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Uli Burchardt über Bürgernähe, Attac und Politik „von unten“

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Herr Burchardt, inwiefern versteht sich ein kommunaler Amtsträger auch als Sachwalter seiner Volkspartei?

Uli Burchardt: Ein Oberbürgermeister ist in erster Linie Oberbürgermeister für die Bürgerinnen und Bürger einer Stadt. Er muss für alle da sein. Parteipolitik spielt für mich dabei eine untergeordnete Rolle.

 

Wie „überparteilich“ muss sich ein Oberbürgermeisterkandidat heute geben, um eine Wahl für sich entscheiden zu können? Was sagt das über den Zustand unserer „Parteiendemokratie“ aus?

Uli Burchardt: Bei einem Oberbürgermeisterwahlkampf geht es gar nicht so sehr um „Parteilichkeit“ oder „Überparteilichkeit“. Es geht um ganz konkrete Themen und Probleme vor Ort, zu denen man Stellung nehmen und Lösungen anbieten muss. Natürlich spielt dabei der weltanschauliche Hintergrund schon eine gewisse Rolle. Aber letztlich geht es darum, welche Antworten Sie den Menschen auf ganz konkrete Fragen geben können und wie glaubwürdig Sie dabei sind. Die Bürgerinnen und Bürger schätzen an einem Oberbürgermeister nicht, dass er stringent ein Parteiprogramm vertritt, sondern dass er ihre Sorgen und Nöte ernst nimmt. Das halte ich auch für gut und richtig so. Das mindert aber nicht die grundsätzliche Rolle von Parteien als Transmissionsriemen politischer Willensbildungsprozesse.

 

In den 1970er-Jahren ging die Erneuerung der Union zu einem nicht geringen Teil von der kommunalen Ebene aus. Wie viel ist von dieser Impulskraft geblieben oder wieder lebendig?

Uli Burchardt: Das ist in der Tat eine gute Frage. Ich erhoffe mir tatsächlich wieder stärkere Impulse. Da hat sich sicher auch schon einiges getan. Die Union muss an ihrem Profil auf kommunaler Ebene aber noch arbeiten. Das gilt ganz besonders für die Union im Südwesten. Aber hier gibt es ja auch schon positive Signale.

 

Welchen Stellenwert hat die Kommunalpolitik noch im Verhältnis zur Landes-, Bundes- und Europapolitik? Die jungen Menschen in Konstanz jedenfalls scheinen ihn gering einzuschätzen: Nur acht Prozent der 18 bis 25-Jährigen sind zur letzten Oberbürgermeisterwahl gegangen.

Uli Burchardt: Ja, das ist sehr bedauerlich. Dieser geringe Anteil hängt vermutlich auch damit zusammen, dass sich viele der Studenten, die neu in die Stadt kommen, noch nicht so sehr mit ihr identifizieren. Bei Veranstaltungen an der Universität habe ich das aufgegriffen und die Studenten ermuntert, sich bei den Kommunalwahlen stärker zu engagieren. Eine Stadt ist nach wie vor diejenige Körperschaft, die am nächsten bei den Bürgerinnen und Bürgern ist, in der man ihre Wünsche und Nöte am unmittelbarsten wahrnehmen kann und die auch viele Möglichkeiten bietet, direkt etwas zu verändern: in Vereinen, durch Initiativen oder auch im Gemeinderat. Ich sage den jungen Leuten immer: Wenn Euch die Sperrstunde zu früh ist, dann beklagt Euch nicht bei mir, sondern kommt in den Gemeinderat.

 

Können Sie etwas zur Struktur Ihrer Wählerschaft sagen?

Uli Burchardt: Die Universität hat eine Wahlanalyse durchgeführt und Wählerprofile der drei Bewerber mit den meisten Stimmenzahlen ermittelt. Danach konnte ich besonders hohe Zustimmung bei den Wählerinnen und Wählern der mittleren Altersgruppe zwischen dreißig und sechzig Jahren erzielen. Das könnte damit zusammenhängen, dass ich betont hatte, dass mir besonders auch eine Politik für Familien wichtig ist, zum Beispiel beim Thema bezahlbarer Wohnraum für junge Familien.

 

Sie sind zugleich Mitglied des Wirtschaftsrats Deutschland der CDU und von Attac. Sind solche „halsbrecherischen“ Brückenschläge heute nötig, um neue Zielgruppen anzusprechen und miteinander zu verbinden? Oder allgemeiner gefragt: Inwieweit und wie sollten die Parteien etwa auf private Initiativen im vorpolitischen Raum zugehen und sie einbinden?

Uli Burchardt: Halsbrecherisch finde ich eine Haltung, die die Probleme der Zeit nicht erkennt und nicht auf diese reagiert. Es geht mir hier gar nicht um Zielgruppen, sondern um Inhalte. Ich bin ein großer Anhänger der Sozialen Marktwirtschaft. Ich sehe zurzeit aber auch Auswüchse im System der globalen Wirtschaft, die Attac zu Recht kritisiert, Auswüchse, die dieses großartige System der Sozialen Marktwirtschaft bedrohen. Und ich denke schon, dass es den Parteien guttun würde, auch auf private Initiativen zuzugehen, wenn man von ihnen lernen kann. Früher hat man mal gesagt: alte Zöpfe abschneiden! Heute würde ich sagen: Scheuklappen ablegen!

 

„Politik wird von unten gemacht“, sagen Sie und werben für mehr Bürgerbeteiligung. Aber müsste man nicht auch das genaue Gegenteil tun und für die repräsentative Demokratie werben? Denn die Erfahrung zeigt ja, dass nicht wenige Bürgerentscheide vom Einfluss sozial gehobener Schichten dominiert werden.

Uli Burchardt: Das ist eine ganz wichtige Frage! Ja, ich werbe für mehr Bürgerbeteiligung. Ich werbe aber auch für die repräsentative Demokratie und rufe auch auf, dazu zu stehen, dass viele Entscheidungen in kleinen Gremien entschieden werden müssen und nicht breit diskutiert werden können. Wir müssen also die Themen trennen: Wenige große Themen sollten viel breiter und intensiver als früher und unter großer Bürgerbeteiligung diskutiert werden, der Großteil der kleinen Themen sollte entscheidungsfreudig und selbstbewusst in den dafür zuständigen Gremien behandelt werden.

Heute mache ich mir bei manchem Bürgerbeteiligungsprojekt Sorgen, ob wir vielleicht nur die Lauten hören, die Leisen aber nicht. Insgesamt muss klar sein, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht die Arbeit von Experten besser machen können. Das wird in der Regel nicht funktionieren. Vielmehr entsteht dann Unzufriedenheit, häufig aufgrund mangelnder Information.

 

In Ihrer unmittelbaren Schweizer Nachbarschaft ist ein Volksentscheid aus europäischer Sicht „in die Hose gegangen“. Wie bewerten Sie das demokratietheoretisch, vor allem aber regionalpolitisch?

Uli Burchardt: Zunächst mal finde ich es schwierig, zu sagen, hier ist ein Volksentscheid „in die Hose gegangen“, nur weil man selbst gerne ein anderes Ergebnis gehabt hätte. Natürlich hätte ich auch viel lieber ein anderes Ergebnis gesehen. Aber man muss es respektieren. Das ist Demokratie. Punkt! Die Bürger unserer Schweizer Nachbarstadt Kreuzlingen haben übrigens anders gestimmt und die Initiative abgelehnt.

 

Was sagen denn die Konstanzer dazu, dass sie im Stau stehen, weil der hohe Kurs des Schweizer Franken im Südwesten Deutschlands zu viele Schweizer „Verbraucherflüchtlinge“ produziert?

Uli Burchardt: Diesen Begriff „Verbraucherflüchtling“ mag ich nicht. Klar, im Stau steht niemand gerne. Und an den Samstagen hört man gelegentlich schon auch mal ein Murren an den langen Schlangen vor den Einkaufskassen, wenn die Ausstellung eines grünen Ausfuhrscheins zu einer gewissen Verzögerung führt. Aber viele wissen natürlich auch, dass uns die Schweizer Kunden Arbeitsplätze sichern. Ihnen sind zu viele Kunden lieber als zu wenige.

 

Abschließend: Sie haben als CDU-Mitglied vor etwa eineinhalb Jahren die Wahl zum Oberbürgermeister gewonnen. Was raten Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen, die jetzt anderenorts in die Kommunalwahlkämpfe gehen?

Uli Burchardt: Ich habe bei meiner Kandidatur geäußert, dass ich als unabhängiger Kandidat antrete, weil ich der Überzeugung bin, dass ein Oberbürgermeister einer Stadt in erster Linie ein Oberbürgermeister für alle sein muss. Als Rat für einen Kommunalwahlkampf würde ich mit auf den Weg geben: Gehen Sie auf die Menschen zu! Seien Sie authentisch! Stehen Sie zu sich selbst und zu Ihrer Meinung! Dazu gehört auch, seiner Partei gegenüber auch mal kritisch sein zu können. Und bitte verlieren Sie den Humor nicht!


Uli Burchardt, geboren 1971 in Konstanz, Mitglied der CDU, seit September 2012 Oberbürgermeister der Stadt Konstanz.

Das Gespräch führte Bernd Löhmann.

 

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