Asset-Herausgeber

von Karl-Heinz Ladeur

Plädoyer für technologische Nachhaltigkeit

Asset-Herausgeber

Vor dem Hintergrund des grundlegenden Wandels der technologischen Ordnungsmodelle ist es nicht unproblematisch, dass in der politischen Öffentlichkeit die Diskussion über neue Möglichkeiten der Energieproduktion primär unter dem Gesichtspunkt der Kompatibilität mit der Natur und den natürlichen Umweltbedingungen geführt wird. Technologien (und ihr Innovationsprozess) sind selbst eine innergesellschaftliche Umwelt gesellschaftlicher Produktionssysteme. Wenn dies so ist, darf der grundlegende Wandel der Technologie, der Übergang von „high technology“ zu „high knowledge“ nicht vernachlässigt werden. Sonst wird auch die „Entlastung“ der natürlichen Umwelt kaum möglich sein. Es geht also auch um technologische Nachhaltigkeit!

Die Komplexität der Umstellung der Energieproduktion auf Erneuerbare Energien („Energiewende“) hat notwendigerweise weltweit Rückwirkungen auf die Realisierung der Klimaschutzziele: Wenn in Deutschland die gesetzten Ziele erreicht werden, aber das deutsche Beispiel nicht genug entschlossene Nachahmer findet – danach sieht es zurzeit aus –, kann der paradoxe Effekt sogar darin bestehen, dass das Klima stärker belastet wird als vorher: Die Kosten der Energiewende sind enorm hoch und wirken auf andere Länder eher abschreckend. Dies könnte zur Folge haben, dass ein – unterstellt – besonders wirksamer, aber teurer Klimaschutz in Deutschland zu einer sinkenden Nachfrage nach fossilen Brennstoffen auf dem Weltmarkt führt. Die Annahme ist nicht fernliegend, dass der Ausfall eines großen Nachfragers zu einer Preissenkung führt und der Preisverfall dann in ärmeren Ländern mit niedrigerem Umweltstandard zu einem höherem Verbrauch und demzufolge höherer Umweltbelastung führen kann.

Dieser Effekt kann nur vermieden werden, wenn trotz der hohen Kosten der Energiewende in einer späteren Phase, und dann längerfristig, Einsparungen erzielt werden können, die das Projekt auch für andere Länder vor­ teilhaft erscheinen lässt. Es könnte sich herausstellen, dass die Energiewende zu früh erfolgt ist, weil das scheinbar unmittelbar durch Umstellung auf andere Energieträger erreichbare Ziel der Klimaentlastung durch Reduktion des Verbrauchs fossiler Energieträger in Deutschland den Blick auf die neuen technologischen Netzwerke verstellt hat, über die Energie prozessiert werden kann und über die andernorts (nicht nur) nachgedacht wird.

 

Erneuerung der Technologien wird vernachlässigt

Die Energiewende hat ein Handlungsmodell nahegelegt, das die hohen Kosten eher nach moralischen Standards legitimiert, sich jedoch nicht an einem hoch gesteckten technologischen Ziel orientiert. Die Strategie der Energiewende setzt im Grunde auf eine Großtechnologie, deren Tragweite in der Öffentlichkeit wahrscheinlich noch nicht vollständig wahrgenommen worden ist: Zurzeit werden zwar bereits rund vierzig Prozent des Stroms aus erneuerbarer Energie (Sonnen­, Wind­ und Wasserkraft sowie Biomasse) gewonnen. Das heißt aber, dass weitere Flächen in Deutschland für Solaranlagen beziehungsweise Windparks genutzt werden müssten – von Stromtransporttrassen ganz zu schweigen. Ob das politisch durchsetzbar ist, wird man sehen. Vernünftig ist es nicht. Problematisch erscheint vor allem, dass das Ordnungsmodell der Produktion erneuerbarer Energie weitgehend hierarchisch, von einem Ziel her, gesteuert wird, das nur eine begrenzte Optimierung zulässt – wie das alte Telefonsystem vor der Informatisierung.

Wind als Energieträger ist jedoch aus physikalischen Gründen mit den kostspieligen und starren Offshorewindparks an eine technologische Grenze gestoßen. Windenergie ist, technologisch gesehen, eine alte Technologie. Dies ist – auch in Ländern wie Deutschland mit einer unterdurchschnittlichen Zahl von Sonnenstunden – in Zukunft anders bei der Solartechnologie, nicht aber in der Gegenwart. Die Energiewende war und ist deshalb eine Strategie, die nicht nur alte, verfügbare Technologien einsetzt, sondern als Kehrseite einer solchen Strategie zugleich die Energieforschung, den Blick auf die Technologien der Zukunft vernachlässigt. Zwar wird die Energieproduktion auf erneuerbare Energien umgestellt, aber die Erneuerung der Technologien selbst wird vernachlässigt. Dieses Risiko besteht immer beim massiven Einsatz einer alten Technologie.

 

„Smarte“ Solartechnologie

Die Problematik erschließt sich dann, wenn man die fundamentale Wende zu „smart technologies“ oder „high knowledge“ in den Blick nimmt. Alle neuen Technologien werden künftig Informationstechnologien sein – der Informationsanteil an ihrer Entwicklung wird immer größer. Im Gegensatz zur Windenergieproduktion kann die Solartechnologie „smart“ werden“: Das heißt, ihre Entwicklung folgt nicht mehr einer bestimmte Linie, die nur immanente Veränderungen (noch größer, noch besseres Material), jedoch keinen großen strukturellen Wandel zulässt. Die Solartechnologie kann und wird sehr viel flexibler und effizienter werden, und zwar nicht durch Erzielung von Größenvorteilen in hierarchischen Organisationen, sondern weil sie sich mit anderen Technologien zu einem offenen Netzwerk, das insbesondere die problematische Diffusion der Sonnenenergie und die schwankende Verfügbarkeit durch neue Technologien bearbeiten kann, die wie die Nanotechnologien eine „Informatisierung“ der Materialien und sogar der Natur anstreben.

Mithilfe der Gestaltungsmöglichkeiten der Nanotechnologie wird die Produktion von „erneuerbaren Energien“ der Zukunft (die schon begonnen hat) von den großen Verteilungsnetzen unabhängig werden können. „Sonnenkollektoren“ werden selbst flexibel, sie werden aufgelöst und folgen der „Schwarmintelligenz“ der Zukunft, die auf der Kopplung einer Vielzahl von Knoten innerhalb eines neuen flexiblen, sich selbst ständig transformieren­ den Netzes basiert, das nicht mehr zentral gesteuert wird – eben wie das Internet der Information. Die nanotechnologischen Mikronetzwerke können in alle möglichen Materialien integriert werden. Sonnenenergie kann künftig überall „gesammelt“ werden: Alle Materialien, Hauswände, Straßen, Plätze und so weiter können mit variablen „Folien“ verbunden und als Sonnenkollektoren genutzt werden. Baumaterialien werden energetisch „smart“ dadurch, dass etwa Fenstergläser durch Nanotechnologien im Winter auf Energiesparen und im Sommer auf Wärmeabweisung eingestellt werden. An allen möglichen Orten kann Energie in kleinen und mittleren Batterien gespeichert und genutzt oder wie im Internet der Information an andere Interessenten abgegeben werden, ohne dass man dafür umfangreiche Leitungssysteme braucht, die wie das alte Telefonsystem aufgebaut sind.

Das „alte Internet“ wird sich schon mit dem Übergang zum „Internet der Dinge“ grundlegend verändern. Aber der Prozess geht weiter: Am Ende steht das „Internet of everything“, innerhalb dessen eine Fülle von Dingen, Sensoren, Computern, „Energieträgern“ und so weiter ständig miteinander kommunizieren und Daten austauschen. Das Prozessieren von Daten wird immer stärker von Maschinen übernommen werden, die eine sehr viel höhere Kapazität zur Verarbeitung komplexer Daten bereithalten können.

Diese Entwicklung wird auch die Voraussetzungen für die Entwicklung eines „Internet of Energy“ schaffen: Die Internetarchitektur entfernt sich von der menschlichen Kommunikation, und sie entfernt sich zugleich von der Kommunikation von Daten im engeren Sinne, indem sie es ermöglicht, Energie über ein intelligentes Netzwerk zu prozessieren – und zwar in einem hoch­ komplexen System, innerhalb dessen die „Adressen“ nicht fest zugewiesen sind, sondern an einzelnen „Knoten“ im Netz variable und austauschbare Dienste ermöglicht werden.

 

„Internet of Energy“: Keine Utopie!

Das Energiesystem der Zukunft ist das „Internet of Energy“, das heißt, wie im Internet der Kommunikation entwickelt sich ein azentrisches System, innerhalb dessen auf alle möglichen Arten und Weisen Energie erzeugt und umverteilt wird. Innerhalb dieses „Internet of Energy“ wird auf eine komplexe, durch Künstliche Intelligenz (selbst) gesteuerte Weise Energie produziert und verteilt, ohne dass zuvor feststeht, wer sie für wen und zu welchem Preis erzeugt. Nur auf diese Weise kann die Unzuverlässigkeit der erneuerbaren Energien kompensiert werden. Das „Internet of Energy“ wird selbst Teil des „Internets der Dinge“. Es besteht allenfalls auch noch aus kleineren lokalen Kraft­ werken, aber primär aus Energie produzierenden „Dingen“, die ubiquitär wer­ den und miteinander kommunizieren. Nur so können auch die Kostenvorteile erzielt werden, die die Energiewende dann auch für andere Länder zum Vorbild werden lässt.

Das „Internet of Energy“ ist keine Utopie! Es folgt einer dezentralen Logik, deren Konturen sich praktisch schon abzeichnen und mit der der bisherige Prozess der Energiewende kaum vereinbar ist. Das neue Modell ist die „cloud (of energy)“, die zum einen, wie erwähnt, dem dezentralen Modell des Internets der Kommunikation und dem Modell des „Internets der Dinge“ und zum anderen dem Modell von Big Data folgt, das ebenfalls nicht nur auf die „Verarbeitung“ großer Mengen von Daten eingestellt ist, sondern Information ständig de­ und wieder rekontextualisiert und zugleich neue Zwecke aus der Beobachtung neuer Verknüpfungsmuster („von unten“) generiert. Ein solches Netz kann möglicherweise auch gegen Hacking-Angriffe besser geschützt werden als ein hierarchisches System.

 

Klimagerechte Speisezettel?

Offenbar ist es technologisch noch nicht möglich, kostengünstig große Energiespeicher (Batterien) zu konstruieren. Im Modell des „Internet of Energy“ würde eine sehr große Zahl kleiner Energiespeicher jeweils dann aufgeladen, wenn überschüssige Energie anfällt. Diese kleineren, zu einem flexiblen Netz­ werk verbundenen Speicher werden bald schon die Produktionsreife erreicht haben und effizient in der „Energy Cloud“ einsetzbar sein. Bald könnte die Energie nach Bedarf dort eingesetzt werden, wo sie gebraucht wird, ohne dass große Transporttrassen gebaut werden müssten. Der Einsatz würde über Künstliche Intelligenz organisiert, über die Technik der Blockchains, also über dezentrale Datenbankstrukturen, verwaltet und abgerechnet.

Es ist zu erwarten, dass das System der Energiewende, wenn es je fertig werden sollte, veraltet sein wird, wenn es zur Verfügung steht. Leider ist die Technik eher stumm, sie „macht“, aber sie spricht nicht. Sie überlässt das Reden den Moralisten. Die zukunftweisenden Technologien gibt es bereits. Wir müssen nur von unserer Debatte über klimagerechte Speisezettel für Schulen aufblicken. Wir sollten mehr über Technologien als über die Moral von Speisezetteln nachdenken!

 

Karl-Heinz Ladeur, geboren 1943 in Wuppertal, Rechtswissenschaftler, emeritierter Professor für Öffentliches Recht an der Universität Hamburg.

 

comment-portlet