Asset-Herausgeber

Opferung der finanzpolitischen Vernunft

Warum es auf Autonomie und Wettbewerb ankommt

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Nachdem 2006 mit der Föderalismusreform I eine neue Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern, 2009 mit der Föderalismusreform II eine neue Schuldenregel zur Eindämmung übermäßiger Verschuldung und zur Prävention von Haushaltsnotlagen vereinbart worden sind, wäre es nun möglich, in einer Föderalismusreform III zu einem rationaleren Finanzsystem überzugehen.

In der Tat ist das geltende Finanzausgleichssystem dringend reformbedürftig. Dies deutet schon seine Komplexität an. Insgesamt kommen vier Stufen der Einnahmeverteilung zum Zuge. Auf der ersten Stufe findet eine vertikale Steuerverteilung statt. Hier wird der Großteil der staatlichen Einnahmen zwischen dem Bund und der Ländergemeinschaft verteilt. Auf der zweiten Stufe ist die horizontale Steuerverteilung geregelt. Die Einnahmen der Ländergemeinschaft werden den einzelnen Ländern zugeordnet. Die Lohn- und Einkommensteuer wird nach dem Wohnortprinzip, die Körperschaftsteuer nach dem Betriebsstättenprinzip verteilt. Drei Viertel des Aufkommens der Umsatzsteuer fließen je Einwohner zu, ein Viertel dieses Aufkommens jedoch in den Umsatzsteuervorausgleich, der eine erhebliche horizontale Ausgleichswirkung zwischen den Ländern hat und insbesondere das Steueraufkommen der ostdeutschen Länder erhöht. Dieser Ausgleich stellt somit bereits einen verdeckten Länderfinanzausgleich dar. Auf der dritten Stufe, dem Länderfinanzausgleich im engeren Sinne, werden Steuereinnahmen zwischen den Ländern direkt umverteilt. Auf dem Wege dieses Ausgleichs sollen Unterschiede in der Finanzkraft der Länder so ausbalanciert werden, dass alle die ihnen grundgesetzlich auferlegten Pflichten in angemessener Weise erfüllen. Auf der vierten Stufe gleichen die Bundesergänzungszuweisungen weiter vertikal aus, um verbleibende, als übermäßig empfundene Unterschiede in der Finanzkraft der Länder zu verringern.

Insgesamt sorgt dieses System für eine erhebliche Nivellierung der Finanzkraftunterschiede. Die finanzschwachen Länder werden auf fast 95 Prozent des Durchschnitts heraufgeschleust, die finanzstarken Länder auf weniger als 110 Prozent herabgeschleust. Die Solidarpaktmittel für die neuen Länder erhöhen deren Finanzkraft weiter. Die Ausgleichswirkung des Finanzausgleichssystems wird teuer erkauft. Damit ist weniger das eigentliche Finanzvolumen auf den jeweiligen Stufen gemeint als vielmehr die Anreizwirkung des Systems. Weder für die Bürger noch für die Landesregierungen ist erkennbar, in welchem Maße sie für die von ihnen getätigten Ausgaben zahlen. Da die große Masse, mehr als drei Viertel der Steuereinnahmen, als Gemeinschaftssteuern in diesen zu verteilenden Finanztopf fließt, nehmen die Bürger unzureichend wahr, dass sie die von ihnen geforderten öffentlichen Leistungen des Landes durch ihre Lohn- und Einkommensteuer finanzieren, oder sie rechnen in den Nehmerländern gar mit einer Externalisierung von Kosten auf andere Länder oder den Bund.

 

Künstlich arm gerechnet

Die Regierung eines Nehmerlandes muss zudem damit rechnen, dass sie bei einer Neuansiedlung von Unternehmen von jedem zusätzlichen Euro Steuereinnahmen maximal zwanzig Cent, in extremen Fällen allenfalls zehn Cent behält. Für die Geberländer liegt dieser Anteil etwas höher, aber gleichwohl noch weit unter den fünfzig Prozent, die Einkommensteuerzahler als Spitzensteuersatz zuweilen als leistungshemmend empfinden. In der Tat sinken die Anreize der Länder, sich um die Wirtschaft zu kümmern. Der Strukturwandel wird dadurch gehemmt. Die Landesregierungen versuchen sich vielmehr über höhere Staatsausgaben, auch im Rahmen der Wirtschaftsförderung, zu profilieren, die nicht selten in den Erhalt bestehender Strukturen fließen. Dies führt zu übermäßigen Ausgaben und übermäßiger Staatsverschuldung, weil ein Land nicht autonom über seine Einnahmen verfügen kann. Hinzu treten weitere Verzerrungen, etwa weil die Stadtstaaten durch eine Höhergewichtung ihrer Einwohner im Länderfinanzausgleich (im engeren Sinne) künstlich arm gerechnet werden, sodass das reiche Hamburg zum Nehmerland wird.

Alles in allem führt dies dazu, dass Deutschland weniger Wirtschaftskraft erzielt, als es könnte, und die Verschuldung der Länder zu hoch ist. Die Schuldenbremse soll Letzteres künftig vermeiden. Die bewirkt aber, dass die Länder nun überhaupt kein flexibles Instrument mehr auf der Einnahmeseite des Haushalts haben. Kernstück einer Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen müsste daher eine nennenswerte Steuerautonomie der Länder sein, indem diese etwa eigene Steuersätze (Zu- und Abschläge) bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer festlegen könnten. Um dafür Spielräume zu schaffen, müsste der Einkommensteuertarif zunächst abgesenkt werden. Dadurch würden die Ausgaben- und die Einnahmeverantwortung der Länder (und ihrer Bürger) wieder näher zusammenrücken. Trotz weiterer Probleme im geltenden Finanzausgleichssystem ließe sich eine größere Steuerautonomie ohne weitere Änderungen ins System integrieren. Insbesondere die ostdeutschen Länder bekämen dadurch ein flexibles Instrument zur Wirtschaftsförderung in die Hände, ohne vor Finanzierungslücken Angst haben zu müssen.

 

Völlig übertriebene Zahlen

Die Chancen für eine solche Reform stehen jedoch schlecht. Es sieht eher danach aus, dass sich Bund und Länder bis zum Dezember 2014 auf eine neue Finanzordnung einigen, sodass eine Reformkommission gar nicht erst eingesetzt werden muss. Die SPD-geführten Länder und die Bundes-SPD zielen vor allem darauf ab, mehr finanzielle Ressourcen vom Bund, etwa durch eine Überführung des Solidaritätszuschlags in den Einkommensteuertarif, durch höhere Umsatzsteuerpunkte für die Länder oder durch ein umfassendes Programm staatlicher Investitionen abzuziehen. Damit geriete das Ziel eines ausgeglichenen Bundeshaushalts in Gefahr oder müsste durch Steuererhöhungen sichergestellt werden. Das beträfe die beiden wichtigsten finanzpolitischen Ziele, mit denen die Union bei ihren Wählern punkten kann. Die völlig übertriebenen Zahlen zum Investitionsbedarf, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung errechnet hat, sind interessengeleitet und dienen der Stützung dieser Position. Das Bundesfinanzministerium ist sich dieser Bedrohung bewusst und zielt daher auf eine Einigung im Vorfeld, die den Bund weniger teuer zu stehen käme.

Deutschland ist offenbar zurückgekehrt in vergangene Verhaltensweisen, bei denen die finanzpolitische Vernunft auf dem Altar parteipolitischer Interessen und Länderegoismen geopfert wird.

 

Lars P. Feld, geboren 1966 in Saarbrücken, Direktor des Walter Eucken Instituts, Freiburg im Breisgau, und Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg.

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