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Stan Hema / Foto: (c) picture-alliance / newscom / KEVIN DIETSCH
von Bernd Löhmann

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Einmal mehr übertrafen sich die Bekundungen des Abscheus und Entsetzens über eine antidemokratische Schandtat. Die Pöbel- und Gewaltszenen im amerikanischen Kongressgebäude verlangten nach besonders starken Worten; leider sind sie gleichermaßen Ausdruck von Ohnmacht: Fast die Hälfte der amerikanischen Wählerschaft hatte im November 2020 für den damaligen Präsidenten gestimmt, der das Misstrauen gegenüber den demokratischen Institutionen und ihren Vertretern ebenso sehr verkörpert wie befeuert.

Sind fast 75 Millionen Trump-Wählerinnen und -Wähler verblendet und fehlgeleitet oder bedauernswerte Rechtsabweichler, denen nicht zu helfen ist? Vom erhabenen Standort demokratischer Rechtgläubigkeit ist dem Problem nicht beizukommen. Ungewollt treibt der moralisierende Gestus die Polarisierungsspirale sogar an und gibt Populisten ihr Futter: Im Wechselspiel von Empörung und Gegenempörung wähnt sich irgendwann jeder als Widerstandskämpfer in eigener Sache. Positionen werden nicht mehr verhandelt, sondern zementiert oder durchgeboxt, Kulturkampf statt offener Debatte. Die einen werden die ideologischen Gräben nicht verlassen, solange die anderen in den ihren verharren.

Politik ist existenziell auf ihr Grundsatzproblem zurückgeworfen, auf das Verhältnis von Ordnung und Störung. Wo verlaufen die Ränder, wo sind Grenzüberschreitungen notwendig? Offenbar sind es viel zu viele Wähler, die außerhalb stehen oder sich abseits stellen. Alle Hoffnungen, die Spaltung in der amerikanischen Gesellschaft zu überwinden, sind nun auf Joe Biden gerichtet, der neue Andockstellen jenseits der eigenen Anhängerschaft finden muss. Ob seine Kraft dazu ausreicht, entscheidet sich nicht nur im Kampf gegen die nationalistische Rechte, sondern auch darin, die Ansprüche radikal linker Strömungen zu beschränken.

Bliebe Biden der Einzige, der nach Wegen aus der Polarisierung sucht – er wäre verloren. Viele andere werden aus ihren ideologischen Komfortzonen heraustreten müssen, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Nicht allein in den USA werden Streitfragen im Modus moralischer Überlegenheit debattiert. Diese Kulturkämpfe sind Menetekel für plurale Gesellschaften, in denen bei aller Auseinandersetzung und Abgrenzung gegenüber Extremisten der Sinn für das Öffentliche und Gemeinschaftliche (Sensus communis) nicht verloren gehen darf. „Wir brauchen das Flüchtigste überhaupt in einer Demokratie: Einigkeit“, rief der neue US-Präsident Joe Biden seinem Publikum zu.

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