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von Hagen Schäfer

Erfahrungen zum Staats-und Politikverständnis der Generation Z in Sachsen

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Als Lehrer für Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde an einem Beruflichen Schulzentrum im Freistaat Sachsen arbeite ich mit mehr als 400 Schülerinnen und Schülern verschiedener Bildungsgänge – von den berufsvorbereitenden Maßnahmen über die Berufsschule bis zur Fachoberschule – zusammen und lerne die Meinungen der 16- bis 21-Jährigen im Unterricht und in Pausengesprächen aus erster Hand kennen. Die zwischen 1997 und 2010 geborenen Jugendlichen wurden vom Pew Research Center als Generation Z bezeichnet, gelegentlich findet sich auch der Begriff „Post-Millennials“.

Die Schülerinnen und Schüler haben ein durchaus differenziertes Bild von den Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland. Nicht selten fühlen sie sich unverstanden oder ihre Positionen nur unzureichend von den etablierten Parteien vertreten. Sie beklagen die mangelnden Fortschritte beim Klimaschutz und erleben täglich an ihrer Schule, dass beim Ausbau einer digitalen Infrastruktur oder bei der Ausstattung mit digitalen Endgeräten eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit im deutschen Bildungssystem klafft. Dabei sind es nicht allein die Themen Klima und Digitalisierung, die viele Schüler beschäftigen, sondern auch die Aufgaben, die der Staat und die Politik gegenüber der Gesellschaft im Allgemeinen und der jungen Generation im Besonderen haben.

Natürlich ist das, was ich aus meinen Erfahrungen schildere, ein subjektives Stimmungsbild, das sicherlich nicht immer repräsentativ ist, sehr wohl aber helfen kann, ein Verständnis für diese Generation zu gewinnen. Gerade durch die duale Ausbildung im Betrieb werden die Schülerinnen und Schüler früh mit der Realität in der beruflichen Praxis konfrontiert und machen sich Gedanken über politische und wirtschaftliche Zusammenhänge und ihre persönliche Zukunft.

 

Enttäuscht von den Parteien

 

Der Osten der Republik, insbesondere der Freistaat Sachsen, wird medial nicht selten als eine Region charakterisiert, in der rechte und fremdenfeindliche Tendenzen weit verbreitet sind. Belegt wird diese einseitige Darstellung mit den Wahlergebnissen der Alternative für Deutschland (AfD). Gründe, die hierfür angeführt werden, reichen von der Diktaturerfahrung in der DDR bis hin zum mangelnden Demokratieverständnis. Diese Erklärungsansätze sind einseitig zugespitzt und lassen ein gewisses Unverständnis für die Biographien der Menschen im Osten der Republik erkennen. Und sie sind für eine Generation, die nach 2000 geboren wurde, ohnehin nicht anwendbar. Für diese Generation ist die Friedliche Revolution inzwischen ein Ereignis, das ihre Eltern und Großeltern tangiert, das sie jedoch für sich selbst als historisch erleben. Arbeitsplatzverlust und existenzielle Sorgen, die für zahlreiche Ostdeutsche nach 1990 bestimmend waren, kennen heutige Schülerinnen und Schüler eher vom Hörensagen. Gleichzeitig nehmen sie wahr, wie der Osten der Republik seitens der Medien – und manchmal auch der Politik – nicht selten als Negativbeispiel für politische und gesellschaftliche Entwicklungen angeführt wird. Eine stark vereinfachte Berichterstattung, das bewusste Ausklammern von Hintergrundinformationen, die für das Gesamtverständnis eines Sachverhaltes essenziell sind, oder polemische und zugespitzte Äußerungen sorgen für Unverständnis und befördern eine Abwehrhaltung vor allem dann, wenn das Geschilderte die subjektive Wahrnehmung vor Ort nicht widerspiegelt.

Dass eine Schülerin oder ein Schüler die Bundesrepublik Deutschland offen ablehnt, habe ich noch nicht erlebt. Es gibt jedoch einige, die sich offen enttäuscht von den „staatstragenden“ Parteien zeigen und mit den Positionen der AfD sympathisieren. Dabei ist es in erster Linie allerdings nicht das Interesse an Politik, das die ablehnende Haltung zur Folge hat; vielmehr spielen die konkreten Erfahrungen in ihrem Umfeld – beispielsweise in der Familie und im Ausbildungs- oder Praktikumsbetrieb – eine bedeutende Rolle. Hier erleben sie die enormen Probleme, vor die kleine und mittelständische Handwerksbetriebe gestellt sind, bekommen den Leistungs- und Konkurrenzdruck, die geringe Tarifbindung und das Lohngefälle zum Westen der Republik unmittelbar zu spüren. Gleichzeitig werden sie mit den Gedanken und Ängsten älterer Kolleginnen und Kollegen konfrontiert, was einen nicht unerheblichen Einfluss auf ihr eigenes Meinungsbild haben kann. Wiederholt habe ich den Satz gehört: „Ich darf meine Meinung im Unterricht doch nicht sagen.“, obwohl den Schülerinnen und Schülern bekannt ist, dass gerade der Gemeinschaftskundeunterricht die Möglichkeit bietet, streitbare Themen offen und kontrovers zu diskutieren. Offenbar fürchten einige von ihnen, mit vom „Mainstream“ der öffentlichen Meinung abweichenden Ansichten Anstoß zu erregen und dafür nicht nur kritisiert, sondern auch sanktioniert zu werden. Dadurch wird eine ehrliche Debatte, die einen Mehrwert für alle Unterrichtsteilnehmer schafft, erheblich erschwert.

 

Pessimistische Grundstimmung

 

Die Bereitschaft, sich politisch zu engagieren, erscheint gering. Die sinkenden Mitgliederzahlen aller politischen Jugendorganisationen in den östlichen Bundesländern zeigen das deutlich. Dabei ist ein partielles Interesse für politische Themen nicht von der Hand zu weisen. Wenn es beispielsweise um den Umgang mit Upload-Filtern, mit der Fridays for Future-Bewegung oder um die Cannabis-Legalisierung geht, zeigen nicht wenige Jugendliche Interesse an politischen Entscheidungen. Nicht selten aber herrscht Unverständnis über die gerade von Politikern der CDU und der SPD vertretene Meinung zu diesen Themen. Viele Schülerinnen und Schüler können auch zu wenig zwischen den Zuständigkeiten von Bund, Ländern und kommunaler Ebene differenzieren, sodass Kritik, wenn sie falsch adressiert wird, viel zu oft ungehört bleibt.

Auch bei Themen von größerer gesellschaftlicher Relevanz zweifelten einige Schüler an der Lösungskompetenz der vorherigen Bundesregierung und erhoffen sich ein zielgerichteteres Handeln der Ampel-Koalition. Die Sorgen und Ängste der jungen Generation ernst zu nehmen und die Zukunft des Landes wirklich zu gestalten, ist eine in Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern immer wieder zu vernehmende Position. Aussagen wie die folgenden lassen erkennen, dass sich viele Jugendliche Gedanken um ihre berufliche und finanzielle Zukunft machen: „Ich bekomme später sowieso keine Rente mehr, und von dem wenigen, was ich als Lehrling verdiene, kann ich auch kaum etwas sparen.“ Oder: „Wenn ich nach dreieinhalb Jahren Ausbildung für 10,50 Euro Stundenlohn in der Werkstatt stehe, ist das für mich keine Perspektive. Deshalb besuche ich die Fachoberschule und will dann studieren.“

Die beiden Beispiele lassen die Bereitschaft erkennen, die Zukunft selbst aktiv zu gestalten. Sie offenbaren allerdings auch eine pessimistische Grundeinstellung, dass der Staat zu lange vernachlässigt hat, Rahmenbedingungen zu schaffen, die nachfolgenden Generationen eine nachhaltige finanzielle Grundlage gewährleisten. Zukunftssorgen wie diese aus dem Mund von Auszubildenden oder Fachoberschülern zu hören, mag verwundern. Es zeigt aber, dass der Dialog dringend geboten ist, denn Enttäuschung und Resignation können leicht in Ablehnung und Protest umschlagen. Die Schule kann ein erster Ort des Anstoßes sein, um Verständnis für politische Entscheidungsprozesse zu entwickeln und die Funktionsweise staatlicher Institutionen zu verstehen. In diesem Zusammenhang gilt es, die Angebote der Landeszentralen für politische Bildung auszubauen und in den Schulen anzubieten.

Ziel, besonders auch der CDU und ihres Umfelds, sollte es sein, viel mehr als bisher einen Dialog mit den jungen Menschen zu führen und ihre Sicht und Sorgen aufzunehmen. Zu Studierenden bestehen etwa über die Förderwerke solide Kontakte. Wie aber findet man mehr Zugang zu den Auszubildenden und anderen nicht akademischen Gruppen junger Menschen, die nicht zu Unrecht mehr Wahrnehmung einfordern? Noch ist nach meiner Beobachtung trotz aller Anzeichen ihrer Entfremdung von den Parteien ein Spaltbreit Offenheit für neue Dialogangebote vorhanden. Michael Kretschmer hat es auf anderen Ebenen mit seinem beeindruckenden Engagement in Bürgerdialogen vorgemacht, wie hilfreich diese Ansätze sein können.

Konzeptionelles Denken ist gefragt, um speziell Jugendliche und junge Erwachsene verstärkt anzusprechen. Im ersten Schritt geht es darum, Vorbehalte abzubauen und verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Das kann nur durch eine dialogoffene Kommunikation geschehen, die weniger durch Lehr- und Lernprogramme oder -projekte der politischen Bildung initiiert wird als durch Austausch und Resonanz. Hier sind die Vertreter aller politischen Ebenen – von der Kommunal- bis zur Bundespolitik – gefordert.

 

Hagen Schäfer, geboren 1985 in Dresden, Studium der Germanistik, Neueren/Neuesten Geschichte und Politikwissenschaft, Technische Universität Chemnitz und Universität Leipzig, Altstipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung, Lehrer für Deutsch, Geschichte und Gemeinschaftskunde.

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