Asset-Herausgeber

von Peter Molt

Sechs Jahrzehnte deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit Subsahara­-Afrika

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Bis zur Mitte der 1950er­-Jahre prägten der Wiederaufbau der Wirtschaft, die Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen, die Teilung des Landes und das Streben nach Sicherheit im Kalten Krieg die deutsche Politik. Die Bedeutung der Entkolonialisierung, eines der zentralen geschichtlichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts, spielte für die Außenpolitik im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg kaum eine Rolle. Erst als dieser Prozess ab 1956 auch Afrika erfasste, wurde die Frage, wie sich die Bundesrepublik Deutschland außenpolitisch dazu verhalten sollte, aktuell. Allerdings hielten Bundesregierung und Bundestag, aber auch die Presse in erster Linie die bisherigen Kolonialmächte für die wirtschaftliche Entwicklung der nach Unabhängigkeit strebenden Gebiete für zuständig. Mit Beiträgen zu den Organisationen der Vereinten Nationen, dem Europäischen Entwicklungsfonds und einem kleinen bilateralen Programm der technischen Hilfe glaubte die Bundesregierung einen ausreichenden Beitrag zu leisten.

Als in den letzten Amtsjahren von US-Präsident Dwight D. Eisenhower und den ersten von US-Präsident John F. Kennedy viele afrikanische Kolonien selbstständig wurden und die Sowjetunion politischen Einfluss zu erlangen suchte, verlangte die Regierung der Vereinigten Staaten eine namhafte Beteiligung der Bundesrepublik an der wirtschaftlichen und politischen Stabilisierung der afrikanischen Staaten.1 Angesichts der durch die Deutschlandpolitik der Sowjetunion auch in Europa angespannten Sicherheitslage beschloss die Regierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer eilig ein Finanzpaket, mit dem die Bundesrepublik Deutschland schlagartig zum viertgrößten Geberland für die Entwicklungsländer wurde.

Die Umsetzung der bereitgestellten Mittel in Entwicklungsprojekte erwies sich allerdings als schwieriger als zunächst gedacht, da die Bundesregierung nicht die amerikanischen Vorgaben annehmen, sondern ein eigenes Profil entwickeln wollte. Dafür fehlten zunächst Fachleute mit entsprechenden Erfahrungen. Auch entstand ein erbitterter Kampf um die Zuständigkeit zwischen dem neuen Entwicklungsministerium (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ), dem Auswärtigen Amt und dem Wirtschaftsministerium. Es dauerte ein Jahrzehnt, bis der organisatorische Aufbau schließlich zum Abschluss gebracht werden konnte. Erst 1971 wurde das erste entwicklungspolitische Konzept der Bundesregierung beschlossen. 1972 erhielt das BMZ endlich auch die Kompetenz für die Kapitalhilfe. In der langen Aufbauzeit gewann das Entwicklungshilfeministerium jedoch in Subsahara-Afrika das erstrebte eigene Profil.

 

Mit der Gießkanne?

 

Durch die breite geografische Streuung, die später auf große Kritik stieß, gewann das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erst nach und nach die erforderlichen Erfahrungen. So erhielten in den ersten zwölf Jahren alle fünf Länder Nordafrikas und dreißig von den damals 33 Ländern Subsahara-Afrikas Leistungen, obwohl dadurch das finanzielle Volumen für einzelne Länder begrenzt wurde. Die Bundesrepublik erreichte allerdings auch nie das bereits 1972 von den Vereinten Nationen vor­ gegebene Ziel einer ODA­-Quote2 (= Anteil der öffentlichen Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit am Bruttonationaleinkommen, BNE) von 0,7 Prozent. Diese blieb bis 1992 bei einem Mittelwert von 0,4 Prozent. Überdies war der Anteil Subsahara-Afrikas an der gesamten deutschen Öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit (Official Development Assistance, ODA) geringer als derjenige der anderen großen Geber. Er stieg von ursprünglich jährlich etwa dreizehn Prozent bis 1988 auf dreißig Prozent und schwankte dann bis 2006 zwischen 25 und etwa dreißig Prozent.3 Danach fiel er zeitweilig auf zwölf Prozent, um erst ab 2018 wieder zuzunehmen. Da trotz wiederholter Absichtserklärungen die Zahl der afrikanischen Empfängerländer nur langsam reduziert wurde, blieben die deutschen Leistungen in vielen Ländern dem Engagement anderer Geber nachgeordnet. Das bedeutete allerdings auch, dass der deutsche Einfluss auf die Gestaltung der staatlichen, regionalen und kommunalen Verwaltung und des Bildungswesens sowie auf die Ausrichtung der Exportwirtschaft gering war.

Die deutsche Projekthilfe fügte sich in die Vorgaben ein, das heißt in den ersten Jahrzehnten in die zentral gelenkte Staatswirtschaft mit der Priori­ tät für Vorhaben der Infrastruktur. In den 1970er­Jahren kamen Projekte der Grundbedürfnisstrategie hinzu, mit denen vor allem breite Bevölkerungsschichten in ihren wirtschaftlichen Bedürfnissen gefördert werden sollten. Nach der weltpolitischen Wende 1990 verlagerte sich der Schwerpunkt auf die Förderung der Marktwirtschaft und privater Investitionen, guter Regierungsführung, des Rechtsstaats und der Achtung der Menschenrechte, ergänzt durch Hilfen für die Sozialarbeit und Allgemeinbildung. Auch beteiligte sich Deutschland um die Jahrtausendwende an der Entschuldungsinitiative.

 

Unsichere Voraussagen

 

Die Umsetzung der weltweiten Strategien in praktische Programme benötigte jedoch viel Zeit; daher verschoben sich die Schwerpunkte der Zusammenarbeit nur langsam. In einigen Fällen behinderten wirtschaftspolitische Rücksichten die konsequente Anwendung der Prinzipien. Da Voraus­ sagen wirtschaftlichen Wachstums, politischer Stabilität und möglicher interner und externer Konflikte gerade in Subsahara-Afrika oft sehr unsicher sind, wurden auch Regierungen gefördert, deren Unterstützung man nachträglich bedauern muss. Andere, die mehr Unterstützung und eine engere Zusammenarbeit vermutlich besser genutzt hätten, gingen leer aus.

Subsahara-Afrika blieb nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch für die deutschen Interessen unter den Kanzlern Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl und Gerhard Schröder ein nachgeordnetes Feld. Eine Ausnahme war nach 1990 das einige Jahre andauernde intensive Engagement für die Transformation Südafrikas und Namibias von der Apartheid zur Demokratie. Motiviert war dies durch die Geschichte, durch viele persönliche Verbindungen und durch wirtschaftliche Beziehungen.

Neu waren nach der deutschen Wiedervereinigung die Verstärkung des Engagements der kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Entwicklungs- und Hilfsorganisationen und die vielen, auf persönlichem Engagement gründenden örtlichen Initiativen. Das führte neben einem im internationalen Vergleich hohen Spendenaufkommen zu vermehrten öffentlichen Zuwendungen für ihre meist an den Grundbedürfnissen orientierten Projekte. Sicher waren viele einzelne Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit mit Subsahara-Afrika, ob öffentlich oder privat finanziert, erfolgreich, weil sie Menschen in Not halfen und weil sie zur allgemeinen Gesundheit, Wohlfahrt und Bildung beitrugen.

 

Sind Staaten die richtigen Partner?

 

Insgesamt jedoch ist Subsahara-Afrika auf dem Weg zu friedlichem Zusammenleben und politischer Stabilität, sozialem und wirtschaftlichem Wohl­ stand noch nicht weit genug vorangeschritten. Unter den fünfzig Ländern der Welt mit dem geringsten Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index, HDI)4 sind 37 Länder Subsahara-Afrikas; lediglich Südafrika, Namibia und Botswana sowie die Inselstaaten Mauritius und Kap Verde rangieren etwas weiter oben.

Vor allem die ärmeren Entwicklungsländer hatten immer größere Schwierigkeiten, sozial und wirtschaftlich produktive Vorhaben zu entwickeln und den Anforderungen der wuchernden Entwicklungsbürokratien öffentlicher und privater Hilfsorganisationen gerecht zu werden. Ein Königsweg zur Entwicklung wurde nicht gefunden und konnte auch nicht gefunden werden, weil die Rolle des Staates und seiner Bürokratie, die Machtverteilung unter den politischen Kräften und Institutionen und die Prinzipien des gesellschaftlichen Miteinanders, das heißt der Übergang von Tradition zur Moderne kontrovers blieben. Die Geberländer setzten letztlich immer auf die übergeordnete Rolle des Staates, seiner Regierung und der zentralen Verwaltung. Dies entsprach ihren eigenen geschichtlichen Erfahrungen auf dem Weg in die Moderne. Sie beachten bis heute nicht in genügendem Maße, dass innerer Frieden, wirtschaftlicher Wohlstand und soziale Gerechtigkeit auf den kulturellen, moralischen und sozialen Werten, die eine Gesellschaft und ihre Institutionen prägen, beruhen und dass Kapitaltransfer und die Vermittlung technischen und organisatorischen Wissens sich nur dann auswirken können, wenn dafür die staatlichen Institutionen und die gesellschaftlichen Strukturen ausreichende Voraussetzungen erfüllen. Dass es daran in Subsahara-Afrika mangelt, hat viele Ursachen. Die Staatsbildung auf der Grundlage kolonialer Grenzen, die mangelnde Vorbereitung der Unabhängigkeit, das Erbe einer autoritären Kolonialverwaltung, die einseitige Wirtschaftsentwicklung, die postkoloniale Förderung des Militärs, Stellvertreterkriege und ausländische Interventionen sind nur einige Stichworte zur Erklärung für die Schwierigkeiten, einen geeigneten Rahmen für eine ausgewogene wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu schaffen.

Die Afrikaner müssen ihren eigenen Weg in die Zukunft finden. Dafür genügt ein einheitliches und unilinear auf sein Ziel gerichtetes „westliches“ Modell nur bedingt. Es werden vielmehr multiple Wege der Modernisierung,5 die regionale und lokale Entwicklungen als konstitutive Bausteine für die staatliche Ordnung beinhalten, gefunden werden müssen. Die westlichen Länder und ihre Bürger können dazu durch ihre Solidarität und Unterstützung derjenigen beitragen, die bereit sind, Verantwortung in Gesellschaft und Staat dafür zu übernehmen, dass auch in Afrika junge leistungswillige Menschen bessere Chancen für ihre Zukunft haben. Das ist in den letzten Jahrzehnten schwieriger geworden. So ist, wie Europäer aus eigener Erfahrung wissen, der schwierige Übergang von der traditionellen Kleinbauernwirtschaft zu einer produktiven und nachhaltigen Landwirtschaft schwierig. Eine die Umwelt schonende Entwicklung einer flächendeckenden Energieversorgung, wertschöpfender arbeitsintensiver Industrien und Dienstleistungen steht immer noch am Anfang.

Durch das hohe Bevölkerungswachstum gibt es inzwischen viele Millionen vor allem junger Menschen, die ohne Arbeit oder unproduktiv tätig sind. Das kann zu Hungersnöten führen, aber auch Volksaufstände, Flüchtlings­ und Migrantenströme auslösen, wenn nicht eine „neue“ Entwicklungspolitik“ wirklichen Wandel schafft. Sie ist deshalb nicht mehr nur eine Wiedergutmachung für den Kolonialismus oder eine Verpflichtung aus solidarischer Nächstenliebe, sondern liegt im unmittelbaren Interesse Europas für seine eigene Zukunft. Wie die Vorsitzende der Christlich Demokratischen Union Deutschlands mit Blick auf die Ausbreitung des islamistischen Terrorismus und der illegalen Migration in der Sahelzone in einer Grundsatzrede fest­ stellte, wächst eine Bedrohung der europäischen und deutschen Sicherheit, der sich Deutschland und Europa stellen müssen.6

 

Peter Molt, geboren 1929 in Stuttgart, 1960 Leiter der Politischen Akademie Eichholz und gleichzeitig ab 1962 Leiter des Internationalen Instituts der Konrad-Adenauer-Stiftung, ab 1966 Geschäftsführer des Deutschen Entwicklungsdienstes, später beim Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, zuletzt Beauftragter für die Partnerschaft des Landes Rheinland-Pfalz mit Ruanda sowie Lehrtätigkeit an der Universität Trier.

 

1 Dazu Peter Molt: Die Anfänge der Entwicklungspolitik der Bundesrepublik Deutschland in der Ära Adenauer, Düsseldorf 2018.

2 Anteil der ODA (Offical Development Assistance am Bruttoinlandsprodukt, definiert vom Development Assistance Committee (DAC) der OECD; Zahlen in US-Dollar 2017 (Constant Prices), https://stats.oecd.org/Index.aspx?datasetcode=TABLE2A [letzter Abruf: 07.01.2020].

3 Ohne den auf dem G8-Gipfel in Köln 1998 beschlossenen Schuldenerlass für hochverschuldete Entwicklungsländer.

4 United Nations Development Programme: Human Development Report 2017, www.hdr.undp.org/en/content/human-development-index-hdi  [letzter  Abruf:  07.01.2020].

5 Dazu u. a. Shmuel N. Eisenstadt (Hrsg.): Multiple Modernities, New Brunswick 2002.

6 Annegret Kramp-Karrenbauer, 32. Bundesparteitag der CDU, Leipzig, 22.11.2019.

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