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Über die globale Bedeutung des Fußballs

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Der britische Schriftsteller und Kunstkritiker Geoff Dyer schrieb vor Kurzem, der Fußball sei „in der Kultur und im Sport ein derart umfassendes Phänomen, dass ein Außerirdischer durchaus zu dem Schluss gelangen könnte, unser Planet habe seine Gestalt als Hommage an den Ball angenommen, um den sich das Leben zu jeder Zeit dreht“. Dem würde ich hinzufügen, dass der Besucher aus dem Weltraum bei näherem Hinsehen folgern könnte, der Ball selbst sei Gegenstand der globalen Verehrung und das Fußballspiel die dominante Religion der zweibeinigen Erdenbewohner.

Damit läge er nicht weit daneben. Die Fußballgläubigen sind zahlenmäßig weit stärker vertreten als diejenigen, die christliche, muslimische, hinduistische, buddhistische, jüdische oder andere Götter anbeten. Dem Besucher aus dem All könnte des Weiteren auffallen, dass kein anderes Thema häufiger diskutiert wird als der Fußball und dass sich die Erdlinge keinem anderen gesellschaftlichen Phänomen mit so viel Leidenschaft und so viel Sachkenntnis widmen.

Ist das nun gut oder schlecht? Man könnte sagen, es wäre besser, wenn sich die Welt die Zeit lieber damit vertreiben würde, die Armut auszumerzen, aber bis dahin sollten wir dankbar sein, dass die Menschheit per Zufall auf die einzige Sprache gestoßen ist, die von allen Religionen, Völkern, Ländern und Ideologien gleichermaßen verstanden wird, und sich der Fußball zu einer – wenn auch unvollkommenen – Universaldemokratie entwickelt hat, innerhalb derer sich alle mit gleicher Begeisterung auf Augenhöhe begegnen.

Weltweit Gesprächsstoff

Man stelle sich vor, ein Philosophieprofessor der Universität Heidelberg findet sich plötzlich in einem Dorf mitten im Kongo wieder oder ein chinesischer Computerwissenschaftler in einem mexikanischen Slum oder ein amerikanischer Politiker in einer Bar in Wladiwostok. Würden unsere drei fiktiven Versuchspersonen nichts vom Fußball halten, hätten sie fast keine Chance, mit den Einheimischen ins Gespräch zu kommen. Wenn sie aber zufällig Interesse daran haben, sichert das den sofortigen Kontakt. Sie werden bald darüber sprechen, ob nun Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo der Größte ist, ob Bayern München besser spielt als Real Madrid oder welches Land am wahrscheinlichsten Weltmeister wird. Mehr noch: Selbst der ärmste, ungebildetste Teilnehmer an der Unterhaltung wird den hypothetischen Besuchern aus dem Ausland gewachsen sein, was die Kenntnis der Fakten (wer schoss welches Tor im Europa-League-Endspiel 2010 und so weiter) und die analytische Urteilsfähigkeit angeht (etwa: Wenn der Trainer von Liverpool in der zweiten Halbzeit noch einen Verteidiger auf den Platz geschickt hätte, wäre das Spiel gegen Sevilla in der Champions League 2017 anders ausgegangen).

Als Journalist, der viel reist und in diesen Tagen fast so viel über Fußball schreibt wie über den Minderheitensport, der unter dem Namen Politik bekannt ist, staune ich endlos darüber, wie sehr das Spiel die Menschen fasziniert, und das oft an ganz unwahrscheinlichen Orten. Letztes Jahr zum Beispiel war ich in einem düsteren kleinen Zimmer in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeschs, in dem eine fünfköpfige Familie wohnte. Der Vater war Rikschafahrer, die Mutter arbeitete in einer Kleiderfabrik, und keines der drei Kinder war älter als zwölf Jahre. Der einzige Luxus der Familie war ein Fernseher, ihre gemeinsame Leidenschaft die Spiele des FC Barcelona.

Dass der Fußball uns Menschen mit reichlich Gesprächsstoff versorgt, an dem wir uns in der kurzen Zeitspanne zwischen Geburt und Tod erfreuen können, ist ein guter Grund dafür, den viktorianischen Gentlemen ewig dankbar zu sein, die die Spielregeln 1863 in einem Londoner Pub austüftelten.

Aber der Fußball kann auch im sozialen Bereich Gutes bewirken, insbesondere in einem anderen Land, das ich im letzten Jahr besuchte, nämlich Ruanda. Der Völkermord von 1994, bei dem die Mehrheit der Hutu versuchte, die Minderheit der Tutsi auszurotten, gehört zu den schlimmsten Gräueltaten des 20. Jahrhunderts. Heute herrscht Frieden in Ruanda, wobei der Fußball das Land sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene einte und versöhnte. Spiele der Nationalmannschaft von Ruanda, der sowohl Hutu als auch Tutsi angehören, nährten einen gemeinsamen Nationalstolz und eine nationale Identität. Ich habe auf den Dörfern mit eigenen Augen Spiele zwischen Verwandten von Opfern des Völkermordes und begnadigten Mördern gesehen, die dort Harmonie säten, wo es anderenfalls vielleicht nur Blut und Rachegedanken gegeben hätte. Dieselbe heilsame Dynamik des Fußballs konnte ich in Kolumbien kurz nach dem Ende des fünfzigjährigen Bürgerkriegs sowie in Südafrika nach der Apartheid beobachten.

Die dunkle Seite des Spiels

Was gibt es Schlechtes zu sagen? Hat der Fußball eine dunkle Seite? Er hat eine, genau wie alles andere, an dem zahlreiche Angehörige unserer nichtsnutzigen und närrischen Spezies beteiligt sind. Dazu gehört ganz offensichtlich die Gewalttätigkeit der Fans rivalisierender Mannschaften. In Russland können wir fest damit rechnen, dass die Fans der englischen Nationalmannschaft ihr Bestes tun werden, um die Stimmung zu vermiesen. Andererseits darf man nicht vergessen, dass das Rowdytum bei großen internationalen Wettkämpfen genauso wie bei den Tausenden großen und kleinen Spielen, die jede Woche auf der ganzen Welt stattfinden, die Ausnahme und nicht die Regel darstellt.

Am beklagenswertesten ist vielleicht die Korruption, die aus den riesigen Summen erwächst, die für professionelle Spiele ausgegeben werden, und die bei dem Dachverband des Weltfußballs, der FIFA, am stärksten zutage tritt. Mittlerweile ist bewiesen, dass Sepp Blatter, der entmachtete FIFA-Präsident, sowie Dutzende andere, die ihm nahestanden, sich bestenfalls kriminell verantwortungslos und schlimmstenfalls wie schamlose Diebe verhalten haben. All das wurde in den letzten beiden Jahren durch die Gerichte, die Polizei und die Medien aufgedeckt.

Das Merkwürdige daran ist aber, dass wir, die überwältigende Mehrheit der Milliarden Fans auf der ganzen Welt, dem Spiel noch genauso zugetan sind wie früher. Warum? Weil wir an etwas glauben müssen. Ähnlich einer institutionalisierten Religion schenkt uns der Fußball Hoffnung, Freude, Leidenschaft, Liebe und eine Identität sowie Trost und Zuflucht vor der rauen Wirklichkeit des Lebens. Unser Glaube hat etwas Kindliches an sich, wie vielleicht jeder andere Glaube auch. Aus diesem Grund wenden wir wie Kinder, die den Beweisen dafür nicht glauben wollen, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt, unsere Nasen ab von dem Geruch der FIFA und der vielen raffgierigen Zyniker, die das Spiel fast überall auf der Welt zu beherrschen scheinen.

Indem wir wegschauen, werden wir zu Komplizen ihrer Taten, und tief in unserem Inneren wissen wir das auch. Trotzdem verhalten wir uns so, weil der Fußball zu wertvoll, zu gut ist, um verloren zu gehen. Wenn ein Preis für ihn gezahlt werden muss, ist er es wert – eine Ansicht, der sich auch der prinzipientreueste aller französischen Schriftsteller und Philosophen, Albert Camus, sicher angeschlossen hätte. Bekanntermaßen war es Camus, der sagte: „Alles, was ich über die Moral und die Pflichten der Menschen weiß, verdanke ich dem Fußball.“ In Die Pest, seinem berühmtesten Roman, kommt Camus zu dem großmütigen Schluss, dass „an den Menschen mehr zu bewundern als zu verachten ist“. Genauso wie am Fußball.

Übersetzung aus dem Englischen: Wilfried Becker, Germersheim

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John Carlin, geboren 1956 in London, Journalist und Autor. Der Film „Invictus“ (2009) basiert auf seinem Buch „Der Sieg des Nelson Mandela: Wie aus Feinden Freunde wurden“ (Herder 2008).

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