Asset-Herausgeber

von Christoph Plate

Journalisten in Afrika

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Botswana hat für afrikanische Verhältnisse eine freie Medienlandschaft, vergleichbar mit dem Senegal, Nigeria oder Südafrika. Ein Dutzend Zeitungen erscheinen, private Radiostationen senden, in den sozialen Medien wird freimütig debattiert über den richtigen Weg des riesigen Landes im südlichen Afrika. Vielen Beobachtern in Europa gilt Botswana dank seines Diamantenreichtums und des florierenden Tourismus im Okavangodelta als Musterland.

Doch nicht alles ist gut in dem Land mit seinen zwei Millionen Einwohnern, in dem in der Elite praktisch jeder jeden kennt und nicht selten die Vertreter der Opposition und der Regierung miteinander verwandt sind.

Joel Konopo ist Investigativ-Journalist, einer der besten auf dem Kontinent. Gerade hat er seine Doktorarbeit in den USA abgeschlossen; mit Unterstützung westlicher Geber wie der Open Society Foundation betreibt er das Investigativportal inkjournalism.org. Er und sein Team können frei arbeiten, „doch der gegenseitige Respekt zwischen Medien und Politik ist dahin“, sagt der hoch aufgeschossene Mann und nimmt einen Schluck Bier aus seiner Flasche „St. Louis“, während wir auf der Dachterrasse eines Hotels im CBD, dem Central Business District der Hauptstadt Gaborone, sitzen. Konopo ist besorgt, denn in der Politik Botswanas ist etwas ins Rutschen geraten, seitdem der neue Präsident Mokgweetsi Masisi, der lange Zeit Vizepräsident war, seinen Vorgänger Ian Khama, den Sohn des Staatsgründers, mit Anschuldigungen überhäuft, ihm in seiner Residenz das Internet abstellt oder seine Personenschützer ersatzlos abgezogen hat.

 

Wie kleine Propagandaminister

 

Das Problem sind weniger die Attacken des Amtsinhabers auf seinen Vorgänger als vielmehr der Umstand, dass die Journalisten in dem Land mit den weltweit größten Elefantenherden sich nicht mehr wie Medienexperten aufführen, die auf der Suche nach der Wahrheit sind, sondern wie kleine Propagandaminister, die für oder gegen den Staatschef, für oder gegen seinen Vorgänger schreiben und senden. „Sie verstehen nicht das Prinzip einer freien Presse, sondern sie werfen mit Schmutz nach dem vermeintlichen politischen Gegner“, sagt Konopo und schaut dabei von der Dachterrasse versonnen hinüber zum Präsidentensitz und zum Parlamentsgebäude.

Wer sich also heute in Botswana informieren will über die Budgetrede des Finanzministers oder über die Vorwürfe gegen den ehemaligen Geheimdienstchef Nkosi, der hat es schwer, sich ein genaues Bild zu machen. In den sozialen Medien und in vielen Zeitungen hagelt es Angriffe, die in ihrer Vagheit und aus Mangel an handfesten Beweisen nicht sehr ernst genommen werden können. Politiker verachten im Gegenzug die Medien – und sie haben durchaus Anlass zum Vorwurf, dass diese Journalisten ihr Handwerk nicht verstünden, voreingenommen seien oder eine geheime Agenda verfolgten. Wenn Joel Konopo Seminare organisiert für botswanische Journalisten über die Notwendigkeit zur genauen Recherche und zur Objektivität, dann fällt es ihm schwer, Medienvertreter zu finden, die diese Prinzipien in der täglichen Arbeit umzusetzen bereit wären.

Diese Entwicklung in Botswana im Verhältnis zwischen Medien und Politik ist kein Einzelfall auf dem Kontinent. Noch vor 25 Jahren blühte die Medienlandschaft in vielen afrikanischen Ländern: Einige der klügsten Köpfe in Kenia oder im Senegal, in Botswana oder in Burundi forderten von den Herrschenden, Rechenschaft abzulegen über ihre politischen Ziele oder über die Staatsausgaben. Der Ruf nach Demokratie und einem Mehrparteiensystem wurde wesentlich von der gedruckten Presse und von den später gegründeten privaten Radio- und Fernsehsendern vorgetragen. Es schien in vielen Ländern, dass die „vierte Gewalt“, so fragwürdig der Begriff auch sein mag, weil diese Gewalt eben nicht gewählt ist, sondern sich selbst ernennt oder zum kritischen Wächter ausruft, von der Bevölkerung und von der Politik als zwar manchmal ärgerlich, aber eben auch als notwendig und wichtig erachtet wurde.

 

Zu wenig Lebensrealität

 

Doch nach und nach versuchten immer mehr Politiker, sich die Medien gefügig zu machen. Und immer mehr Journalisten ließen sich das gefallen. In der Demokratischen Republik Kongo oder in der Côte d’Ivoire gründeten Politiker oder Geschäftsleute, wobei diese Berufe oft genug in einer Person vereint waren, Zeitungen oder Radiostationen mit dem alleinigen Ziel, ihre politischen und wirtschaftlichen Absichten geschickt an den Wähler und Konsumenten zu bringen. Der Raum für die Debatte, für das kritische Stück zum Nachdenken über die Zukunft des von den Kolonialherren geerbten Staatswesens, wurde immer enger.

Seit etwa zehn Jahren ist die Krise vollends ausgebrochen: Die gedruckte Auflage vieler Printmedien sinkt, so wie in Europa auch. Während zur Jahrtausendwende noch jede kenianische Zeitung von etwa zehn Personen gelesen wurde, sind es heute nur noch etwa vier bei einer dramatisch sinkenden Auflage. Medienexperten wie der Kenianer Joseph Odindo sehen als Gründe auch die Tatsache, dass zu viele Zeitungen an den Bedürfnissen ihrer potenziellen Leser vorbei produzieren. Während die Redakteure politische Scharmützel im Parlament von Nairobi seitenlang analysieren, finden die Leser viel zu wenig über ihre eigene Lebensrealität, über Versorgungsengpässe bei Benzin oder Maismehl oder auch Geschichten über innovative Unternehmensgründungen, die als Beispiele gelten können, wie findige Köpfe sich ihre Arbeitsplätze schaffen können. Der wirtschaftliche Druck auf die Medienunternehmen etwa in Kenia wird verstärkt durch unverhohlene Drohungen des Staatspräsidenten, seine Ministerien und halbstaatlichen Unternehmen müssten ihre Anzeigen – die eine wichtige Einnahmequelle für die Medienhäuser darstellen – ja gar nicht unbedingt in Zeitungen abdrucken.

Der enorme wirtschaftliche Druck und das Verschwinden leidenschaftlicher Verleger, die sich vor ihre Redaktionen stellen und an ihre Ersparnisse gehen, um Qualität zu sichern, führte zu Demoralisierung und zu einem sich beständig verschlechternden Ausbildungsstand vieler Journalisten. Wenn aber kein Geld für Aus- und Weiterbildung zur Verfügung steht, wenn Journalisten aus wirtschaftlichen Erwägungen nicht mehr vor die Tür gehen können, um zu recherchieren, werden Medien langweilig. Und es passieren immer mehr Fehler. Eine Generation von jungen Leuten bevölkert die Newsrooms, die es gar nicht mehr erstrebenswert finden, den Schreibtisch zu verlassen. Fehler und Fälschungen – auch in afrikanischen Newsrooms gibt es Relotius­-Skandale – führen zu einer sinkenden Glaubwürdigkeit und öffentlicher Verachtung für die Medien. Ein Professor der Universität Addis Abeba (Äthiopien) berichtet, dass die Mehrheit seiner Journalismus-Studenten kein Interesse an Recherche oder einer genauen Schreibe haben, sondern das Studium als Abkürzung in ein Fernsehstudio sehen, wo sie dank eines hübschen Äußeren schnell berühmt und reich werden wollen. Die Folge ist, dass Politiker meinen, mit diesen jungen Leuten leichtes Spiel zu haben, und das Metier, für das sie stehen, verachten.

 

Diktator als Himmelserscheinung

 

Wenn die Journalisten in Botswana oder in Kenia noch Geld verdienen für ihre Arbeit, so ist die Lage ihrer Kollegen in der Demokratischen Republik Kongo mehr als desolat. In Kinshasa oder in Lubumbashi erwarten Journalisten, dass sie von dem Politiker, über den sie schreiben, bezahlt werden. Denn der Medienunternehmer, für den sie berichten, bezahlt sie oftmals nicht. Als das Medienprogramm der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa eine Konferenz mit hochrangigen Medienexperten, unter anderem aus Europa, über die Rolle der vierten Gewalt veranstaltete, fragten einige Fernsehsender an, ob ihre Journalisten denn für eine Berichterstattung über die Konferenz bezahlt werden würden. „Nein“, lautete unsere Antwort, sondern sie sollten sich besser geehrt fühlen, dass sie eingeladen seien. Alle Eingeladenen kamen zu der Konferenz, und sie berichteten darüber freiwillig.

Der Kongo ist ein gutes Beispiel für den Umgang der Herrschenden mit staatlichen Rundfunk- und Fernsehsendern, die doch eigentlich, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk, zur Information aller dienen sollen, egal, ob sie die Regierung oder die Opposition unterstützen. Der frühere Nationalfunk La Voix du Zaire sendete zu Zeiten des Diktators Mobutu Sese Seko vor den Abendnachrichten das Bild des Potentaten, der aus dem Himmel herabschwebte. Der Sender sollte den Ruhm des Staatschefs mehren, er sollte ein Nationalgefühl schaffen, was ihm gelang. Aber der ehemalige Journalist Mobutu nutzte die staatliche Einrichtung eben vor allem als Propagandainstrument, als Methode zur Züchtigung des unbotmäßigen Volkes.

Der pensionierte Journalist Isidore Kabongo war einer der Männer, die damals Mobutu vom Himmel schweben ließen und der heute selbstkritisch einräumt, dass er sich und sein Handwerk habe missbrauchen lassen. Als er einer Gruppe junger Journalisten bei einer KAS-­Konferenz in Lubumbashi davon berichtete, wurde er fast niedergeschrien – dies aber weniger, weil er für Mobutu gearbeitet hatte, als vielmehr aus Empörung darüber, dass die alten Männer im Staatsrundfunk so lange auf ihren Posten gesessen hätten und es jetzt doch an der Zeit sei, dass die Jüngeren ans Ruder kämen. Ein Konzept dafür, was sie anders machen wollten, hatten die jungen Kongolesen nicht. Isidore Kabongo unterrichtet heute Journalisten des Staatsrundfunks und warnt sie davor, sich von Politikern manipulieren zu lassen.

 

Kampf um Gerechtigkeit

 

Es gibt die überzeugten, seriösen Journalisten, die ihre Aufgabe vor allem darin sehen, aufzudecken, gesellschaftlichen Fragen auf den Grund zu gehen, kritische Beobachter dessen zu sein, was sich in Politik und Gesellschaft ereignet. Haimanot Ashenafi ist die junge Chefredakteurin der äthiopischen Wochenzeitung Addis Maleda. Die Juristin ist keine ausgebildete Journalistin, sie habe aber irgendwann bemerkt „dass es Gerechtigkeit nicht nur im Gericht zu verteidigen gilt“. Ashenafi führt als strenge Chefin ein Team von jungen Journalisten, die auch die wachsenden ethnischen Spannungen in Äthiopien beschreiben. Sie warnt sowohl Politiker als auch Bürger vor der Gefahr, dass das Land eine ähnliche Entwicklung wie Jugoslawien nehmen und in kleine ethnische Einheiten zerfallen könnte. Dafür wird die junge Frau angefeindet und bedroht, aber auch bewundert. Nicht zuletzt von Politikern, die versuchen, ihre Arbeit zu fördern.

Eines aber macht auch die Arbeit von mutigen seriösen Journalisten wie Ashenafi oder Joel Konopo in Botswana immer schwieriger: Wenn jeder sich seine eigene Wahrheit in Blogs, auf Facebook und Twitter zusammenstellen und täglich bestätigen lassen kann, leidet die Debatte, das Ringen um den richtigen Weg, die öffentliche Diskussion. Auch viele afrikanische Politiker leben dank der sozialen Medien in Filterblasen, die ihnen tagtäglich bestätigen, dass sie schon auf dem richtigen Weg seien, der Sieg bei der nächsten Wahl ziemlich sicher sei und der politische Gegner kurz vor dem politischen Aus stehe.

Dagegenzuhalten, ist schwer, aber möglich. Es braucht Journalisten und Politiker, die zur Besinnung und zum Nachdenken aufrufen. Das ist umso schwerer, wenn fast alle ihren Klicks und Likes hinterherzuhetzen scheinen, hektisch auf Anschuldigungen oder Diffamierungskampagnen reagieren, anstatt sich auf ihre politischen Qualitäten und ihre journalistischen Ziele zu besinnen. Der leise und nachdenkliche Politiker ist in Afrika eine seltene Spezies. Und der seriöse Journalist wird langsam zur bedrohten Art.

 

Christoph Plate, geboren 1961 in Höxter, Leiter Medienprogramm Subsahara-Afrika der Konrad-Adenauer-Stiftung mit Sitz in Johannesburg (Südafrika).

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