Asset-Herausgeber

von Bernd Löhmann

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Eine Regierungsbildung ging schief, ein zweiter Anlauf verspricht zwar erfolgreicher auszugehen, doch selbst ein positives Ergebnis dürfte keine Begeisterungsstürme auslösen. Nicht allein Sozialdemokraten haben damit zu kämpfen, dass die Spannung zwischen den politischen Soll- und Istzuständen zunimmt. Längst hat sich daher eine Aussteigermentalität breitgemacht, die die beengenden Limitationen politischer Gegebenheiten hinter sich zu lassen fordert. Nichts erscheint ihr anachronistischer als die Akzeptanz der mageren Wirklichkeit; selbst der „Tod ist gar nicht so schlimm“ (Jakob Augstein).

Überdruss und Entrüstung sind keine Alleinstellungsmerkmale politischer Ränder. Auch anderswo adelt Nicht-Wollen offenbar mehr als konkretes Wollen. Eine Als-ob-Politik, die sich über die Mühen der Ebene erhebt, betört. Nur hat sie keinen Plan, wo der propagierte „Einfach-mal-weg-Freiflug“ vom „Weiter so“ niedergehen wird: In Großbritannien entschied sich die Mehrheit 2016 im EU-Referendum für einen Exit; was er bedeutet, weiß bis heute niemand.

Nüchternheit ist die beste Antwort auf ernüchternde Zeiten. Sie steht einer motivierenden Politik nicht im Wege, sondern ermöglicht sie erst. Nicht nur bei SPD-Vorsitzenden können forcierte Aufbruchsenergien in Enttäuschung umschlagen. Problemlösung ist eine Seite, angesichts der eigentlich erfreulichen wirtschaftlichen Rahmendaten scheint der dennoch eskalierende Vertrauens- und Resonanzverlust zwischen Bürgern und Politik aber das gesellschaftspolitische Kernthema zu sein.

Diktaturen gliedern jeden Einzelnen in ihr „Wir“ ein, notfalls unter Zwang. Demokratien tun das glücklicherweise nicht, sind aber umso mehr darauf angewiesen, dass sich der Einzelne nicht zurückzieht. Bereits Alexis de Tocqueville sah in der Absonderung des Einzelnen eine Gefährdung demokratischer Ordnungen. Rund 200 Jahre später scheint das Abtauchen in die Eigenwelten der allgegenwärtigen Smartphones sinnbildlich geworden zu sein. Liegt es daran, dass gerade auch Protesthaltungen heute oft selbstbezogen und fast unpolitisch wirken?

Peter Sloterdijk spricht von „Selbstfindlingen“ – gut vorstellbar, dass diese nicht ohne Weiteres zu gemeinsamen Aufbrüchen taugen. Lamentieren hilft nicht, jedem nach dem Munde zu reden erhöht die Frustration. Es braucht die Anstrengung eines Dialogs, in dem Kritiker und Kritisierte genauer hinsehen und hinhören – die einen auf die Bedingungen und Limitationen politischen Handelns, die anderen auf die Beweggründe und Betroffenheit ihrer Kritiker.

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Bernd Löhmann, Chefredakteur

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