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von Viola Neu

Die Landtagswahlen von Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt im Vergleich

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Wenngleich der Höhepunkt des Superwahljahres 2021 mit vier an einem Tag stattfindenden Wahlen (Bundestagswahl, Landtagswahl in Thüringen und in Mecklenburg-Vorpommern sowie Abgeordnetenhauswahl in Berlin) erst am 26. September erreicht sein wird, hatten im Frühjahr bereits drei Landtagswahlen spannende Ergebnisse erzielt.

Dreimal wurde die Amtsinhaberin oder der Amtsinhaber im Amt bestätigt. Und dies unabhängig vom Bundestrend. Drei unterschiedliche Parteien sind jeweils Wahlgewinner. Würde aus den drei Regierungen eine Koalition gebildet, hieße sie „Kenia“. Die Vielfalt auf Länderebene mit unterschiedlichsten Koalitionsmodellen ist somit erneut bestätigt worden. Während zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrags noch offen ist, welche Koalition in Sachsen-Anhalt antreten wird, ist in Baden-Württemberg die Koalition aus Grünen und der Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (CDU) und in Rheinland-Pfalz die Koalition aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), Grünen und der Freien Demokratischen Partei (FDP) fortgesetzt worden.

In Rheinland-Pfalz regiert die SPD mit Malu Dreyer weiter, in Baden-Württemberg die Grünen mit Winfried Kretschmann und in Sachsen-Anhalt die CDU mit Reiner Haseloff. Die Buntheit der Regierungen zeigte sich auch bei den letzten Landtagswahlen von 2019 und 2020. In Sachsen regiert die CDU mit Michael Kretschmer weiterhin, in Thüringen die Linke mit Bodo Ramelow und in Brandenburg und Hamburg die SPD mit Dietmar Woidke und Peter Tschentscher.

Auch diese Wahlen zeigen: Regierungswechsel auf der Länderebene sind die Ausnahme und nicht die Regel. Echte Regierungswechsel (Ministerpräsident und Koalition) gab es 2011 in Baden-Württemberg und 2017 in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein.

Damit trägt der Amtsbonus mittlerweile entscheidend zur Wahlentscheidung auf der Länderebene bei. Die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten der Parteien, die nicht die Ministerpräsidentin oder den Ministerpräsidenten stellen, haben das Nachsehen. Sie sind häufig nur mäßig bekannt und erreichen auch bei anderen abgefragten Werten so gut wie nie das Niveau der Amtsinhaberin oder des Amtsinhabers.

Zum dritten Mal wurden die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg durch eine besondere bundespolitische Themenlage bestimmt, die landespolitische Themen in den Hintergrund drängte. In diesen Ländern wurde 2011 unmittelbar nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima abgestimmt. 2016 waren es die ersten Landtagswahlen nach der Flüchtlingskrise. 2021 dominierte die Corona-Pandemie das politische Meinungsklima. Doch profitieren die Parteien sehr unterschiedlich von der Pandemie. Das Krisenmanagement der CDU in Sachsen-Anhalt wird positiv bewertet, während die Grünen in Baden-Württemberg und die SPD in Rheinland-Pfalz in dieser Frage eher mäßig abschneiden. Dafür wird den Grünen in Baden-Württemberg eine sehr hohe und in Rheinland-Pfalz eine hohe Kompetenz auf dem Feld des Klimaschutzes zugesprochen, in Sachsen-Anhalt erhalten die Grünen auch in diesem Bereich vergleichsweise schwache Werte.

 

Langfristige Veränderungen

 

Aufgrund der heterogenen Ergebnisse der einzelnen Parteien eignen sich diese Landtagswahlen nicht als Stimmungstest für die Bundestagswahl. Denn außer der Tatsache, dass es im Amt der Ministerpräsidenten zu keinem Wechsel kommt, gibt es bei den Wahlergebnissen der Parteien keinen roten Faden. Während die Grünen in Baden-Württemberg ein Rekordergebnis von 32,6 Prozent einfahren, erhalten sie in Sachsen-Anhalt 5,9 Prozent. Die SPD wird in Rheinland-Pfalz von 35,7 Prozent der Wähler unterstützt, in Sachsen-Anhalt entscheiden sich 8,4 Prozent für die Partei. In Sachsen-Anhalt stimmen 37,1 Prozent der Wählerinnen und Wähler für die CDU, in Baden-Württemberg 24,1 Prozent. Die Alternative für Deutschland (Af D) verliert bei allen drei Landtagswahlen und ist mit 20,8 Prozent in Sachsen-Anhalt etwa doppelt so stark wie in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Die Linke kann erneut in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz nicht in den Landtag einziehen. Mit 11 Prozent schneidet sie jetzt allerdings auch in Sachsen-Anhalt sehr schwach ab. Die FDP kann in den Landtag in Sachsen-Anhalt einziehen und ist in Baden-Württemberg mit 10,5 Prozent etwa doppelt so stark wie in Rheinland-Pfalz (wo im Übrigen auch die Freien Wähler zum ersten Mal über die Fünf-Prozent-Hürde kamen).

Lediglich das Thema Corona-Pandemie war bei allen Wahlen das wichtigste. Dann standen jedoch in den Ländern jeweils andere Themen auf Platz 2 und 3, und auch die Parteikompetenzen variieren je nach Land stark.

Ein weiterer wichtiger Befund: Die Parteien, die als stärkste aus den Landtagswahlen hervorgingen, haben eine Gemeinsamkeit – sie konnten am meisten bei Wählerinnen und Wählern Zugewinne erzielen, die sechzig Jahre alt und älter sind. In Baden-Württemberg gewannen die Grünen bei den über 60-Jährigen je nach Umfrageinstitut sieben bis acht Punkte, in Rheinland-Pfalz die SPD drei Punkte (sie hat insgesamt gegenüber der Vorwahl 0,5 Punkte verloren), und in Sachsen-Anhalt gewann die CDU bei den über 60-Jährigen 10,4 bis elf Punkte hinzu. In den anderen Altersgruppen kam es zu Zugewinnen, Verlusten oder geringen Veränderungen; im Fall der SPD stehen dem Gewinn bei den über 60-Jährigen in allen anderen Altersgruppen Verluste gegenüber. Der Einfluss dieser Wählergruppe soll durch einen Vergleich bekräftigt werden: Die über 60-jährigen Wahlberechtigten stellen mehr als doppelt so viele Wahlberechtigte wie die unter 30-jährigen. Zudem ist die Wahlbeteiligung in dieser Gruppe höher. Damit haben sie als Wahlberechtigte einen besonders großen Einfluss auf den Ausgang von Wahlen.

Den Rahmen für dieses unterschiedliche Abstimmungsverhalten bilden die langfristigen Veränderungen bei der Wählerschaft. Fluktuation, Mobilität und Volatilität sind die Stichworte. Die Zeiten, in denen vor allem die Mobilisierung von Stammwählern der Garant für Wahlerfolge war, sind lange vorbei. Dies zeigte sich bereits früh in den neuen Ländern. Verschont blieben die alten Länder jedoch ebenfalls nicht.

 

Konkurrenz um wechselbereite Wähler

 

Nach Daten der Konrad-Adenauer-Stiftung kann sich gerade einmal ein Viertel der Wählerinnen und Wähler mit einer Wahlabsicht vorstellen, nur eine Partei zu wählen. Lediglich bei den Anhängerinnen und Anhängern der AfD kann sich etwa die Hälfte vorstellen, keine andere Partei zu wählen. Damit konkurrieren alle Parteien um die wechselbereiten Wähler der anderen Parteien. Und längst erfolgt die Mobilität nicht innerhalb von parteipolitischen Lagern, sondern auch deutlich darüber hinaus. So gewann die CDU in Sachsen-Anhalt etwa gleich viele Wählerstimmen von der AfD, der Linken und der SPD. In Baden-Württemberg verlor die CDU erheblich an die Grünen. Und in Rheinland-Pfalz mobilisierte die SPD gegen den Trend überdurchschnittlich stark ehemalige Wähler der CDU, aber auch der AfD. Auf Bundesebene nivellieren sich diese Landesergebnisse naturgemäß, da regionale Besonderheiten des Parteienwettbewerbs eine nachgeordnete Rolle spielen. So schwankt etwa jeweils ein Fünftel der Anhängerinnen und Anhänger der CDU und der Grünen zwischen den beiden Parteien.

Durch die Kontaktbeschränkungen standen den Parteien klassische Mobilisierungsinstrumente nicht zur Verfügung.

Dazu zählen nicht nur Veranstaltungen – auch die Wähler untereinander konnten sich nicht austauschen. Die klassische Wahlkampfkommunikation – quasi am Gartenzaun – konnte so nicht stattfinden. Die Parteien verlegten ihre Kommunikation in das Internet und auf die analogen wie digitalen Postfächer. Die Plakatwerbung konnte natürlich wie gewohnt stattfinden.

 

Unterschiedlich internetaffine Wählerschaft

 

Die Wahlkampfbedingungen sind dabei für alle Parteien zwar gleich, diese stoßen jedoch auf eine unterschiedlich internetaffine Wählerschaft. In Umfragen der Konrad-Adenauer-Stiftung zeichnete sich ab, dass sich die Anhänger der Union und der SPD besonders häufig unter den „Offlinern“ befinden. Unter den Anhängern der Union waren 28 Prozent und unter den Anhängern der SPD 27 Prozent offline.1 Bei den Grünen waren 4 Prozent, der FDP 7 Prozent, der Linken 15 und der AfD 20 Prozent Offliner. In einer weiteren Studie lag der Anteil der Offliner in der CDU-Anhängerschaft bei 26 Prozent. Weitere 30 Prozent nutzten zwar das Internet, jedoch nicht für politische Inhalte.

Bei den Facebooknutzern (insgesamt 35 Prozent der Wahlberechtigten) zeigten sich noch deutlichere Unterschiede. Betrachtet man nur die Facebooknutzer,2 sind 53 Prozent der Unionsanhängerschaft unpolitische Facebooknutzer, gefolgt von SPD und FDP (50 Prozent), den Grünen 47 Prozent, der Linken (40 Prozent) und der AfD mit 40 Prozent.

Das führt zur zentralen Frage: Was lässt sich aus den drei Landtagswahlen für die Bundestagswahl ableiten? Einfach ausgedrückt: wenig. Weder Armin Laschet noch Olaf Scholz noch Annalena Baerbock verfügen über den Amtsbonus, der durch die Kanzlerschaft entsteht. Welche Themen die Bundestagswahl im September prägen werden, ist im Juni noch nicht absehbar, und Spekulationen verbieten sich. Das hat in den letzten Jahren die Wucht der Themen gezeigt, mit denen nicht gerechnet wurde – von der Euro- über die Flüchtlings- bis hin zur Coronakrise. Immer kurzfristiger werden Wahlentscheidungen getroffen, und noch nie waren Wahlberechtigte so offen für die bunte Parteienlandschaft. Auch wenn immer wieder behauptet wird, dass vor Wahlen veröffentlichte Umfragedaten Prognosen seien: Das war nie der Fall. Eine Prognose ist ausschließlich die sogenannte „18-Uhr-Prognose“, wie sie üblicherweise von ARD und ZDF sowie den Umfrageinstituten Infratest dimap und Forschungsgruppe Wahlen vorgestellt wird. Aufgrund der hohen Mobilität und der Neigung zu kurzfristigen Entscheidungen sind entsprechende Verhaltensänderungen auch nicht messbar. Dies schmälert nicht den Wert von Umfragen. Aber den Anspruch, auch Prognose zu sein, können, wollen und werden Umfragen nicht erfüllen.

 

Viola Neu, geboren 1964 in Ludwigshafen am Rhein, Stellvertretende Leiterin der Hauptabteilung Analyse und Beratung, Leiterin Abteilung Wahl- und Sozialforschung, Konrad-Adenauer-Stiftung.

 

1 Sabine Pokorny: (Un-)Soziale Medien? Der Einfluss der Facebooknutzung auf die Sprach- und Streitkultur, Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin 2019, www.kas.de/de/analysen-und-argumente/detail/-/content/un-soziale-medien; Dominik Hirndorf: Let’s talk about politics! Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage zur politischen Kommunikation im persönlichen Umfeld, Konrad-Adenauer-Stiftung, Berlin 2020, S. 24. Die Daten stammen aus repräsentativen Telefonumfragen. Siehe www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/let-s-talk-about-politics.

2 Daten aus einer nicht repräsentativen Onlineumfrage, vgl. Sabine Pokorny, a. a. O.

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