Überall begegnen uns die schrillen Thesen von einem bevorstehenden „Ende der Arbeit“ als Folge der Digitalisierung. So prognostiziert der Publizist Kevin Drum, dass spätestens 2025 selbstfahrende Lkw im Einsatz sein wer den. Kurz darauf seien Maschinen in der Lage, Opern zu komponieren, Herzoperationen durchzuführen und irgendwann (circa im Jahr 2070) sämtliche Tätigkeiten zu übernehmen. Menschliche Arbeitskraft werde dann quasi „überflüssig“. Nun sind diese Befürchtungen nicht neu. Geprägt wurde der Begriff der „technologischen Arbeitslosigkeit“ von John Maynard Keynes in den 1930er-Jahren. Die Debatte ist jedoch viel älter und war nie eine rein akademische. So bekam der englische Innovator William Lee, der im späten 16. Jahrhundert den Handkulierstuhl (einen Vorläufer des Webstuhls) erfunden hatte, folgende ablehnende Antwort von Queen Elizabeth I. auf seinen „Patentantrag“: „Du magst edle Motive haben. Doch bedenke, welche Auswirkungen diese Erfindung auf meine armen Untertanen hätte. Sie würde sie zweifelsohne in den Ruin stürzen, sie ihrer Beschäftigung berauben und zu Bettlern machen.“ Kurzum: Eigentlich stand die Menschheit neuen Technologien schon immer ablehnend gegenüber und hat ihre Einführung oftmals zu behindern versucht, weil man verheerende Beschäftigungseinbußen erwartete. Eingetreten sind diese düsteren Prophezeiungen bis jetzt aber nie. Kurzfristige Einbrüche wurden wieder wettgemacht. Neue Beschäftigungsmöglichkeiten und Berufe sind entstanden. Und das reale Einkommensniveau der Bevölkerung ist seit der Industriellen Revolution nicht zuletzt aufgrund neuer Technologien und dadurch erzielter Produktivitätsfortschritte drastisch gestiegen. Das allein beweist allerdings noch nicht, dass es bei der Digitalisierung nicht anders sein könnte.
Wie kommen die Meldungen von den Millionen bedrohter Arbeitsplätze zustande? Sie beruhen auf Studien, die das technologische Substitutionspotenzial von Berufen abschätzen. Die bekannteste stammt aus Oxford und wurde von etlichen Medien dahingehend interpretiert, dass bald fast die Hälfte aller Arbeitsplätze wegfallen werde. Das ist aber eine zutiefst missverständliche Interpretation.
Fünf ökonomische Gegenkräfte
Die Studie sagt lediglich etwas darüber aus, in welchem Ausmaß bislang von Menschen ausgeübte Tätigkeiten durch Maschinen verrichtet werden könnten. Sie fragt nicht, ob diese Ersetzung tatsächlich stattfindet. Denn neue Technologien haben nicht nur Verdrängungskräfte, sondern es gibt mindestens fünf ökonomische Gegenkräfte.
Zwar können gerade standardisierte Routineabläufe gut automatisiert werden. Dadurch werden Menschen jedoch entlastet und können mehr Zeit auf andere Aufgaben verwenden, die nicht automatisierbar sind. Gerade dort steigt dann durch den Technologieeinsatz erstens die Arbeitsproduktivität, und aus betrieblicher Sicht sinken die Stückkosten und Preise. Ist der Effekt auf die Güternachfrage stark, dann ergibt sich daraus abgeleitet als zweite Gegenkraft eine weiterhin hohe Nachfrage nach Arbeit. Selbst wenn einzelne Berufe komplett entfallen, entstehen drittens durch die Digitalisierung kontinuierlich neue Berufe. Und viertens findet in vielen westlichen Gesellschaften parallel zur Digitalisierung der demografische Wandel statt. Hierdurch wird der Faktor Arbeit keineswegs überflüssiger, sondern im Gegenteil knapper.
Doch unterstellen wir einmal den schlimmsten Fall: Die Verdrängungseffekte dominieren alle Gegenkräfte. Was passiert dann? Selbst dann wäre nicht Massenarbeitslosigkeit die Folge, sondern nach ökonomischer Logik ein fallendes Lohnniveau. Dieser Anpassungskanal ist ein fünfter stabilisierender Faktor. Denn wenn das Lohnniveau sinkt, macht das den Einsatz von Menschen gegenüber Maschinen wieder attraktiver.
In meiner Forschung habe ich mich detailliert mit den Arbeitsmarkteffekten von Industrierobotern in Deutschland beschäftigt. Dabei bestätigt sich, dass diese Technologieform keineswegs negative Beschäftigungseffekte erzeugt hat. Zwar wurden Jobs in stärker roboterisierten Industriezweigen langfristig abgebaut. Aber dieser Strukturwandel vollzog sich über Generationengrenzen. Mit Robotern konfrontierte Beschäftigte wurden im Betrieb in neuen Funktionen positioniert, jedoch nicht entlassen. Erst bei Erreichung der Altersgrenze wurden ihre Arbeitsplätze nicht nachbesetzt. Junge Berufseinsteiger starteten ihre Karrieren dafür vermehrt in Dienstleistungsberufen. Von Massenarbeitslosigkeit keine Spur.
Das wahre Arbeitsmarktproblem von Robotern liegt woanders. So hat ein stärkerer Robotereinsatz zu einem spürbaren Anstieg der Produktivität und der Gewinne, nicht aber zu einem entsprechenden Anstieg der Durchschnittslöhne geführt. Es gab also Verschiebungen in der funktionalen Einkommensverteilung: eine rückläufige Lohnquote.
Dieses Muster dürfte sich bei neueren Facetten der Digitalisierung – etwa Künstlicher Intelligenz – wiederholen und möglicherweise verstärken. Denn selbstlernende Algorithmen werden andere Wirtschaftszweige und Berufe treffen als die Industrieroboter, vor allem im Dienstleistungssektor. Und dort herrscht ein weitaus geringerer Organisationsgrad von Gewerkschaften und Verbänden. Somit könnten die Verteilungseffekte heftiger werden.
Hauptsächliche Gewinner wären vor allem die Bezieher von Kapital- und Gewinneinkommen – die Besitzer der Roboter, die Schöpfer der Algorithmen und die Eigentümer der Unternehmen, wo diese Technologien zum Einsatz kommen. Es gibt aber auch Gewinner in der Gruppe der Beschäftigten, und zwar die mobilen Hochqualifizierten. In der Mitte des Lohnspektrums – in Berufen mit einem hohen Routineanteil – sind hingegen absolute Reallohneinbußen zu befürchten. Hierauf muss die Gesellschaft Antworten entwickeln.
Was kann die Politik tun?
Ein weiterhin unverzichtbarer Baustein bleibt dabei die klassische Einkommensumverteilung über die Steuer und Sozialsysteme. Hierdurch kann ein Anstieg bei der Ungleichheit der Markteinkommen bei den verfügbaren Ein kommen abgemildert werden. Es ist allerdings zweifelhaft, ob das die alleinige Antwort bleiben kann. Immerhin hängen die Systeme der Sozialversicherung an den Arbeitseinkommen. Da die Lohnquote durch die Digitalisierung aber tendenziell sinkt, gerät dieses Umverteilungssystem zusehends unter Druck.
Von etlichen Seiten wird deshalb das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) in die Diskussion eingebracht. Viele Fürsprecher begründen die Notwendigkeit dafür mit dem „Ende der Arbeit“, das schon bald bevorstehe. Da diese Diagnose aber empirisch – wie gesagt – falsch ist, halte ich das BGE für die falsche Therapie, zumal es am beschriebenen Kernproblem vorbeigeht: Das steuerfinanzierte Mindesteinkommen sorgt zwar für ausreichend Konsumnachfrage aus den unteren Einkommensrängen. Die relative Verteilung von Einkommen und Vermögen steht dann jedoch nicht weiter zur Diskussion. Ein deutlich stärkerer Fokus sollte auf die Primärverteilung der Markt einkommen gerichtet werden. Dort ergeben sich die Verteilungseffekte der Digitalisierung, dort sollte man sie auch adressieren. Zentral erscheint hierbei die Bereitstellung einer exzellenten Wissensinfrastruktur für ein lebenslanges Lernen. Es geht darum, Menschen permanent für Jobs weiterzubilden, die nicht durch digitale Technologien ersetzt, sondern durch sie geschaffen oder verbessert werden.
Außerdem sollte die Gesellschaft dringend über kluge Modelle der Mitarbeiterbeteiligung diskutieren. Faktorbesitz an Kapital und Unternehmensanteilen sind typischerweise stark konzentriert. In den USA besitzen die reichsten zehn Prozent der Haushalte rund achtzig Prozent dieser Vermögen, in Deutschland sind es knapp sechzig Prozent. Nur deshalb sind die Verteilungseffekte der Digitalisierung so problematisch.
Völlig anders sähe die Situation aus, wenn Roboter und Unternehmensbesitz in der Gesellschaft breiter gestreut wären. In diesem Fall mögen zwar die Reallöhne durch die Digitalisierung sinken. Aber das würde aufgefangen durch die steigenden Einkommen aus dem Aktienportfolio. Alle Gesellschaftsmitglieder würden real durch die Digitalisierung gewinnen. Gleichzeitig bliebe das Land eine Arbeitsgesellschaft und löste seine Verteilungsprobleme nicht über steuerbasierte Umverteilung. Die Mitarbeiterbeteiligung an den Unternehmen brächte sozusagen „Wohlstand für Alle“ (Ludwig Erhard).
Entscheidend für die Verteilungseffekte der Digitalisierung ist die Frage, wem die Roboter und Algorithmen gehören und wem folglich die residualen Gewinneinkommen zufließen. Das Instrument der Mitarbeiterbeteiligung befindet sich noch nicht in einem Stadium, in dem ein ausgearbeitetes Konzept auf dem Tisch läge, das nur noch umgesetzt werden müsste. Viele zentrale Fragen sind offen, viele fundamentale Entscheidungen müssen getroffen werden. Aber es lohnt sich, gerade über dieses Instrumentarium intensiver nachzudenken.
Jens Südekum, geboren 1975 in Goslar, Professor für internationale Volkswirtschaftslehre des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE), Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Research Fellow beim Centre for Economic Policy Research (CEPR), beim CESifo Institut, beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und beim Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA).
Für eine ausführliche Fassung des vorliegenden Beitrages siehe Jens Südekum: Robotik und ihr Beitrag zu Wachstum und Wohlstand, Analysen und Argumente, Nr. 306 / Juni 2018, Konrad-Adenauer-Stiftung, www.kas.de/documents/252038/253252/7_dokument_dok_pdf_52776_1.pdf/ 6afb3a80-9337-168e-7de0-27e1617184ab?version=1.0&t=1539647327796 [letzter Aufruf am 19.09.2019].