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… und die Kirchen in Deutschland

von Franz-Josef Overbeck

„Vertrauen ist keine Einbahnstraße“

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Als im November 2016 die Ergebnisse der europaweiten Studie „Generation What?“ veröffentlicht wurden, lautete die Schlagzeile zu den Befunden aus Deutschland:

„Junge Menschen haben wenig Vertrauen in Politik, Kirche, Medien. 18bis 34-Jährige sind überwiegend skeptisch gegenüber Institutionen.“ (www.zdf.de/gesellschaft/generation-what/ pressemitteilung-november-100.html.

Die Ergebnisse der Umfrage selbst finden sich unter http://www.generation-what.de)

Die Kirche steht also nicht viel besser da als die staatlichen und demokratischen Einrichtungen, wenn es um das Vertrauen der Bürger, in diesem Fall der jungen Menschen, geht. Redet hier also der Einäugige über den Blinden, wenn der Bischof über das mangelnde Vertrauen in die Demokratie schreibt?

Das Vertrauen in Institutionen schwindet, nicht nur bei jungen Menschen. Dieser Rückgang des Vertrauens betrifft staatliche und politische Institutionen, Organe und Parteien, aber auch Großorganisationen wie die Kirchen. Der politische Vertrauensverlust und der in die gesellschaftlichen Institutionen gehen Hand in Hand, sicherlich bedingen sie auch einander.

In der modernen politischen Theorie wird Vertrauen als eine zentrale Voraussetzung der Demokratie angesehen. Bei Untersuchungen, woher dieses Vertrauen kommt, hat sich in den letzten Jahren in der Sozialwissenschaft die Theorie des Sozialkapitals etabliert. Demzufolge spielen die sozialen Bindungen in Vereinen und Organisationen eine große Rolle für das Vertrauen. Wenn sich die Bürger im gesellschaftlichen Raum gegenseitig vertrauen, kann dieses Vertrauen auch auf die politischen Institutionen übertragen werden. Innerhalb dieser Theorie wurde der Religion bei der Schaffung des Sozialkapitals – also dessen, was für den Zusammenhalt der Gesellschaft wichtig ist – von Anfang an eine wichtige Funktion zugemessen. Vor diesem Hintergrund muss das Schwinden von Vertrauen in religiöse und demokratische Institutionen in einem Zusammenhang gesehen werden.

Gottvertrauen

Doch was bedeutet überhaupt Vertrauen? Vertrauen ist der Glaube daran, dass mein Gegenüber ehrlich und rechtschaffen ist, mir nichts Böses will, oder aber der Glaube daran, dass gewisse Sachverhalte stimmen und nicht verfälscht sind. Vertrauen ist der Glaube an das Gute im Menschen. So gesehen ist eine Vertrauenskrise auch eine Glaubenskrise – wenn natürlich eine ganz andere als der zurückgehende Glaube an Gott. Vertrauen ist auch für die Religion essenziell. Gottvertrauen ist die Grundlage des Glaubens; Gottvertrauen gibt aber auch Gelassenheit für die irdischen Fragen. Das Vertrauen auf Gott und in die Mitmenschen ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft.

Schon ein Baby prägt als Erstes das Grundvertrauen in die Mutter aus. Ein Leben ohne Vertrauen wäre unmöglich. In unserem Alltag vertrauen wir andauernd, ohne es auszusprechen. Wir vertrauen, dass der Bäcker genießbare Zutaten verwendet, dass der Obsthändler tatsächlich ein Kilogramm einpackt, wenn wir es bezahlen, dass die anderen Rot haben, wenn wir bei Grün über die Ampel fahren, dass der Pilot das Flugzeug sicher zum Ziel bringen kann. Wenn man anfängt, über Vertrauen zu sprechen, ist es in der Regel schon verloren oder zumindest im Schwinden begriffen. Eine Schwerpunktausgabe zum Vertrauen in die Demokratie bedeutet also, dass wir dieses Vertrauen derzeit gefährdet sehen.

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ sagt ein Sprichwort, das Lenin zugeschrieben wird. Vertrauen und Kontrolle gehören in einem Gemeinwesen zusammen. Man kann nicht allen Menschen vertrauen, deshalb muss man auch kontrollieren. Man kann aber auch nicht alles kontrollieren, deshalb gehört das Vertrauen zwangsläufig zum Zusammenleben, zum gesellschaftlichen Miteinander. Kontrolle ist dazu da, das Vertrauen zu gewährleisten und es nicht infrage zu stellen. Daher ist unsere Sorge über ein Schwinden des Vertrauens berechtigt.

Erklären, erläutern, werben

Wir stellen uns die Frage, warum Menschen das Vertrauen in die demokratisch gewählten Institutionen verlieren. Warum gibt es Mitbürger, die den freien Medien unseres Landes misstrauen, die doch eine Voraussetzung der Demokratie sind? Stattdessen schenkt mancher lieber ausländischer Propaganda und gefälschten oder erfundenen Meldungen im Internet Glauben.

Das Besondere am Vertrauen ist, dass man es nicht erzwingen kann. Wir können noch so viel argumentieren, Vertrauen lässt sich nicht einfach nur durch rationale Erwägungen herstellen. Das ist insofern problematisch, als in den letzten Jahrzehnten die Globalisierung, aber auch die individuellen und gesellschaftlichen Freiheitsgewinne dazu geführt haben, dass die Rahmenbedingungen und Verfahren in der repräsentativen Demokratie und in der Sozialen Marktwirtschaft komplexer wurden. Es bleibt also nichts anderes übrig, als immer wieder zu erklären, zu erläutern und zu werben, auch wenn das allein nicht genügen wird. Die Antworten auf die schwieriger werdenden Fragen in der Welt werden nicht einfacher werden, sondern ebenfalls komplexer.

Vertrauen muss man sich erwerben; und es geht schneller verloren, als es wiedergewonnen werden kann. Menschen und Institutionen müssen Glaubwürdigkeit ausstrahlen, vertrauenswürdig sein, sonst schenkt man ihnen kein Vertrauen. Das ist auch eine Herausforderung für die Kirche, insbesondere nach den Krisen um Missbrauch und Verschwendung in den vergangenen Jahren. Es ist gleichermaßen eine Herausforderung für Staat und Gesellschaft, Parteien und Medien. Sie müssen sich ebenfalls anstrengen, um das Vertrauen der Bürger zu erwerben.

Solidarität und Eigenverantwortung

Vertrauen beruht zu einem gewissen Teil auch auf Gegenseitigkeit. Je mehr ich merke, dass mir jemand vertraut, umso mehr bin ich auch bereit, ihm zu vertrauen. Insofern stellt sich die Frage, inwieweit Staat und Gesellschaft den Eindruck erwecken, auch den Bürgern zu vertrauen. Vertrauen ist keine Einbahnstraße.

Staat und Gesellschaft müssen deshalb dafür Sorge tragen, dass Freiheit und Sicherheit in einer Balance gehalten werden. Das gilt für Fragen von innerer Sicherheit gleichermaßen wie von sozialer Sicherheit. Sozialethisch gesprochen müssen Solidarität und Eigenverantwortung in Einklang gebracht werden. Wir müssen den Bürgern Freiräume geben und Verantwortung einfordern, müssen aber gleichzeitig auch soziale Sicherheit bieten. Nur wenn die Bürger das Gefühl haben, es gehe insgesamt gerecht zu in unserem Land, werden sie dem Gemeinwesen auch Vertrauen entgegenbringen. Ohne Vertrauen in den Sozialstaat und den Rechtsstaat wird der soziale Zusammenhalt in unserem Land weiter brüchig. Nicht nur die Politik, alle gesellschaftlichen Gruppen und damit auch die Kirchen, sind gefordert, ihren Beitrag zu leisten, um die gesellschaftlichen Verhältnisse gerecht zu gestalten und damit das Vertrauen der Menschen zu stärken.

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Bischof Franz-Josef Overbeck, geboren 1964 in Marl, seit 2009 Bischof von Essen, seit 2011 Katholischer Militärbischof für die deutsche Bundeswehr, seit 2014 Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz.

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