Asset-Herausgeber

StanHema (Gestaltung)
von Kay Scheller

Deutschland braucht einen resilienten Haushalt und Staatsreformen

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Deutschland steht unter Druck. National, europäisch, global. Dem Staat, und insbesondere der Bundesebene, kommt hier eine Schlüsselrolle zu. Er gibt die Richtung vor, definiert die Ziele, wählt die Maßnahmen aus. Und: Der Staat muss die notwendige Finanzierung sicherstellen. Soweit er selbst agiert, weil unserer verfassungsrechtlichen Ordnung entsprechend die Kernbereiche seiner Aufgabenerfüllung betroffen sind, bilden die öffentlichen Haushalte eine wesentliche Grundlage für seine Handlungs- und Wirkfähigkeit.

Soweit Wirtschaft, Unternehmen, Industrie, wir als Bürgerinnen und Bürger, als Verbraucherinnen und Verbraucher, als Gesellschaft betroffen sind und etwas tun können, setzt der Staat durch seine Regulierung Anreize, Impulse und wo notwendig auch Grenzen. Aber auch auf diesem Feld muss der Staat liefern: zeitgemäß, schnell, wirkungsvoll.

Der Staat steht damit unter Handlungsdruck. Gewaltige und nicht aufschiebbare Herausforderungen, etwa beim Klimaschutz, sind zu bewältigen. Zudem werden die Folgen einer über Jahr(zehnt)e verschleppten Modernisierung Deutschlands sichtbar. Die Pandemie hat viele Defizite schmerzlich – wie unter einem Brennglas – offenbart und im ohnehin verkrusteten Bundeshaushalt tiefe Spuren hinterlassen.

 

Den Boden bereiten, damit Investitionen wirken

 

Der Staat liefert oft nicht das, worauf es ankommt: in der Pandemie, im Kampf gegen die Erderwärmung, im globalen Wettbewerb, bei der Bildung, in den Sozialsystemen und elementaren Infrastrukturen, bei der inneren und äußeren Sicherheit oder beim Thema Digitalisierung. Die Defizite sind bekannt.

Wichtig ist dabei, dass nicht alle Schwachstellen, die Deutschland in seinen „Low-Performance“-Sektoren aufzuweisen hat, auf einen Mangel an öffentlichen Mitteln zurückzuführen sind. Das ist ein zentraler Befund: „Viel hilft viel“ ist kein Patentrezept. Die Erfahrung zeigt: Investitionen, seien sie öffentlich oder privat, wirken nur dann effektiv, wenn sie ein klares Ziel verfolgen, das in ein Gesamtsetting aller Maßnahmen eingebettet ist; wenn es schnell geht, und: wenn alle staatlichen Strukturen, die für die reale, operative Umsetzung einer Investition gebraucht werden, an einem Strang ziehen. Doch oftmals behindert Deutschland sich selbst. Verharrend in übermäßig komplexen – sowohl horizontalen als auch vertikalen – Verflechtungsstrukturen aller staatlichen Ebenen, bleibt selten Raum für pragmatische, kreative, schnelle und wirkungsvolle Lösungen. Es bedarf deshalb eines Wandels: Investitionen, die einen Entwicklungsrückstand beseitigen sollen, können nur dann Früchte tragen, wenn sie auf einen fruchtbaren, gut vorbereiteten Boden fallen. Anders ausgedrückt: Die Absorptionsfähigkeit für Investitionen muss gegeben sein. Dazu liegen Vorschläge auf dem Tisch. Die notwendigen Mehrheiten dafür zu finden, ist Aufgabe der Politik.

Ist der Boden für das Wirken von Investitionen bereitet, geht es darum, die notwendigen öffentlichen Finanzmittel bereitzustellen, soweit der Staat in der Pflicht steht. Dabei ist klar: Eine Zukunft „auf Pump“ kann und darf es nicht geben. Die Schuldenregel hat der Verfassungsgesetzgeber aus guten Gründen eingeführt. Als Regel zur Selbstbindung verhindert sie, dass das „süße Gift“ der Verschuldung in der politischen Praxis die Oberhand gewinnt. Sie zwingt zur Priorisierung, wenn Wünsche und Haushaltswirklichkeit stark auseinander gehen. Die nachfolgenden Generationen bewahrt sie vor einer überbordenden Schuldenlast.

Obwohl bereits seit langer Zeit absehbar war, dass es in den für Deutschlands Zukunft elementaren Bereichen erheblicher – auch öffentlicher – Investitionen bedarf, mangelte es in den vergangenen Jahren an entsprechend klaren und nachvollziehbaren Schwerpunktsetzungen im Bundeshaushalt. Zudem wurde in den finanziell guten Jahren nach der Finanzkrise die positive Entwicklung nicht zur nachhaltigen Stabilisierung und Entkrustung der Haushaltsstruktur genutzt. Das Geld war im Überfluss vorhanden, sodass es quasi von selbst zu einer anstrengungslosen, in Wahrheit aber nur vordergründigen Konsolidierung des Bundeshaushalts kam. Wegweisende Reformen, mit denen die rein konsumtiven Elemente des Haushalts zugunsten investiver, zukunftsgerichteter Ansätze zurückgedrängt worden wären, blieben aus. Die verkrustete Haushaltsstruktur verfestigte sich. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Wenn Neues zu gestalten ist, kann nicht alles beim Alten bleiben. Dies gilt auch und gerade für das Königsrecht des Parlaments: die Beschlussfassung über den Haushalt und die Wirkungskontrolle im Haushaltsvollzug.

Wie steht es heute um den Bundeshaushalt? Mit der Coronakrise und ihrer Bekämpfung haben sich die finanziellen Rahmenbedingungen, die dringlichsten Zukunftsaufgaben schnell, entschlossen und wirksam anzugehen, verschlechtert. Der Bund hat sich in der Pandemie in kürzester Zeit mit Hunderten Milliarden Euro zusätzlich verschuldet. Eine gewaltige Hypothek, die aktuelle und künftige Haushalte maßgeblich vorbelastet.

Aber nicht nur die Pandemiekosten lasten schwer. Über Jahre hinweg ungelöste Reformfelder – wie etwa Rente oder Gesundheit – sind ebenso prägend für einen einzementierten Bundeshaushalt. Allein die Zuschüsse zur Rentenversicherung belasten den Bundeshaushalt mit über einhundert Milliarden Euro jährlich, Tendenz steigend.

Daneben treten offene Haushaltsrisiken. Sollte etwa das Bundesverfassungsgericht den Solidaritätszuschlag für verfassungswidrig erklären, fehlten in der aktuellen Finanzplanung rund vierzig Milliarden Euro. Hinzu tritt die Gefahr veränderter Zinsen bei hohem Schuldenstand: In Anbetracht der angezogenen Inflation ist fraglich, ob die Niedrigzinspolitik der Notenbanken von Dauer sein kann. Kommt es zu einem Kurswechsel, wird die Zinslast für den Bund schnell und spürbar steigen. Folge wäre eine weitere Verengung der finanziellen Handlungsspielräume, die dringend benötigt werden, um Deutschlands Zukunft zu gestalten.

 

Konsolidierung, Fokussierung, Klarheit

 

Was ist zu tun? Der Haushalt des Bundes muss konsolidiert werden – und zwar nicht über ein Schleifen der Schuldenregel. Eine Zukunft „auf Pump“ kann nicht gelingen. Vielmehr bedarf es eines transparenten Haushalts mit einer Schwerpunktsetzung auf Zukunftsthemen. Schattenhaushalte müssen vermieden beziehungsweise zurückgeführt werden. Diese Kunstgriffe – um am Haushalt vorbei zu agieren – erschweren eine zielgerichtete Politik. So verschleiern die zahlreichen Sondervermögen elementare Haushaltsgrundsätze wie Einheit, Vollständigkeit, Fälligkeit und Klarheit. Der Haushalt setzt politische Entscheidungen um, macht die parlamentarische Gestaltung und ihre Schwerpunkte sichtbar und budgetär operativ. Dort gehört alles hin, was der Volkssouverän für bedeutsam erachtet. Dies bindet die Verwaltungen und macht nachvollziehbar, was mit den Steuern der Bürgerinnen und Bürger gemacht wird.

Gleichzeitig bedarf es einer Entflechtung. Das expansive Hineinfinanzieren des Bundes in ureigenste Länderaufgaben, wie beispielsweise Schulen, öffentlicher Nahverkehr und sozialer Wohnungsbau, muss ein Ende haben. Der Wirkungsgrad ist oft gering. So kommen Bundesgelder teilweise gar nicht oder nur stark verzögert an. Der Bund sollte sich auf zukunftsrelevante, gesamtstaatliche Kernaufgaben besinnen (können). Auch die Länder müssen ihren Beitrag leisten. Wo sie im Kern zuständig sind, müssen sie handeln und die Dinge verbessern. So sieht es das Grundgesetz vor. Reflexartige Rufe nach Bundesgeldern sind nicht gerechtfertigt. Die Sozialsysteme müssen zukunftsfest gemacht werden. Der Bund sollte die Lasten nicht allein auffangen, damit sich der Haushalt weg vom konsumtiven hin zum investiven entwickeln kann. So würde sich die notwendige Innovationskraft entfalten. Dies würde auch durch eine zielgerichtetere Ausrichtung weiterer Sozialabgaben erreicht. Flankiert werden sollte dies von einer systematischen Hinterfragung steuerlicher Vergünstigungen und Subventionen und einer gleichzeitigen effektiven Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Die notwendige Priorisierung und Entschlackung des Bundeshaushalts sollte zudem durch ein Ausgabemoratorium unterstützt werden. Jede neue Ausgabenposition muss gegenfinanziert sein.

Ein konsolidierter und priorisierter Haushalt alleine reicht aber nicht aus. Parallel dazu bedarf es beherzter Staatsund Verwaltungsreformen. Staat und Verwaltung sind kein Selbstzweck. Sie dienen dazu, die Grund- und Freiheitsrechte des Grundgesetzes einzulösen. Klare Zuständigkeiten, schlanke, agile sowie effektive Verfahren und Strukturen – beim Bund selbst, aber auch im föderativen Mehrebenensystem –, eine Renaissance der Einheit von Aufgaben- und Finanzverantwortung – Konnexität, wie sie das Grundgesetz aus guten Gründen vorsieht – und klare Priorisierung sind notwendig. Nur in diesem Gesamtkontext kann der Bundeshaushalt Basis für eine gute Zukunft Deutschlands sein. Ohne Geld ist alles nichts, aber nur mit Geld allein wird die Transformation auch nicht gelingen. Dazu bedarf es mehr. Eine gute Zukunft für Deutschland verlangt beides: einen resilienten Haushalt und Staatsreformen. Sonst wird es nicht gelingen, die Zukunftsaufgaben zu meistern.

 

Kay Scheller, geboren 1960 in Kiel, Jurist, seit 2014 Präsident des Bundesrechnungshofes und Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV), Vorsitzender des Bundespersonalausschusses.

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