigung des neuen Landwirtschaftsministers Christian Meyer, man wolle die Agrarwende „sanft“ angehen und Niedersachsen als Agrarland Nummer eins in Deutschland erhalten, trotz aller Milde im Ton nicht falsch interpretieren. Sie werden das als Drohung begreifen. Es steht nicht zu erwarten, dass Christian Meyer, der sich durch markige Rhetorik gegen die Massentierhaltung hervorgetan hat, nun plötzlich durch Koalitionsdisziplin handzahm wird. Und dass sich grüne Ideen durchsetzen, ist auch bei der Frage der Abschaffung des „Sitzenbleibens“ zu befürchten! Die freche Mutmaßung, dass dahinter auch der eigennützige Gedanke der bildungsbürgerlichen „grünen Eltern“ stehe, ihrem „hochbegabten“ Nachwuchs einen Makel zu ersparen, entbehrt wohl auch nicht jeder Grundlage. Von Gorleben und anderen unangenehmen Baustellen muss man erst gar nicht reden.

Stephan Weil, so schreibt Robert von Lucius zu Recht, „weiß um die Begrenztheit seiner Macht – und dass er Probleme eher mit den Grünen haben wird als mit der Opposition“. Auch wenn es in einem so bodenständigen Land wie Niedersachsen, in dem ein ruhiger und überlegter politischer Stil gepflegt wird, unwahrscheinlich ist, dass mitten in der Legislatur „das Koalitions-Pferd“ gewechselt wird, so erscheint es angesichts dieser fragilen Situation dennoch umso dringender, dass sich die CDU in Niedersachsen nicht lange mit der Pflege ihrer Wunden aufhält, sondern sich schnellstens dazu in die Lage versetzt, mit großer Geschlossenheit eine glaubwürdige und kompetente Alternative zu bieten. Die Voraussetzungen dafür hat die Union – und zwar personell wie inhaltlich, das zeigen alle Daten – in Niedersachsen allemal.

 

Michael Borchard, geboren 1967 in München, Studium der Politikwissenschaft, Neueren Geschichte und des Öffentlichen Rechts in Bonn, Leiter der Hauptabteilung Politik und Beratung der Konrad-Adenauer-Stiftung.