Asset-Herausgeber

StanHema (Gestaltung)

Für einen zukunftsfähigen Staat

von Thomas de Maizière

Vorschläge einer Expertenkommission der Konrad-Adenauer-Stiftung für eine große Staatsreform

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Die Bundesrepublik Deutschland wird in diesem Jahr 73 Jahre alt. Wir haben gerade einen geräuschlosen Machtwechsel an unserer Spitze erlebt. Deutschland ist eine gefestigte Demokratie, anerkannt in der Welt. Unsere Leistungsfähigkeit sowohl wirtschaftlich als auch die des Staates ist beachtlich. Aber unsere Strukturen sind verkrustet, der Motor läuft schwerfällig und bindet zu viele Ressourcen, hat Schwierigkeiten, sich in der immer schneller drehenden, komplexeren Welt agil zu behaupten. Der Modernisierungsbedarf ist erheblich. Überbordende Vorschriften bremsen Unternehmen, Bürger, wichtige Investitionen und Infrastrukturprojekte. Die Digitalisierung im öffentlichen Sektor hinkt den technischen Möglichkeiten weit hinterher. Auch die Staatsquote in Deutschland ist von 32,9 Prozent im Jahre 1960 auf mittlerweile 51,3 Prozent angestiegen.

Nicht nur akute Krisen wie die Corona-Pandemie oder die Flutkatastrophe, sondern auch langfristige Veränderungen wie der Klimawandel, die internationale Sicherheit, Migration und Digitalisierung stellen staatliches Handeln auf den Prüfstand. Ein weltweiter Systemwettbewerb, der unser Wirtschaftsmodell und die Leistungsfähigkeit der Verwaltung herausfordert sowie unsere gesellschaftlichen Werte infrage stellt, erhöht den Handlungsdruck zusätzlich. Seit Jahren werbe ich daher für eine umfangreiche Reform unseres Staates. Mir geht es dabei nicht um ein Reförmchen, um kleine Veränderungen, sondern um eine große Staatsreform. Für einen zukunftsfähigen Staat, der funktioniert. Wir müssen in der Verwaltung wieder Weltmeister werden. Dazu brauchen wir eine umfassende, ressortübergreifende und grundlegende Verwaltungsreform. Eine Reform, die Vereinfachung, Vereinheitlichung, Bündelung, Flexibilisierung und Beschleunigung bringt.

Im letzten Jahr habe ich daher für die Konrad-Adenauer-Stiftung mit Expertinnen und Experten aus Politik (Bund, Länder, Kommunen), Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft konkrete und praxisorientierte Vorschläge für die Modernisierung des deutschen Staates erarbeitet. Unseren Bericht Für einen handlungsfähigen deutschen Staat. Vorschläge für eine Staatsmodernisierung in der Legislaturperiode 2021–2025 haben wir im Oktober 2021 der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die Zeit ist günstig für solche wichtigen Weichenstellungen. Das weitgehend einhellige Fazit über alle Parteigrenzen hinweg lautet, dass der deutsche Staat umfassend modernisiert werden muss. Indes, die Modernisierung eines Staatswesens, das sich in vielerlei Hinsicht lange erfolgreich bewährt hat, bedarf nicht allein der großen Ideen, sondern auch der richtigen Hebel für konkrete Veränderungen und des präzisen Justierens einiger integraler Stellschrauben.

Ich möchte daher im Folgenden die von uns erarbeiteten Vorschläge vorstellen.

 

Erstens: Umstrukturierung der Ministerien und Ressortprinzip öffnen bei Querschnittsaufgaben

Als ehemaliger Minister habe ich mir viele Gedanken dazu gemacht, wie wir den Staatsaufbau und die politische Steuerung von Ministerien verbessern können. Das Ressortprinzip hat inzwischen zu einer Versäulung im Denken der einzelnen Ressorts geführt. Ressortübergreifende Herausforderungen verlangen jedoch integrierte Ansätze. Themen und Aufgaben müssen aus verschiedenen Perspektiven gemeinsam und verbindlich angegangen werden.

Wir schlagen daher vor, das Ressortprinzip für Querschnittsaufgaben (wie zum Beispiel die Digitalisierung) mit vertikalen und horizontalen Verantwortungen und Durchsetzungskompetenzen zu öffnen. Dies erfordert eine andere Organisation der Arbeit in der Bundesregierung (und auch in den Landesregierungen) als bisher.

Zur Steigerung der Steuerungsfähigkeit müssen Bundesministerien daher verkleinert und die ihnen nachgeordneten Bundesoberbehörden komplementär durch eine gründliche Aufgabenprüfung gestärkt werden.

 

Zweitens: Der Bund führt eine ressortübergreifende, grundlegende und umfassende Verwaltungsreform durch.

Der Bund hat, anders als die Länder, nie eine ressortübergreifende Verwaltungsreform auf den Weg gebracht. Er sollte deshalb den Prozess der Verkleinerung der Ministerien mit einer umfassenden und tiefgreifenden Reform seiner Verwaltung beginnen. Diese sollte sich auf alle Bereiche des Verwaltungshandelns erstrecken. Dabei müssen ressortübergreifende Aufgaben (IT-Grundstruktur, Versorgung, Beihilfe, Förderverfahren, Beschaffung und vieles andere mehr) gebündelt werden. Politisch steuerbare Einheiten anderer Rechtsform sollen verstärkt bundesbehördliche Aufgaben übernehmen.

 

Drittens: Haushaltspolitik ist ein zentrales Steuerungsinstrument, auch um den Folgen des Klimawandels entgegenzuwirken.

Hierzu bedarf es jedoch einer Reform der Haushaltsaufstellungen. Zukunftsorientiertes Verwaltungshandeln bedingt messbar klimaorientiertes Handeln. Dafür braucht es entsprechend verpflichtende Ziele, Kosten-Nutzen-Analysen und eine an Effektivität orientierte projektübergreifende Planung. Klimaschutzstandards sollten schon bei der Planung sowohl Klima- als auch Kosteneffizienz miteinschließen. Jede vorgesehene Maßnahme würde dann mit einem „CO2-Preisschild“ versehen. Die beabsichtigte Wirkung tritt erst ein, wenn die Länder und Kommunen genauso verfahren. Einheitliche Standards in der Bewertung des Klimaeffekts von Maßnahmen und in den Planfeststellungs-, Genehmigungs- und Vergabeverfahren auf Bundesund Landesebene sind dafür zwingend.

 

Viertens: Bund-Länder-Verhältnis

Während der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass Entscheidungsprozesse in Deutschland im Bund-Länder-Verhältnis (wie etwa die Ministerpräsidentenkonferenz) oft langsam und im Ergebnis bisweilen ineffizient sind. Wir sind der Auffassung, dass dies einer Ungleichverteilung und -gewichtung von Steuerungsverantwortung und Umsetzungskompetenz geschuldet ist.

Ich schlage daher vor, zu prüfen, ob der Bundesrat für Krisenzeiten ermächtigt wird, auch exekutive Einzelentscheidungen mit verbindlichen Wirkungen in allen Bundesländern zu treffen.

 

Fünftens: Verwaltungsmodernisierung und Digitalisierung

Ziel sollte es sein, für Deutschland gemeinsam nutzbare digitale Plattformlösungen zu ermöglichen, die es den Bürgerinnen und Bürgern und dem Staat auf allen Ebenen erlauben, bedarfsgerecht miteinander zu kommunizieren. Unsere Forderung: Der Bund stellt eine von allen staatlichen Ebenen nutzbare und genutzte, sichere und zuverlässige digitale Netzinfrastruktur und konsistente IT-Architektur mit gemeinsamen Standards und Schnittstellen bereit und ermöglicht bundesweit kompatible und bedarfsgerechte Plattformlösungen.

 

Sechstens: Reform des öffentlichen Dienst-, Arbeits- und Tarifrechts

Die gegenwärtigen Personalstrukturen der öffentlichen Verwaltung genügen dem Anspruch an eine moderne Verwaltung überwiegend nicht mehr. Das öffentliche Dienst-, Arbeits- und Tarifrecht sollte umfassend (auch im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit der Verwaltung) reformiert werden, besonders hinsichtlich einer Flexibilisierung der Personalstrukturen, was Zugang, Aufstieg und Bezahlung betrifft. Diese Zielsetzung könnte vom Bund zum Beispiel in die Tarifverhandlungen 2022 eingebracht werden.

 

Siebtens: Planungs- und Genehmigungsrecht

Das deutsche Planungs- und Genehmigungsrecht wurde in den letzten Jahrzehnten durch zu viele Spezialisierungen zersplittert. Die komplexen behördlichen Verfahren dauern im europäischen Vergleich zu lange. Wir schlagen daher vor: Ein gebündeltes, alle Verfahren umfassendes Verwaltungsverfahrensgesetz zur erheblichen Beschleunigung der Planfeststellungsund Genehmigungsverfahren wird von Bund und Ländern in dieser Legislaturperiode erarbeitet.

 

Achtens: Vereinheitlichung des Vergaberechts

Ziel des Vergaberechts ist Transparenz, Rechtssicherheit, Wettbewerb und Wirtschaftlichkeit.

Das Vergaberecht wird vereinheitlicht, indem Landes- den Bundesvergaben angeglichen, Auftragswertgrenzen auf ein angemessenes Maß zurückgeführt werden und die eVergabe bundesweit vereinheitlicht und vorangetrieben wird. Die Anwendung des Vergaberechts wird durch eine bessere Qualifizierung und fortlaufende Weiterbildung für eine einheitliche Beschaffung vereinfacht.

 

Neuntens: Digitalisierung

Die Digitalisierung ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, der alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst, im privaten wie im öffentlichen Bereich. Digitalisierung ist das Instrument der Staatsmodernisierung. Sie ist damit Bedingung und Zielsetzung zugleich.

Die Zuständigkeiten für die Steuerung der Digitalisierung sollten auf wenige Ministerien gebündelt und ressortübergreifend straff koordiniert werden. Die Bundesregierung oder mindestens ein kompetenzstarkes Bund-Länder-Gremium braucht horizontale Koordinierungs- und vertikale Durchsetzungskompetenzen.

 

Zehntens: Krisenresilienz des Staates stärken: Vorbereitung und Reaktion auf Krisen

Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass staatliches Handeln in Krisen nicht hinreichend gesetzlich geregelt ist. Staatliches Handeln durch mehrfache kurzfristige Änderungen des Infektionsschutzgesetzes zu gewährleisten, war sowohl aus verfassungsrechtlicher als auch föderaler und legislativer Perspektive unbefriedigend. Immerhin gab es für den speziellen Fall einer Infektionskrankheit ein spezialisiertes Bundesgesetz als Grundlage. Für andere Krisen und Naturkatastrophen gäbe es keine entsprechenden Gesetze, Vorsorgepläne oder Ähnliches. Wir schlagen daher vor: Ein Bundeskrisenschutzgesetz, das die Zuständigkeiten und Kompetenzen des Bundes und der Länder vor und in Krisensituationen, unter anderem durch einen ebenenübergreifenden Krisenstab auf Bundesebene, eindeutig regelt, wird erarbeitet. Die Vorbereitung und Sensibilisierung der Bevölkerung für Katastrophen- und Krisenfälle werden durch ein differenziertes Warnmeldemanagement und regelmäßige Übungen verbessert. Der staatliche Krisen- und Katastrophenschutz wird durch die Einrichtung einer ständigen zivilen, abrufbaren Reserve von Bürgerinnen und Bürgern unter Federführung des Technischen Hilfswerks (THW) ergänzt.

Der Föderalismus gehört zu den großen Stärken unseres Landes, ist näher an den Menschen und ihren Problemen. Gleichzeitig wächst die Kritik an der gegenwärtigen Zusammenarbeit von Bund und Ländern. Herausforderungen wie die großen Krisen unserer Zeit, der Klimawandel und die Digitalisierung einschließlich der Cybersicherheit passen nicht (mehr) in die unübersichtliche Zuständigkeitsverteilung, wie sie das Grundgesetz kennt und wie wir sie leben. Die bisherigen Strukturen tragen immer weniger der steigenden Dynamik und den Anforderungen an die Entscheidungsgeschwindigkeit Rechnung. Deshalb ist die Zeit reif für eine gründliche Neuordnung der Aufgaben- und Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern, insbesondere für die politische Steuerung, die Digitalisierung und das Krisenmanagement. Dabei darf es nicht nur um die Frage der Zuständigkeit gehen, sondern auch um verbindliche, schnelle Abstimmungen zwischen den Ländern. Das bisherige Format der Föderalismuskommissionen (Bundestag, Ministerpräsidenten, Landtage und wissenschaftliche Expertinnen und Experten) hat sich nicht bewährt.

Wir schlagen daher vor, dass eine von Bund und Ländern mandatierte Kommission Vorschläge zu einer Neuordnung der Zusammenarbeit erarbeiten soll. Zentrale Reformen bei der Staatsmodernisierung, wie sie hier skizziert wurden, sollten aber unabhängig davon unverzüglich begonnen werden.

Deutschland braucht eine große Staatsreform. Jetzt ist die Zeit.

 

Thomas de Maizière, geboren 1954 in Bonn, Staatsminister a. D., Chef des Bundeskanzleramts a. D., Bundesminister a. D., 2009 bis 2021 Mitglied der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, seit 2018 Vorsitzender der Deutschen Telekom Stiftung.

 

Leseempfehlung

Für einen handlungsfähigen deutschen Staat. Vorschläge für  eine  Staatsmodernisierung in der Legislaturperiode 2021–2025, Thesenpapier der Konrad-Adenauer-Stiftung,  Berlin, Oktober 2021, https://www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/staatsmodernisierung.

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