Asset-Herausgeber

von Tobias Zumbrägel

Chancen für ein „Environmental Peacebuilding“

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Der Klimawandel zählt zu den „grand challenges“ des 21. Jahrhunderts. Derzeit offenbart die mit großer Wahrscheinlichkeit durch eine Zoonose entstandene COVID-19-Pandemie die enge und fragile Verbindung von Mensch und Natur. Unter dem Schlagwort der sogenannten Klimakriege dominierte lange Zeit die Annahme, Sicherheitsrisiko und Klimawandel würden sich direkt beeinflussen. Jüngere Forschungsergebnisse deuten hingegen darauf hin, dass der Einfluss des Klimas als bestimmender Faktor für gewaltsame zwischenstaatliche Konflikte unwahrscheinlich ist. Auch das Risiko innerstaatlicher Konflikte scheint vor allem auf weitere Kontextbedingungen zurückzuführen zu sein. Diese Erkenntnisse sprechen für einen indirekten Zusammenhang von Klimawandel als Konflikttreiber und Krisenmultiplikator.

Ein prägnantes Beispiel betrifft den seit über zehn Jahren anhaltenden syrischen Bürgerkrieg, der nicht zuletzt durch massive Fluchtbewegungen die europäische Außen- und Sicherheitspolitik betrifft. Während frühe Stimmen den Klimawandel als treibende Kraft des Bürgerkrieges erkannt haben, verweisen jüngere Forschungen auf ein komplexes Gefüge, in dem zunehmender Umweltstress (etwa durch eine langjährige Dürreperiode) lediglich eine Komponente bildet. Neben der umfassenden und brutalen Repression durch das Regime hatten auch weitere Faktoren wie eine Liberalisierung der Agrarwirtschaft und Subventionsabbau, Korruption, fehlende Partizipationskanäle und Misswirtschaft ebenfalls einen wesentlichen Anteil.

Die Diskussion über die auslösenden Faktoren des syrischen Bürgerkrieges offenbart zugleich, dass es nach wie vor schwierig bleibt, die Wirkungen globaler klimatischer Ereignisse in konkreten (regionalen) Kontexten zu bestimmen. Unklar bleibt ebenso, welche Strategien und Lösungsansätze entwickelt werden müssen, um den Einfluss von Klima- und Umweltstress auf Konfliktdynamiken zu verringern oder ihm präventiv vorzubeugen.1

 

Umweltstress als Bedrohungsmultiplikator

 

Betrachtet man den Mittelmeerraum, offenbaren sich zahlreiche Anknüpfungspunkte, die einerseits die wachsende Bedrohung durch Klima- und Umweltstress aufzeigen und andererseits vermitteln, dass Lösungsansätze für diese Probleme gemeinschaftlich und staatsübergreifend zu suchen sind. Grundsätzlich lassen sich verschiedene Bedrohungsszenarien unterscheiden:

Erstens ist der geografische Raum, der die Mittelmeeranrainerstaaten umfasst, von langfristigen Klimaveränderungen betroffen. Dies trifft vor allem auf die stark besiedelten Küstenregionen zu, die von einem ansteigenden Meeresspiegel bedroht sind. Regionale Klima- und Temperaturschwankungen sind ebenso zu erwarten wie ausbleibende Niederschläge oder starke Unwetter. Beispielsweise zeigen Prognosen, dass die Durchschnittstemperatur in Nordafrika und im Nahen Osten von derzeit 43 Grad Celsius bis zur Jahrhundertmitte auf 46 Grad Celsius und bis zum Ende des Jahrhunderts auf beinahe 50 Grad Celsius ansteigen könnte. In urbanen Zentren könnte der Temperaturanstieg noch drastischer ausfallen. Gleichzeitig treten immer häufiger Hitzewellen auf, die sich auf die Sterberate auswirken. Verlängerte Dürreperioden verstärken die bereits akute Wassernot in der Region. Hydrologische Extremereignisse, wie Extremniederschläge, Sturzfluten, sowie Naturgefahren, wie Erdbeben und Erdrutsche, werden ebenfalls häufiger und intensiver. Zweitens verstärken anthropogene Einflüsse (zum Beispiel Verschmutzungen) den Klimawandel und Umweltstress. Das Mittelmeer, nicht nur für Küstengesellschaften Existenzgrundlage durch Fischerei, Landwirtschaft und Tourismus, belasten Plastikmüll und industrielle Schadstoffe. Recyclingmöglichkeiten und Regularien oder Kontrollinstanzen fehlen sowohl nördlich als auch südlich des Mittelmeeres. Gleichzeitig mangelt es an Wiederaufbereitungsanlagen für verschmutztes Süßwasser. Fehlt es zum einen an politischem Willen und konkretem Aktionismus, so spielen zum anderen auch strukturelle Probleme eine Rolle. Kriegerische Auseinandersetzungen haben in Gaza Infrastruktursysteme der Wasser- und Energieversorgung zerstört. Im Gegensatz zum israelischen Nachbarn sind die Möglichkeiten oftmals begrenzt, diese großtechnischen Systeme der Daseinsvorsorge wieder instand zu setzen.

 

Streit um Ressourcen

 

Verbunden mit diesen klima- und umweltbedingten Stressfaktoren sind Fragen des Ressourcenzugangs beziehungsweise der Ressourcenverteilung, die inner- und zwischenstaatliche Konflikte befördern. Dies wird wiederum im Zugang zur Ressource Wasser deutlich. Nahezu alle Staaten teilen gemeinsame Grundwasserreservoirs, Flüsse oder Seen. Nur in einigen wenigen Staaten wie Syrien, Jordanien, Israel oder dem Libanon existieren Abkommen, die die Verteilung der Ressource vertraglich regulieren. Wenngleich internationale „Wasserkriege“ aktuell als unwahrscheinlich gelten, führen anhaltende oder wieder aufkeimende Konflikte beteiligter Parteien immer wieder dazu, dass zwischenstaatliche Abmachungen entweder gar nicht zustande kommen oder wieder aufgelöst werden. Der künftige Wassermangel wird Ressourcenkrisen zwischen Staaten oder innerhalb verschiedener Ethnien einzelner Länder verschärfen und darüber hinaus Konflikte um Lebensmittelknappheit evozieren, insbesondere zwischen den agrarisch geprägten Ländern.

Auch die Frage einer künftigen Energiesicherung ist eng mit der Frage nach schwindenden Wasserressourcen verwoben, da Wasser nicht nur zur Aufbereitung der Energiegewinnung genutzt, sondern auch in energieintensiven Prozessen wie etwa der Entsalzung produziert wird. Um Energiesicherheit und öffentliche Güter sicherzustellen, Industrialisierung und Modernisierung voranzutreiben und unabhängig von Energieimporten zu werden, setzen viele Staaten neben der weiteren Erschließung konventioneller und nicht nachhaltiger Ressourcen wie Kohle, Öl und Gas auch auf die Nutzung von Technologien wie Nuklearenergie. Dabei sind viele dieser Maßnahmen nicht nur ökologisch fragwürdig, sondern können auch neue sicherheitspolitische Fragen aufwerfen. So müssten die nuklearen Bestrebungen von Ägypten, Israel oder der Türkei aus der Perspektive einer regionalen mediterranen Sicherheitsarchitektur erörtert werden. Jenseits dessen deuten die neu entdeckten Gasfelder im östlichen Mittelmeer bereits das künftige Konfliktpotenzial zwischen verschiedenen Staaten an, die auf diese Ressourcen Anspruch erheben.

Wechselwirkungen zwischen Klimafolgen und Sicherheitsrisiken haben auch eine politische Dimension, die sich in einer bewussten Instrumentalisierung politischer Eliten und vermehrtem Aktivismus der Straße widerspiegelt. Im Speziellen zeigt sich dies in den arabischen Mittelmeeranrainerstaaten, die oftmals durch Konflikte, autokratische Regierungsführung und schwache politische Institutionen, soziale Ungerechtigkeit, Korruption und massive Vertreibungs- und Fluchtbewegungen geprägt sind.

Einerseits haben zahlreiche arabische Staaten die Folgen des Klimawandels bewusst politisch instrumentalisiert. In der Vergangenheit wurde sozialen Minderheiten häufig der Zugang zu öffentlichen Gütern – insbesondere der Wasserversorgung – abgeschnitten, während sich bestimmte Eliten wie agrarische Großunternehmer in Ägypten, Libanon oder Syrien an den Ressourcen bereicherten. In den letzten Jahren haben einige Staaten begonnen, ihr „grünes“ Image zu stärken, wie die Ankündigungen großer Initiativen durch den marokkanischen König Mohammad VI. (etwa der Moroccan Solar Plan und der Green Moroccan Plan) oder jüngst durch den Kronprinzen Mohammad Bin Salman in Saudi-Arabien (der sogenannten Saudi and Middle East Green Initiatives) zeigen. Mit diesen Visionen brüsten sich Staatsoberhäupter vor der eigenen Bevölkerung und auf internationalem Parkett.

 

Pulverfass soziale Unruhen

 

Andererseits stellen die Folgen des Klimawandels und die Misswirtschaft politischer Regierungen auch ein Pulverfass für soziale Unruhen dar. Fragen, die um Umweltbelastungen oder den Zugang und zu Ressourcen und deren Verteilung kreisten, waren in Marokko, Tunesien oder im Libanon in den letzten Jahren eine wesentliche Triebkraft sozialer Proteste und Widerstandsbewegungen. Verringerte Subventionen infolge der Verteilungskonflikte beförderten soziale Exklusion sowie Misstrauen gegenüber Behörden und Politik, was oft in einem Vertrauensverlust in die jeweiligen Regierungen mündete. Gleichzeitig kann ein steigendes ökologisches Bewusstsein eine Triebfeder für gesellschaftlichen Aktivismus bilden, die die jeweiligen Herrschaftsregime vor Herausforderungen stellt. Hier kann auf die sogenannten Gezi-Proteste in der Türkei 2013 verwiesen werden, bei denen die türkische Regierung – ähnliche Beispiele finden sich in Ägypten und im Iran – ihre Machtlosigkeit im Umgang mit solchen Bottom-up-Prozessen demonstrierte. So wurden jegliche Formen von Umweltaktivismus unterdrückt, einige Nichtregierungsorganisationen verboten und Aktivisten eingesperrt.2

Zusammenhänge zwischen Konfliktdynamiken und Klima- und Umweltstress stellen ein komplexes Gefüge dar, dem neben ökologischen weitere sozioökonomische und politische Dimensionen zugrunde liegen. Ein umfassender Ansatz, der diese Dimensionen gleichgewichtig gegenüberstellt, ist eine essenzielle Voraussetzung für eine klimasensible Konflikttransformation. Gleichzeitig greift es zu kurz, die Klimakrise allein als Bedrohungsmultiplikator zu werten. Vielmehr bietet sie auch Chancen für Kooperationen und friedensfördernde Maßnahmen (environmental peacebuilding).

 

Friedensfördernder Umweltschutz

 

Hierbei darf ein langfristig erfolgreicher und friedensfördernder Umweltschutz nicht auf kurzfristiger Symptombekämpfung beruhen, die nur auf die ökologischen Gefahren fokussiert ist. Vielmehr muss im Zuge verstärkter Präventivmaßnahmen auf eine umfassende Analyse gesetzt werden. Diese müsste zunächst verbesserte Strukturen für einen gerechten Zugang und eine kollektive Verteilung von Ressourcen umfassen. Gleichzeitig müssen die komplexen Wirkungszusammenhänge zwischen sozioökonomischen und politischen lokalen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden, da umweltbezogene Konflikte und Krisen oft im Kontext schwacher Staatlichkeit und schlechter Regierungsführung entstehen. Ebenjene systemische Beurteilung sollte in bereits existierenden Kooperationsformaten eine präsentere Rolle einnehmen. Stellvertretend seien hier die Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz der Mittelmeerunion, die Barcelona-Konvention mit ihrem Mediterranean Action Plan sowie Erwägungen eines Green Deals genannt, der den gesamten Mittelmeerraum umfassen soll.3

Ferner müssen lokale Initiativen zur transnationalen Umwelt- und Ressourcenkooperation gestärkt werden. Ein Beispiel ist der sogenannte Green Blue Deal der Organisation EcoPeace, der sich für eine friedliche regionale Wasserverteilung und -nutzung sowie Energiesicherheit zwischen Israel, Palästina und Jordanien einsetzt. Ähnliche Mechanismen müssten auch in anderen Regionen für viele weitere Themenfelder (beispielsweise Sandstürme, Wüstenbildungen) oder Abkommen zu transnationalen Umweltkatastrophen (etwa Nuklear- oder Ölunfälle) entwickelt und implementiert werden. Sie könnten nicht nur grenzüberschreitenden Umweltkonflikten vorbeugen, sondern multilaterale Kooperationen zwischen den Einzelstaaten initiieren. Zudem sollte auf nationalstaatlicher Ebene ein klimasensibler Dialog gefördert werden, der die Zivilgesellschaft und sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen in Entscheidungsprozesse einbezieht. Dies sollte einhergehen mit umfassenden Bildungsmaßnahmen und -kampagnen, die die breite Bevölkerung für die Gefahren von Klimawandel und Umweltstress sensibilisiert. Ein friedensfördernder Umweltschutz müsste letztlich auch neue politische Partizipationskanäle eröffnen, aber auch eng mit dem Schutz der Menschenrechte verknüpft werden. Beides zusammen könnte umweltbedingten Migrationsbewegungen entgegenwirken.

 

Tobias Zumbrägel, geboren 1987 in Georgsmarienhütte, Studium der Islamwissenschaften, Geschichte und Politikwissenschaften in Köln, Tübingen und an der Amerikanischen Universität Kairo, Promotion an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zum Thema „Umweltpolitik und politische Legitimität in den ölreichen Golfmonarchien“, seit 2019 Researcher, CARPO – „Center for Applied Research in Partnership with the Orient“, Bonn.

 

1 Für einen Überblick siehe Adrien Detges / Daniel Klingenfeld / Christian König / Benjamin Pohl / Lukas Rüttinger / Jacob Schewe / Barbora Sedova / Janani Vivekananda: 10 insights on climate impacts and peace, Adelphi, Berlin 2020, www.adelphi.de/de/publikation/10-insights-climateimpacts-and-peace [letzter Zugriff: 12.04.2021].

2 Für einen Überblick siehe Jeannie Sowers: „Environmental Activism in the Middle East and North Africa“, in: Harry Verhoeven (Hrsg.): Environmental Politics in the Middle East, Oxford University Press, Oxford 2018, S. 27–52.

3 Siehe etwa Julia Choucair Vizoso / Mohamed Behnassi/ Zied Boussen / Georgeta Vidican Auktor/ Karolina Zubel: A Euro-Mediterranean Green Deal? Towards a Green Economy in the Southern Mediterranean, EUROMESCO Policy Study, März 2021, www.euromesco.net/wp-content/ uploads/2021/03/A-Euro-Mediterranean-Green-Deal-Towards-a-Green-Economy-in-the-SouthernMediterranean-1.pdf [letzter Zugriff: 12.04.2021].

 

 

 

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