In Deutschland engagieren sich dreißig Millionen Menschen individuell bürgerschaftlich oder ehrenamtlich. In Sportvereinen, im Technischen Hilfswerk, in den Freiwilligen Feuerwehren, Kirchengemeinden, Migrantenorganisationen, Stiftungen, Parteien, sozialen Einrichtungen oder auch als Wahlhelferinnen und Wahlhelfer treffen die unterschiedlichsten Menschen für gemeinsame Anliegen zusammen. Hierdurch entstehen Zusammenhalt und Toleranz und damit wichtige Komponenten unserer Demokratie. Ehrenamt und bürgerliches Engagement sind tragende Säulen eines lebendigen und funktionierenden Gemeinwesens.
Deutschland ist das Land der Vereine und des ehrenamtlichen Engagements. Die Bereitschaft, freiwillig Zeit und Energie aufzubringen, ohne zuallererst an sich selbst zu denken, bedeutet, sich für die gemeinsame Gestaltung des erlebbaren Umfelds einzusetzen und damit das gegenseitige Verständnis sowie die Identifikation mit der Gesellschaft zu fördern.
Gerade die ländlichen Regionen sind durch eine engagierte Zivilgesellschaft geprägt und benötigen diese angesichts des demografischen Wandels umso mehr. Die Förderung von bürgerschaftlichem Engagement und Ehrenamt bildet daher einen der gesellschaftspolitischen Schwerpunkte der Bundesregierung. Die Neuansiedlung des Bereichs Heimat im Bundesministerium des Innern, nun Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, unterstreicht das. Neben der Arbeit für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse ist auch die Ehrenamtsförderung ein Schwerpunkt. Der Begriff Heimat ist eng mit Ehrenamt und Engagement verbunden. Regionale Verwurzelung und gesellschaftliche Teilhabe sind oftmals an ein ausgeprägtes ehrenamtliches Engagement vor Ort gekoppelt. Gerade auf dem Land stellen die Vereine oft die Strukturen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt organisieren.
Sport-, Freizeit und Geselligkeitsvereine
Die Flüchtlingswelle im Herbst 2015 hat gezeigt, wie viele Zehntausende Menschen bereit sind, sich spontan ehrenamtlich zu engagieren und in Notsituationen Hilfe zu leisten. Ihr Engagement endete nicht bei der Begrüßung und Aufnahme. Bis heute leisten zahlreiche Ehrenamtler durch Sprachkurse, Gesprächsrunden, Hilfe beim Stellen von Anträgen, Begleitung zu Behörden oder Ärzten sowie Hausaufgabenhilfe für Schulkinder einen wichtigen Beitrag zur Integration. Diese große gesamtgesellschaftliche Aufgabe wäre ohne die freiwilligen Helfer nicht zu bewerkstelligen.
Die häufigste Form von Engagement in Deutschland ist die Vereinsarbeit. Nach wie vor übersteigt die Anzahl der Neueintragungen von Vereinen die Anzahl der Löschung aus den Registern. Zum traditionellen Vereinswesen gehören unzählige Sport-, Freizeit- und Geselligkeitsvereine. In den über 90.000 Sportvereinen in Deutschland leisten acht Millionen Engagierte mehr als 500 Millionen Stunden ehrenamtliche Arbeit für rund 27 Millionen Mitglieder. Hier begegnen sich Menschen unterschiedlicher sozialer, kultureller und ethnischer Herkunft. Das gemeinsame Erleben schafft Verständigung und stärkt den sozialen Zusammenhalt. Zudem vermittelt Sport zentrale Werte sowie Verhaltens- und Orientierungsmuster, wie Fair Play, Regelakzeptanz und Teamgeist.
Im Zuge der Aussetzung der Wehrpflicht und damit auch des Zivildienstes wurde 2011 der Bundesfreiwilligendienst geschaffen. Über 41.000 Frauen und Männer engagieren sich damit nun jährlich im sozialen, ökologischen und kulturellen Bereich sowie im Bereich des Sports, der Integration oder des Zivil- und Katastrophenschutzes. Sie unterstützen die hauptamtlichen Kräfte und sammeln wichtige Erfahrungen für ihr weiteres Leben.
Die über 22.000 Freiwilligen Feuerwehren in Deutschland sichern mit ihren ehrenamtlichen Feuerwehrleuten einen großen Teil des Brandschutzes und sind bei Unfällen und anderen Notsituationen zur Stelle.
Ob bei Hochwasser, nach Unwettern, Unfällen, Bränden oder bei der Flüchtlingshilfe: Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) leistet mit ihren knapp 80.000 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern zuverlässige Hilfe im In- und Ausland. Im vergangenen Jahr investierten die Einsatzkräfte rund 900.000 Stunden in Einsätze und sonstige technische Hilfeleistung. Hinzu kommen mehrere Hunderttausend Übungsstunden. Mit einer neuen Organisationsstruktur sind seit Anfang 2018 die Aufgaben und Prozesse der Verwaltung effizienter auf den Einsatz und das Ehrenamt ausgerichtet. Zudem wurde das THW-Kontingent für Bundesfreiwilligendienstleistende von bisher 150 auf künftig 2.000 Plätze angehoben.
Im Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge unterstützen und entlasten zahlreiche Einrichtungen im Sozial- und Bildungswesen die Kommunen bei ihren Aufgaben.
Engagement im ländlichen Raum
Trotz der anhaltenden Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement sind die Herausforderungen der Zukunft vielschichtig. Mit dem demografischen Wandel und der zunehmenden Abwanderung in die Städte geht eine Bedrohung für das Vereinswesen in den ländlichen Räumen einher. Viele Vereine und gemeinnützige Organisationen klagen über mangelnden Nachwuchs. Hier gilt es, an verschiedenen Punkten anzusetzen. Zum einen müssen wir uns weiterhin dafür einsetzen, Kindern aus sozial schwächeren Haushalten oder auch Kindern mit Migrationshintergrund Zugang zu dem vielfältigen Angebot von Vereinen und anderen Organisationen zu ermöglichen. Denn das gemeinsame Eintreten für eine Sache baut eventuell vorhandene Vorurteile ab, stiftet Zugehörigkeit und ist integrativ.
Ein anderes zentrales Element zur Wahrnehmung ehrenamtlichen Engagements ist die Infrastruktur vor Ort. Stehen nicht ausreichend öffentliche Verkehrsmittel bereit, wird die Abhängigkeit von Eltern, Freunden und Verwandten, um beispielsweise zum Sportverein im Nachbarort zu gelangen, schnell zum Hindernis für das Engagement junger Leute.
Eine weitere große Herausforderung für viele Ehrenamtler sind der zum Teil hohe bürokratische Aufwand und ein uneinheitlicher Rechtsrahmen. Daher werden wir die vorhandenen Regelungen neuerlich überprüfen, entbürokratisieren, aktualisieren und vereinheitlichen, um allen in Deutschland ehrenamtlich und bürgerschaftlich Engagierten einen sicheren und klaren Rechtsrahmen zu bieten.
Neue Zielgruppen in der digitalen Welt
Wie in nahezu allen Lebensbereichen stellt die Digitalisierung auch bei der Förderung von Ehrenamt und Vereinswesen eine Möglichkeit der Unterstützung dar. Durch zusätzliche Kommunikation lässt sich zum einen die Wirksamkeit der Öffentlichkeitsarbeit erhöhen, wodurch mehr Aufmerksamkeit entsteht. Zudem trägt sie zu einer erheblichen Entlastung bei internen Abläufen bei und schafft Zeit sowie Kapazitäten für den Kern der ehrenamtlichen Arbeit. Darüber hinaus entstehen neue Formen des Engagements, die ausschließlich im digitalen Raum stattfinden. Durch die Unabhängigkeit von Zeit und Ort besteht hier ein erhebliches Potenzial, neue Zielgruppen zu erschließen.
Marco Wanderwitz, geboren 1975 in Chemnitz, ehemaliger Sprecher für Kultur und Medien der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, seit März 2018 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat.