Asset-Herausgeber

von Maria Flachsbarth

Die Corona­-Pandemie aus entwicklungs­politischer Sicht

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Die aktuelle Corona-Pandemie ist die größte globale Gesundheitskrise seit Jahrzehnten. Weltweit sind bis Januar 2021 mehr als 2,2 Millionen Menschen im Zusammenhang mit dem neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) gestorben. Neben den unmittelbaren gesundheitlichen Auswirkungen sind auch empfindliche Rückschritte bei der Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 zu verzeichnen. Der Einbruch der Wirtschaft, gekappte Transportwege und geschlossene Schulen haben wichtige Entwicklungserfolge der letzten Jahre zunichtegemacht. Betroffen von den wirtschaftlichen und sozialen Folgen sind vor allem die Ärmsten der Armen im globalen Süden, insbesondere Mädchen und Frauen.

In Anbetracht dieser historischen Herausforderung ist es das Ziel des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Leben zu schützen, Infektionsketten zu unterbrechen und Entwicklungschancen zu wahren. Dafür setzen wir ein globales Corona-Sofortprogramm für 4,4 Milliarden Euro um und unterstützen auch in Entwicklungsländern einen gerechten Zugang zu Impfstoffen, Diagnostika und Therapeutika. Das ist nicht nur aus humanen beziehungsweise entwicklungspolitischen Gründen geboten, sondern dient in der vernetzten Welt auch unseren eigenen Interessen sowie dem sozialen Frieden in den Partnerländern. Gleichzeitig halten wir an unseren langfristigen Handlungsfeldern fest: Gesundheit erhalten und Lebensqualität verbessern, demokratische Prozesse unterstützen und wirtschaftliche und soziale Sicherheitsnetze resilient machen. Um in Zukunft solche schweren Krisen gar nicht erst entstehen zu lassen, setzen wir künftig noch stärker auf die Prävention und Früherkennung von Gesundheitsrisiken.

Gesundheit ist eines der siebzehn nachhaltigen Entwicklungsziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals) und eine Grundlage für die Erreichung aller anderen Ziele. Gesundheit ist auch ein zentrales Menschenrecht. Sie umfasst nicht nur die menschliche Gesundheit, sondern auch die Tiergesundheit sowie ökologische, klimatische, soziale und ökonomische Aspekte. Bei SARS-CoV-2 handelt es sich um eine Zoonose, also eine Infektion, die auf natürliche Weise zwischen Menschen und anderen Wirbeltieren übertragen werden kann. Die wechselseitige Übertragung von Infektionen zwischen Menschen, Haus-, Nutz- und Wildtieren hat es schon immer gegeben. Nicht erst COVID-19, sondern auch andere zoonotische Infektionskrankheiten wie Lassafieber, Ebola, SARS oder MERS, die Zunahme antimikrobieller Resistenzen, der Klimawandel sowie der stetige Schwund an biologischer Vielfalt und natürlichen Lebensräumen führen uns vor Augen, wie vielschichtig das Thema Gesundheit ist und wie sehr es an globalpolitischer Bedeutung gewonnen hat.

Nach Angaben der Weltorganisation für Tiergesundheit sind sechzig Prozent der bekannten menschlichen Infektionskrankheiten zoonotischen Ursprungs. Wann und wo welcher Erreger die Artbarriere überschreiten wird, ist schwer vorauszusagen. Gewiss ist, dass das Risiko einer Entwicklung solcher punktuellen Geschehen rasch von kleinen, lokal begrenzten Ausbrüchen zu großflächigen Epidemien oder Pandemien durch die weltumspannende Mobilität und die hohe Bevölkerungsdichte ansteigt. Der Erreger SARS-CoV-2, der sich ausgehend von einer Millionenmetropole in China binnen kürzester Zeit weltweit auf über 190 Länder ausgebreitet hat, zeigt dies überdeutlich. Auch andere Coronaviren und bestimmte Varianten der Influenzaviren besitzen zoonotisches und pandemisches Potenzial. Um solchen gefährlichen Entwicklungen besser vorzubeugen, müssen wir stärker präventiv vorgehen und die Gesamtsysteme betrachten, in denen sich Krankheiten entwickeln und ausbreiten.

 

Prävention und Interdisziplinarität

 

Vor allem ein Begriff, der bisher hauptsächlich in der wissenschaftlichen Welt verwendet wurde, ist jetzt integraler Bestandteil der Entwicklungspolitik geworden: One Health – ein holistischer Ansatz, der die strukturellen Zusammenhänge zwischen der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt betrachtet. Er beruht vor allem auf zwei Grundprinzipien: Prävention und Interdisziplinarität. Es gilt, Gesundheit ganzheitlich zu denken.

Herzstück einer effektiven Prävention von Gesundheitsrisiken sind funktionierende Gesundheitssysteme. Deshalb wird darin auch in Zukunft ein wichtiger Entwicklungsschwerpunkt liegen. Wir bilden Menschen vor Ort aus, die nach dem Schneeballprinzip ihr Wissen an andere weitergeben. Aufklärung und Bildung der Bevölkerung, Ausbildung und Qualifizierung von Fachpersonal, Lehre und Forschung, eine verbesserte Ausstattung sowie der Ausbau von Früherkennungssystemen und diagnostischen Laborkapazitäten sind nicht nur für die „Alltagsgesundheit“ wichtig, sondern auch, um frühe Anzeichen neu auftretender Gesundheitsrisiken erkennen und rechtzeitig eindämmen zu können. Wir haben im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit in diesen Bereichen Erfahrungen gesammelt, die uns jetzt auch in Deutschland zugutekommen: Bereits im Zuge des westafrikanischen Ebola-Ausbruchs 2016 hat das BMZ die Einführung des digitalen Früherkennungssystems SORMAS (Surveillance Outbreak Response Management and Analysis System) in Westafrika unterstützt. SORMAS wurde vom HelmholtzInstitut entwickelt und kann auch dann betrieben werden, wenn keine Mobilfunkverbindung besteht. Dieses System wird nun auch Schritt für Schritt in den deutschen Gesundheitsämtern zur Fall- und Kontaktpersonenbearbeitung für COVID-19 eingeführt.

Im Sinne des neuen Schwerpunkts One Health fokussieren wir deutlicher auf Schnittstellen zu anderen Bereichen. Dafür unterstützen wir Mechanismen auf lokaler, nationaler und globaler Ebene, die die interdisziplinäre Vernetzung zwischen Human- und Veterinärmedizin, Agrarökologie, ländlicher Entwicklung, Ernährungs-, Hygiene-, Sozial- und Umweltwissenschaften fördern.

 

Risiken an Schnittstellen reduzieren

 

Die Schnittstelle Mensch, Nutztier und Umwelt ist beispielsweise von entscheidender Bedeutung bei der Vorbeugung antibiotikaresistenter Keime. Die Schnittstelle Mensch und Umwelt (Klima) spielt eine entscheidende Rolle bei der Ausbreitung vektorübertragener Krankheiten, da in diesen Fällen lebende Organismen die Krankheitserreger von einem infizierten Tier oder Menschen übertragen; die Schnittstelle Mensch, Wildtier und Umwelt (zum Beispiel Naturschutzgebiete) ist wichtig für die Entstehung neuer Zoonosen und ihrer Ausbreitung. Wir setzen uns verstärkt dafür ein, die Risiken an diesen Schnittstellen zu reduzieren, beispielsweise mit der neu gegründeten internationalen Allianz zur Reduzierung von Gesundheitsrisiken im Wildtierhandel oder dem internationalen Naturerbe-Fonds (Legacy Landscapes Fund).

Wir fördern nicht nur konkrete One Health-Projekte, sondern auch Institutionen, die das One Health-Prinzip umsetzen. So haben wir Ende 2020 die Gründung des One Health Research, Education and Outreach Center in Kenia (OHRECA) unterstützt. Ziel ist die Verbesserung der Gesundheit von Mensch, Tier und Ökosystemen durch Kapazitätsaufbau, Netzwerkstärkung, evidenzbasierte Politikberatung und praktische Anwendungsempfehlungen in Subsahara-Afrika. Um die Zusammenarbeit zwischen Human- und Veterinärmedizinern bei der Vorbeugung, Früherkennung und Bekämpfung von Zoonosen zu fördern, haben wir Anfang 2021 die „Schnell Einsetzbare Expertengruppe Gesundheit“ (SEEG), die bisher Humanmediziner entsandt hat, um die Komponente Tiergesundheit ergänzt. Mit der SEEG, die 2020 über zehn Einsätze weltweit durchgeführt hat, unterstützen wir Partnerländer vor Ort bei der Vorbereitung und Reaktion auf Ausbrüche von Infektionskrankheiten.

Im Bereich der internationalen Kommunikation von Gesundheitsrisiken plädieren wir für mehr Transparenz und eine bessere Verzahnung der zahlreichen, aber nicht miteinander verknüpften nationalen und internationalen Gesundheitsdatenbanken für Mensch, Tier und Umwelt, um eine effiziente Vorbeugung, Früherkennung und Kontrolle von Krankheiten zu ermöglichen.

 

Langfristiges Engagement im Kampf gegen Hunger und Armut

 

Ein weiterer wichtiger Hebel unserer Entwicklungszusammenarbeit ist die Stärkung der Resilienz. Um beispielsweise dem Problem der Mangelernährung entgegenzuwirken, ist die Förderung einer nachhaltigen Agrar- und Ernährungswirtschaft ein Grundpfeiler der Entwicklungszusammenarbeit. So stellen wir mit der neuen Kernthemenstrategie „Eine Welt Ohne Hunger“ (SEWOH) die Weichen für das langfristige Engagement des BMZ im Kampf gegen Hunger und Armut. Konkrete Beispiele für die Arbeit auf Augenhöhe mit der ländlichen Bevölkerung sind die Projekte zur nachhaltigen Verbesserung von einzelnen Wertschöpfungsketten wie zum Beispiel von Milch, Geflügel oder Kakao, die mittlerweile in sechzehn Ländern durchgeführt werden.

Schließlich gehören zu One Health im weitesten Sinne gesundheitsfördernde Maßnahmen durch infrastrukturelle und städteplanerische Elemente wie die Versorgung mit Strom oder integrierte Abwassersysteme.

Um One Health in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit zu verankern, haben wir im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine neue Unterabteilung und einen interdisziplinär besetzten Beirat One Health gegründet, der uns bei der entwicklungspolitischen Schwerpunktsetzung berät. Um One Health auf internationaler Ebene zu verankern, setzen wir uns für eine enge Kooperation zwischen der Weltgesundheitsorganisation, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, der Welttiergesundheitsorganisation und dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen ein. Um global eine breite Unterstützung für den One Health-Ansatz zu erreichen, suchen wir den Schulterschluss mit internationalen Organisationen, nationalen Regierungen, mit der Wissenschaft, Wirtschaft, Zivilgesellschaft sowie mit Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen. Präventive, interdisziplinäre Ansätze und die enge Kooperation auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene sind von entscheidender Bedeutung, um die Pandemie zu überwinden und künftig Krisen dieser Art zu vermeiden.

 

Maria Flachsbarth, geboren 1963 in Lünen, promovierte Veterinärmedizinerin, Mitglied der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, seit 2018 Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

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