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Wie sich Social-Media-Plattformen verändern

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TikTok ist für viele eine reine Unterhaltungsplattform. Doch mit der E-Commerce-Funktion „TikTok Shop“ strebt der Mutterkonzern ByteDance jetzt an, sich als bedeutender Vertriebskanal für Produkte und Dienstleistungen zu etablieren. Lange Zeit bot TikTok vor allem Dienstleistungen von Content-Creatoren an. Mehr und mehr entdecken nun Unternehmen, deren Geschäftsmodell nicht nur in der Produktion von TikTok-Videos besteht, die soziale Plattform für sich. Sie produzieren eigene Kurzvideos oder engagieren Influencer für die Bewerbung ihrer Produkte. Mit dem Start des hauseigenen Logistikunternehmens Fulfilled by TikTok (FBT) bietet TikTok neuerdings auch in Deutschland eine Infrastruktur zur Zahlungsabwicklung, Lagerung und Lieferung von Waren an. Social Media und E-Commerce verschmelzen miteinander, TikTok vereint quasi Instagram und Facebook zu einem ähnlichen Absatzkanal wie Amazon.[1] Die Vision von ByteDance für TikTok könnte die einer „Super-App“ wie WeChat, einer chinesischen App, sein,[2] die ursprünglich lediglich als Instant-Messaging-Dienst für Smartphones gedacht war und inzwischen um viele Funktionen erweitert wurde.

Die historische Entwicklung sozialer Netzwerke deutete darauf hin, dass dieser veränderte Funktionsumfang Einfluss auf die Marktposition einzelner Unternehmen nimmt. Netzwerkeffekte führen nicht zu einer dauerhaften Dominanz; vielmehr gibt es seit den 1990er-Jahren ein Auf und Ab einzelner Organisationen entlang sich verändernder Nutzergewohnheiten. Dienste wie ICQ, StudiVZ oder MeinVZ wurden abgelöst, weil sie nicht kompatibel mit Smartphones waren und weder ausländische Kontakte noch Netzwerkstrukturen unterstützten.[3] Auch Facebook hat junge Nutzer verloren,[4] weil diese die Bild- und Videoformate von Instagram und TikTok präferieren.[5] Mit Campfire wird in Deutschland nun der Versuch unternommen, ein soziales Netzwerk zu implementieren, das sich auf das Audioformat von Podcasts stützt. Campfire verbindet klassisches Audiostreaming mit Bild- und Videoformaten. Podcaster posten begleitende Inhalte zu ihren Folgen – Bilder, Bonusmaterial wie zusätzliche Audiodateien –, und Hörer können kommentieren, Bezug nehmen und reagieren.[6]

Die Entwicklungen der vergangenen Jahre belegen somit: Reine soziale Netzwerke kommen und gehen. Ein Grund hierfür ist die Abhängigkeit vom volatilen Werbemarkt, der seinen Nutzern folgt. Meta hat jedoch bewiesen, dass sich die hinter einem sozialen Netzwerk stehende Organisation etwa durch den Zukauf von Innovationen oder durch Diversifizierung langfristig etablieren kann. Einfache Veränderungen im Nutzerverhalten führen dann nicht mehr zur Ablösung einer Plattform. Vor diesem Hintergrund lohnt ein Blick auf „TikTok Shop“.

 

Attraktiv für Investoren

Als Bestandteil von TikTok ist der Shop in der Europäischen Union mit Vorwürfen zu mangelndem Datenschutz, unfairem Wettbewerb und unzureichendem Jugendschutz konfrontiert. Einige Regelverstöße sind eher abstrakt, andere klar ersichtlich – beispielsweise, wenn der „Grundpreis“ oder die Verbindlichkeit von Zahlungen entgegen den gesetzlichen Vorgaben nicht deutlich gekennzeichnet werden.[7] Deshalb macht nicht nur die Politik auf Gefahren aufmerksam, sondern auch Verbraucherschützer und Juristen warnen vor negativen Konsequenzen.

Für Investoren scheint TikTok dennoch attraktiv zu sein. Laut eigenen Angaben ist das Unternehmen zu sechzig Prozent Eigentum westlicher Kapitalgeber.[8] Auch Fabian Mehring, Bayerischer Staatsminister für Digitales, steht „TikTok Shop“ positiv gegenüber und bezeichnete die Ansiedlung des Unternehmens in München wegen der entstehenden Arbeitsplätze sowie der (noch zu beweisenden) Stärkung des Mittelstandes als einen „Ansiedlungscoup“.[9] Ebenso waren beim Launch von „TikTok Shop“ etablierte deutsche Unternehmen wie Beiersdorf, Thalia, der Online-Versandhändler About You oder der Kostümshop Deiters vertreten. Bis heute loben sie die Möglichkeit, kostengünstig Werbung bei jungen Zielgruppen platzieren zu können, und berichten teilweise von nennenswerten Umsätzen.[10]

Allerdings gestand About You-Chef Tarek Müller ein, dass sich seine Investitionen in „TikTok Shop“ nicht rentiert hätten; sein Unternehmen sei auf der Plattform zurzeit nicht mehr aktiv.[11] Auch Influencer berichten von negativen Erfahrungen – so sei teilweise unklar, wie das Ranking bestimmter Inhalte zustande komme oder warum Inhalte gelöscht würden; zudem blieben versprochene Zahlungen aus.[12] Auch bei den Konsumenten zeigt sich ein gemischtes Bild:[13] 19 Prozent bewerteten direktes Einkaufen auf Social-Media-Plattformen positiv, 57 Prozent negativ, 24 Prozent neutral. Immerhin 27 Prozent hatten sechs Wochen nach dem Launch des „TikTok Shop“ bereits etwas über diese App gekauft. Ob die Anwendung von „TikTok Shop“ erfolgreich sein wird, ist offen.

 

Was folgt daraus?

Unabhängig von dem Erfolg von „TikTok Shop“ können digitalpolitisch drei vorläufige Schlussfolgerungen gezogen werden:

Erstens: Soziale Medien sind mehr als Unterhaltungsplattformen für junge Menschen. Neben den Investoren gewinnen (erwachsene) Unternehmer und Firmen an Bedeutung, die TikTok als Vertriebskanal und Geschäftsplattform nutzen. Es gibt somit eine Vielzahl von erwachsenen Usern und Firmen, die auf TikTok und in seinem erweiterten Umfeld agieren und (geschäftliche) Interessen an der Funktionstüchtigkeit einer solchen Plattform haben.

Zweitens: Tech-Firmen sind zwar mächtig, ihre Monopole aber volatil.[14] Ebenso, wie das US-amerikanische Softwareunternehmen OpenAI mit integrierten Suchfunktionen in ChatGPT den Suchmaschinengiganten Google herausgefordert hat, fordert TikTok mit seinem „TikTok Shop“ Amazon heraus.[15] Entscheidend sind dabei nicht nur Algorithmen, sondern auch der Zugang zu Nutzergruppen und die Hoheit über Schnittstellen, welche etwa Outlinks ermöglichen oder verhindern.

Drittens: Geopolitik, Jugend- und Datenschutz bleiben Aufgabe der Politik. Der Launch von „TikTok Shop“ zeigt, dass die derzeitigen Befunde und die öffentliche Debatte um den Einfluss Chinas, Hatespeech, den mangelnden Jugendschutz und die nicht gewährleistete Datenhoheit nicht zwangsläufig dazu führen, dass alle Unternehmen TikTok meiden. Will man TikTok in Europa verhindern, ist politisches Handeln notwendig.


Leonie Mader, Referentin für Künstliche Intelligenz, Hauptabteilung Analyse und Beratung, Konrad-Adenauer-Stiftung.


[1] Florian Kolf: „So will TikTok jetzt sogar Amazon Konkurrenz machen“, in: Handelsblatt, 27.03.2025.
[2] Yulun Ma / Yue Hu: „Business Model Innovation and Experimentation in Transforming Economies. ByteDance and TikTok“, in: Management and Organization Review, 17. Jg., Sonderausgabe 2, 25.02.2021, doi:10.1017/mor.2020.69; Christian Cohrs: „Gaming, Cloud, Kliniken & Parfüm. So riesig ist ByteDance, der Konzern hinter TikTok“, in: OMR.com, 16.01.2023; Antje Erhard: „Kommt die Super-App auch nach Europa?“, in: tagesschau.de, 18.05.2025; zum Mechanismus siehe Lina M. Khan: „Amazon’s Antitrust Paradox“, in: The Yale Law Journal, 126. Jg., Nr. 3, Januar 2017, S. 710–805.
[3] Torsten Kleinz: „Messenger-Nostalgie. ICQ ist Geschichte“, in: Der Spiegel, 25.05.2024; NDR: „Gruschel mich! – Die studiVZ-Story“ – NDR Doku über den rasanten Aufstieg und Fall des ehemals größten deutschen sozialen Netzwerks“, 03.02.2025.
[4] René Bocksch: „Social Media-Nutzung. Facebook verliert die Jugend“, in: Statista.com, 02.02.2024.
[5] PER Agency: Social Media Atlas 2025.
[6] Stefanie Hollweck: „Campfire: Neue App verbindet Podcasts mit Social-Media-Elementen“, in: Sonntagsblatt, 23.05.2025.
[7] Florian Kolf: „Kostenfalle TikTok Shop“, in: Handelsblatt, 02.05.2025.
[8] „Tiktok zieht vor Oberstes Gericht der USA“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.12.2024.
[9] Bayerisches Staatsministerium für Digitales: Nach OpenAI jetzt auch TikTok. Digitalminister Dr. Fabian Mehring verkündet nächsten Ansiedlungscoup, 27.03.2025.
[10] Felix Wessel: „Einkaufen bei TikTok. Eine erste wirtschaftliche Bilanz“, in: Deutschlandfunk. 26.06.2025.
[11] OMR Education: „Zölle, TikTok-Shop und KI – mit Tarek Müller“, Live@OMR25, Podcast.
[12] Johanna Jürgens: „Zwei Schüler verdienen 5.030 Euro. Fast“, in: Die Zeit, Nr. 26/2025, 20.06.2025.
[13] Nürnberg Institut für Marktentscheidungen e.V. (April 2025): Social Media Shopping in Deutschland. Kurzstudie zur Erfassung der Akzeptanz von Social Commerce am Beispiel des TikTok Shops, April 2025.
[14] Ulrich Dolata: „Volatile Monopole. Konzentration, Konkurrenz und Innovationsstrategien der Internetkonzerne“, in: Berliner Journal für Soziologie, 24. Jg., Nr. 4, 15.01.2015, S. 505–529.
[15] Thomas Derksen: #162 – OMR live: TikTok Shop vs. Amazon. Wer gewinnt den E-Commerce Krieg? Podcast, 14.05.2024; Florian Kolf: „Tiktok konkurriert jetzt mit Amazon, Temu und Shein“, in: Handelsblatt, 28.03.2025.

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