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Eine Neujustierung des Länderfinanzausgleichs ist überfällig

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Deutschland hat eine lange föderale Tradition, die nach dem Zweiten Weltkrieg wiederbelebt wurde und sich in den Jahrzehnten des Bestehens der Bundesrepublik bewährt hat. Als Ausprägung des Subsidiaritätsprinzips hat das föderale System dazu beigetragen, Vielfalt und Einheit auszutarieren. Dabei kommt auch dem Länderfinanzausgleich eine wichtige Funktion zu, insbesondere um der Solidarität der Länder untereinander mithilfe des Bundes Geltung zu verschaffen. Die gegenwärtige Ausprägung des Länderfinanzausgleichs steht aber der Erreichung weitergehender Ziele entgegen. Weder sorgt sie für mehr Wettbewerb noch für eine Stärkung der Eigenverantwortung der Länder. Nur noch drei Länder zahlen derzeit in den Länderfinanzausgleich ein und tragen zur Finanzierung der übrigen dreizehn Länder bei. Bayern ist das einzige Nehmerland in der Geschichte der Bundesrepublik, dem es gelungen ist, dauerhaft zum Geberland zu werden. Dass dies ein Sonderfall bleiben sollte, war bei der Einführung des Länderfinanzausgleichs so nie gedacht. In seiner jetzigen Form kann der Länderfinanzausgleich deshalb nicht bestehen bleiben, eine Neujustierung ist überfällig.

Das gesamte Finanzausgleichsgesetz tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2019 außer Kraft, bis dahin muss eine Reform umgesetzt sein. Der bundesstaatliche Finanzausgleich steht daher zu Recht seit einiger Zeit wieder auf der politischen Tagesordnung. Das Grundgesetz gibt in Artikel 107 den Finanzausgleich zwischen den Ländern vor. Es formuliert den Auftrag, durch Gesetz sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird. Ziel ist ein angemessener, aber eben nicht vollständiger Ausgleich der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder. Hinter diesem Verfassungsgebot steht der Gedanke, dass die Menschen überall in Deutschland ähnliche Lebenschancen vorfinden sollen. Bei der Konkretisierung dieses Ziels sind sowohl die Finanzinteressen der ausgleichsberechtigten als auch die der ausgleichsverpflichteten Länder angemessen zu gewichten. Die gebenden Länder dürfen nicht so weit geschwächt werden, dass ihre Leistungsfähigkeit in Gefahr gerät. Daraus folgt, dass Leistungsunterschiede in der Finanzausstattung, die zu einem guten Teil auf einer unterschiedlichen Wirtschaftskraft beruhen, nicht über Gebühr nivelliert werden dürfen. Maßstab der Solidarität unter den Ländern sollte daher die Gleichwertigkeit und nicht die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse sein.

 

Ein Akt der politischen Notwehr

Seit vielen Jahren wird der Hessische Landeshaushalt durch den bundesstaatlichen Finanzausgleich in hohem Maße belastet. Hessen zahlte für das Jahr 2013 rund 1,7 Milliarden Euro in den Länderfinanzausgleich. Seit Einführung des Länderfinanzausgleichs 1950 war Hessen in keinem Jahr Nehmerland. Insgesamt summieren sich die Zahlungen Hessens bis 2013 auf rund fünfzig Milliarden Euro. Davon entfallen über 41 Milliarden Euro allein auf den Zeitraum nach 1990. Dieser Betrag entspricht fast dem Doppelten des Hessischen Landeshaushalts! Das zeigt: Die Belastung übersteigt die Grenzen der Tragfähigkeit. Es hilft jedoch den Schwachen nicht, wenn die Starken zu stark geschwächt werden. Hessen hat daher gemeinsam mit Bayern beim Bundesverfassungsgericht einen Normenkontrollantrag zur Überprüfung des Länderfinanzausgleichs gestellt. Es handelt sich hierbei nicht zuletzt um einen Akt der politischen Notwehr, denn in den bisherigen Gesprächen mit den anderen Ländern hatte sich keine Perspektive eröffnet, die gebotenen Korrekturen ohne eine gerichtliche Überprüfung vorzunehmen.

Wie paradox das System geworden ist, zeigt das Beispiel Hamburg. Obwohl Hamburg pro Einwohner über die höchste Steuerkraft in Deutschland verfügt, ist der Stadtstaat seit Kurzem Nehmerland im Länderfinanzausgleich. Verantwortlich für dieses überraschende Ergebnis ist die sogenannte Einwohnerveredelung. Vereinfacht gesagt wird hierbei unterstellt, dass die Einwohner eines Stadtstaates einen höheren Finanzbedarf pro Einwohner aufweisen als die Einwohner von Flächenländern. Begründet wird das auch damit, dass die Stadtstaaten besondere Leistungen für ihr Umland erbringen. Im Finanzausgleich führt das dazu, dass die Einwohnerzahl der Stadtstaaten im Länderfinanzausgleich fiktiv um 35 Prozent erhöht wird. So wird die Finanzkraft der Stadtstaaten pro Einwohner künstlich heruntergerechnet und auf dieser Grundlage ein günstigerer Ausgleichsanspruch ermittelt. Diese Rechnung bringt erhebliche Verzerrungen im System mit sich. Sie blendet aus, dass auch einige Flächenländer hohe Belastungen aufgrund von Ballungsräumen zu tragen haben und ebenso besondere Leistungen für angrenzende Länder erbringen – ohne jedoch hierfür einen entsprechenden Strukturausgleich zu erhalten. Zur überfälligen Lösung der Stadtstaatenproblematik sind regionale Ansätze angezeigt, denn es ist nicht einzusehen, warum die Bürger von Hessen oder Bayern für Leistungen aufkommen sollen, die die Stadtstaaten im Wesentlichen für die Bürger der sie umgebenden Länder erbringen.

 

Abstruse Rechnungen, falsche Anreize

Die fiktiven Annahmen im geltenden System haben zur Folge, dass Berlin zum finanzschwächsten Land überhaupt gerechnet und damit zum Hauptempfänger des Länderfinanzausgleichs wird. 2013 erhielt Berlin rund 3,3 Milliarden Euro aus dem horizontalen Finanzausgleich, das sind etwa vierzig Prozent des gesamten Ausgleichsvolumens. Wenig überzeugend ist hierbei, dass im Rahmen des geltenden Finanzausgleichssystems letztlich der besondere Status Berlins als Bundeshauptstadt von den Ländern mitfinanziert wird. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Aufgabe des horizontalen Finanzausgleichs. Deshalb muss sich der Bund stärker bei der Hauptstadtfinanzierung engagieren. Besonders ärgerlich sind die hohen Zahlungen an Berlin auch deshalb, weil Berlin Ausgaben tätigt, die Hessen als Geberland nicht schultern kann, wie etwa ein Begrüßungsgeld für Studenten. Ähnlich sieht es im Nehmerland Rheinland-Pfalz aus: Während in Hessen für den Besuch der Kindertagesstätten Gebühren erhoben werden müssen, leistet sich das Nachbarland Beitragsfreiheit.

Das sind nicht die einzigen Defizite im System. Der horizontale Finanzausgleich ist leistungsfeindlich, ungerecht und trägt nicht zur Stärkung der Eigenständigkeit der Länder bei. Den Ländern wird aufgrund des Finanzausgleichs jeglicher Anreiz genommen, ihre Wirtschaftskraft zu stärken. Die Ausgleichsmechanismen des Länderfinanzausgleichs wirken so umfassend, dass insbesondere für die Nehmerländer keine ausreichende Motivation besteht, sich um zusätzliche eigene Einnahmen zu bemühen. So kann es durch ein Zusammenwirken von Umsatzsteuerausgleich, Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen in den Nehmerländern zu der abstrusen Situation kommen, dass der Landeshaushalt Mindereinnahmen verzeichnen muss, wenn durch die Stärkung der Wirtschaftskraft die originären Steuereinnahmen steigen. Mit anderen Worten: Das betroffene Land hätte sich mit Blick auf den Landeshaushalt besser gestanden, die Mehreinnahmen nie generiert zu haben! Deshalb ist ein höherer Eigenbehalt bei zusätzlichen Steuereinnahmen erforderlich.

Die zu hohe Berücksichtigung der kommunalen Finanzkraft führt zu erheblichen Belastungen Hessens. 64 Prozent der Finanzkraft der Kommunen werden als Teil der Länderfinanzkraft berücksichtigt. Diese Höhe beruht auf einer nicht nachvollziehbaren Grundlage. Vor der letzten gesetzlichen Neuformulierung betrug dieser Anteil noch fünfzig Prozent. Bei der geltenden hohen Berücksichtigung der kommunalen Finanzkraft bleibt außer Betracht, dass die Länder auf die kommunale Finanzausstattung nicht zugreifen können. Der Länderfinanzausgleich muss hier die kommunale Selbstverwaltung und Eigenständigkeit stärker berücksichtigen.

Bei der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs und der Bund-Länder-Finanzbeziehungen geht es aber um mehr als um bloße Finanzarithmetik. Im Kern geht es darum, welche Art von Föderalismus wir in Deutschland wollen. Hessen wendet sich nicht gegen Solidarität im Bundesstaat, sondern tritt für starke Länder in einem starken Deutschland ein. Der Föderalismus ist ein Gewinn für Deutschland. Allerdings brauchen wir mehr Handlungsspielraum und mehr Wettbewerbselemente für die Länder. Mehr Wettbewerbsföderalismus setzt bewusst auf die Eigenständigkeit der Länder und lässt Anreize zum Wettbewerb zu.

 

Schuldenbremse für die Länder besonders restriktiv

Durch die Vorgaben der Schuldenbremse, die für die Länder deutlich restriktiver ausgefallen sind als für den Bund, und den hohen Anteil von gebundenen Ausgaben sinkt der haushaltswirtschaftliche Spielraum der meisten Länder erheblich. Diese Schwäche der Länder im bundesdeutschen Föderalismus rührt auch daher, dass sie kaum über eine eigene Steuerautonomie verfügen. Derzeit ist dies lediglich bei der Grunderwerbsteuer der Fall. Bei den übrigen Landessteuern steht ihnen zwar das Aufkommen zu, sie haben aber keine Möglichkeit, Steuersätze zu verändern. Deshalb gehört gerade auch mehr Steuerautonomie der Länder in die Debatte um einen zukunftsfesten Föderalismus, denn sonst ist es um die Flexibilität der Finanz- und Haushaltspolitik der Länder schlecht bestellt. Die Idee, die Steuerautonomie der Länder durch Zu- oder Abschlagsrechte auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer zu stärken, wurde bereits in der zweiten Föderalismuskommission kontrovers diskutiert und konnte sich aufgrund von Bedenken insbesondere der finanzschwachen Länder nicht durchsetzen. Diese Chance für mehr Wettbewerbsföderalismus blieb ungenutzt. Auf kommunaler Ebene gibt es dieses Gestaltungselement durch unterschiedliche Gewerbe- und Grundsteuer-Hebesätze längst und hat sich dort bewährt. Übrigens stehen die Geberländer mit dieser Auffassung nicht allein: Auch die Bundesbank hat sich im Herbst 2012 für eine höhere Flexibilität der Länder auf der Einnahmeseite ausgesprochen. Das würde den Föderalismus insgesamt stärken.

Hessen wird sich nicht der Solidarität entziehen. Als wirtschafts- und finanzstarkes Land ist es sich seiner bundespolitischen Verantwortung bewusst. Hessen weigert sich daher keineswegs, Mittel in den Finanzausgleich einzuzahlen, aber es wendet sich gegen Fehlentwicklungen und Defizite des geltenden Ausgleichssystems, die dessen Mängel ohne jede Rechtfertigung einseitig zulasten der Geberländer verteilen. Die Verhandlungen über die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen sollten den Mut aufbringen, die Voraussetzungen für einen föderalen Wettbewerb zu schaffen und damit auch den Handlungsspielraum der Länder zu erweitern und ihre Eigenverantwortung zu stärken.

Für die Zukunft muss es darum gehen, wieder ein faires Gleichgewicht herzustellen zwischen der notwendigen Solidarität auf der einen Seite und der Eigenverantwortung der Länder auf der anderen Seite. Ziel muss ein in sich stimmiges Gesamtkonzept sein, das die Geberländer nicht überfordert, gleichzeitig aber auch Solidarität mit Solidität und Anreizgerechtigkeit verbindet. Nicht Einheitlichkeit, sondern Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen ist das Ziel. Der Wettbewerb zwischen den Ländern ist der Bundesstaatlichkeit nicht fremd, sondern ein Motor für Innovationen und eine Triebfeder der Entwicklung.

Vor diesem Hintergrund müssen die Länder auch künftig finanziell in der Lage sein, ihre Aufgaben angemessen wahrzunehmen. Dazu ist neben einer besseren Finanzausstattung durch den Bund auch die Erweiterung von Gestaltungsmöglichkeiten der Länder auf der Einnahmeseite und auf der Ausgabenseite erforderlich. Ziel ist ein Länderfinanzausgleich, der die Nehmerländer darin unterstützt, sich Stück für Stück aus ihrer Abhängigkeit von Transferleistungen zu befreien. Das Prinzip des Finanzausgleichs muss daher eine Hilfe zur Selbsthilfe sein. Denn es bleibt dabei: Ein starker Föderalismus braucht starke Länder.

 

Volker Bouffier, geboren 1951 in Gießen, Landesvorsitzender der CDU Hessen, seit 2010 Hessischer Ministerpräsident.

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