Asset-Herausgeber

von Franziska Tischner

Studi allein zu Hause

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Die Corona-Pandemie 2020 hat viele Pläne zunichtegemacht. Unter diesen Voraussetzungen ein Studium zu beginnen, durchkreuzte alle meine schönen Erwartungen. Der Abschied vom Elternhaus wurde nur ein halber. Es gab ja wenig Grund, sich vollständig am Studienort einzurichten. Viele von uns hatten sich auf ein gänzlich anderes Leben gefreut: eine neue Art des wissenschaftlichen Arbeitens kennenlernen, interessante Kontakte knüpfen, vielleicht nebenbei neue Erfahrungen in einem Nebenjob sammeln, selbst etwas Geld verdienen. Man stellte sich vor, in überfüllten Hörsälen zu sitzen und in interessanten Bibliotheken zu grübeln, in Seminaren von Angesicht zu Angesicht miteinander zu diskutieren, sich mit anderen über das Studium auszutauschen und sich darüber anzufreunden.

Nichts davon war möglich. So erwies sich der Studienanfang im Wintersemester 2020/21 als „kalte Dusche“. Von der ersten Woche an fanden Vorlesungen und Seminare nur digital statt, und die Fremdheit war immens: Die meisten Lehrpersonen auf dem Bildschirm kannte man ja nicht in Person. Wer traut sich da, Fragen zu stellen? Offenbar blieben Introvertierte in digitalen Räumen noch stiller. Aber in der Anonymität der Videokonferenzen war es für jeden schwierig, sich zu beteiligen: Will man etwas fragen oder sagen, muss man sich über das vom Konferenztool vorgesehene Zeichen umständlich zu erkennen geben. Wird man aufgerufen, hat man leicht vergessen, das Mikro einzuschalten, und spricht los, ohne dass die anderen einen hören können. Das ist natürlich unangenehm!

Nicht nur zu den Lehrenden, sondern auch zu den Mitstudierenden blieb das Verhältnis aufgrund der technischen Barriere zumindest anfangs unpersönlich. Statt in den dichten Sitzreihen eines Hörsaals, die zu „Normalzeiten“ wohl zum Leidwesen mancher Dozierenden ein lebendiges Durcheinander an privaten Gesprächen ermöglichen, begegnet man sich in Webex- oder Zoom-Calls in kleinen, säuberlich separierten Bildschirmquadraten, und das auch nur, wenn die Verbindung stabil genug für das Anzeigen der Videos ist. Nebenbei-Kommunikation ist nur mit zusätzlichem technischem Gerät möglich. Diese Hürden bei der Kontaktknüpfung trugen erheblich dazu bei, dass sich viele von uns ratlos fühlten. Die unglaubliche Menge neuer Informationen und Dinge schien ohne Austausch mit „Leidensgefährten“ noch überwältigender. Wie soll man das alles organisieren und verarbeiten – allein von zu Hause?

Einige haben nicht einmal eine Wohnung am Studienort. Wer beispielsweise Geschichte studiert, bekommt dann ein Problem. Schriftliche Quellen, etwa aus der Universitätsbibliothek, sind unerlässlich, aber nicht immer online abrufbar. Studierende der Biologie und Medizin ohne Labore oder der Sportwissenschaften ohne Turnhallen haben es noch schwerer. Anderen fehlte zunächst die kostspielige technische Ausrüstung – ein halbwegs guter Laptop, eine Webcam oder ein Mikrofon gehören zur absoluten Grundausstattung.

Allgemein, aber speziell bei uns Studienanfängern, herrscht Unsicherheit darüber, wie digitale Prüfungen ablaufen sollen. Bereits die Anmeldung zu den Lehrveranstaltungen hatte ja schon eine handfeste administrative Hürde dargestellt. Inzwischen höre ich von Forderungen aus der Studierendenschaft, die Prüfungen entfallen zu lassen, aber sie mit „Bestanden“ zu werten. Der besonderen Situation angemessen finden auch viele von uns, dass BAföG-Studierenden, deren staatliche Unterstützung an eine Regelstudienzeit gekoppelt ist, eine Verlängerung ihres Unterstützungszeitraums bewilligt werden sollte. Vielleicht helfen auch „Freiversuche“ bei einer Klausur.

Bequem ist es, dass einige Vorlesungen nicht live gehalten werden, sondern als Videos jederzeit über das Uni-Netzwerk abrufbar sind. Schließlich kann man sich den Tag dann besser nach eigenem Gusto einteilen. Unaufmerksamkeit hat keine Folgen, weil man das Video ja beliebig oft abspielen kann. Wird es allzu langweilig, lässt sich die „Pause“-Funktion einschalten, und man versorgt sich mit anregendem Kaffee oder Tee. Allerdings liegt in dieser Freiheit auch eine Gefahr: So ist ein bisher eher unbekanntes Wort – Prokrastination – vielen von uns Homeoffice-Studierenden inzwischen sehr geläufig. Es bezeichnet das häufige unnötige Vertagen von Aufgaben und ist – wenn beispielsweise die Leitungen zur Uni schwächeln, aber Netflix auf dem Laptop super läuft – wohl ein zunehmendes akademisches Problem.

Zum Glück gab es erstaunlich viele Initiativen, die das Abgleiten ins Digital-Nirwana abzuwenden versuchten. Fraglos haben auch viele Dozierende für uns ihre virtuellen Grenzen nach Möglichkeit ausgetestet. Die Fachschaft und andere Hochschulgruppen boten Foren, bei denen sich Studierende kennenlernen und austauschen konnten – beispielsweise bei Spieleabenden auf Gamer-Plattformen.

Leider ist absehbar, dass sich das Sommersemester 2021 von all diesen Bedingungen nicht essenziell unterscheiden wird. Wahrscheinlich wird es weiterhin wenig bis gar keinen Präsenzunterricht geben, Kontaktmöglichkeiten werden beschränkt sein, und für einen Arbeitsplatz in einer der Universitätsbibliotheken wird man sich vorab anmelden müssen. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass – wenn alle, Dozierende und Studierende, weiterhin dazulernen – auch digitales Studieren manch Gutes hat. Zu hoffen bleibt, dass sich mit den Impfungen die Situation so weit verbessert, dass wenigstens im nächsten Wintersemester wieder der Großteil der Veranstaltungen in Präsenz stattfinden kann. Ob sich dann meine ursprünglichen Erwartungen erfüllen?

Das Abitur habe ich als Schülerin des ersten Abschlussjahrgangs unter Corona geschrieben. Auf einen Studienabschluss unter denselben Bedingungen würde ich gern verzichten.

 

Franziska Tischner, geboren 2002 in Leipzig, Studentin im ersten Semester der Fächer Geschichte und Deutsch an der Freien Universität Berlin.

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